Suchen
BGH Beschluss v. - 4 ARs 11/24

Leitsatz

Verweigert der Verfolgte im Auslieferungsverfahren nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe und ist nicht gewährleistet, dass er nach seiner Auslieferung nicht zum Kriegsdienst im ersuchenden Staat herangezogen wird und im Fall seiner Verweigerung keine Bestrafung zu erwarten hat, begründet dies jedenfalls dann kein Auslieferungshindernis, wenn sein um Auslieferung ersuchendes Heimatland völkerrechtswidrig mit Waffengewalt angegriffen wird und ein Recht zur Kriegsdienstverweigerung deshalb nicht gewährleistet.

Gesetze: Art 3 MRK, Art 9 MRK, Art 15 MRK, Art 4 Abs 1 GG, Art 4 Abs 3 GG, Art 12a GG, Art 115a GG, Art 18 BürgPoRPakt, § 42 IRG, § 73 IRG, § 11 KDVG

Gründe

I.

1Die Strafverfolgungsbehörden der Ukraine haben auf der Grundlage eines Haftbefehls des Bezirksgerichts der Region Zhytomyr in E.             vom (Az.                   ) um Auslieferung des ukrainischen Staatsangehörigen M.             zur Strafverfolgung ersucht. Diesem wird zur Last gelegt, am in den Räumlichkeiten des Bezirkskrankenhauses in E.             in polizeilichem Gewahrsam nach Abnahme der Handschellen zur Durchführung einer Blutentnahme einen Polizeibeamten beleidigt, bedroht und körperlich angegriffen zu haben, indem er diesem drei Schläge gegen den Kopf und in den Leistenbereich versetzte, wodurch der Beamte ein subkutanes Hämatom am linken Jochbein erlitt, strafbar als Drohung oder Gewalt gegen einen Polizeibeamten gemäß § 345 Abs. 2 des ukrainischen Strafgesetzbuches und bedroht mit Freiheitsstrafe im Höchstmaß von fünf Jahren.

21. In der am nach vorläufiger Festnahme des Verfolgten durchgeführten Anhörung hat sein Pflichtbeistand erklärt, der Verfolgte habe die Befürchtung, dass er zum Militärdienst eingezogen werde und an die Front müsse. Im Rahmen einer weiteren Vernehmung hat der Pflichtbeistand des Verfolgten gegen die Auslieferung eingewendet, sein Mandant lehne den Dienst an der Waffe ab. Es sei nicht gewährleistet, dass er nicht nach Abschluss des Strafverfahrens in die Armee eingezogen werde. Er habe eineinhalb Jahre Grundausbildung bei der Armee geleistet, dann die Armee verlassen. Der Verfolgte hat ergänzend hierzu ausgeführt, er habe den „ganz normalen“ Grundwehrdienst abgeleistet, und schriftsätzlich weiter vorbringen lassen, die Möglichkeit, den Kriegsdienst zu verweigern oder von der Wehrpflicht zurückgestellt zu werden, sei derzeit in der Ukraine nahezu ausgeschlossen. Die reale Möglichkeit, jemanden während des Dienstes an der Waffe zu töten, könne er aber nicht mit seinem Gewissen vereinbaren. Daher sei seine Auslieferung aus den derzeitigen Umständen nicht mit Art. 4 Abs. 3 GG zu vereinbaren. Zu einem schriftlichen Asylantrag durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angehört, gab der Verfolgte weiter an, er sei anti-politisch und gegen den Krieg. Nach Ableistung seines eineinhalbjährigen Wehrdienstes habe er einen Vertrag geschlossen, den man eigentlich erst nach drei Jahren hätte kündigen dürfen. Er habe es aber geschafft, den Vertrag eher zu beenden. Er habe gesehen, welche Anforderungen man an die Leute stelle, das sei „ganz schlimm“ gewesen.

32. Mit Beschluss vom hat das Oberlandesgericht die vorläufige Auslieferungshaft gegen den Verfolgten angeordnet und durch Beschluss vom deren Fortdauer unter Wegfall ihrer Vorläufigkeit angeordnet. Die vom Verfolgten erhobenen Einwendungen hat es durch Beschluss vom unter neuerlicher Anordnung der Haftfortdauer zurückgewiesen und durch Beschluss vom selben Tag folgende Rechtsfrage gemäß § 42 IRG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt:

„Verstößt die Auslieferung eines Verfolgten in sein Heimatland gegen wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung, wenn sich der Verfolgte im Auslieferungsverfahren darauf beruft, den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen zu verweigern, und im Falle seiner Überstellung nicht gewährleistet ist, dass er nach dem Recht des ersuchenden Staates nicht dennoch zum Kriegsdienst herangezogen wird und im Falle der Verweigerung Bestrafung zu erwarten hat?“

4Das Oberlandesgericht beabsichtigt, die Rechtsfrage dahin zu beantworten, dass Art. 4 Abs. 3 GG den Verfolgten nicht vor Auslieferung schütze, wenn ihm bei Übergabe an sein Heimatland drohe, entgegen seiner erklärten Gewissensentscheidung zum Militärdienst mit der Waffe herangezogen und bei Verweigerung bestraft zu werden. Es sieht sich hieran jedoch durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehindert und misst der Rechtsfrage zudem grundsätzliche Bedeutung bei.

5a) Nach der durch das Oberlandesgericht herangezogenen Rechtsprechung des Senats zu Art. 6 Abs. 1 des deutsch-jugoslawischen Auslieferungsvertrags vom – wonach der ersuchte Staat die Personen nicht ausliefert, deren Auslieferung er nach seiner Verfassung nicht für zulässig hält – ist eine Auslieferung unzulässig, wenn sie dazu führt, dass der Verfolgte unmittelbar nach der Verbüßung der Strafe, noch ehe er das Land, an das er ausgeliefert wird, wieder verlassen kann, zum Wehrdienst mit der Waffe herangezogen wird und, falls er aus Gewissensgründen diesen Dienst verweigert, Bestrafung zu gewärtigen hat (, BGHSt 27, 191, 194 f., juris Rn. 10).

6aa) Zur Begründung hat der Senat seinerzeit ausgeführt, dass das Grundrecht des Art. 4 Abs. 3 GG ein in der Verfassung der Bundesrepublik verankertes, auf dem Grundrecht der Glaubensfreiheit und Gewissensfreiheit beruhendes allgemeines Grundrecht sei, das ohne Einschränkung für jeden gelte, der zum Kriegsdienst mit der Waffe herangezogen werden könne. Dies ergebe sich insbesondere aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen auf dem Grundsatz der Freiheit des Gewissens und seiner Entscheidungen (Art. 4 Abs. 1 GG) beruhe, welcher der freien menschlichen Persönlichkeit und ihrer Würde unmittelbar zugeordnet sei. Das Bundesverwaltungsgericht spreche sogar von einem allgemeinen Menschenrecht im Sinne des Grundgesetzes (, BGHSt 27, 191, 193 f., juris Rn. 7).

