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BGH Beschluss v. - XII ZB 251/24

Voraussetzungen der erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren

Gesetze: § 68 Abs 3 S 1 FamFG, § 68 Abs 3 S 2 FamFG, § 278 Abs 1 FamFG, § 1814 Abs 1 BGB, § 1814 Abs 2 BGB, § 1814 Abs 3 BGB, § 1825 Abs 1 S 2 BGB

Instanzenzug: Az: 2 T 21/24vorgehend AG Ettlingen Az: 3 XVII 213/23

Gründe

I.

1Die Betroffene wendet sich gegen die Bestellung einer Betreuerin und die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts für die Vermögenssorge.

2Das Amtsgericht hat für die 1939 geborene Betroffene, die an Demenz leidet, nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens und persönlicher Anhörung eine Betreuung mit umfassendem Aufgabenkreis eingerichtet. Zudem hat das Amtsgericht angeordnet, dass die Betroffene zu Willenserklärungen, die den Aufgabenbereich der Vermögenssorge betreffen, der Einwilligung der Betreuerin bedarf.

3Das Landgericht hat ohne Anhörung der Betroffenen deren Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen wendet sie sich mit der Rechtsbeschwerde.

II.

4Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

51. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die Beschwerdeentscheidung verfahrensfehlerhaft ergangen ist. Das Beschwerdegericht hätte die Betroffene erneut anhören müssen.

6a) Nach § 278 Abs. 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch unter anderem voraus, dass die Anhörung bereits durch das Gericht des ersten Rechtszugs ohne Verletzung von zwingenden Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. Nach Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung vorgetragene Tatsachen oder eine Änderung der Sachlage erfordern nur dann keine erneute Anhörung, wenn diese Tatsachen oder die Änderung offensichtlich für die Entscheidung unerheblich sind (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 294/22 - FamRZ 2023, 881 Rn. 5 mwN).

7Eine geänderte Tatsachengrundlage, die eine erneute Anhörung erforderlich werden lässt, ist insbesondere gegeben, wenn der Betroffene durch die Einlegung der Beschwerde zu erkennen gibt, dass er an seinem in der amtsgerichtlichen Anhörung erklärten Einverständnis mit einer betreuungsrechtlichen Maßnahme nicht mehr festhält. Denn die Frage, ob der Betroffene mit der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts einverstanden ist, stellt für die Entscheidung regelmäßig einen wesentlichen Gesichtspunkt dar, da gegen den freien Willen des Betroffenen gemäß § 1814 Abs. 2 BGB ein Betreuer nicht bestellt werden darf. Auch ein Einwilligungsvorbehalt darf gemäß § 1825 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht gegen den freien Willen des Betroffenen angeordnet werden. Das Beschwerdegericht muss sich dann im Rechtsmittelverfahren mit der Frage befassen, ob der Betroffene zur Bildung eines freien Willens in der Lage ist. In diesem Fall sind durch eine erneute persönliche Anhörung regelmäßig zusätzliche Erkenntnisse im Sinne des § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG zu erwarten (Senatsbeschluss vom - XII ZB 294/22 - FamRZ 2023, 881 Rn. 6 mwN).

8b) Gemessen hieran hätte das Beschwerdegericht die Betroffene erneut anhören müssen. Ausweislich des amtsgerichtlichen Beschlusses hatte sie sich während der Anhörung durch das Amtsgericht mit der Bestellung eines Betreuers einverstanden erklärt. Die Bestellung der beruflichen Betreuerin erfolgte daher nicht gegen den Willen der Betroffenen. Mit der Einlegung der Beschwerde hat sie jedoch zu erkennen gegeben, dass sie mit dieser Maßnahme nicht (mehr) einverstanden ist.

92. Die Beschwerdeentscheidung ist daher aufzuheben und die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 5, 6 Satz 2 FamFG). Dieses wird sich nunmehr mit dem Vorliegen eines freien Willens bei der Betroffenen im Sinne der §§ 1814 Abs. 2, 1825 Abs. 1 Satz 2 BGB zu befassen haben. Zudem wird es bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1814 Abs. 1, 2 und 3 Satz 1 BGB im Einzelnen - anders als bislang - hinsichtlich eines jeden Aufgabenbereichs nachvollziehbar zu begründen haben, ob und inwieweit ein Betreuungsbedarf besteht (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 462/22 - FamRZ 2023, 1057 Rn. 9 ff. mwN) und damit eine Betreuung gemäß §§ 1814 Abs. 3 Satz 1, 1815 Abs. 1 Satz 3 BGB erforderlich ist. Darüber hinaus gibt die Zurückverweisung dem Landgericht Gelegenheit, die für die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts erforderlichen Feststellungen zu treffen (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 544/21 - FamRZ 2022, 1556 Rn. 32 f.). Schließlich wird sich das Landgericht auch mit der weiteren Rüge der Rechtsbeschwerde auseinanderzusetzen haben, wonach im Beschwerdeverfahren verfahrensfehlerhaft unterlassen worden sei, die Bevollmächtigte M. K. zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen persönlich anzuhören. Nach der Rechtsprechung des Senats verstößt es gegen den Amtsermittlungsgrundsatz, wenn der Tatrichter in seiner Entscheidung ausdrücklich die Eignung einer benannten Person zum Betreueramt oder deren Redlichkeit in Zweifel zieht und sich hierbei auf Mitteilungen Dritter beruft, ohne zuvor die als Betreuer vorgeschlagene Person - bei gravierenden Vorwürfen sogar regelmäßig persönlich - zu den von Dritten mitgeteilten Tatsachen anzuhören (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 176/24 - zur Veröffentlichung bestimmt).

                                                

                      Botur                         Pernice

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:111224BXIIZB251.24.0

Fundstelle(n):
NJW-RR 2025 S. 385 Nr. 7
NJW-RR 2025 S. 386 Nr. 7
PAAAJ-84965