Instanzenzug: LG Dresden Az: 1 Ks 962 Js 42661/23 (2)
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten P. wegen Mordes in Tateinheit mit versuchtem Mord in sieben tateinheitlichen Fällen, mit gefährlicher Körperverletzung in sieben tateinheitlichen Fällen, mit Einschleusen mit Todesfolge und mit gewerbs- und bandenmäßigem Einschleusen (Fall II.6 der Urteilsgründe) sowie wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in fünf Fällen (Fälle II.1 bis 5 der Urteilsgründe) zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Den Angeklagten S. hat es wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens in Tateinheit mit lebensgefährdendem Einschleusen von Ausländern (Fall II.6 der Urteilsgründe) zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Dagegen wenden sich die Angeklagten jeweils mit ihren auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen. Die Staatsanwaltschaft erstrebt die weitergehende Verurteilung des Angeklagten S. im Fall II.6 der Urteilsgründe auch wegen Einschleusens mit Todesfolge und begehrt mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten S. eingelegten und auf die Sachrüge gestützten Revision die Aufhebung des Urteils. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat weit überwiegend Erfolg; die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet.
I.
21. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3a) Der Angeklagte P. , der nur wenige Monate zuvor durch das Amtsgericht Görlitz wegen Einschleusens von Ausländern zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten auf Bewährung verurteilt worden war, beförderte im Juni 2023 gewerbsmäßig in fünf Fällen ausländische Staatsangehörige, die - wie er wusste - nicht über den erforderlichen Aufenthaltstitel für Deutschland verfügten, von Ungarn aus in das Bundesgebiet. Dabei steuerte er entweder das Fahrzeug, in dem sich die Ausländer befanden, oder das sogenannte Begleitfahrzeug und erhielt für jede geschleuste Person eine Entlohnung in Höhe von circa 200 Euro. Den Ausländern war jeweils bewusst, dass sie nicht einreisen durften:
4So beförderte er am vier türkische Staatsangehörige bei L. in das Bundesgebiet. Die Geschleusten wurden noch am selben Tag auf dem Marktplatz von Ordnungsamtsmitarbeitern angetroffen (Fall II.1).
5Am verbrachte er fünf türkische und acht afghanische Staatsangehörige bei S. an der Sp. (Fall II.2) und zwei Tage später neun irakische Staatsangehörige bei O. in das Bundesgebiet (Fall II.3).
6Am verbrachte er vier türkische Staatsangehörige bei B. in das Bundesgebiet. Drei der Geschleusten wurden am frühen Morgen von Bundespolizisten aufgegriffen, als sie zu Fuß die Autobahn 17 entlangliefen (Fall II.4).
7Bereits am nächsten Tag beförderte der Angeklagte P. insgesamt 15 afghanische und türkische Staatsangehörige nach Deutschland. Einige von ihnen wurden noch am selben Tag von Bundespolizisten nahe einer Autobahnabfahrt aufgegriffen (Fall II.5).
8b) Jedenfalls vor dem schlossen sich der Angeklagte P. und die gesondert Verfolgten M. und Pe. zusammen, um gewerbsmäßig ausländische Staatsangehörige ohne erforderlichen Aufenthaltstitel für die Bundesrepublik Deutschland von Ungarn in das Bundesgebiet zu schleusen. Der Angeklagte P. und der gesondert Verfolgte Pe. sollten die Fahrzeuge mit den zu schleusenden Personen, der gesondert Verfolgte M. ein Begleitfahrzeug fahren. Der Tätergruppierung gehörte auch eine weitere, unbekannt gebliebene Person namens T.T.T. an, die über eine Unterkunft in Bu. verfügte, in der sich die Ausländer vorübergehend aufhielten und auf ihre Schleusung warteten. Der T.T.T. stand mit den weiteren Gruppenmitgliedern in Kontakt, teilte die zu schleusenden Personen auf die Fahrzeuge auf und bestimmte, wo diese hinfahren sollten.
