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BGH Urteil v. - X ZR 85/22

Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 2-24 S 218/21vorgehend AG Frankfurt Az: 381 C 40/21 (37)

Tatbestand

1Der Kläger beansprucht von der Beklagten die Rückzahlung des restlichen Reisepreises für eine Pauschalreise.

2Der Kläger buchte am bei der Beklagten für sich, seine Ehefrau und zwei weitere Mitreisende zu einem Gesamtpreis von 3.776 Euro eine Flug-Pauschalreise "Mallorca zum Verlieben", die vom 17. bis stattfinden sollte. Der Kläger hat den gesamten Reisepreis gezahlt.

3Am erklärte der Kläger telefonisch unter Bezugnahme auf die Corona-Pandemie für sich und seine drei Mitreisenden den Rücktritt von der Reise.

4Die Beklagte konnte die Reise wegen der Corona-Pandemie nicht durchführen. Sie zahlte einen Teilbetrag von 755,20 Euro an den Kläger zurück. Dem Begehren nach Erstattung des gesamten Reisepreises kam sie nicht nach.

5Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 3.020,80 Euro nebst Zinsen verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage. Der Kläger tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Gründe

6Die zulässige Revision ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

7I.    Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

8Das Amtsgericht habe die Beklagte zu Recht zur Rückzahlung des Reisepreises verurteilt. Die Beklagte könne gegenüber dem Kläger keinen Entschädigungsanspruch geltend machen, da die Voraussetzungen des § 651h Abs. 3 BGB erfüllt seien.

9Der Ausbruch der Corona-Pandemie habe im Frühjahr 2020 zu einer nahezu weltweiten Abschottung und zur Annullierung sämtlicher internationaler Flüge geführt und stelle einen unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB dar.

10Der Kläger schulde gemäß § 651h Abs. 3 BGB keine Entschädigungsleistung. Dies gelte unabhängig davon, ob im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung nach einer ex-ante-Betrachtung bereits hinreichende Anhaltspunkte bestanden hätten, dass die vom Reiseveranstalter geplante Reise infolge der Corona-Pandemie nicht stattfinden kann. Eine ex-ante-Betrachtung sei jedenfalls dann nicht maßgeblich, wenn der Reiseveranstalter die Reise vor deren Beginn selbst aufgrund eines unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstandes abgesagt habe.

11Die von der Beklagten geltend gemachte Stornopauschale sei individualvertraglich nicht vereinbart worden. Ob sich der Kläger entsprechend der Behauptung der Beklagten telefonisch mit einer Stornopauschale einverstanden erklärt habe, müsse nicht aufgeklärt werden, da eine solche Individualvereinbarung als unzulässige Abweichung von § 651h Abs. 3 BGB gegen § 651y BGB verstoße und demnach unwirksam sei. An die Stelle der unwirksamen Individualvereinbarung trete die gesetzliche Regelung.

12Der Kläger sei auch aktivlegitimiert. Der Anmeldende einer Reise sei bei einem Vertragsschluss für sich und seine Angehörigen regelmäßig alleiniger Vertragspartner des Reiseveranstalters. Der Anspruch der weiteren, nicht in erkennbarem Näheverhältnis zum Kläger stehenden Mitreisenden sei jedenfalls unbestritten in der Berufungsinstanz an den Kläger abgetreten worden.

13II.    Dies hält der revisionsrechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

141.    Die Beklagte hat gemäß § 651h Abs. 1 Satz 2 BGB ihren Anspruch auf den Reisepreis verloren, weil der Kläger nach § 651h Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam vom Pauschalreisevertrag zurückgetreten ist. Damit ist die Beklagte zur Rückzahlung verpflichtet.

152.    Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Entschädigungsanspruch aus § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB, den die Beklagte dem Anspruch des Klägers entgegenhalten könnte, nicht ausgeschlossen werden.

16a)    Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Covid-19-Pandemie im vorgesehenen Reisezeitraum einen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 Satz 2 BGB darstellt.

17Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, ist es in der Regel nicht zu beanstanden, dass ein Tatrichter die Covid-19-Pandemie als Umstand wertet, der grundsätzlich geeignet ist, die Durchführung der Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen (vgl. , NJW-RR 2023, 828 = RRa 2023, 118 Rn. 21; Urteil vom - X ZR 115/22, NJW-RR 2024, 193 Rn. 18; Urteil vom - X ZR 4/23, NJW-RR 2024, 466 Rn. 17; Urteil vom - X ZR 58/23 Rn. 21). Dies steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. , RRa 2023, 183 Rn. 45 - UFC; Urteil vom - C-584/22, RRa 2024, 62 Rn. 48 - Kiwi Tours) und gilt auch für den im Streitfall maßgeblichen Reisezeitraum im März 2020.

