Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 2-24 S 158/21vorgehend AG Frankfurt Az: 30 C 2271/20 (32)
Tatbestand
1 Die Klägerin beansprucht von der Beklagten die Rückzahlung einer Anzahlung für eine Pauschalreise.
2 Am buchte die Klägerin bei der Beklagten eine kombinierte Flugreise und Flusskreuzfahrt "Wolga-Wunder & Zarenzauber 2020", die vom 1. bis stattfinden und 2.838 Euro kosten sollte. Die Klägerin leistete eine Anzahlung in Höhe von 325 Euro.
3 Mit Schreiben vom erklärte die Klägerin unter Bezugnahme auf die Corona-Pandemie den Rücktritt von der Reise. Die Beklagte stellte der Klägerin unter Einbehalt der Anzahlung eine restliche Stornierungsgebühr in Höhe von 384,50 Euro in Rechnung.
4 Die Beklagte sagte die Reise später wegen der Corona-Pandemie ab. Dem Begehren nach Rückzahlung der Anzahlung kam sie nicht nach.
5 Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 325 Euro nebst Zinsen und zur Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen verurteilt und festgestellt, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, Stornierungsgebühren für die Reise zu zahlen. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen, soweit sie auf Freistellung von Zinsen auf vorgerichtliche Anwaltskosten gerichtet ist, aber die weitergehende Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin die vollständige Abweisung der Klage. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Gründe
6Die zulässige Revision ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
7I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
8Das Amtsgericht habe der Klägerin zu Recht einen Anspruch auf Rückzahlung der Anzahlung zugesprochen und einen Anspruch der Beklagten auf Zahlung von Entschädigung verneint. Die Beklagte könne gegenüber der Klägerin keinen Entschädigungsanspruch geltend machen, da die Voraussetzungen des § 651h Abs. 3 BGB erfüllt seien.
9Der Ausbruch der Corona-Pandemie habe im Frühjahr 2020 zu einer nahezu weltweiten Abschottung und zur Annullierung sämtlicher internationaler Flüge geführt und stelle einen unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB dar.
10Die Klägerin schulde gemäß § 651h Abs. 3 BGB keine Entschädigungsleistung. Dies gelte unabhängig davon, ob im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung nach einer ex-ante-Betrachtung bereits hinreichende Anhaltspunkte bestanden hätten, dass die vom Reiseveranstalter geplante Reise infolge der Corona-Pandemie nicht stattfinden kann. Eine ex-ante-Betrachtung sei jedenfalls dann nicht maßgeblich, wenn der Reiseveranstalter die Reise vor deren Beginn selbst aufgrund eines unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstandes abgesagt habe.
11II. Dies hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
121. Die Beklagte hat gemäß § 651h Abs. 1 Satz 2 BGB ihren Anspruch auf den Reisepreis verloren, weil die Klägerin nach § 651h Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam vom Pauschalreisevertrag zurückgetreten ist. Damit ist die Beklagte zur Rückzahlung der Anzahlung verpflichtet.
132. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Entschädigungsanspruch aus § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB, den die Beklagte dem Anspruch der Klägerin entgegenhalten könnte, nicht ausgeschlossen werden.
14a) Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Covid-19-Pandemie im vorgesehenen Reisezeitraum einen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 Satz 2 BGB darstellt.
15Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, ist es in der Regel nicht zu beanstanden, dass ein Tatrichter die Covid-19-Pandemie als Umstand wertet, der grundsätzlich geeignet ist, die Durchführung der Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen (vgl. , NJW-RR 2023, 828 = RRa 2023, 118 Rn. 21; Urteil vom - X ZR 115/22, NJW-RR 2024, 193 Rn. 18; Urteil vom - X ZR 4/23, NJW-RR 2024, 466 Rn. 17; Urteil vom - X ZR 58/23 Rn. 21). Dies steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. , RRa 2023, 183 Rn. 45 - UFC; Urteil vom - C-584/22, RRa 2024, 62 Rn. 48 - Kiwi Tours) und gilt auch für den im Streitfall maßgeblichen Reisezeitraum im Juni 2020.
16b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts darf eine erhebliche Beeinträchtigung im Streitfall jedoch nicht schon deshalb bejaht werden, weil die Reise nach der Rücktrittserklärung abgesagt worden ist.
17Nach der auf Vorlage des Senats ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2015/2302 dahin auszulegen, dass für die Feststellung, ob unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände aufgetreten sind, die im Sinne dieser Bestimmung die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen, nur die Situation zu berücksichtigen ist, die zu dem Zeitpunkt bestand, zu dem der Reisende vom Reisevertrag zurückgetreten ist (, RRa 2024, 62 Rn. 28 ff. - Kiwi Tours).
18III. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).
191. Das Berufungsgericht hat - von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, inwieweit bereits zum Zeitpunkt des Rücktritts der Klägerin konkrete Umstände, wie insbesondere mit der Covid-19-Pandemie im Zusammenhang stehende Umstände, absehbar waren, die eine erhebliche Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung der Reise nach § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB begründen.
20Der Senat kann daher nicht abschließend darüber entscheiden, ob im Streitfall die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung vorlag. Deshalb ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen treffen kann.
212. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung sind solche Feststellungen nicht deshalb entbehrlich, weil der Gerichtshof der Europäischen Union mehrfach entschieden hat, dass davon auszugehen ist, dass eine weltweite gesundheitliche Notlage wie die Covid-19-Pandemie unter den Begriff "unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände" im Sinne von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 fallen kann (, RRa 2023, 183 Rn. 45 - UFC; Urteil vom - C-584/22, RRa 2024, 62 Rn. 48 - Kiwi Tours).
22Dieser auch vom Senat in ständiger Rechtsprechung angewendete Grundsatz enthebt nicht von der Prüfung, ob diese Umstände im jeweils zu entscheidenden Fall zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Reise geführt haben.
23Bei der Beurteilung dieser Frage wird das Berufungsgericht auch zu berücksichtigen haben, dass Schutzmaßnahmen wie die Einreisebeschränkung und Reisewarnung trotz ihrer Befristung ein starkes Indiz dafür bilden können, dass die Durchführung der Reise schon aus damaliger Sicht nicht zumutbar war (dazu , MDR 2024, 1570 Rn. 31 ff.).
243. Entgegen der Auffassung der Revision wird es nicht zwingend des Vortrags belastbarer Tatsachen wie einer statistischen Ansteckungsgefahr bedürfen, aufgrund derer im Rücktrittszeitpunkt am Bestimmungsort der Reise mit einer höheren Ansteckungsgefahr als am Heimatort zu rechnen war. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist § 651h Abs. 3 BGB auch dann anwendbar, wenn dieselben oder vergleichbare Beeinträchtigungen im vorgesehenen Reisezeitraum auch am Heimatort des Reisenden vorliegen ( Rn. 22).
Bacher Hoffmann Deichfuß
Marx von Pückler
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:280125UXZR81.22.0
Fundstelle(n):
PAAAJ-85133