Suchen
BFH Urteil v. - XI R 24/21

Gewinnrücklage bei Übernahme von Pensionsverpflichtungen

Leitsatz

Für den Gewinn aus der Übernahme einer Pensionsverpflichtung kann eine gewinnmindernde Rücklage nach § 5 Abs. 7 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gebildet werden; die Bewertung der übernommenen Verpflichtung nach § 5 Abs. 7 Satz 4 EStG schließt die Anwendung des § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG nicht aus.

Gesetze: EStG § 5 Abs. 7 Satz 4, Satz 5

Instanzenzug: ,

Tatbestand

I.

1 Zwischen den Beteiligten steht im Streit, ob für den Gewinn aus der Übernahme einer Pensionsverpflichtung eine Rücklage nach § 5 Abs. 7 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gebildet werden darf.

2 Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine aufgelöste GmbH, die im Jahr 2014 (Streitjahr) gegründet wurde. Alleingesellschafter der Klägerin ist R.

3 R wechselte von einem anderen Unternehmen zur Klägerin als neuem Arbeitgeber. Mit Vertrag vom und Wirkung zum übernahm die Klägerin die Versorgungszusage, die R bei dem anderen Unternehmen erteilt worden war. Im Gegenzug wurden der Klägerin entsprechende Vermögenswerte (Lebensversicherung, Forderungen gegenüber R) in Gesamthöhe von 512.052 € übertragen. Es entstand ein Übertragungsgewinn in Höhe von 77.881 €, für den die Klägerin eine Rücklage nach § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG bildete; sie löste diese im Streitjahr und in den Folgejahren zu je einem Fünfzehntel auf.

4 Die Veranlagung für das Streitjahr erfolgte erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung).

5 Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt —FA—) führte bei der Klägerin für die Jahre 2014 bis 2016 eine Außenprüfung durch. Der Prüfer gelangte unter anderem zu dem Ergebnis, dass die Rücklagenbildung für den Gewinn aus der übernommenen Pensionsverpflichtung unzulässig sei; § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG finde keine Anwendung. Der Gewinn für das Streitjahr sei deshalb um die verbliebene Rücklage in Höhe von 72.689 € zu erhöhen.

6 Dem folgte das FA. Es erließ unter dem unter anderem auch für das Streitjahr entsprechende Änderungsbescheide wegen Körperschaftsteuer und Gewerbesteuermessbetrags. Die Einsprüche der Klägerin blieben ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom ).

7 Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 390 veröffentlichten Urteil statt. Es führte im Wesentlichen aus, dass eine gewinnmindernde Rücklage auch für den Gewinn aus einer übernommenen Pensionsverpflichtung gebildet werden könne. Dem stehe der Wortlaut von § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG nicht entgegen. Denn auch bei einer Pensionsübernahme realisiere sich der Gewinn nach § 5 Abs. 7 Satz 1 EStG, weshalb diese Konstellation von der Bezugnahme des Satzes 5 in Absatz 7 auf Satz 1 erfasst sei. § 5 Abs. 7 Satz 4 EStG enthalte lediglich eine Regelung zur Höhe des Wertansatzes bei Übernahme einer Pensionsverpflichtung.

8 Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es macht im Wesentlichen geltend, der Wortlaut des § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG sei eindeutig und lasse eine Rücklagenbildung für Übertragungsgewinne aus Pensionsverpflichtungen nicht zu. Mit § 5 Abs. 7 Satz 4 EStG liege ein eigener Tatbestand vor, der sich im Sinne einer lex specialis von den Sätzen 1 bis 3 abgrenze. Anders als das FG meine, sei § 5 Abs. 7 EStG auch nicht eingeführt worden, um die Portabilität von Versorgungszusagen zu erleichtern. Die Norm sei lediglich als Komplementärvorschrift zu § 4f EStG zu verstehen, mit welcher der Gesetzgeber missbräuchlichen Gestaltungsmöglichkeiten habe entgegenwirken wollen, die sich durch die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ergeben hätten.

9 Das FA beantragt, das aufzuheben und die Klage abzuweisen.

10 Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

11 Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist gemäß § 122 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dem Revisionsverfahren beigetreten. Einen Antrag hat es nicht gestellt.

Gründe

II.