18b)    Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht von einer Beweisaufnahme zur Frage eines Anerkenntnisses des Klägers abgesehen.

19In diesem Zusammenhang kann offenbleiben, ob eine Vereinbarung, in der ein Reisender nach erfolgtem Rücktritt eine Entschädigungsforderung des Reiseveranstalters anerkennt, nach § 651y BGB unwirksam ist. Eine Beweisaufnahme war im Streitfall jedenfalls deshalb entbehrlich, weil sich aus dem Vorbringen der Beklagten kein Anerkenntnis des Klägers ergibt.

20Nach dem insoweit von der Revision angeführten Vorbringen der Beklagten hat diese in dem Telefonat vom darauf hingewiesen, dass infolge des Rücktritts Stornokosten in Höhe von 80 % des Reisepreises anfielen, und der Kläger habe sich damit einverstanden erklärt.

21Das Berufungsgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, dass dieser Erklärung allenfalls zu entnehmen ist, dass sich der Kläger mit der in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten vorgesehenen Pauschalierung einverstanden erklärt hat, nicht aber, dass er das Bestehen eines Anspruchs in dieser Höhe rechtsverbindlich anerkennt. Diese Beurteilung lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

22c)    Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts darf eine erhebliche Beeinträchtigung im Streitfall jedoch nicht schon deshalb bejaht werden, weil die Reise nach der Rücktrittserklärung abgesagt worden ist.

23Nach der auf Vorlage des Senats ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2015/2302 dahin auszulegen, dass für die Feststellung, ob unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände aufgetreten sind, die im Sinne dieser Bestimmung die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen, nur die Situation zu berücksichtigen ist, die zu dem Zeitpunkt bestand, zu dem der Reisende vom Reisevertrag zurückgetreten ist (, RRa 2024, 62 Rn. 28 ff. - Kiwi Tours).

24III.    Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

251.    Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht die Aktivlegitimation des Klägers bejaht hat, lassen keinen Rechtsfehler erkennen.

262.    Das Berufungsgericht hat - von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, inwieweit bereits zum Zeitpunkt des Rücktritts konkrete Umstände absehbar waren, die eine erhebliche Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung der Reise nach § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB begründen.

27Die Sache ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen treffen kann.

28Hierbei wird das Berufungsgericht insbesondere auch zu berücksichtigen haben, dass eine im Zeitpunkt des Rücktritts begründete Ungewissheit über die weitere Entwicklung ein starkes Indiz dafür bilden kann, dass die Durchführung der Reise schon aus damaliger Sicht nicht zumutbar war. Hierbei sind gegebenenfalls auch individuelle Gesundheitsrisiken zu berücksichtigen, denen die Reisenden bei Durchführung der Reise ausgesetzt wären (, NJW 2022, 3707 = RRa 2022, 283 Rn. 62 ff.; Urteil vom - X ZR 4/23, NJW-RR 2024, 466 Rn. 31 ff.). Wie der Senat bereits entschieden hat, ist dem Reisenden auch nicht ohne weiteres zuzumuten, mit einer Entscheidung über den Rücktritt bis kurz vor Reisebeginn zuzuwarten (, MDR 2024, 1570 Rn. 43 ff.).

29Entgegen der Auffassung der Revision wird es nicht zwingend des Vortrags belastbarer Tatsachen bedürfen, aufgrund derer im Rücktrittszeitpunkt am Bestimmungsort der Reise mit einer höheren Ansteckungsgefahr als am Heimatort zu rechnen war. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist § 651h Abs. 3 BGB auch dann anwendbar, wenn dieselben oder vergleichbare Beeinträchtigungen im vorgesehenen Reisezeitraum auch am Heimatort des Reisenden vorliegen ( Rn. 22).

30Entgegen der Auffassung der Revision wird es bei den zu treffenden Feststellungen auch nicht auf die konkrete Kenntnis des Reisenden bezüglich konkreter (Schutz-)Maßnahmen am Bestimmungsort der Reise ankommen. Maßgeblich sind nicht die konkreten Kenntnisse des vom Vertrag zurücktretenden Reisenden, sondern die Erkenntnismöglichkeiten aus der Sicht eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsreisenden zum Rücktrittszeitpunkt (, RRa 2024, 186 Rn. 72 - Tez Tour; C-584/22, RRa 2024, 62 Rn. 32 - Kiwi Tours).

Bacher                              Hoffmann                              Deichfuß

                    Marx                                    von Pückler

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:280125UXZR85.22.0

Fundstelle(n):
ZAAAJ-85134