9Die Gruppierung verfügte über drei baugleiche Transporter, in denen sich Sitzplätze mit Sicherheitsgurten nur im Fahrerbereich befanden. Auf der etwa vier Quadratmeter kleinen Ladefläche, die für den Transport der Geschleusten vorgesehen war, gab es keine Möglichkeit zum Festhalten. Vielmehr stellten scharfkantige Aussparungen in der Karosserie für die Geschleusten insbesondere bei Beschleunigungs- und Bremsvorgängen ein erhebliches Verletzungsrisiko dar. Die Wände des fensterlosen Laderaums waren nur bis zu einer Höhe von circa 60 Zentimetern mit einer Kunststoffverkleidung versehen. An der Wand zur Fahrerkabine war diese Verkleidung zum Ladeboden hin ausgebaut, wodurch ein 1,55 Meter breiter und 60 Zentimeter hoher Durchlass entstand, durch den Luft aus der Fahrerkabine nach hinten auf die Ladefläche strömen konnte.
10Im Juni 2023 bot die Gruppierung um den T.T.T. dem Angeklagten S. an, als Fahrer Personen gegen Entlohnung in das Bundesgebiet zu transportieren, die nicht über den erforderlichen Aufenthaltstitel für die Bundesrepublik Deutschland verfügten, was diese auch wussten. Hierzu kam der Angeklagte S. am nach Bu. . In der Schleuserunterkunft hielten sich an diesem Tag circa 50 Personen auf, die auf ihre Schleusung nach Deutschland warteten.
11Der T.T.T. teilte die Ausländer auf die Fahrzeuge der Angeklagten und des gesondert Verfolgten Pe. auf – dem Fahrzeug des Angeklagten P. wurden sieben Erwachsene und ein Kind, dem des Angeklagten S. sechs Erwachsene zugewiesen. In das Fahrzeug des gesondert Verfolgten Pe. stieg eine unbekannte Anzahl weiterer türkischer Staatsangehöriger ein. Vor oder nach der Abholung gründete Pe. eine Chatgruppe, in die er die Angeklagten und den gesondert Verfolgten M. hinzufügte. Jeder von ihnen sendete zur Koordinierung der Schleusung seinen sogenannten Live-Standort in die Gruppe. Während der Fahrt variierte die Reihenfolge der Fahrzeuge, dem jeweils Vorausfahrenden kam die Aufgabe zu, nach Polizeikontrollen Ausschau zu halten und die anderen über die Chatgruppe zu warnen. Die Schleuser wollten so ein erfolgreiches Absetzen im Bundesgebiet sicherstellen.
12Der gesondert verfolgte M. begleitete den Konvoi mit einem VW Taigo. Er koordinierte die Fahrt und gab den Fahrern Anweisungen. In dem vom Angeklagten P. gesteuerten Transporter standen den acht Geschleusten pro Person im Laderaum nur circa 0,5 Quadratmeter zur Verfügung. Während der Fahrt wurden sie mehrfach umhergeschleudert. Im Fahrzeug des Angeklagten S. herrschten die gleichen Umstände.
13Bis zur deutschen Grenze fuhren die Fahrzeuge gemeinsam und in engem zeitlichen Abstand. Der Angeklagte P. und die gesondert Verfolgten Pe. und M. fuhren die etwa 600 Kilometer lange Strecke von Bu. über Br. und P. nach Deutschland mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 120 km/h. Der Angeklagte S. erreichte eine ähnliche Geschwindigkeit. Die letzte Mautstelle vor der deutschen Grenze passierten die Fahrzeuge im Abstand von nur einigen Sekunden kurz nach 6.00 Uhr morgens.
14Als sich etwa zu dieser Zeit zwei Bundespolizisten mit ihrem Streifenwagen auf der Autobahn positioniert hatten, fuhr der Angeklagte P. an ihnen vorbei. Die Beamten vermuteten eine Schleusung und entschlossen sich, das Fahrzeug am nächsten Parkplatz zu kontrollieren. Sie folgten diesem ohne Warnsignale und schlossen zu dem Angeklagten P. auf, der den Streifenwagen bereits bemerkt hatte und eine Kontrolle fürchtete. Der Angeklagte erkannte, dass ihm wegen der erneuten Schleusung eine längere Haftstrafe drohte. Er entschloss sich daher, vor der Polizei zu fliehen, um so die Aufdeckung seiner Tatbeteiligung zu verhindern und sich der drohenden Strafverfolgung zu entziehen.