12 Die Revision des FA ist unbegründet; sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

13 1. Der Senat wird an der Revisionsentscheidung nicht dadurch gehindert, dass die Klägerin als GmbH aufgelöst worden ist und sich in Liquidation befindet. Dies berührt ihre Beteiligtenfähigkeit nicht (vgl. , Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2001, 597, unter II.1.; vom  - IV R 14/21, BStBl II 2024, 408, Rz 18).

14 2. Das FG hat im Ergebnis zu Recht dahin erkannt, dass die Klägerin für den Gewinn aus der übernommenen Pensionsverpflichtung eine steuermindernde Rücklage nach § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG bilden kann.

15 a) Nach § 5 Abs. 7 Satz 1 EStG sind übernommene Verpflichtungen, die beim ursprünglich Verpflichteten Ansatzverboten, -beschränkungen oder Bewertungsvorbehalten unterlegen haben, zu den auf die Übernahme folgenden Abschlussstichtagen bei dem Übernehmer und dessen Rechtsnachfolger so zu bilanzieren, wie sie beim ursprünglich Verpflichteten ohne Übernahme zu bilanzieren wären. Dies gilt nach § 5 Abs. 7 Satz 2 EStG in Fällen des Schuldbeitritts oder der Erfüllungsübernahme mit vollständiger oder teilweiser Schuldfreistellung für die sich aus diesem Rechtsgeschäft ergebenden Verpflichtungen sinngemäß. § 5 Abs. 7 Satz 3 EStG ordnet an, dass Satz 1 für den Erwerb eines Mitunternehmeranteils entsprechend anzuwenden ist. Wird eine Pensionsverpflichtung unter gleichzeitiger Übernahme von Vermögenswerten gegenüber einem Arbeitnehmer übernommen, der bisher in einem anderen Unternehmen tätig war, ist nach § 5 Abs. 7 Satz 4 EStG Satz 1 mit der Maßgabe anzuwenden, dass bei der Ermittlung des Teilwertes der Verpflichtung der Jahresbetrag nach § 6a Absatz 3 Satz 2 Nr. 1 EStG so zu bemessen ist, dass zu Beginn des Wirtschaftsjahres der Übernahme der Barwert der Jahresbeträge zusammen mit den übernommenen Vermögenswerten gleich dem Barwert der künftigen Pensionsleistungen ist; dabei darf sich kein negativer Jahresbetrag ergeben. Nach § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG kann für einen Gewinn, der sich aus der Anwendung der Sätze 1 bis 3 ergibt, jeweils in Höhe von vierzehn Fünfzehntel eine gewinnmindernde Rücklage gebildet werden, die in den folgenden 14 Wirtschaftsjahren jeweils mit mindestens einem Vierzehntel gewinnerhöhend aufzulösen ist (Auflösungszeitraum).

16 b) Ob eine Rücklage nach § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG auch für einen Gewinn offensteht, der aus einer übernommenen Pensionszusage resultiert, ist umstritten.

17 aa) Das FG hat diese Frage bejaht. Zur Begründung hat es im Wesentlichen darauf abgestellt, dass § 5 Abs. 7 Satz 4 EStG kein eigener Tatbestand sei, sondern nur die Berechnung des Gewinns besonders regele, die sich grundsätzlich nach § 5 Abs. 7 Satz 1 EStG richte. Insoweit liege auch ein Fall des § 5 Abs. 7 Satz 1 EStG vor; der Gewinn aus einer entsprechenden Übernahme sei daher von der Bezugnahme des § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG auf Satz 1 erfasst (jedenfalls im Ergebnis zustimmend Brandis/Heuermann/Krumm, § 5 EStG Rz 256; Reddig in Kirchhof/Seer, EStG, 23. Aufl., § 5 Rz 235a; BeckOK EStG/Meyer, 20. Ed. , EStG § 5 Rz 2940.1; Briese, Deutsches Steuerrecht —DStR— 2019, 943 f.; Lieb, Betriebs-Berater —BB— 2022, 306).

