Arbeitsrecht | Freistellung während der Kündigungsfrist - böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes (BAG)
Kündigt der Arbeitgeber das
Arbeitsverhältnis ordentlich und stellt den Arbeitnehmer trotz dessen
Beschäftigungsanspruchs von der Arbeit frei, unterlässt der Arbeitnehmer in der
Regel nicht böswillig i.S. des
§ 615 Satz 2
BGB anderweitigen Verdienst, wenn er nicht schon vor
Ablauf der Kündigungsfrist ein anderweitiges Beschäftigungsverhältnis eingeht
().
Sachverhalt: Der Kläger war seit November 2019 bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt als Senior Consultant gegen eine monatliche Vergütung von 6.440,00 Euro brutto. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom ordentlich zum und stellte den Kläger unter Einbringung von Resturlaub unwiderruflich von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung frei. Der vom Kläger erhobenen Kündigungsschutzklage gab das Arbeitsgericht am statt, die von der Beklagten dagegen eingelegte Berufung wies das Landesarbeitsgericht zurück.
Nach Zugang der Kündigung meldete sich der Kläger Anfang April 2023 arbeitssuchend und erhielt von der Agentur für Arbeit erstmals Anfang Juli Vermittlungsvorschläge. Die Beklagte übersandte ihm hingegen schon im Mai und Juni 2023 insgesamt 43 von Jobportalen oder Unternehmen online gestellte Stellenangebote, die nach ihrer Einschätzung für den Kläger in Betracht gekommen wären. Auf sieben davon bewarb sich der Kläger, allerdings erst ab Ende Juni 2023.
Nachdem die Beklagte dem Kläger für Juni 2023 keine Vergütung mehr zahlte, machte er diese mit der vorliegenden Klage geltend. Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger sei verpflichtet gewesen, sich während der Freistellung zeitnah auf die ihm überlassenen Stellenangebote zu bewerben. Weil er dies unterlassen habe, müsse er sich für Juni 2023 nach § 615 Satz 2 BGB fiktiven anderweitigen Verdienst in Höhe des bei der Beklagten bezogenen Gehalts anrechnen lassen. Das Landesarbeitsgericht folgte dem nicht und gab der Klage in zweiter Instanz statt.
Die dagegen erhobene Revision der Beklagten hatte vor dem BAG keinen Erfolg:
Die Beklagte befand sich aufgrund der von ihr einseitig erklärten Freistellung des Klägers während der Kündigungsfrist im Annahmeverzug und schuldet dem Kläger nach § 615 Satz 1 BGB i.Vm. § 611a Abs. 2 BGB die vereinbarte Vergütung für die gesamte Dauer der Kündigungsfrist.
Nicht erzielten anderweitigen Verdienst muss sich der Kläger nach § 615 Satz 2 BGB nicht anrechnen lassen.
Der durch eine fiktive Anrechnung nicht erworbenen Verdienstes beim Arbeitnehmer eintretende Nachteil ist nur gerechtfertigt, wenn dieser wider Treu und Glauben (§ 242 BGB) untätig geblieben ist.
Weil § 615 Satz 2 BGB eine Billigkeitsregelung enthält, kann der Umfang der Obliegenheit des Arbeitnehmers zu anderweitigem Erwerb nicht losgelöst von den Pflichten des Arbeitgebers beurteilt werden.
Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass ihr die Erfüllung des aus dem Arbeitsverhältnis resultierenden, auch während der Kündigungsfrist bestehenden Beschäftigungsanspruchs des Klägers unzumutbar gewesen wäre.
Ausgehend hiervon bestand für ihn keine Verpflichtung, schon vor Ablauf der Kündigungsfrist zur finanziellen Entlastung der Beklagten ein anderweitiges Beschäftigungsverhältnis einzugehen und daraus Verdienst zu erzielen.
Quelle: BAG, Pressemitteilung v. (il)
Fundstelle(n):
QAAAJ-85069