15Als die Polizisten seinen Transporter bei einer Geschwindigkeit von über 150 km/h überholen wollten, drängte der Angeklagte P. sie gezielt ab, worauf sie den Überholvorgang abbrechen mussten. Sie schalteten das „Halt Stopp“-Signal und dann auch die Sirene ein und mussten auf bis zu 190 km/h beschleunigen, um zu dem Fahrzeug aufzuschließen. Auch ein zweiter Überholversuch scheiterte, weil der Angeklagte den Streifenwagen erneut abdrängte. Er nutzte sämtliche Fahrstreifen der zweispurigen Autobahn, um sich der Kontrolle zu entziehen, überholte auf dem Standstreifen und fuhr Schlangenlinien. An der Anschlussstelle B. fuhr er an einem zweiten Streifenwagen vorbei, den er als solchen erkannte und der die Verfolgung ebenfalls aufnahm.
16Als die Verfolgungsfahrt bereits sechs Minuten bei einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 150 km/h andauerte, erkannte der Angeklagte P. vor sich zwei nebeneinander fahrende Lkw und rechts neben der Fahrbahn ein abgeerntetes Feld. Er wusste, dass er der Polizei auf der Autobahn nur schwer würde entkommen können und entschloss sich, seine Flucht abseits der Autobahn fortzusetzen, um sich um jeden Preis der Kontrolle zu entziehen. An dieser Stelle war keine Leitplanke vorhanden, neben dem Standstreifen ging es lediglich eine leichte Böschung zu dem Feld hinab, auf dem ein Maschendrahtzaun stand. Der Angeklagte ging davon aus, dass ihm die Beamten nicht über das Feld folgen würden. Er wollte den Zaun durchbrechen, über das Feld fahren und auf die angrenzende Verbindungsstraße gelangen, um sich so einen Vorsprung zu verschaffen. Er erkannte, dass sich die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls hierdurch erhöhen würde und dass die Geschleusten (wie er selbst) bei einem Unfall zu Tode kommen könnten. Dies nahm er billigend in Kauf.
17Der Angeklagte P. bremste kurz ab, fuhr nach rechts über den Standstreifen und dann die angrenzende Böschung hinab. Nach etwa 50 Metern durchbrach er mit dem Transporter den Zaun, erreichte das Feld und beschleunigte. Um die Verbindungsstraße zu erreichen, musste der Angeklagte P. am Ende des Feldes eine weitere Böschung überwinden, die einen Höhenunterschied von 85 Zentimetern zu dem Feld hatte. Er raste die Böschung hinauf, die auf den letzten Metern eine Steigung von 20 Prozent aufwies, und hob mit dem Transporter bei einer Geschwindigkeit von knapp 120 km/h ab; seit dem Verlassen der Autobahn waren nur 7,5 Sekunden vergangen.
18Der Transporter hob über zwei Meter vom Boden ab, ehe er nach 42 Metern mit dem rechten Frontbereich auf ein hinter der Verbindungsstraße gelegenes Feld hart aufschlug, von dort abprallte, sich noch zwei Mal überschlug und weiter durch die Luft flog bis er aufschlug, nach rechts umkippte und liegen blieb. Die Geschleusten auf der Ladefläche wurden dabei umhergeschleudert und zogen sich erhebliche Verletzungen zu, die jeweils geeignet waren, den Tod herbeizuführen. Durch den Unfall zerriss der Herzbeutel der 44 Jahre alten A. , sie verstarb noch am Unfallort.
19Statt den nach Hilfe schreienden Verletzten zu helfen, die im Laderaum eingeschlossen waren, floh der Angeklagte P. vom Unfallort, um sich seiner Festnahme zu entziehen. Er wurde circa zwei Stunden später in einem Gebüsch nahe der Unfallstelle gefunden und festgenommen.
20Mit dem Angeklagten S. war das konkrete Fluchtverhalten nicht abgesprochen. Sein Transporter blieb von den Bundespolizisten unbemerkt. Er war in die Verfolgungsfahrt nicht verwickelt und setzte seine Fahrt fort. In D. setzte er die von ihm transportierten Ausländer ab, wenig später wurde auch er festgenommen (Fall II.6).
