Instanzenzug: Az: 2 U 63/21 Urteilvorgehend Az: 11 O 32/17
Gründe
I.
1 Die ursprüngliche Klägerin, die P. GmbH, hat - nachdem ihre Klage erstinstanzlich weitgehend erfolglos geblieben war - mit der Berufung die Verurteilung der Beklagten zu 1 zur Zahlung von insgesamt 37.054.142,48 € nebst Zinsen und die Verurteilung der Beklagten zu 3 zur Zahlung von insgesamt 2.895.639,12 € nebst Zinsen (hilfsweise die Verurteilung der Beklagten zu 1 zur Zahlung von [weiteren] 2.895.639,12 € nebst Zinsen) begehrt. Ferner hat sie beantragt, die Beklagten zu verurteilen, sie von Schadensersatzforderungen eines Dritten in Höhe von 2.729.191,51 € freizustellen, sowie festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, sie von allen weiteren Schadensersatzforderungen des Dritten aus der Nichteinhaltung einer Vereinbarung freizustellen. Die Forderungen stehen in Zusammenhang mit einer (beendeten) Geschäftsbeziehung der Parteien und insbesondere einer in diesem Rahmen getroffenen Vereinbarung vom .
2 Das Berufungsgericht hat die Berufung der ursprünglichen Klägerin zurückgewiesen. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde hat diese - nach Teilrücknahme im Verhältnis zur Beklagten zu 2 - beantragt, die Revision gegen das Berufungsurteil zuzulassen, soweit darin im Verhältnis zu den Beklagten zu 1 und 3 zu ihrem Nachteil erkannt wurde.
3 Der Senat hat die gegen die Beklagten zu 1 und 3 gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen und Wert des Beschwerdeverfahrens insoweit auf 30 Mio. € festgesetzt.
4 Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten haben beantragt, den Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren auf insgesamt 32.895.639,12 € festzusetzen.
5 Über das Vermögen der ursprünglichen Klägerin ist durch das Insolvenzverfahren eröffnet worden, nachdem ihr bereits durch Beschluss vom ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt und angeordnet worden war, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über ihr Vermögen auf den Kläger als vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht.
II.
6 1. Der Antrag ist zulässig.
7 a) Nach § 33 Abs. 1 Alt. 1 RVG setzt das Gericht des Rechtszugs den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit fest, wenn sich die Gebühren in einem gerichtlichen Verfahren nicht nach dem für die Gerichtsgebühren maßgeblichen Wert berechnen. Diese Voraussetzung ist hier für das gegen die Beklagten zu 1 und 3 gerichtete Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren erfüllt. Wegen § 22 Abs. 2 Satz 2 RVG ist die Festsetzung des Streitwerts für die Gerichtsgebühren nach § 39 Abs. 2 GKG nicht zwingend auch für die Höhe der Anwaltsgebühren maßgeblich. Dabei genügt die Behauptung, die Wertgrenze sei zu Gunsten des Antragstellers erhöht (, NJW 2010, 1373 Rn. 5).
8 Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten sind nach § 33 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 RVG aus eigenem Recht antragsbefugt.
9 b) Die Vorschrift des § 240 ZPO steht vorliegend der Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit nicht entgegen, obwohl das Wertfestsetzungsverfahren für eine Festsetzung des die Masse betreffenden Kostenerstattungsanspruchs maßgeblich ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom - IX ZB 288/11, NJW-RR 2014, 765 Rn. 7; vom - IX ZB 52/13, NJW-RR 2014, 892 Rn. 5) und deshalb die Insolvenzmasse jedenfalls mittelbar betrifft (vgl. , NZI 2023, 397 Rn. 11 mwN).
10 Das Verfahren nach § 33 RVG ist - ebenso wie das Verfahren nach § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG zur Festsetzung des Streitwerts für die Gerichtsgebühren - ein Wertfestsetzungsverfahren. Das Streitwertverfahren wird durch § 240 ZPO nicht unterbrochen, sofern nicht die Streitwertfestsetzung Grundlage für einen ein Rechtsmittel wegen Nichterreichens der Rechtsmittelsumme verwerfenden Beschluss darstellen soll (vgl. , NJW 2000, 1199 unter II [zu einer Aussetzung nach §§ 246 ff. ZPO]; , juris Rn. 7 [zu einer Unterbrechung nach § 244 Abs. 1 ZPO]; BeckOK-ZPO/Jaspersen, Stand: , § 240 Rn. 2.15; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, 5. Aufl., § 249 Rn. 2; Stein/Roth, ZPO, 24. Aufl., Vor § 239 Rn. 4). Für die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit, die für die Frage des Erreichens einer Rechtsmittelsumme ohnehin unbeachtlich ist, gilt insoweit nichts anderes.
11 2. Der Antrag ist auch begründet.