18 bb) Nach anderer Ansicht im Schrifttum sowie des beigetretenen BMF ist eine Rücklagenbildung bei Pensionsübernahme nicht zulässig. Einer solchen stehe schon der Wortlaut des § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG entgegen. So beschränke § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG die Möglichkeit der Rücklagenbildung ausdrücklich auf die Fälle des § 5 Abs. 7 Satz 1 bis 3 EStG. Die Übertragung einer Pensionsverpflichtung werde in § 5 Abs. 7 Satz 4 EStG behandelt und sei deshalb nicht erfasst (vgl. Tiedchen in Herrmann/Heuer/Raupach, § 5 EStG Rz 2462; Schiffers/Strahl/Fuhrmann/Veit in Korn, § 5 EStG Rz 660; Veit/Hainz, BB 2014, 1323, 1326; Huth/Wittenstein, DStR 2015, 1088, 1090; Selig-Kraft, BB 2017, 919, 923; Kahle/Braun, Finanz-Rundschau —FR— 2018, 197, 204; Schulenburg/Lüder, FR 2019, 213).

19 c) Der erkennende Senat schließt sich der erstgenannten Auffassung an. Für den Gewinn aus einer übernommenen Pensionsverpflichtung darf eine gewinnmindernde Rücklage gemäß § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG gebildet werden; die Bewertung der übernommenen Verpflichtung nach § 5 Abs. 7 Satz 4 EStG schließt die Anwendung des § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG nicht aus.

20 aa) Anders als das FA und das BMF geltend machen, spricht der Wortlaut des Gesetzes nicht gegen, sondern für die Rücklagenbildung.

21 (1) Bei einer Pensionszusage handelt es sich um eine übernommene Verpflichtung, die beim ursprünglich Verpflichteten Ansatzbeschränkungen beziehungsweise Bewertungsvorbehalten (vgl. § 6a EStG) unterlegen hat. Es liegt ein Fall des § 5 Abs. 7 Satz 1 EStG vor. Als Rechtsfolge ergibt sich daraus an sich, dass die Klägerin die Verpflichtung so zu bilanzieren hat, wie sie beim ursprünglich Verpflichteten ohne Übernahme zu bilanzieren wäre. Außerdem darf die Klägerin nach § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG, der auf § 5 Abs. 7 Satz 1 EStG Bezug nimmt, eine gewinnmindernde Rücklage bilden.

22 (2) Nichts Abweichendes ergibt sich, wenn man § 5 Abs. 7 Satz 4 EStG in die Überlegungen einbezieht. Einer —rechtsfortbildenden— teleologischen Extension bedarf es nicht.

23 Im Verhältnis zu § 5 Abs. 7 Satz 1 EStG ist die Vorschrift des § 5 Abs. 7 Satz 4 EStG zwar im Hinblick auf die Bewertung lex specialis. Sie regelt eine abweichende Rechtsfolge und erschöpft sich darin. Anders als § 5 Abs. 7 Satz 2 und 3 EStG enthält sie gerade keinen eigenen Tatbestand, ohne den § 5 Abs. 7 Satz 1 EStG nicht anwendbar wäre. So betreffen die Sätze 2 und 3 andere Fallgruppen als die Übertragung, nämlich den Schuldbeitritt und die Erfüllungsübernahme (Satz 2) sowie den Erwerb von Mitunternehmeranteilen (Satz 3). § 5 Abs. 7 Satz 4 EStG hingegen begründet keine neue vierte Fallgruppe, sondern ordnet für einen Teil der Übertragungsfälle des Satzes 1 eine besondere Bewertung an. Er betrifft Übertragungen im Sinne des § 5 Abs. 7 Satz 1 EStG. Daraus erklärt sich die Bezugnahme des § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG lediglich auf die Sätze 1 bis 3.

24 bb) Diese Auslegung erscheint auch gleichheitsrechtlich geboten.

25 Es ist im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes geboten, die Rücklagenbildung nicht nur bei andersartigen Verpflichtungen, sondern ebenso bei Pensionszusagen zuzulassen, die andernfalls sinnwidrig benachteiligt würden (vgl. Briese, DStR 2019, 943 f. mit Beispielen). Dies gilt im Steuerrecht, das intensives Eingriffsrecht ist (vgl. Senatsbeschluss vom  - XI R 54/99, BFHE 207, 404, BStBl II 2005, 262, unter B.III.3.; , BStBl II 2024, 637, Rz 30), umso mehr deshalb, weil durch das Verwehren der Rücklage bei Pensionsverpflichtungen erheblich in die Rechte der Steuerpflichtigen eingegriffen würde.