212. Während das Landgericht den Angeklagten P. im Fall II.6 wegen Mordes in Tateinheit mit versuchtem Mord in sieben tateinheitlichen Fällen, mit gefährlicher Körperverletzung in sieben tateinheitlichen Fällen, mit Einschleusen mit Todesfolge und mit gewerbs- und bandenmäßigem Einschleusen verurteilt hat, hat es eine Strafbarkeit des Angeklagten S. auch wegen Einschleusens mit Todesfolge nach § 97 Abs. 1 AufenthG aF verneint. So habe dieser sich zwar als Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB) wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens in Tateinheit mit lebensgefährdendem Einschleusen von Ausländern strafbar gemacht. Er habe aber hinsichtlich der Fahrt des Angeklagten P. keine Tatherrschaft innegehabt, da die Besetzung der Transporter und das Ziel der Reise allein durch den T.T.T. bestimmt worden seien. Der Angeklagte S. sei als Bandenmitglied lediglich Fahrer des ihm überlassenen Transportfahrzeuges und nicht an der vorhergehenden Organisation beteiligt gewesen. Der gemeinsame Tatplan habe keine Flucht umfasst, es handele sich um einen Mittäterexzess, der dem Angeklagten S. nicht zugerechnet werden könne. Die Entscheidung des Angeklagten P. zur Flucht sei einzig auf seine Vorverurteilung durch das Amtsgericht Görlitz und die von ihm befürchtete erneute Verurteilung zu einer längeren Haftstrafe zurückzuführen. Zum Zeitpunkt der Flucht und des Unfallgeschehens habe keine enge räumliche und zeitliche Nähe zwischen den Fahrzeugen der Angeklagten bestanden. Es gebe keine Anhaltspunkte, dass die anderen Bandenmitglieder auf das konkrete Fluchtverhalten Einfluss ausgeübt hätten. Die bloße Warnung vor möglichen Polizeikontrollen durch sogenannte Pilotfahrzeuge genüge hierfür nicht. Wegen fehlender Tatherrschaft und des insoweit auch fehlenden tatbestandsspezifischen Unmittelbarkeitszusammenhangs scheide eine Zurechenbarkeit nach den Grundsätzen der Mittäterschaft aus.
II.
22Die Revisionen der Angeklagten sind jeweils unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils hat keine Rechtsfehler zu ihrem Nachteil ergeben.
23Dabei erweist sich insbesondere die konkurrenzrechtliche Wertung des Landgerichts als rechtsfehlerfrei, dass der Tatbestand des gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens gemäß § 97 Abs. 2 AufenthG aF den des lebensgefährdenden Einschleusens gemäß § 96 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG aF (jeweils in der bis zum geltenden Fassung) nicht aus Gründen der Spezialität verdrängt, sondern diese Tatbestände gemäß § 52 Abs. 1 StGB in Tateinheit stehen.
24Denn als besondere Form der Gesetzeskonkurrenz liegt Spezialität nur vor, wenn ein Strafgesetz alle Merkmale einer anderen Strafvorschrift aufweist und sich nur dadurch von dieser unterscheidet, dass es wenigstens noch ein weiteres Merkmal enthält, das den infrage kommenden Sachverhalt unter einem genaueren Gesichtspunkt erfasst, also spezieller ist (st. Rspr.; vgl. zuletzt ). Daher wird zwar der Tatbestand des gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern gemäß § 96 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG von dem schwereren Delikt des gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern gemäß § 97 Abs. 2 AufenthG verdrängt (vgl. Rn. 31; Beschluss vom – 1 StR 303/97 [nicht veröffentlicht]). Der Tatbestand des § 96 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG aF enthält jedoch mit dem Merkmal einer das Leben gefährdenden, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung einen anderen Unrechtsgehalt, der vom Tatbestand des § 97 Abs. 2 AufenthG aF so nicht erfasst ist; umgekehrt ist das vom Straftatbestand des § 97 Abs. 2 AufenthG aF sanktionierte, besondere Unrecht so nicht im Tatbestand des § 96 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG aF enthalten.
III.
25Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, die das Urteil nur betreffend den Angeklagten S. angreift, hat weit überwiegend Erfolg.
261. Der Schuldspruch enthält Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten S. . Denn das Landgericht hat bei der Prüfung, ob sich der Angeklagte S. im Fall II.6 der Urteilsgründe nicht auch wegen Einschleusens von Ausländern mit Todesfolge nach § 97 Abs. 1 AufenthG (in der bis zum geltenden Fassung) strafbar gemacht hat, einen zu engen rechtlichen Maßstab angelegt.
27a) Insoweit gilt: Nach § 97 Abs. 1 AufenthG in der Tatzeitfassung macht sich strafbar, wer in den Fällen des § 96 Abs. 1 AufenthG, auch in Verbindung mit § 96 Abs. 4 AufenthG, den Tod des Geschleusten verursacht. Der Täter muss also hinsichtlich des Geschleusten selbst eine Tathandlung nach § 96 Abs. 1 AufenthG aF – eine zur Täterschaft erhobene Beihilfe oder Anstiftung zu einem der dort genannten ausländerrechtlichen Vergehen – begehen und hinsichtlich der Todesfolge zumindest fahrlässig handeln (§ 18 StGB).