12 Nach § 22 Abs. 2 Satz 2 RVG beträgt abweichend von § 22 Abs. 2 Satz 1 RVG in dem Fall, dass in derselben Angelegenheit mehrere Personen wegen verschiedener Gegenstände Auftraggeber sind, der Wert für jede Person höchstens 30 Mio. €, insgesamt jedoch nicht mehr als 100 Mio. €.
13 Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
14 Die Beklagten zu 1 und 3 sind zwei rechtlich selbständige Unternehmen, für welche ihre Prozessbevollmächtigten in derselben Angelegenheit, nämlich im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren betreffend Ansprüche aus der Geschäftsbeziehung zur ursprünglichen Klägerin und in Zusammenhang mit deren Beendigung (vgl. , NJW-RR 2016, 883 Rn. 6 f.), tätig geworden sind. Die Vertretung der Beklagten zu 1 und 3 durch ihre Prozessbevollmächtigten im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren erfolgte auch im Umfang von 2.895.639,12 € wegen verschiedener Gegenstände.
15 a) Der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit wird durch das Recht oder das Rechtsverhältnis definiert, auf das sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts im Rahmen des ihm von seinem Mandanten erteilten Auftrags bezieht (st. Rspr.; vgl. BVerfG, NJW 1997, 3430, 3431 f. [zu § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO]; , NJW 2007, 2050 Rn. 15; vom - IX ZR 243/16, NJW-RR 2018, 700 Rn. 13;vom - VI ZR 402/17, NJW 2019, 1522 Rn. 17;vom - I ZR 150/18, GRUR 2019, 1044 Rn. 24; vom - IX ZR 264/19, WM 2022, 139 Rn. 8). Ob dasselbe Recht oder Rechtsverhältnis betroffen ist, bestimmt sich nach dem Klagebegehren (vgl. BGH, Beschlüsse vom - X ZB 12/06, NZG 2008, 514 Rn. 7 [zu § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO]; vom - KZR 55/19, juris Rn. 6), auch wenn der Rechtsanwalt für den Beklagten tätig wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 52/04, NJW 2005, 3786 unter II 2 b cc [zu § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO]; vom - II ZR 62/06, NJW 2010, 1373 Rn. 9). Maßgeblich ist dabei zwar eine lebensnahe, wirtschaftliche Betrachtungsweise (vgl. , aaO Rn. 15; Beschluss vom - KZR 55/19, aaO). An der Gegenstandsgleichheit fehlt es jedoch, wenn es um ein gegen mehrere Personen gerichtetes Begehren geht, das jeden Gegner selbstständig, wenn auch mit inhaltsgleichen Leistungen betrifft, die jeder nur für sich erfüllen kann. Selbstständig nebeneinander bestehende Rechte, auch wenn sie jeweils den gleichen Inhalt haben und auf das gleiche Ziel gerichtet sind, erfüllen nicht den Begriff desselben Gegenstands (BVerfG, NJW 1997, 3430, 3431; , aaO).
16 b) Nach diesen Maßstäben liegt hier in dem Antrag, mit dem die ursprüngliche Klägerin die Verurteilung der Beklagten zu 3 zur Zahlung von insgesamt 2.895.639,12 € begehrt hat, ein von den Gegenständen, derentwegen die Prozessbevollmächtigten der Beklagten für die Beklagte zu 1 in der vorliegenden Angelegenheit tätig geworden sind, verschiedener Gegenstand. Insbesondere besteht keine Identität mit dem Gegenstand des Hilfsantrags, mit dem die ursprüngliche Klägerin die Verurteilung der Beklagten zu 1 zur Zahlung von [weiteren] 2.895.639,12 € begehrt hat. Denn insoweit ist die ursprüngliche Klägerin bei ihrem maßgeblichen Klagebegehren gerade nicht von einer gesamtschuldnerischen Verknüpfung der beiden geltend gemachten Ansprüche, sondern von selbständigen Rechten ausgegangen.
17 c) Im Hinblick auf den Gegenstandswert im Verhältnis zur Beklagten zu 3 ist für den auch gegenüber der Beklagten zu 1 verfolgten Feststellungsantrag ein Wert von 1 Mio. € zugrunde gelegt.
18 3. Über den Antrag auf Festsetzung entscheidet nach dem Inkrafttreten von § 1 Abs. 3 RVG auch beim Bundesgerichtshof gemäß § 33 Abs. 8 Satz 1 Halbs. 1 RVG der Einzelrichter (BGH, Beschluss [Großer Senat für Zivilsachen] vom - GSZ 1/20, WM 2022, 250 Rn. 8).
III.
19 Die Nebenentscheidungen folgen aus § 33 Abs. 9 RVG.
Dr. Böhm
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:080125BVIIIZR100.22.0
Fundstelle(n):
OAAAJ-85706