26 cc) Anhaltspunkte dafür, § 5 Abs. 7 Satz 1 und 5 EStG —wie die Revision letztlich geltend macht— entgegen dem Wortlaut einschränkend auszulegen und die Rücklagenbildung damit zu verwehren, vermag der Senat nicht zu erkennen.

27 (1) Solche Anhaltspunkte ergeben sich nicht aus dem Gesetzeszweck.

28 Die Vorschrift des § 5 Abs. 7 EStG wurde gemeinsam mit § 4f EStG durch das AIFM-Steueranpassungsgesetz vom (BGBl I 2013, 4318) in das Einkommensteuergesetz eingefügt. Mit den Regelungen sollte ausweislich der Gesetzesmaterialien verhindert werden, dass Gestaltungsräume in missbräuchlicher Form genutzt werden, welche sich aus der Entwicklung der Rechtsprechung des BFH ergeben hätten (vgl. BRDrucks 740/13, S. 115; s. zum Gesetzgebungsverfahren bis Juli 2013 und der ersten Gesetzesinitiative Veit/Jura, Deutsche Steuer-Zeitung 2013, 533, 537). Mit § 4f Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 EStG verfolgte der Gesetzgeber ersichtlich aber auch den Zweck, die Portabilität von Versorgungszusagen nicht zu erschweren (vgl. Schindler in Kirchhof/Seer, EStG, 23. Aufl., § 4f Rz 17; Schießl in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 4f Rz B 18; Briese, DStR 2019, 943), sie mit anderen Worten zu begünstigen. Entsprechendes gilt nach Auffassung des erkennenden Senats ebenso für § 5 Abs. 7 Satz 4 und 5 EStG (vgl. auch Reddig in Kirchhof/Seer, EStG, 23. Aufl., § 5 Rz 235a). Zweckwidrig wäre es demnach, ein begünstigtes beziehungsweise erwünschtes Verhalten (die Übernahme von Pensionsverpflichtungen, § 5 Abs. 7 Satz 4 EStG) zumindest in einem Teil der Fälle schlechter zu behandeln als nicht begünstigtes beziehungsweise weniger erwünschtes Verhalten (Übernahme anderer Verpflichtungen, § 5 Abs. 7 Satz 1 EStG). Das wäre bei einer einschränkenden Auslegung des § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG jedoch der Fall; denn die Übertragung einer Pensionsverpflichtung könnte dann mangels Möglichkeit zur Rücklagenbildung ungünstiger als die Übertragung einer andersartigen Verpflichtung sein und dabei zu systemwidrigen Unterschieden führen (vgl. Briese, DStR 2019, 943 f. mit Beispielen; auch Lieb, BB 2022, 306).

29 (2) Auch aus der Gesetzessystematik folgt entgegen der Auffassung des FA nichts anderes.

30 § 5 Abs. 7 Satz 4 EStG soll nach den Gesetzesmaterialien klarstellend eine frühere Verwaltungsanweisung ins Gesetz übernehmen (vgl. BRDrucks 740/13, S. 117; BTDrucks 18/68, S. 73). Schon deshalb fehlt es an der Korrespondenz zwischen § 4f Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 EStG und § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG. Gegen ein Korrespondenzprinzip dergestalt, dass ein steuerlicher Vorgang bei dem einen zum (sofortigen) Abzug berechtigt und bei dem anderen zur (sofortigen) Besteuerung verpflichtet, fehlt es auch im Übrigen an hinreichenden Anhaltspunkten. Ein solches Prinzip ordnet der Gesetzgeber regelmäßig durch ausdrückliche Bezugnahme im Gesetz an (vgl. etwa —in der heutigen Fassung— § 22 Nr. 1a EStG, der auf § 10 Abs. 1a EStG verweist). Daran fehlt es hier, anders als noch in einem Vorschlag des Bundesrats in einem früheren Gesetzgebungsverfahren (BTDrucks 17/13877, S. 4 f. und 7), bei dem unter anderem Satz 1 nicht anzuwenden sein sollte, soweit die Vorschrift des § 4f anzuwenden ist.

31 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2024:U.231024.XIR24.21.0

Fundstelle(n):
HAAAJ-85730