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BSG Beschluss v. - B 6 KA 8/23 B

Gründe

1I. Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer eingeschränkten Einzelfallprüfung der Gebührenordnungsposition (GOP) 23220 (Psychotherapeutisches Gespräch als Einzelbehandlung) des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) bezüglich der Quartale 1/2011 bis 4/2011.

2In 2014 leitete die Prüfungsstelle gegen den Kläger, der als psychologischer Psychotherapeut an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt, eine Prüfung der Wirtschaftlichkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen für das Jahr 2011 ein. Im Hinblick auf die Abrechnung der GOP 23220 EBM-Ä seien im Vergleich zur maßgeblichen Vergleichsgruppe der vollzugelassenen psychologischen Psychotherapeuten für die Quartale 1/2011 bis 4/2011 Überschreitungen zwischen 109,22 % (4/2011) bis 185,38 % (1/2011) festzustellen. Die von der Prüfungsstelle anlässlich des Übergangs von der statistischen Vergleichsprüfung zur eingeschränkten Einzelfallprüfung beauftragte Prüfreferentin, eine psychologische Psychotherapeutin, führte in ihrer Stellungnahme ua aus, dass es grundsätzlich wirtschaftlicher sei, bei der Krankenkasse einen Antrag auf Verlängerung bzw einen neuen Antrag auf Psychotherapie zu stellen, anstatt über die GOP 23220 EBM-Ä niederfrequent psychotherapeutische Gespräche zu führen.

3Die Prüfungsstelle setzte für die Quartale 1/2011 bis 4/2011 einen Regress iHv 4810,50 Euro brutto fest (Bescheid vom ). Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies der beklagte Beschwerdeausschuss als unbegründet zurück (Beschluss vom ). Die tatsächlichen Fallzahlen des Klägers seien für eine statistische Vergleichsprüfung nicht ausreichend, weswegen die Abrechnungsweise des Klägers der Einzelfallprüfung unterzogen worden sei. Der Beklagte folge nach eigener Bewertung des Sachverhalts der Einschätzung der Prüfreferentin, dass die naheliegende Möglichkeit der Beantragung einer neuen Therapie in vielen Fällen nicht genutzt worden sei, obgleich sich dies anstelle des Ansatzes der GOP 23220 EBM-Ä tatsächlich angeboten hätte. Die hohe Frequenz der Behandlung mache überdies deutlich, dass dem Argument des Klägers, es sei eine niederfrequente Versorgung beabsichtigt, nicht gefolgt werden könne.

4Auf die Klage des Klägers hat das SG den Beschluss des Beklagten vom aufgehoben und diesen zur Neubescheidung verurteilt (Urteil vom ). Das LSG hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom ). Eine Abrechnung der GOP 23220 EBM-Ä bei laufender Probatorik, Kurzzeittherapie oder Langzeittherapie oder im Anschluss hieran könne nicht - wovon der Beklagte aber ausgehe - per se eine Unwirtschaftlichkeit im Einzelfall begründen. Nach dem - für die Auslegung maßgeblichen - Wortlaut sei die Berechnungsfähigkeit lediglich neben den GOP der Abschnitte 35.1 und 35.2 EBM-Ä ausgeschlossen. Tragende Begründung des Beklagten für die Annahme der unwirtschaftlichen Behandlung sei, dass von dem Kläger die GOP 23220 EBM-Ä (niederfrequent) nach einer genehmigten Lang- oder Kurzzeittherapie angesetzt worden sei, anstatt bei der Krankenkasse einen Antrag auf Verlängerung bzw einen neuen Antrag auf Psychotherapie zu stellen. In diesen Konstellationen sei der Beklagte pauschal von einer Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise ausgegangen. Dies komme einem Verbot der GOP 23220 EBM-Ä bei laufender Probatorik, Kurz- oder Langzeittherapie bzw im Anschluss daran gleich. Kern der Begründung des Beklagten für die Annahme der unwirtschaftlichen Behandlung sei letztendlich, dass der Psychotherapie-Richtlinie und der Einhaltung der dazu erlassenen Regelungen generell der Vorzug gebühre. Ein genereller Vorrang von antragspflichtigen Psychotherapien ergebe sich jedoch weder aus der Psychotherapie-Richtlinie noch nach den GOP des Abschnitts 35.2 EBM-Ä. Aufgrund der Eigenständigkeit der Leistung Psychotherapeutisches Gespräch nach der GOP 23220 EBM-Ä sei im Einzelfall zu entscheiden, ob dieses vor, während, im Anschluss an eine Psychotherapie oder ohne eine solche geführt werde, etwa zur Versorgung chronisch Kranker, Stützungs- oder Erhaltungstherapie, Krisenintervention. Hiermit habe sich der Beklagte nicht auseinandergesetzt.

5Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht der Beklagte die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG).

6II. Die Beschwerde des Beklagten hat keinen Erfolg. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache liegt nicht vor.

71. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (stRspr; vgl zB - SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN; - SozR 4-2500 § 116 Nr 11 RdNr 5; - juris RdNr 8). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, wenn die aufgeworfene Frage bereits geklärt ist oder sich ohne Weiteres auf der Grundlage der Rechtsvorschriften oder aus schon vorliegender Rechtsprechung klar beantworten lässt ( - juris RdNr 4). Klärungsfähigkeit ist nicht gegeben, wenn die aufgeworfene Rechtsfrage nicht im Revisionsverfahren zur Entscheidung anstünde oder wenn die Bedeutung über den Einzelfall hinaus fehlt, weil eine weitergehende Bedeutung der Rechtsfrage für weitere Fälle nicht erkennbar ist oder die Rechtsfrage aufgrund besonderer Gestaltung des Rechtsstreits einer verallgemeinerungsfähigen Beantwortung nicht zugänglich ist (vgl zB - juris RdNr 7 mwN).

9Die vom Beklagten zur Abrechenbarkeit der GOP 23220 EBM-Ä aufgeworfenen Fragen sind in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Die Fragen beziehen sich allein darauf, unter welchen Voraussetzungen die GOP 23220 EBM-Ä von einem psychotherapeutischen Leistungserbringer rechtmäßig abgerechnet werden kann. Dies kann in einem Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht geklärt werden (vgl hierzu bereits - juris RdNr 9 ff).

10Zwischen Wirtschaftlichkeitsprüfung und sachlich-rechnerischer Richtigstellung bestehen grundsätzliche Unterschiede, auch wenn es zwischen beiden Instrumenten inhaltliche Überschneidungen gibt. Regelmäßig ist eine sachlich-rechnerische Richtigstellung vorrangig, weil sinnvollerweise nur die Honorarforderung des Vertragsarztes der Prüfung auf ihre Wirtschaftlichkeit unterzogen werden kann, die sachlich-rechnerisch richtig und auch ansonsten rechtmäßig ist. Honoraranforderungen für fehlerhaft abgerechnete Leistungen, zB für ohne die erforderliche Genehmigung bzw überhaupt nicht erbrachte Leistungen, sind unberechtigt und bedürfen keiner Prüfung auf ihre Wirtschaftlichkeit ( - SozR 4-2500 § 106 Nr 10 RdNr 14 = juris RdNr 20; - SozR 4-2500 § 106 Nr 63 RdNr 59). Allerdings ist dieser grundsätzliche Vorrang der Abrechnungskorrekturen praktisch vielfach nicht umsetzbar, weil für die zuständigen Behörden nicht von vorneherein erkennbar ist, ob bei Auffälligkeiten der Honorarabrechnung fehlerhafte Ansätze der Gebührenordnung oder eine unwirtschaftliche Leistungserbringung bzw -abrechnung vorliegen oder ob beides zusammentrifft. Vielfach zeigt erst eine nähere Untersuchung der Abrechnung im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung, dass bestimmte, gegebenenfalls extreme Überschreitungen des Vergleichsgruppendurchschnitts hinsichtlich einzelner Leistungssparten oder - besonders deutlich - hinsichtlich einzelner Gebührenpositionen auf einen Fehlansatz zurückgehen (vgl - SozR 4-2500 § 106 Nr 10 RdNr 13 = juris RdNr 19). In dieser Situation hält der Senat die Prüfgremien für berechtigt, sachlich-rechnerische Richtigstellungen vorzunehmen, wenn diese neben der eigentlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung von untergeordneter Bedeutung sind (sog Annexkompetenz oder Randzuständigkeit, vgl hierzu - SozR 3-2500 § 106 Nr 29 S 163 = juris RdNr 15; - SozR 4-2500 § 106 Nr 10 RdNr 13 = juris RdNr 19; - BSGE 97, 84 = SozR 4-2500 § 106 Nr 15, RdNr 19; - SozR 4-2500 § 106a Nr 3 RdNr 12, 17; - SozR 4-2500 § 106 Nr 29 RdNr 52). Wenn der Schwerpunkt der Beanstandungen aber - wie hier - bei einer fehlerhaften Anwendung der Gebührenordnung liegt, müssen die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung das Prüfverfahren abschließen und der Kassenärztlichen Vereinigung Gelegenheit geben, sachlich-rechnerische Richtigstellungen vorzunehmen ( - SozR 4-2500 § 106 Nr 63 RdNr 59).

