Verjährung von Rückzahlungsansprüchen eines Versicherungsnehmers einer privaten Krankenversicherung gegen den Versicherer
Leitsatz
Zur Verjährung von Rückzahlungsansprüchen des Versicherungsnehmers einer privaten Krankenversicherung gegen den Versicherer aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB) und aus Schadensersatz wegen schuldhafter Pflichtverletzung (§ 280 Abs. 1 BGB) infolge behaupteter Unwirksamkeit von Prämienerhöhungen aus formellen und/oder materiellen Gründen.
Gesetze: § 199 Abs 1 Nr 2 BGB, § 241 Abs 2 BGB, § 280 Abs 1 BGB, § 812 Abs 1 S 1 Alt 1 BGB
Instanzenzug: Az: 6 U 11/20 Urteilvorgehend Az: 23 O 317/18
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung der Klägerin.
2 Die Klägerin unterhielt bei der Beklagten bis zum eine Krankenversicherung unter anderem in den Tarifen B nebst gesetzlichem Beitragszuschlag und T . Die Beklagte informierte sie über Prämienerhöhungen im Tarif B nebst gesetzlichem Beitragszuschlag zum um 52,07 €, zum um 41,96 € und zum um 35,49 € sowie im Tarif T zum um 9,41 €, zum um 10,00 €, zum um 4,13 € und zum um 12,73 €. Die Klägerin hält die Beitragserhöhungen für unrechtmäßig. Mit Anwaltsschreiben vom April 2018 forderte sie die Beklagte unter anderem zur Rückzahlung der auf diese Beitragsanpassungen gezahlten Prämienanteile einschließlich daraus gezogener Nutzungen auf. Die Beklagte wies die Ansprüche zurück.
3 Mit ihrer am bei Gericht eingegangenen Klage hat die Klägerin - soweit für die Revision noch von Interesse - die Rückzahlung der auf die Beitragserhöhungen gezahlten Prämienanteile in Höhe von 9.390,18 € nebst Zinsen ab dem und die Feststellung verlangt, dass die Beklagte zur Herausgabe der Nutzungen, die sie vor dem aus diesem Betrag gezogen hat, verpflichtet ist. Das Landgericht hat die Beklagte insoweit antragsgemäß verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht dieses Urteil abgeändert und die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen zur Zahlung von 2.106,69 € nebst Zinsen verurteilt sowie festgestellt, dass die Beklagte zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie in der Zeit vom bis zum aus dem Zahlbetrag gezogen hat. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr genanntes Klagebegehren weiter, soweit diesem nicht bereits stattgegeben wurde.
Gründe
4 Die statthafte und auch im Übrigen unbeschränkt zulässige Revision hat keinen Erfolg.
5 I. Nach Ansicht des Berufungsgerichts, dessen Entscheidung unter anderem in r+s 2024, 75 veröffentlicht ist, waren sämtliche streitgegenständlichen Beitragsanpassungen nach Maßgabe des § 203 Abs. 5 VVG unwirksam. Resultierende Rückforderungsansprüche nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB bzw. denkbare Ansprüche aus § 280 Abs. 1 BGB seien jedoch bei Klageerhebung im Jahr 2018 bereits verjährt gewesen, soweit sie im Jahr 2014 oder früher entstanden seien. Die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist habe jeweils mit dem Schluss des Jahres begonnen, in dem die Prämienanteile gezahlt worden seien. Der Versicherungsnehmer habe mit Zugang der Änderungsmitteilung Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners. Für Ansprüche aus § 280 Abs. 1 BGB laufe keine gesonderte Verjährungsfrist, da die maßgebliche Pflichtverletzung der Beklagten, auf die sich die Klägerin auch bereits bei Klageerhebung gestützt habe, in dem unwirksamen Prämienerhöhungsverlangen und den laufenden unberechtigten Einziehungen der erhöhten Beträge liege. Diese verursachende materielle Fehler bei der Berechnung bzw. Neufestsetzung der Prämie begründeten keine eigenständigen Pflichtverletzungen, die eigene Verjährungsfristen in Gang setzten.
6 II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
7 Mögliche Ansprüche der Klägerin auf Rückgewähr der Erhöhungsbeträge, die die Klägerin bis zum gezahlt hat, sowie auf Herausgabe der daraus gezogenen Nutzungen (§ 217 BGB) waren vor Klageerhebung verjährt.
8 1. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass für Bereicherungsansprüche aus § 812 Abs. 1 BGB wegen rechtsgrundloser Zahlung von Erhöhungsbeträgen Verjährung eingetreten ist und die Beklagte die Leistung daher verweigern kann (§ 214 Abs. 1 BGB). Die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) begann jeweils mit dem Schluss des Jahres zu laufen, in dem die Prämienanteile gezahlt wurden, da die Klägerin ab dem vorangegangenen Zugang der Mitteilung über die Prämienanpassungen die nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners hatte. Die Frist für hier noch in Rede stehenden Zahlungen lief damit spätestens mit dem Ende des Jahres 2017 ab.