28Da schon in der Begehung des Grunddelikts eine Sorgfaltspflichtverletzung liegt, kommt es für die Fahrlässigkeitsprüfung wesentlich auf die Voraussehbarkeit des (Todes-)Erfolgs im Zusammenhang mit der Einschleusungshandlung an. Im Sinne des Fahrlässigkeitstatbestands voraussehbar ist, was der Täter nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten in der konkreten Tatsituation als möglich hätte vorhersehen können. Für die Erfüllung der subjektiven Fahrlässigkeitskomponente genügt, wenn der Täter die Möglichkeit des Todeserfolgs im Ergebnis hätte voraussehen können. Einer Voraussehbarkeit aller Einzelheiten des zum Tode führenden Geschehensablaufs bedarf es hingegen nicht (vgl. , NStZ 2016, 400, 401). Die Verantwortlichkeit des Täters entfällt indes für solche Ereignisse, die so sehr außerhalb der gewöhnlichen Erfahrung liegen, dass der Täter auch bei der nach den Umständen des Falles gebotenen und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen zuzumutenden Sorgfalt nicht mit ihnen rechnen musste (vgl. , NStZ 2022, 163 mwN).
29Zudem muss sich die schwere Folge als Verwirklichung der dem Grunddelikt innewohnenden Gefahr darstellen. Dies setzt nicht voraus, dass der Tod unmittelbar durch die Einschleusungshandlung verursacht wird. Vielmehr ist es ausreichend, wenn die den Tod des Opfers herbeiführende Handlung derart eng mit dem Tatgeschehen verbunden ist, dass sich in der Todesfolge die der Tat eigentümliche besondere Gefährlichkeit des Grunddelikts verwirklicht (vgl. , NStZ 2003, 34).
30b) Diesem Maßstab wird die rechtliche Prüfung des Landgerichts nicht gerecht.
31aa) Nach den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen half der Angeklagte S. gegen Entgelt nicht nur den in seinem Fahrzeug von ihm unmittelbar transportierten Ausländern beim unerlaubten Grenzübertritt in das Bundesgebiet, sondern auch den in den anderen Fahrzeugen befindlichen Ausländern und verwirklichte damit auch sie betreffend den Tatbestand des § 96 Abs. 1 AufenthG aF. Die Schleusung war als einheitliche Tat darauf angelegt, durch planmäßiges, arbeitsteiliges Zusammenwirken der Bandenmitglieder durchgeführt zu werden. Der Angeklagte S. unterstützte durch das tatplangemäße Fahren in einem engen Verband aus drei Transport- und einem Begleitfahrzeug zugleich sämtliche Insassen der drei Fahrzeuge bei den jeweils von ihnen begangenen Taten nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG, zumal auch ihm die Aufgabe zukam, die weiteren Fahrer vor möglichen Polizeikontrollen über die Chatgruppe zu warnen, ohne dass es insoweit auf eine Kausalität der Hilfeleistung ankäme (vgl. , NStZ-RR 2020, 184, 185).
32Zudem unterstützte er durch sein Tun auch die übrigen Schleuser bei ihren Schleusungstaten. Auch diese Form der Kettenbeihilfe reicht für die Erfüllung von § 96 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich der von den übrigen Fahrern geschleusten Ausländer aus (vgl. ; Beschlüsse vom – 4 StR 144/12, NJW 2012, 2821; vom – 3 StR 358/15 Rn. 21; Urteil vom – 5 StR 627/19 Rn. 26).