7bb) Eine Entscheidung, die zur Folge habe, dass jemand gegen sein Gewissen zum Wehrdienst mit der Waffe gezwungen werde, verstoße deshalb unabhängig davon, ob dieser Dienst im Inland oder im Ausland abgeleistet werden solle und ob der Betroffene nach deutschem Recht wehrpflichtig sei oder nicht, stets gegen Art. 4 Abs. 3 GG (, BGHSt 27, 191, 194, juris Rn. 10; vgl. auch , BGHSt 32, 314, 324, juris Rn. 27). Allerdings könne die Befürchtung einer entsprechenden Folge durch eine förmliche Zusicherung des ersuchenden Staates ausgeräumt werden, wenn sie die Gewähr gebe, dass der Verfolgte im Anschluss an die Strafverbüßung innerhalb der Frist, in welcher ihm die Ausreise aus dem ersuchenden Staat gestattet sei, nicht zum Wehrdienst mit der Waffe einberufen werde (vgl. , BGHSt 27, 191, 195 f., juris Rn. 12).

8b) Nach Auffassung des Oberlandesgerichts widerspricht es demgegenüber wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung im Sinne von § 73 IRG nicht, die Auslieferung eines Verfolgten, der sich darauf beruft, den Dienst an der Waffe in seinem Heimatland zu verweigern, für zulässig zu erklären, wenn diesem nach dem dort für alle Staatsbürger gleichermaßen geltenden Recht droht, trotz seiner erklärten Gewissensentscheidung zum Kriegsdienst herangezogen und im Fall der Verweigerung bestraft zu werden. Einer Zusicherung, dass die Verweigerung beachtet und nicht sanktioniert werde, bedürfe es daher nicht.

9aa) Art. 4 Abs. 3 GG erfasse an sich nur die prinzipielle Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe aufgrund einer Gewissensentscheidung des Einzelnen, der für sich den Dienst mit der Waffe in Krieg und Frieden schlechthin und allgemein ablehne. Auf die situationsbedingte Verweigerung, die sich gegen bestimmte Kriege, Situationen oder Waffen wende, beziehe sich Art. 4 Abs. 3 GG hingegen nicht, diese könne aber von der Gewissensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG erfasst werden. Vorliegend sei dies jedoch nicht von entscheidender Bedeutung, da der Verfolgte, der in der Vergangenheit bereits einen Militärdienst abgeleistet habe, aufgrund von Überlegungen, die für die konkrete Situation Gültigkeit hätten, zu einer generellen Ablehnung des Kriegsdienstes gelangt sein könne. Die Prüfung sei daher an den Maßgaben des Art. 4 Abs. 3 GG auszurichten.

10bb) Nach den im Auslieferungsrecht geltenden Maßstäben gehöre dieses Grundrecht trotz seiner grundsätzlich universellen Geltung und Bedeutung nicht zu dem elementar zu gewährleistenden Kern- und Wesensgehalt der deutschen Rechtsordnung und garantiere nicht die Kriegsdienstverweigerung eines Ausländers in seinem Heimatland. Der persönliche Schutzbereich des Art. 4 Abs. 3 GG sei grundsätzlich auf nach deutschem Recht Wehrpflichtige beschränkt. Entsprechend habe ein Ausländer nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weder einen Anspruch auf Durchführung eines Anerkennungsverfahrens als Kriegsdienstverweigerer, noch begründe es einen Asylgrund, wenn dem Ausländer bei Rückführung in sein Heimatland die Heranziehung zum Kriegsdienst gegen sein Gewissen sowie Sanktionierung bei Verweigerung drohe, solange kein sonstiges asylerhebliches Merkmal vorliege. Anderes folge auch nicht aus Art. 9 EMRK oder Art. 10 Abs. 2 EuGrCh, sondern könne nur gelten, wenn der Anwendungsbereich von Art. 3 EuAIÜbK oder § 6 IRG eröffnet sei.

113. Der Generalbundesanwalt ist dem Standpunkt des Oberlandesgerichts im Wesentlichen beigetreten und beantragt, wie folgt zu erkennen:

„Die Auslieferung eines Verfolgten in die Ukraine verstößt nicht gegen wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung, wenn sich der Verfolgte im Auslieferungsverfahren darauf beruft, den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen zu verweigern, und im Falle seiner Überstellung nicht gewährleistet ist, dass er nach dem Recht der Ukraine nicht dennoch zum Kriegsdienst herangezogen wird und im Falle der Verweigerung Bestrafung zu erwarten hat.“

12Er führt ergänzend aus, dass eine Ausweitung des persönlichen und sachlichen Schutzbereichs des Art. 4 Abs. 3 GG mit erheblichen praktischen Schwierigkeiten verbunden wäre, da dann mangels Durchführung eines förmlichen Anerkennungsverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland bereits die einseitige Berufung auf Art. 4 Abs. 3 GG geeignet wäre, dessen Schutzbereich zu eröffnen. Zwar könne das Recht auf Kriegsdienstverweigerung als Ausfluss der Art. 79 Abs. 3 GG unterfallenden Gewissensfreiheit angesehen werden; um einen integralen Bestandteil der Gewissensfreiheit und damit der Menschenwürde handle es sich aber nicht. Auch ergebe sich kein Auslieferungshindernis aus dem nach Art. 25 GG verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard, da es hierfür an einer überwiegenden Staatenpraxis oder dem Vorliegen von Völkergewohnheitsrecht fehle. Selbst bei Art. 9 Abs. 1 EMRK, der über seinen Wortlaut hinaus grundsätzlich auch das Recht auf Wehrdienstverweigerung garantiere, handele es sich zudem um einschränkbares Recht.

134. Mit Beschluss vom hat das Oberlandesgericht die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet und ausgeführt, dass nunmehr auch eine seinerzeit noch ausstehende Zusicherung der Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine im Hinblick auf Art. 6 EMRK vorliege, der zufolge der Verfolgte über die Vorwürfe umfassend informiert werde, ausreichend Zeit zur Vorbereitung seiner Verteidigung erhalte, ihm in allen Stadien des Verfahrens ein Verteidiger zur Seite gestellt werde und er das Recht zur persönlichen Teilnahme an der durchzuführenden gerichtlichen Verhandlung habe.

II.

14Die Vorlegungsvoraussetzungen des § 42 Abs. 1 IRG sind erfüllt, da der Vorlegungsbeschluss eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft, deren Beantwortung für das Ausgangsverfahren entscheidungserheblich ist.