9 Der Versicherungsnehmer erlangt bei einem Anspruch auf Rückzahlung von Versicherungsbeiträgen aufgrund einer unwirksamen Prämienanpassung die für den Beginn der Verjährungsfrist erforderliche Kenntnis vom Fehlen des Rechtsgrundes mit Erhalt der seiner Ansicht nach formal unzureichenden Änderungsmitteilung (Senatsbeschlüsse vom - IV ZR 330/22, r+s 2024, 162 Rn. 12; IV ZR 310/22, juris Rn. 12; vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 113/20, BGHZ 232, 31 Rn. 42).Die erforderliche Kenntnis von anspruchsbegründenden Umständen liegt im Allgemeinen vor, wenn dem Gläubiger die Erhebung einer Klage Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist (Senatsurteil vom - IV ZR 193/20, r+s 2022, 462 Rn. 51 m.w.N.; Senatsbeschlüsse vom - IV ZR 330/22 aaO Rn. 16; IV ZR 310/22 aaO Rn. 14). Als anspruchsbegründende Tatsachen werden dabei grundsätzlich solche Umstände nicht angesehen, die unter die Behauptungs- und Beweislast des Beklagten fallen (Senatsbeschlüsse vom jeweils aaO m.w.N.). Danach wäre der Klägerin die Klageerhebung bereits ab Mitteilung der Prämienanpassungen - und Zahlung des ersten Erhöhungsbetrages - möglich gewesen. Nicht der Versicherungsnehmer, sondern der Versicherer trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen einer im Zuge einer Prämienanpassung auf der Grundlage von § 203 Abs. 2 VVG erhöhten Prämie, und zwar grundsätzlich auch dann, wenn der Versicherungsnehmer einen bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch geltend macht (vgl. , BGHZ 240, 95 Rn. 63; vom - IV ZR 193/20, r+s 2022, 462 Rn. 51). Dies beruht auf dem ungeschriebenen Grundprinzip der Beweislastverteilung im Zivilprozess, dass jede Partei die tatsächlichen Voraussetzungen der ihr günstigen Normen - ungeachtet der konkreten Parteirolle - darlegen und beweisen muss (vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 68 m.w.N.). Für eine Neuberechnung der Prämie auf Grundlage der geänderten Rechnungsgrundlagen gemäß § 203 Abs. 2 Satz 4 VVG, § 155 Abs. 1 VAG sind die Voraussetzungen für eine erhöhte Leistungspflicht des Versicherten für den Versicherer rechtsbegründend, woraus es sich auch rechtfertigt, ihm insoweit die Darlegungs- und Beweislast aufzuerlegen (vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 69). Unerheblich ist, dass der Versicherungsnehmer die Beweislast für Fehler des Versicherers im Rahmen von Limitierungsentscheidungen nach § 155 Abs. 2 VAG trägt. Das betrifft die - für eine Prämienanpassung nach § 203 Abs. 2 Satz 4 VVG, § 155 Abs. 1 VAG unerhebliche - Begrenzung der Prämienerhöhung, da der Versicherungsnehmer insoweit eine Leistung des Versicherers beansprucht (vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 67 ff.).
10 Die Erhebung einer auf die formelle Unwirksamkeit einer Prämienanpassung gestützten Klage ist auch nicht unzumutbar, wenn der Versicherungsnehmer bereits vor einer höchstrichterlichen Entscheidung zu den Anforderungen, die an die nach § 203 Abs. 5 VVG mitzuteilenden Gründe einer Prämienanpassung zu stellen sind, seine Ansprüche gegen den Versicherer geltend gemacht und Klage erhoben hat (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 113/20, BGHZ 232, 31 Rn. 45; Senatsbeschlüsse vom - IV ZR 330/22, r+s 2024, 162 Rn. 12; IV ZR 310/22, juris Rn. 12); das war hier der Fall.
11 Die Verjährungsfrist lief auch unabhängig davon ab, dass die Klägerin ihren Bereicherungsanspruch zusätzlich auf eine materielle Unwirksamkeit der Prämienanpassung gestützt hat. Eine erneute Kenntnisnahme vom Fehlen des Rechtsgrundes für die Zahlung der Erhöhungsbeträge aus dem weiteren Grund einer materiellen Unwirksamkeit der Beitragserhöhungen setzt keine neue Verjährungsfrist in Gang (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 113/20, BGHZ 232, 31 Rn. 47; Senatsbeschlüsse vom - IV ZR 330/22, r+s 2024, 162 Rn. 12; IV ZR 310/20, juris Rn. 12).
12 2. Weiter zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass auch etwaige auf Rückzahlung der Erhöhungsbeträge gerichtete Schadensersatzansprüche aus § 280 Abs. 1 BGB verjährt waren.