33bb) Indem er das Grunddelikt des § 96 Abs. 1 AufenthG verwirklichte, handelte der Angeklagte gegenüber der verstorbenen Geschädigten pflichtwidrig im Sinne des § 18 StGB. Nach den bisher getroffenen Feststellungen ist nicht ausgeschlossen, dass dieser Todeserfolg für ihn auch konkret vorhersehbar war und ihm deshalb hinsichtlich der Todesfolge Fahrlässigkeit zur Last fällt. Ihm waren die lebensgefährdenden Umstände der Schleusungsfahrt (wie insbesondere die beengten Verhältnisse ohne Sitzplätze und Sicherheitsgurte in den baugleichen Transportern und die sehr hohen Geschwindigkeiten) bekannt. Zudem kam dem jeweils an der Spitze des Verbandes Fahrenden die Aufgabe zu, die anderen Fahrer vor Polizeikontrollen zu warnen, so dass sie diese „umfahren“ konnten. Damit konnte auch der mit einer möglichen Eskalation einhergehende Versuch, Kontrolle und Zugriff von Polizeikräften zu vermeiden und sich dieser durch Flucht zu entziehen, verbunden sein.
34cc) Die deshalb erforderlich konkrete Prüfung, ob der Angeklagte die lebensgefährdende Flucht seines Mitangeklagten vor der Polizei vorhersehen konnte, hat das Landgericht nicht vorgenommen. Es hat sich unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des 1. Strafsenats des , NStZ 2019, 287, 288 unter Hinweis auf Rechtsprechung zu § 227 StGB) vielmehr damit begnügt zu prüfen, ob die konkret zum Tode führende Handlung des Mitangeklagten vom gemeinsamen Tatplan erfasst war.
35Schon dies schöpft die neuere Rechtsprechung zur Zurechnung des Todeserfolges beim Handeln mehrerer im Rahmen von § 227 StGB nicht aus. Wird der Todeserfolg durch eine über das gemeinsame Wollen hinausgehende und deshalb als Exzesshandlung zu qualifizierende Handlung verursacht, kann eine Zurechnung des Todes als qualifizierender Erfolg vielmehr auch in Betracht kommen, wenn den gemeinschaftlich verübten Handlungen, die der todesursächlichen Exzesshandlung vorausgegangen sind, bereits die spezifische Gefahr eines tödlichen Ausgangs anhaftet (vgl. , NStZ 2021, 735 Rn. 7). Ein solcher Gefahrenzusammenhang kann in objektiver Hinsicht angenommen werden, wenn sich aus Art und Weise der Handlung einzelfallbezogen konkrete tatsächliche Umstände ergeben, welche die Möglichkeit einer tödlichen Eskalation nahelegen (vgl. Rn. 10 [zu § 227 StGB]).
36Die vom Landgericht vorgenommene Bewertung wird aber auch den Besonderheiten des § 97 Abs. 1 AufenthG nicht gerecht. Durch §§ 96, 97 AufenthG werden Handlungen, die sich nach allgemeiner Dogmatik als Teilnahmehandlungen darstellen, zur Täterschaft erhoben. Deshalb reicht für die Täterschaft hinsichtlich des Grunddelikts schon jede mit Vorsatz verübte Beihilfe zur unerlaubten Einreise aus, wenn sie gegen Entgelt vorgenommen wird (vgl. § 96 Abs. 1 AufenthG aF). Auf die vom Landgericht geprüfte Tatherrschaft kommt es deshalb nicht an (missverständlich auch , NStZ 2019, 287, 288).
372. Das Urteil beruht auf diesem Rechtsfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Die Aufhebung des Schuldspruchs entzieht dem Strafausspruch die Grundlage. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen, sie können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); zum objektiven Tatgeschehen kann das neue Tatgericht ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese nicht in Widerspruch zu den bisherigen treten. Da die Staatsanwaltschaft die Aufhebung des Urteils mit den zugrundeliegenden Feststellungen begehrt hat, war die Revision insoweit zu verwerfen.
383. Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung.
39Der Senat weist darauf hin, dass zusätzlich auch eine Verurteilung wegen tateinheitlicher fahrlässiger Körperverletzung gemäß § 229 StGB hinsichtlich der durch den Unfall verletzten Geschleusten in Betracht kommt. Insoweit hat die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse mit der Anklageschrift gemäß § 230 Abs. 1 StGB für sechs der Verletzten bejaht. Der Senat weist schließlich darauf hin, dass eine erstmalige Inhaftierung nicht – wie hier geschehen – ohne Weiteres strafmildernd zu berücksichtigen ist. Denn der Vollzug von Untersuchungshaft ist für sich genommen für die Strafzumessung ohne Bedeutung, weil nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB die Haftzeit kraft Gesetzes angerechnet wird (vgl. Rn 7).
404. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO, für den Angeklagten P. zudem auf § 472a Abs. 1 StPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:191224U5STR490.24.0
Fundstelle(n):
EAAAJ-84733