151. Ob auch die Voraussetzungen einer Divergenzvorlage im Sinne von § 42 Abs. 1 Alternative 2 IRG gegeben sind, weil das Oberlandesgericht mit der von ihm beabsichtigten Entscheidung von dem genannten , BGHSt 27, 191) abwiche, erscheint zweifelhaft. Denn dieser Beschluss betraf nicht den Auslieferungsverkehr nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen, sondern eine Auslieferung nach dem deutsch-jugoslawischen Auslieferungsvertrag, weshalb für diese Entscheidung mit Art. 6 Abs. 1 des deutsch-jugoslawischen Auslieferungsvertrags ein abweichender rechtlicher Ausgangspunkt bestand. Der Senat braucht diese Frage jedoch nicht zu entscheiden, da sich die hier vorgelegte Rechtsfrage im Auslieferungsverkehr nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen jederzeit wieder stellen kann. Ihre Klärung ist daher jedenfalls von grundsätzlicher Bedeutung (§ 42 Abs. 1 Alternative 1 IRG).

162. Die Rechtsfrage ist auch, wie § 42 IRG ferner voraussetzt (vgl. Rn. 12 mwN), für den Fortgang des im Ausgangsverfahren anhängigen Auslieferungsverfahrens von Bedeutung.

17a) Das Oberlandesgericht hat in vertretbarer Rechtsauffassung und Tatsachenbewertung und damit für den Senat bindend (vgl. , juris Rn. 11; ‒ 4 StR 622/85, juris Rn. 7, BGHSt 34, 101, 105) angenommen, dass der Auslieferung nicht unabhängig von der Beantwortung der Vorlegungsfrage gemäß Art. 10 EuAlÜbk die Verjährung der Strafverfolgung nach dem Recht des ersuchenden oder des ersuchten Staates entgegensteht.

18aa) Für den durch das Oberlandesgericht vertretbar angenommenen Fall, dass sich der Verfolgte dem Verfahren entzieht, ordnet der für einschlägig befundene Art. 49 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 des ukrainischen Strafgesetzbuchs an, dass der Lauf der Verjährungsfrist (von hier fünf Jahren) so lange ruht, bis sich der Verfolgte stellt oder gefasst wird; absolute Verfolgungsverjährung tritt in diesem Fall 15 Jahre nach Tatbegehung ein.

19bb) Keine Zweifel wirft auch die durch das Oberlandesgericht vorgenommene Beurteilung der Verjährungsfrage nach deutschem Strafrecht auf. Es hat hierzu nachvollziehbar dargelegt, dass für eine entsprechende Tat nach deutschem Strafrecht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB ebenfalls eine Verjährungsfrist von fünf Jahren zu veranschlagen sei. Nachvollziehbar ist zudem, dass das Oberlandesgericht den Beschluss des ukrainischen Ermittlungsrichters vom – mit dem dieser die Festnahme des Verfolgten zwecks Vorführung zur gerichtlichen Anhörung über die Anordnung und den Vollzug von Untersuchungshaft veranlasst hat – und den Haftbefehl vom als funktionsäquivalente Unterbrechungstatbestände im Sinne von § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StGB i.V.m. § 134 StPO beziehungsweise § 114 StPO eingestuft hat, weshalb (auch mit Blick auf die sich aus § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB ergebende Höchstfrist) nach deutschem Strafrecht bislang keine Verfolgungsverjährung eingetreten sei.

20b) Auch ein Auslieferungshindernis im Hinblick auf Art. 6 EMRK hat das Oberlandesgericht jedenfalls angesichts der zwischenzeitlichen Verfahrenszusicherungen der Generalstaatsanwaltschaft nachvollziehbar verneint. Anhaltspunkte für dem Verfolgten drohende Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (Art. 3 EMRK) sind gleichfalls nicht erkennbar.

213. Die Vorlegungsfrage des Oberlandesgerichts ist jedoch zu weit gefasst, soweit sie nach ihrem Wortlaut auch Fallgestaltungen erfasst, die den Rechtshilfeverkehr jenseits des Europäischen Auslieferungsübereinkommens berühren, und die deshalb nach Maßstäben zu entscheiden wären, die für die rechtliche Beurteilung des Ausgangsfalls nicht von Bedeutung sind (vgl. Rn. 13 mwN). Überdies berücksichtigt die Vorlegungsfrage nicht die Begründung, mit der der ersuchende Staat den nach seinem Recht Wehrpflichtigen ein Kriegsdienstverweigerungsrecht versagt, wovon die Beantwortung der Vorlegungsfrage jedoch angesichts der Vielzahl insoweit denkbarer Gründe nicht absehen kann. Auf der Grundlage der im Ausgangsverfahren hierfür leitenden Umstände ist die Vorlegungsfrage daher wie folgt zu fassen:

„Verstößt die Auslieferung eines Verfolgten in sein Heimatland gegen wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung, sodass ein Auslieferungshindernis besteht, wenn sich der Verfolgte im Auslieferungsverfahren nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom darauf beruft, den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen zu verweigern, und im Falle seiner Überstellung nicht gewährleistet ist, dass er nach dem Recht des ersuchenden Staates nicht dennoch zum Kriegsdienst herangezogen wird und im Falle der Verweigerung keine Bestrafung zu erwarten hat, wenn der ersuchende Staat völkerrechtswidrig mit Waffengewalt angegriffen wird und ein Recht zur Kriegsdienstverweigerung deshalb nicht gewährleistet?“

III.

22Der Senat entscheidet die Vorlegungsfrage wie aus der Beschlussformel ersichtlich.

231. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unterliegen die deutschen Gerichte bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Auslieferung der verfassungsrechtlichen Pflicht, zu prüfen, ob die erbetene Auslieferung die gemäß Art. 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 1 und Art. 20 GG unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze beziehungsweise das unabdingbare Maß an Grundrechtsschutz verletzt (vgl. BVerfGE 59, 280, 282 f.; 63, 332, 337; 108, 129, 136; 140, 317, 346 f. Rn. 60; Rn. 23; Beschluss vom – 2 BvR 1694/23 Rn. 55).

24a) Der Schutz eines rechtsstaatlichen, von der Achtung der Würde des Menschen bestimmten Kernbereichs kann im völkerrechtlichen Verkehr nicht identisch sein mit den innerstaatlichen Rechtsauffassungen. Das Grundgesetz geht von der Eingliederung des von ihm verfassten Staates in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft aus. Es gebietet damit, insbesondere im Rechtshilfeverkehr Strukturen und Inhalte fremder Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätzlich zu achten (vgl. BVerfGE 75, 1, 16 f.; 108, 129, 137; 113, 154, 162 f.), auch wenn sie im Einzelnen nicht mit den deutschen innerstaatlichen Auffassungen übereinstimmen. Sofern der in gegenseitigem Interesse bestehende zwischenstaatliche Auslieferungsverkehr erhalten und auch die außenpolitische Handlungsfreiheit der Bundesregierung unangetastet bleiben soll, dürfen deutsche Gerichte nur die Verletzung der unabdingbaren Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung als unüberwindbares Hindernis für eine Auslieferung zugrunde legen ( Rn. 23).

25b) Bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Auslieferung sind die deutschen Gerichte ferner − insbesondere im Auslieferungsverkehr mit Staaten, die nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind − verpflichtet, zu prüfen, ob die Auslieferung und die ihr zugrundeliegenden Akte den nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard wahren (vgl. BVerfGE 59, 280, 282 f.; 63, 332, 337 f.; 75, 1, 19; 108, 129, 136; 113, 154, 162; Rn. 24; Beschluss vom – 2 BvR 1694/23 Rn. 55).