11Die von dem Beklagten aufgeworfenen Fragestellungen zielen ausschließlich auf die - aus seiner Sicht - fehlerhafte Abrechnung der GOP 23220 EBM-Ä. Dies wird deutlich, wenn er in der Beschwerdebegründung formuliert, streitig sei "die Rechtmäßigkeit einer Honorarkürzung der Gebührenordnungsposition 23220" (Beschwerdebegründung S 1), eine "maßgeblich am Wortlaut einer GOP … orientierte Abrechnungsmöglichkeit" würde "den Sinn und Zweck" der vor einer Kurzzeit- oder Langzeittherapie erforderlichen Genehmigung unterlaufen (Beschwerdebegründung S 12), "der Leistungstatbestand der GOP 23220 EBM" sei "im Zusammenhang mit der antrags- und genehmigungspflichtigen KZT und LZT zweifelhaft" (Beschwerdebegründung S 13) und zur Klarstellung des Wortlauts der Leistungslegende bedürfe "es vielmehr ergänzend einer systematischen Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Gebührenregelungen" (Beschwerdebegründung S 15). Fragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der hier zu beurteilenden eingeschränkten Einzelfallprüfung hat der Beklagte dagegen nicht formuliert. Bei dieser Art der Einzelfallprüfung wird die vom Arzt dokumentierte Diagnose als zutreffend zugrunde gelegt und überprüft, ob auf dieser Grundlage der vom Arzt vorgenommene Behandlungsumfang gerechtfertigt ist ( - SozR 4-2500 § 106 Nr 17 RdNr 14; - juris RdNr 14; - juris RdNr 11).

12Zudem hat das LSG auch nicht entschieden, dass psychotherapeutische Gespräche als Einzelbehandlung nach der GOP 23220 EBM-Ä während einer genehmigten Kurzzeittherapie bzw neben einer probatorischen Sitzung bis zu 15-mal abgerechnet werden können. Es hat vielmehr darauf abgestellt, dass eine Abrechnung der entsprechenden GOP bei laufender Kurzzeittherapie oder probatorischer Behandlung nicht grundsätzlich eine Unwirtschaftlichkeit im Einzelfall begründe bzw kein genereller Vorrang von antragspflichtigen Psychotherapien in diesem Zusammenhang bejaht werden könne. Ob im Einzelfall entsprechende Indikationen gemäß den Leistungslegenden vorlägen, sei unter Beachtung des fakultativen Leistungsinhalts zu entscheiden.

132. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm §§ 154 ff VwGO. Danach hat der Beklagte die Kosten des von ihm ohne Erfolg durchgeführten Rechtsmittels zu tragen (§ 154 Abs 2 VwGO). Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, da sie keine Anträge gestellt haben (§ 162 Abs 3 VwGO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2024:050624BB6KA823B0

Fundstelle(n):
JAAAJ-85712