13 a) Eine zum Schadensersatz verpflichtende Pflichtverletzung liegt in der unberechtigten Geltendmachung der nicht geschuldeten Erhöhungsbeträge aus der unwirksamen Prämienanpassung bei der Beitragsabrechnung des Versicherers (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 259/20, juris Rn. 19; Senatsbeschlüsse vom - IV ZR 330/22, r+s 2024, 162 Rn. 14; IV ZR 310/22, juris Rn. 16). Eine Vertragspartei, die von der anderen Vertragspartei etwas verlangt, das ihr nach dem Vertrag nicht geschuldet ist, verletzt ihre Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB. Wenn ein Partner eines gegenseitigen Vertrags aus diesem Vertrag Ansprüche gegen den anderen Partner ableitet, die ihm nicht zustehen, kommt daher ein Anspruch aus der Verletzung vertraglicher Pflichten aus § 280 Abs. 1 BGB in Betracht (Senatsurteil vom aaO m.w.N.; Senatsbeschlüsse vom jeweils aaO). Die danach möglichen Schadensersatzansprüche aufgrund der Geltendmachung von Ansprüchen aus formell und/oder materiell unwirksamen Prämienanpassungen wären spätestens im Jahr 2014 entstanden.
14 b) Die nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände hatte die Klägerin auch insoweit aufgrund des vorangegangenen Erhalts der entsprechenden Mitteilung der Prämienanpassungen bereits zum Zeitpunkt der Zahlung der jeweiligen Erhöhungsbeträge. Das gilt sowohl, soweit eine Pflichtverletzung der Beklagten in der Geltendmachung der erhöhten Prämien trotz formeller Unwirksamkeit der Prämienanpassung wegen unzureichender Begründung liegt (vgl. Senatsbeschluss vom - IV ZR 330/22, r+s 2024, 162 Rn. 15), als auch für den Fall einer materiell unwirksamen Prämienanpassung (vgl. Senatsbeschluss vom aaO Rn. 16). Eine Kenntnis des Versicherungsnehmers im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vom Fehlen der Voraussetzungen der geltend gemachten Prämienerhöhung ist für den Verjährungsbeginn auch für einen Schadensersatzanspruch nicht erforderlich, da nicht ihn die Darlegungs- und Beweislast für deren Nicht-Vorliegen trifft, sondern - nach den oben genannten allgemeinen Beweislastgrundsätzen - den Versicherer diejenige für ihr Vorliegen (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 193/20, r+s 2022, 462 Rn. 51 m.w.N.; Senatsbeschluss vom aaO Rn. 16 m.w.N.). Die auf Rückzahlung von Erhöhungsbeträgen im Wege des Schadensersatzes gerichtete Klage des Versicherungsnehmers bedarf daher keines Tatsachenvortrages, der über die von ihm für materiell nicht berechtigt gehaltene Prämienerhöhung und die Zahlung der Erhöhungsbeträge hinausgeht (vgl. Senatsurteil vom aaO; Senatsbeschluss vom aaO Rn. 16 f.). Die Unwirksamkeit der Prämienerhöhung begründet gleichermaßen den fehlenden Rechtsgrund der Zahlung der Erhöhungsbeträge wie auch die Pflichtwidrigkeit der Geltendmachung dieser Erhöhungsbeträge durch die Beklagte und den durch die Zahlung entstandenen Schaden des Klägers (Senatsbeschluss vom - IV ZR 310/22, juris Rn. 17). Für einen Vortrag des Versicherungsnehmers zu einem Verschulden des Versicherers besteht angesichts der nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB bestehenden Vermutung ebenfalls kein Anlass (vgl. Senatsbeschlüsse vom , IV ZR 330/22, r+s 2024, 162 Rn. 17; IV ZR 310/22, juris Rn. 17). Damit unterscheidet sich der für einen klageweise geltend zu machenden Schadensersatzanspruch dieses Inhalts erforderliche Tatsachenvortrag des Versicherungsnehmers nicht von dem zur Darlegung eines entsprechenden Bereicherungsanspruchs.
15 c) Ein weiterer, selbständiger Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB wegen einer Missachtung der Erhöhungsvoraussetzungen besteht daneben mangels hierdurch verursachten Schadens des Versicherungsnehmers nicht, so dass sich die Frage nach dessen Verjährung nicht stellt (Senatsbeschlüsse vom , r+s 2024, 162 Rn. 18; IV ZR 310/22, juris Rn. 18).
16 3. Der Tenor des Berufungsurteils war gemäß § 319 Abs. 1 ZPO wegen offenbarer Unrichtigkeit zu ergänzen. Das Berufungsgericht hat die zulässige Berufung der Beklagten als nur teilweise begründet angesehen; der Umfang ergibt sich unmissverständlich sowohl aus dem Tenor des Berufungsurteils im Übrigen als auch aus den Entscheidungsgründen.
Prof. Dr. Karczewski Harsdorf-Gebhardt Dr. Brockmöller
Dr. Bußmann Dr. Bommel
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:290124UIVZR221.23.0
Fundstelle(n):
NJW-RR 2025 S. 478 Nr. 8
WM 2025 S. 426 Nr. 10
JAAAJ-86107