26c) Gemäß Art. 25 GG sind bei der Auslegung und Anwendung von Vorschriften des innerstaatlichen Rechts zudem die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu beachten. Hieraus folgt insbesondere, dass Behörden und Gerichte grundsätzlich daran gehindert sind, innerstaatliches Recht in einer Weise auszulegen und anzuwenden, welche die allgemeinen Regeln des Völkerrechts verletzt. Sie sind auch verpflichtet, alles zu unterlassen, was einer unter Verstoß gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts vorgenommenen Handlung nichtdeutscher Hoheitsträger im Geltungsbereich des Grundgesetzes Wirksamkeit verschafft, und sind gehindert, an einer gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts verstoßenden Handlung nichtdeutscher Hoheitsträger bestimmend mitzuwirken (vgl. BVerfGE 75, 1, 18 f.; Rn. 25; Beschluss vom – 2 BvR 1694/23 Rn. 56).

27d) Zur Bindung der Gerichte an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) gehört die Berücksichtigung der Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung. Sind für die Beurteilung eines Sachverhalts Entscheidungen des Gerichtshofs einschlägig, so sind die von diesem in seiner Abwägung berücksichtigten Aspekte auch in die verfassungsrechtliche Würdigung einzubeziehen und es hat eine Auseinandersetzung mit den vom Gerichtshof gefundenen Abwägungsergebnissen stattzufinden (vgl. Rn. 26; Beschluss vom – 2 BvR 1694/23 Rn. 56; Beschluss vom – 2 BvR 1317/05 Rn. 12; Beschluss vom – 2 BvR 411/07 Rn. 6; vgl. auch BVerfGE 111, 307, 323 f.).

28e) Nicht nur im Rechtshilfeverkehr unter Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sondern auch im allgemeinen völkerrechtlichen Auslieferungsverkehr gilt der Grundsatz, dass dem ersuchenden Staat im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Rechtshilfe in Strafsachen sowie des Völkerrechts Vertrauen entgegenzubringen ist (vgl. BVerfGE 109, 13, 35 f.; 109, 38, 61; 140, 317, 349 Rn. 68). Auch im allgemeinen Auslieferungsverkehr hat der ersuchende Staat ein erhebliches Interesse an der Aufrechterhaltung und Funktionsfähigkeit der gegenseitigen Rechtshilfe. Von der Begehung von Rechtsverletzungen, die die zukünftige Funktionsfähigkeit des Auslieferungsverkehrs zwangsläufig beeinträchtigen würden, wird ein ersuchender Staat schon deshalb regelmäßig Abstand nehmen (vgl.  Rn. 57; Beschluss vom – 2 BvR 1282/21 Rn. 18 mwN). Dieser Grundsatz kann so lange Geltung beanspruchen, wie er nicht durch entgegenstehende Tatsachen, etwa systemische Defizite im Zielstaat, erschüttert wird (vgl. BVerfGE 109, 13, 35 f.; 109, 38, 61; Rn. 58).

292. An diesen Maßstäben gemessen, steht die im ersuchenden Staat drohende sanktionsbewehrte Heranziehung eines Verfolgten zum Kriegsdienst mit der Waffe, den dieser aus Gewissensgründen ablehnt, seiner Auslieferung jedenfalls dann nicht entgegen, wenn sein um Auslieferung ersuchendes Heimatland völkerrechtswidrig mit Waffengewalt angegriffen wird und ein Recht zur Kriegsdienstverweigerung deshalb nicht gewährleistet.

30a) Die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 4 Abs. 3 GG oder Art. 4 Abs. 1 GG auf den zugrundeliegenden Sachverhalt auch nur – rechtlich (aa) wie tatsächlich (bb) – unterstellt, gebietet die deutsche verfassungsrechtliche Ordnung nicht die Annahme eines unüberwindbaren Auslieferungshindernisses für den Fall einer kriegsbedingten Aussetzung des Kriegsdienstverweigerungsrechts im Zielstaat. Ein unabdingbarer Grundsatz der einschränkungslosen Aufrechterhaltung des Kriegsdienstverweigerungsrechts auch im Verteidigungsfall lässt sich ihr bereits auf nationaler Ebene nicht entnehmen (cc). Ein abweichendes Schutzniveau des Kriegsdienstverweigerungsrechts folgt aber auch weder aus einer Parallelbetrachtung des Abschiebungsrechts, das im Asylrecht eine vergleichbare Gefährdungslage zu gewärtigen hat (dd), noch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 9 EMRK. Zwar erkennt diese in jüngerer Zeit den Schutz des Kriegsdienstverweigerungsrechts grundsätzlich an. Sie bleibt jedoch im Schutzniveau hinter dem des Grundgesetzes zurück (ee). Für den durch Art. 18 Abs. 1 IPbpR garantierten Schutz gilt dies gleichermaßen (ff).

31aa) Es kann offenbleiben, ob an der Rechtsprechung des Senats festzuhalten ist, wonach das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 3 GG nicht nur für Personen gilt, die in der Bundesrepublik nach dem Wehrpflichtgesetz wehrpflichtig sind, sondern ohne Einschränkung für jeden, der zum Kriegsdienst mit der Waffe herangezogen werden kann, und ob Art. 4 Abs. 3 GG damit nicht nur die Verweigerung des Dienstes mit der Waffe in den deutschen Streitkräften erfasst, sondern auch die Heranziehung zu ausländischen Streitkräften (vgl. , BGHSt 27, 191, 193 f., juris Rn. 7; Beschluss vom – 4 ARs 23/83, BGHSt 32, 314, 324, juris Rn. 27; Mager in von Münch/Kunig, GG, 7. Aufl., Art. 4 Rn. 131; a.A. Bethge in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, 2. Aufl., Band IV, § 137 Rn. 52; de Wall in Stern/Sodan/Möstl, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., Band IV, § 113 Rn. 8; Mückl in Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum GG, Stand: Februar 2021, Art. 4 Rn. 232; Wolff in Hömig/Wolff, GG, 13. Aufl., Art. 4 Rn. 23; Starck in von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 4 Rn. 176; Stein, NJW 1978, 2426, 2428; ungeachtet der Reichweite von Art. 4 Abs. 3 GG jedenfalls einen Anspruch nicht der deutschen Wehrpflicht unterliegender Ausländer auf Durchführung eines förmlichen Anerkennungsverfahrens verneinend Rn. 8). Denn selbst ein persönlich solchermaßen weit gefasster Schutzbereich von Art. 4 Abs. 3 GG könnte lediglich – wie durch den Senat seinerzeit bejaht – die Konsequenz eines besonders hohen Schutzniveaus sein, das das Grundgesetz dem Kriegsdienstverweigerungsrecht beimisst, nicht aber ein solches Schutzniveau sachlich begründen. Auch die Vorlegungsfrage lässt sich daher nicht anhand des persönlichen Anwendungsbereichs von Art. 4 Abs. 3 GG beantworten. Ihre Klärung ist vielmehr zunächst davon abhängig, ob das hohe Schutzniveau von Art. 4 Abs. 3 GG auch für den Fall einer kriegsbedingten Aussetzung des Kriegsdienstverweigerungsrechts uneingeschränkt Geltung beansprucht. Erst dann ist zu prüfen, ob es für diesen Fall auch einer Auslieferung entgegensteht.

32bb) Für die Beantwortung der Vorlegungsfrage ohne Bedeutung ist daher auch, ob der Verfolgte im Einzelfall – wie sich dem Vorlegungsbeschluss für das Ausgangsverfahren nicht zweifelsfrei entnehmen lässt – den Kriegsdienst mit der Waffe generell ablehnt, oder ob er sich lediglich gegen die Entschließung der Staatsgewalt wendet, die bewaffnete Macht überhaupt oder mit bestimmten Mitteln zu einem konkreten politischen oder militärischen Zweck einzusetzen, also gegen eine Teilnahme an bestimmten Kriegen, gegen bestimmte Gegner, unter bestimmten Bedingungen, in bestimmten historischen Situationen oder mit bestimmten Waffen. Denn auch wenn eine solche situationsbezogene Gewissensentscheidung nicht dem Schutzgehalt des Art. 4 Abs. 3 GG unterfiele (vgl. , BVerfGE 12, 45 Rn. 35 f., 39), sondern der Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 GG betroffen wäre (vgl. , BVerwGE 127, 302 Rn. 143 ff.), vermöchte eine Erstreckung des persönlichen Anwendungsbereichs auch von Art. 4 Abs. 1 GG auf im Inland nicht Wehrpflichtige ebenso wenig, das Schutzniveau dieses Grundrechts für die mit dem Ausgangsverfahren vorgelegte Auslieferungskonstellation zu bestimmen.

33cc) Nach der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung erfährt der Schutz, den das Grundgesetz dem freien Gewissen des Einzelnen mit Art. 4 GG einräumt, im Verteidigungsfall – mithin dem Fall, dass die Bundesrepublik Deutschland mit Waffengewalt angegriffen wird (Art. 115a Abs. 1 GG) – nicht unbeträchtliche Modifikationen sowohl auf der Ebene der Verfassung (1) wie auf der Ebene des das Nähere nach Art. 4 Abs. 3 Satz 2 GG und Art. 12a Abs. 2 Satz 3 GG regelnden einfachen Rechts (2). Setzt das deutsche Verfassungsrecht der Pflicht, sich an der Sicherung der staatlichen Existenz zu beteiligen, mit Art. 4 Abs. 3 GG gleichwohl hohe Schranken entgegen (3), etabliert es zwar ein im Vergleich mit anderen demokratisch-rechtsstaatlichen Verfassungen besonders weitgehendes Schutzniveau (4). Soweit der Verteidigungsfall mit einer Gefährdungslage nicht nur für die Landesverteidigung, sondern für die Grundrechtsverwirklichung eines jeden einhergeht, gilt dies indes ebenso für Schutzgehalte, die Art. 4 GG für zur Landesverteidigung berufene Wehrpflichtige gewährleistet. Daher erscheint es auch nach deutschem Verfassungsrecht nicht von vornherein undenkbar, dass Wehrpflichtige in außerordentlicher Lage zusätzlichen Einschränkungen unterliegen und in letzter Konsequenz sogar gehindert sein könnten, den Kriegsdienst an der Waffe aus Gewissensgründen zu verweigern (5).

34(1) Der Schutz, den das Grundgesetz dem freien Gewissen des Einzelnen mit Art. 4 GG einräumt, erfährt im Verteidigungsfall ebenso wie andere grundrechtliche Gewährleistungen bereits auf Verfassungsebene nicht unbeträchtliche Modifikationen. So können Wehrpflichtige, die aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigern, gemäß Art. 12a Abs. 3 Satz 1 GG im Verteidigungsfall durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu zivilen Dienstleistungen für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung in Arbeitsverhältnisse verpflichtet werden, die nach Art. 12a Abs. 3 Satz 2 GG auch bei den Streitkräften und im Bereich ihrer Versorgung begründet werden können. Kann im Verteidigungsfall der Bedarf an zivilen Dienstleistungen im zivilen Sanitäts- und Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen Lazarettorganisation nicht auf freiwilliger Grundlage gedeckt werden, können gemäß Art. 12a Abs. 4 GG auch Frauen zu derartigen Dienstleistungen herangezogen werden. Zur Vorbereitung auf Dienstleistungen, für die besondere Kenntnisse oder Fertigkeiten erforderlich sind, kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zudem nach Art. 12a Abs. 5 Satz 2 GG die Teilnahme an Ausbildungsveranstaltungen zur Pflicht gemacht werden. Kann im Verteidigungsfall der Bedarf an Arbeitskräften für die vorgenannten Bereiche auf freiwilliger Grundlage nicht gedeckt werden, kann zur Sicherung dieses Bedarfs überdies gemäß Art. 12a Abs. 6 Satz 1 GG die Freiheit der Deutschen, die Ausübung eines Berufs oder den Arbeitsplatz aufzugeben, durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden.

35(2) Nach den – freilich einfachrechtlichen – Bestimmungen des das Nähere eines Ersatzdienstes regelnden Kriegsdienstverweigerungsgesetzes ist die Einberufung eines die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer beantragenden Wehrpflichtigen zum Grundwehrdienst im Spannungs- und Verteidigungsfall gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 KDVG nicht erst dann zulässig, wenn der Antrag unanfechtbar abgelehnt oder zurückgenommen worden ist. Zudem kann im Spannungs- und Verteidigungsfall die Frist zur ergänzenden schriftlichen Äußerung des Antragstellers nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 KDVG von einem Monat auf zwei Wochen verkürzt werden und ist der Widerspruch gegen eine Entscheidung des Bundesamtes für den Zivildienst gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 3 KDVG innerhalb einer Woche nach ihrer Bekanntgabe zu erheben. Entsprechendes gilt im Spannungs- und Verteidigungsfall nach § 11 Abs. 2 KDVG für Wehrübungen und Übungen, die von der Bundesregierung als Bereitschaftsdienst angeordnet worden sind.

36(3) Unbeschadet dessen und auch des Umstands, dass Art. 4 GG in Art. 79 Abs. 3 GG nicht genannt wird, stellt das Bundesverfassungsgericht zum Rang der Gewissensfreiheit innerhalb der verfassungsrechtlichen Ordnung allerdings in ständiger Rechtsprechung fest, dass das Grundgesetz von der Würde der freien, sich selbst bestimmenden Person als höchstem Rechtswert ausgeht (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG), es in Art. 4 Abs. 1 GG die Unverletzlichkeit des Gewissens garantiert und damit die Freiheit, nicht zu einem Verhalten gegen dessen als bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfahrene Gebote gezwungen zu werden. Hieran knüpft Art. 4 Abs. 3 GG nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an und räumt selbst in ernsten Konfliktlagen, in denen der Staat seine Bürger besonders fordert, dem Schutz des freien Gewissens des Einzelnen den Vorrang ein. Das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen setzt hiernach der verfassungsrechtlich verankerten Pflicht, sich an der bewaffneten Landesverteidigung und damit insoweit an der Sicherung der staatlichen Existenz zu beteiligen, eine „unüberwindliche“ Schranke entgegen (vgl. , BVerfGE 12, 45 Rn. 27; Urteil vom – 2 BvF 1/77, BVerfGE 48, 127 Rn. 65; Urteil vom ‒ 2 BvF 2/83, BVerfGE 69, 1 Rn. 45).

37(4) Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach auch darauf hingewiesen, dass der Vorrang, den der Schutz des freien Gewissens nach der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung selbst in ernsten Konfliktlagen erfährt, im Vergleich mit anderen demokratisch-rechtsstaatlichen Verfassungen bemerkenswert weit geht (vgl. , BVerfGE 12, 45 Rn. 27; Urteil vom – 2 BvF 1/77, BVerfGE 48, 127 Rn. 65; Urteil vom – 2 BvF 2/83, BVerfGE 69, 1 Rn. 45). Deren Strukturen und Inhalte sind im Rechtshilfeverkehr jedoch grundsätzlich – wie eingangs ausgeführt – selbst dann zu achten, wenn sie mit dem innerstaatlichen Schutz eines rechtsstaatlichen, von der Achtung der Würde des Menschen bestimmten Kernbereichs nicht identisch sind (vgl. Rn. 23).

38(5) Explizit offengelassen – und ohne dabei auch nur die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG vorzubehalten – hat das Bundesverfassungsgericht zudem, ob selbst jemand, der an sich zur Kriegsdienstverweigerung berechtigt erscheint, durch überragende Treuepflichten in außerordentlicher Lage gehindert sein kann, das Grundrecht geltend zu machen (vgl. , BVerfGE 12, 45 Rn. 37), und ob die für das Anerkennungsverfahren im Frieden geltenden Maßstäbe im Kriegsfall im Hinblick auf die dann bestehenden außergewöhnlichen Verhältnisse zu modifizieren sind (vgl. , BVerfGE 28, 243, 263, juris Rn. 62). Überdies entspricht es ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass sowohl die Einrichtung und Funktionsfähigkeit der Streitkräfte gegen das Interesse des Kriegsdienstverweigerers an der Freiheit von jeglichem Zwang gegenüber seiner Gewissensentscheidung abzuwägen sind (vgl. BVerfGE 28, 243, 261, juris Rn. 59) wie auch dass miteinander kollidierende Grundrechtspositionen darüber hinaus in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen sind, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (vgl. BVerfGE 7, 198, 204 ff.; 148, 267, 280 Rn. 32; 152, 152, 185 Rn. 76). Angesichts dessen erachtet es der Senat für – jedenfalls prinzipiell – nicht undenkbar, dass ungeachtet des besonders hohen Rangs der in Art. 4 GG verbürgten Gewissensfreiheit auch die deutsche verfassungsrechtliche Ordnung es gestatten oder sogar erfordern könnte, den Schutz des Kriegsdienstverweigerungsrechts in außerordentlicher Lage gegenüber anderen hochrangigen Verfassungswerten zurücktreten zu lassen.

39dd) Soweit die rechtlichen Maßstäbe des Aufenthalts- und Abschiebungsrechts nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf Auslieferungen angesichts der vergleichbaren Gefährdungslage grundsätzlich zu übertragen sind (vgl. Rn. 62; Beschluss vom – 2 BvR 2735/14, BVerfGE 140, 317 Rn. 106), folgt hieraus nichts Abweichendes. Vielmehr schließt das Asylrecht des Art. 16a Abs. 1 GG das Grundrecht auf Verweigerung des Kriegsdienstes aus Gewissensgründen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht mit ein (zu Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. vgl. , BVerwGE 62, 123 Rn. 12). Staatliche Maßnahmen wegen Wehrdienstentziehung werden vielmehr nur dann als asylerheblich betrachtet, wenn sie nicht nur der Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht gelten, sondern darüber hinaus den Wehrpflichtigen auch wegen asylerheblicher Merkmale, insbesondere wegen einer wirklichen oder vermuteten missliebigen politischen Überzeugung, treffen sollen (vgl. , BVerwGE 81, 41 Rn. 10).

40ee) Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat sich zu der Frage der Kriegsdienstverweigerung im Kontext des Auslieferungsrechts und zu einer etwaigen Pflichtenbindung des ausliefernden Vertragsstaats bislang nicht verhalten (1). Die Relevanz von Art. 9 EMRK im Auslieferungsverkehr auch nur unterstellt, gewährleistet die Norm nach der jüngeren Rechtsprechung des Gerichtshofs zwar ein Recht auf Verweigerung des Kriegsdienstes aus Gewissensgründen. Als Gewährleistung, die Einschränkungen nach Art. 9 Abs. 2 EMRK zugänglich ist, bleibt sie jedoch hinter dem Schutzniveau von Art. 4 GG zurück (2) und unterliegt im Notstandsfall weitergehenden Einschränkungen (3).

41(1) Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kann eine Pflicht des ausliefernden oder sonst ausweisenden Vertragsstaats, von der Auslieferung einer Person abzusehen, vor allem dann bestehen, wenn dieser am Auslieferungsziel eine Strafe oder Behandlung droht, die die Schwelle einer die absolut geltende Gewährleistung des Art. 3 EMRK verletzenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung überschreitet (vgl. EGMR [GK], Khasanov and Rakhmanov v. Russia, Urteil vom , Nr.  28492/15 und 49975/15, § 94; M.G. c. Bulgarie, Urteil vom , Nr. 59297/12, § 74), insbesondere die Verhängung der gemäß Art. 1 des Zusatzprotokolls Nr. 6 zur EMRK sowie Art. 1 des Zusatzprotokolls Nr. 13 zur EMRK abgeschafften Todesstrafe (vgl. EGMR, A.L. [X.W.] v. Russia, Urteil vom , Nr. 44095/14, § 64). Jenseits von Art. 3 EMRK hat der Gerichtshof ein mögliches Auslieferungshindernis auch für den Fall einer drohenden eklatanten Rechtsschutzverweigerung im Zielstaat bejaht, sofern sie einer Aufhebung oder Zerstörung des Wesenskerns des durch diese Artikel garantierten Rechts gleichkommt (vgl. EGMR [GK], Harkins v. the United Kingdom, Entscheidung vom , Nr. 71537/14, § 64 – dort zu dem Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 6 EMRK). Ob auch die Gewährleistungen des Art. 9 EMRK im Kontext eines strafrechtlichen Auslieferungsverfahrens Anwendung finden, hat der Gerichtshof bislang dahinstehen lassen (vgl. EGMR, M.A.M. c. Suisse, Urteil vom , Nr. 29836/20, § 81, 84) und betont, jenseits der absolut geltenden Verbote nach Art. 3 EMRK könne aus pragmatischer Sicht jedenfalls nicht verlangt werden, eine Person nur in ein Land zurückzuführen, in dem die Lebensbedingungen den Gewährleistungen der EMRK in vollem Umfang entsprechen (vgl. EGMR, Z and T v. the United Kingdom, Entscheidung vom , Nr. 27034/05, BeckRS 2006, 143954 Rn. 26).

42(2) Gleichwohl auch nur unterstellt, dass die Art. 9 EMRK in der jüngeren Rechtsprechung des Gerichtshofs entnommenen Garantien ebenfalls geeignet sind, ein Auslieferungshindernis zu begründen, entnimmt der Gerichtshof dem Umstand, dass die in Art. 4 Abs. 3 b) EMRK enthaltene Herausnahme des Wehr- oder Ersatzdienstes vom Zwangs- oder Pflichtarbeitsverbot des Art. 4 Abs. 2 EMRK nur für Länder gilt, in denen die Dienstverweigerung aus Gewissensgründen anerkannt ist, nicht (mehr), dass das Übereinkommen als solches kein Recht auf Verweigerung aus Gewissensgründen gewährleiste (vgl. EGMR [GK], Bayatyan v. Armenia, Urteil vom , Nr. 23459/03, §  96, 109).

43(a) Der in der Sanktionierung einer alternativlosen Heranziehung zum Wehrdienst von ihm nunmehr angenommene Eingriff in die Gewissensfreiheit ist aber der Rechtfertigung nach Art. 9 Abs. 2 EMRK zugänglich. Die Gewährleistung kann mithin Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die öffentliche Sicherheit, zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Gesundheit oder Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer (vgl. EGMR [GK], Bayatyan v. Armenia, Urteil vom , Nr. 23459/03, § 112; Adyan and others v. Armenia, Urteil vom , Nr. 75604/11, § 65). Bei der Entscheidung, ob und in welchem Umfang ein Eingriff erforderlich ist, belässt der Gerichtshof den Vertragsstaaten der EMRK allerdings einen gewissen Ermessensspielraum und beschränkt sich auf die Prüfung, ob die auf nationaler Ebene getroffenen Maßnahmen grundsätzlich gerechtfertigt und verhältnismäßig waren (vgl. EGMR [GK], Bayatyan v. Armenia, Urteil vom , Nr. 23459/03, § 121; Kanatli c. Türkiye, Urteil vom , Nr. 18382/15, § 63). Bei dieser Prüfung berücksichtigt er auch einen etwaigen Konsens und gemeinsame Werte, die sich aus der Praxis der Vertragsstaaten ergeben (vgl. EGMR [GK], Bayatyan v. Armenia, Urteil vom , Nr. 23459/03, § 122). Er hat in diesem Zusammenhang jedoch darauf hingewiesen, dass fast alle Mitgliedstaaten des Europarats, in denen jemals eine Wehrpflicht galt oder vorgesehen ist, Alternativen zu diesem Wehrdienst eingeführt haben, um den möglichen Konflikt zwischen individuellem Gewissen und militärischen Verpflichtungen in Einklang zu bringen (vgl. EGMR [GK], Bayatyan v. Armenia, Urteil vom , Nr. 23459/03, § 123).

44(b) Dementsprechend verfügt ein Staat, der keine Alternative zum Wehrdienst einrichtet, lediglich über einen begrenzten Ermessensspielraum und muss überzeugende und zwingende Gründe vorbringen, um einen Eingriff in die Gewährleistungen aus Art. 9 EMRK zu rechtfertigen. Hierzu muss er dartun, dass der Eingriff einem „dringenden gesellschaftlichen Bedürfnis“ entspricht (vgl. EGMR [GK], Bayatyan v. Armenia, Urteil vom , Nr. 23459/03, § 123) und es keine gangbaren und wirksamen Alternativen gibt, um den konkurrierenden Interessen Rechnung zu tragen (EGMR [GK], Bayatyan v. Armenia, aaO § 124). Eine allgemeine Wehrpflicht ohne jede Ausnahmemöglichkeit ist hiernach grundsätzlich nicht geeignet, den erforderlichen Interessenausgleich herzustellen (vgl. EGMR, Adyan and others v. Armenia, Urteil vom , Nr. 75604/11, §  66; unter der zusätzlichen Voraussetzung fehlenden Rechtsschutzes auch EGMR, Savda c. Turquie, Urteil vom , Nr. 42730/05, § 100; Tarhan c. Turquie, Urteil vom , Nr. 9078/06, § 62), wenn hierfür keine überzeugenden Gründe angeführt werden (vgl. EGMR, Kanatli c. Türkiye, Urteil vom , Nr. 18382/15, § 42).

45(3) Wird das Leben einer Nation durch Krieg oder einen anderen öffentlichen Notstand bedroht, so kann jeder Vertragsstaat gemäß Art. 15 Abs. 1 EMRK Maßnahmen treffen, die von den in der Konvention vorgesehenen Verpflichtungen abweichen, soweit es die Lage unbedingt erfordert und wenn die Maßnahmen nicht im Widerspruch zu den sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Vertragspartei stehen. Soweit Art. 15 Abs. 2 EMRK dieser Derogationsmöglichkeit Grenzen zieht, ergibt sich hieraus nicht, dass auch die Gewährleistungen des Art. 9 EMRK zu den notstandsfesten Rechten zählen (vgl. Council of Europe, Legal Analysis of the derogation made by Ukraine under Article 15 of the European Convention of Human Rights u.a., 2022 – https://rm.coe.int/legal-analysis-of-the-derogation-made-by-ukraine-under-article-15-of-t/1680aa8e2c [letzter Abruf am ]). Unbeschadet dessen verbleibt es den Vertragsstaaten auch und erst recht im Notstandsfall, Rechte aus Art. 9 Abs. 1 EMRK den Einschränkungen nach Art. 9 Abs. 2 EMRK zu unterwerfen.

46ff) Soweit nach Art. 18 Abs. 1 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom (IPbpR – BGBl. 1973 II S. 1533) jedermann das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit hat, fällt es nach der Auslegung des Ausschusses für Menschenrechte der Vereinten Nationen (nachfolgend: Menschenrechtsausschuss) auch in den Anwendungsbereich dieser Gewährleistung, eine Person nicht zur Anwendung tödlicher Gewalt zu zwingen, obwohl dies in ernsthaftem Widerspruch zu ihrer Gewissensfreiheit oder ihrer Religions- oder Glaubensfreiheit steht (vgl. Menschenrechtsausschuss, Allgemeine Bemerkung Nr. 22, 1993, Ziff. 11 – https://www.refworld.org/legal/general/hrc/1993/en/13375; Mitteilungen Nr. 1321/2004 und 1322/2004 vom – Yoon u.a./Republik Korea Rn. 8.3 f. – https://digitallibrary.un.org/record/591719?v=pdf; Mitteilungen Nr. 1642-1741/2007 vom – Jeong u.a./Republik Korea Rn. 7.3 ‒ https://documents.un.org/doc/undoc/der/g11/424/11/pdf/g1142411.pdf [letzter Abruf jeweils am ]). Allerdings reicht das Art. 18 IPbpR entnommene Recht auf Kriegsdienstverweigerung in seinem Schutzniveau nicht über die Schutzgehalte des Art. 9 Abs. 1 EMRK hinaus. Zwar zählt Art. 4 Abs. 2 IPbpR die Gewährleistungen des Art. 18 Abs. 1 IPbpR zu den Rechten, die auch im Notstandsfall im Sinne von Art. 4 Abs. 1 IPbpR nicht außer Kraft gesetzt werden dürfen. Auch Art. 18 Abs. 3 IPbpR gestattet es jedoch, die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekunden, gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen zu unterwerfen, die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit, Sittlichkeit oder der Grundrechte und -freiheiten anderer erforderlich sind (vgl. Mitteilungen Nr. 1321/2004 und 1322/2004 vom – Yoon u.a./Republik Korea Rn. 8.3 f. – https://digitallibrary.un.org/record/591719?v=pdf; Mitteilungen Nr. 1642-1741/2007 vom – Jeong u.a./Republik Korea, a.a.O. Rn. 7.2 und 7.3 [letzter Abruf jeweils am ]).

47b) Lässt sich nach dem Vorstehenden weder dem Grundgesetz noch der Europäischen Menschenrechtskonvention oder dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte eine uneingeschränkte Aufrechterhaltung des Kriegsdienstverweigerungsrechts auch im Verteidigungsfall entnehmen, ist es der Bundesrepublik Deutschland nach den eingangs genannten Maßstäben verwehrt, die kriegsbedingte Aussetzung des Kriegsdienstverweigerungsrechts im ersuchenden Staat als unüberwindbares Auslieferungshindernis zu betrachten.

48aa) Die Maßstäbe des Grundgesetzes gebieten im Auslieferungsverkehr einen Vergleich der Rechtsordnung des ersuchenden Staates mit der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland und auf dessen Grundlage, Strukturen und Inhalte fremder Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätzlich zu achten, auch wenn sie im Einzelnen nicht mit den deutschen innerstaatlichen Auffassungen übereinstimmen, solange sie nicht unabdingbare Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung verletzen (vgl. BVerfGE 59, 280, 282 f.; 63, 332, 337; 108, 129, 136 f.; 113, 154, 162 f.; 140, 317, 346 f. Rn. 60; Rn. 23; Beschluss vom – 2 BvR 1694/23 Rn. 55).

49bb) Dies vorausgesetzt, liegt es nahe, Maßnahmen im Zielstaat bereits dann nicht als unüberwindbare Auslieferungshindernisse zu betrachten, wenn sie in Einklang mit völkerrechtlichen Bestimmungen stehen, denen sich auch die Bundesrepublik Deutschland unterworfen hat. Erlaubt es der Einschränkungsvorbehalt aus Art. 9 Abs. 2 EMRK nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte grundsätzlich, auch die fehlende Gewährleistung eines Kriegsdienstverweigerungsrechts zu rechtfertigen (wie vergleichbar auch Art. 18 Abs. 3 IPbpR), dürfte mithin bereits dies der Annahme eines Auslieferungshindernisses entgegenstehen, wenn der um Auslieferung ersuchende Staat – wie im Ausgangsverfahren die Ukraine – völkerrechtswidrig mit Waffengewalt angegriffen wird und deshalb ein Recht zur Kriegsdienstverweigerung in Einklang mit Art. 9 Abs. 2 EMRK beziehungsweise Art. 18 Abs. 3 IPbpR nicht gewährleistet.

50cc) Wie gesehen, sind Grundrechtsverkürzungen im Verteidigungsfall aber auch der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung selbst – auch in Bezug auf die Gewissensfreiheit – nicht fremd, sondern in ihr angelegt. Dabei erscheinen sogar weitergehende verfassungsimmanente Einschränkungen des Kriegsdienstverweigerungsrechts bis hin zu dessen Aussetzung in existenziellen Krisen des Staates prinzipiell nicht undenkbar. Liegt in diesem Ausgangspunkt schon keine Divergenz beider Rechtsordnungen vor und kommt es nach den im Auslieferungsverkehr geltenden Maßstäben auf Abweichungen beider Rechtsordnungen im Einzelnen nicht an, braucht zur Beantwortung der Vorlegungsfrage nicht auch geklärt werden, unter welchen außerordentlichen Umständen im Einzelnen und mit welchen möglicherweise auch dann noch gebotenen Abstufungen solche Einschränkungen nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland allein denkbar sein könnten.

51dd) Sind im Verteidigungsfall weitergehende Verkürzungen des Grundrechtsschutzes auch nach deutschem Verfassungsrecht prinzipiell nicht undenkbar, scheidet es nach den für den Auslieferungsverkehr geltenden Maßstäben zudem aus, das Kriegsdienstverweigerungsrecht als einen unabdingbaren Grundsatz der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung zu begreifen, also als ein Recht, das auch für den Fall, dass die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtswidrig mit Waffengewalt angegriffen wird, uneingeschränkt Geltung beansprucht und deshalb im Auslieferungsverkehr bei für den vergleichbaren Fall fehlender Gewährleistung im Zielstaat jede Auslieferung hindert.

52c) Da an dem geringeren Schutzniveau, mit dem Art. 9 EMRK und Art. 18 IPbpR das Kriegsdienstverweigerungsrecht gewährleisten, kein Zweifel besteht – die Relevanz dieser Gewährleistungen im Auslieferungsverkehr weiterhin unterstellt – und erst recht nicht zweifelhaft ist, ob eine entsprechende allgemeine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts ist, war eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 2 GG nicht veranlasst.

53d) Soweit auch Art. 10 Abs. 2 EuGrCh ein Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen grundsätzlich anerkennt, gilt diese Vorschrift gemäß Art. 51 Abs. 1 Satz 1 EuGrCh ausschließlich bei der Durchführung von Unionsrecht. Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV kam daher von vornherein nicht in Betracht.

543. Ob die Zulässigkeit einer Auslieferung unbeschadet § 1 Abs. 3 IRG auch im völkervertraglich geregelten Auslieferungsverkehr bereits unter dem einfachrechtlichen Vorbehalt des § 73 IRG steht, kann offenbleiben, da der auslieferungsrechtliche Prüfungsmaßstab kein anderer wäre (vgl. Rn. 23).

Quentin                         Maatsch                         Marks

                 Tschakert                        Gödicke

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:160125B4ARS11.24.0

Fundstelle(n):
NJW 2025 S. 10 Nr. 9
TAAAJ-85136