Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 2-24 S 258/21vorgehend AG Frankfurt Az: 381 C 154/21 (37)
Tatbestand
1Die Klägerin beansprucht von der Beklagten die Rückzahlung einer Anzahlung für eine Pauschalreise. Die Beklagte begehrt widerklagend die Zahlung einer Stornierungsgebühr.
2Die Klägerin buchte bei der Beklagten eine kombinierte Flug-Rundreise nach "Unterwegs an der Costa de la Luz 2020", die vom 20. September bis stattfinden und insgesamt 2.448 Euro kosten sollte. Die Klägerin leistete eine Anzahlung in Höhe von 325 Euro.
3Am erklärte die Klägerin wegen der Corona-Pandemie den Rücktritt von der Reise. Am stellte die Beklagte unter Einbehalt der Anzahlung eine restliche Stornierungsgebühr in Höhe von 287 Euro in Rechnung, die die Klägerin bezahlte.
4Am sagte die Beklagte die Reise wegen der Corona-Pandemie ab. Dem Begehren der Klägerin auf Rückerstattung der geleisteten Zahlungen kam sie nicht nach.
5Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 612 Euro nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Gründe
6Die zulässige Revision ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
7I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
8Das Amtsgericht habe der Klägerin zu Recht einen Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Zahlungen zugesprochen. Die Beklagte könne gegenüber der Klägerin keinen Entschädigungsanspruch geltend machen, da die Voraussetzungen des § 651h Abs. 3 BGB erfüllt seien.
9Der Ausbruch der Corona-Pandemie habe im Frühjahr 2020 zu einer nahezu weltweiten Abschottung und zur Annullierung sämtlicher internationaler Flüge geführt und stelle einen unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB dar.
10Die Klägerin schulde gemäß § 651h Abs. 3 BGB keine Entschädigungsleistung. Dies gelte unabhängig davon, ob im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung nach einer ex-ante-Betrachtung bereits hinreichende Anhaltspunkte bestanden hätten, dass die vom Reiseveranstalter geplante Reise infolge der Corona-Pandemie nicht stattfinden kann. Eine ex-ante-Betrachtung sei jedenfalls dann nicht maßgeblich, wenn der Reiseveranstalter die Reise vor deren Beginn selbst aufgrund eines unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstandes abgesagt habe.
11Die Stornierungsgebühr in Höhe von 287 Euro könne die Klägerin nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB von der Beklagten zurückverlangen. Die dafür darlegungs- und beweisbelastete Beklagte habe nicht substantiiert dargelegt, dass die Klägerin in Kenntnis der Nichtschuld geleistet habe. Den Vortrag der Klägerin, sie sei davon ausgegangen, zur Zahlung verpflichtet zu sein, habe die Beklagte nicht widerlegt.
12II. Dies hält der revisionsrechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
131. Die Beklagte hat gemäß § 651h Abs. 1 Satz 2 BGB ihren Anspruch auf den Reisepreis verloren, weil die Klägerin nach § 651h Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam vom Pauschalreisevertrag zurückgetreten ist. Damit ist die Beklagte zur Rückzahlung der Anzahlung verpflichtet.
142. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Entschädigungsanspruch aus § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB, den die Beklagte dem Anspruch der Klägerin entgegenhalten könnte, nicht ausgeschlossen werden.
15a) Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Covid-19-Pandemie im vorgesehenen Reisezeitraum einen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 Satz 2 BGB darstellt.
16Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, ist es in der Regel nicht zu beanstanden, dass ein Tatrichter die Covid-19-Pandemie als Umstand wertet, der grundsätzlich geeignet ist, die Durchführung der Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen (vgl. , NJW-RR 2023, 828 = RRa 2023, 118 Rn. 21; Urteil vom - X ZR 115/22, NJW-RR 2024, 193 Rn. 18; Urteil vom - X ZR 4/23, NJW-RR 2024, 466 Rn. 17; Urteil vom - X ZR 58/23 Rn. 21). Dies steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. , RRa 2023, 183 Rn. 45 - UFC; Urteil vom - C-584/22, RRa 2024, 62 Rn. 48 - Kiwi Tours) und gilt auch für den im Streitfall maßgeblichen Reisezeitraum im September/Oktober 2020.
17b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts darf eine erhebliche Beeinträchtigung im Streitfall jedoch nicht schon deshalb bejaht werden, weil die Reise nach der Rücktrittserklärung abgesagt worden ist.
18Nach der auf Vorlage des Senats ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2015/2302 dahin auszulegen, dass für die Feststellung, ob unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände aufgetreten sind, die im Sinne dieser Bestimmung die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen, nur die Situation zu berücksichtigen ist, die zu dem Zeitpunkt bestand, zu dem der Reisende vom Reisevertrag zurückgetreten ist (, RRa 2024, 62 Rn. 28 ff. - Kiwi Tours).
19Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung hat der Gerichtshof damit nicht nur über die Frage entschieden, ob der Reisende in der genannten Konstellation zum Rücktritt berechtigt ist. Der Gerichtshof hat sich vielmehr mit der Frage befasst, ob der Reisende berechtigt ist, ohne Zahlung einer Gebühr vom Vertrag zurückzutreten, und entschieden, dass nach dem Rücktritt eingetretene Ereignisse weder zum Wegfall noch zur Begründung eines solchen Rechts führen dürfen (, RRa 2024, 62 Rn. 35 - Kiwi Tours).
20III. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).
211. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Klage nicht schon deshalb unbegründet, weil die Kläger die geforderte Stornierungsgebühr vorbehaltlos gezahlt haben.
22a) Die vorbehaltlose Zahlung der Stornierungsgebühr stellt auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen weder ein Anerkenntnis noch einen sonstigen Rechtsgrund dar.
23Der Umstand, dass eine Rechnung vorbehaltlos beglichen wird, enthält über seinen Charakter als Erfüllungshandlung (§ 363 BGB) hinaus grundsätzlich keine Erklärung des Schuldners, zugleich den Bestand der erfüllten Forderungen insgesamt oder in einzelnen Beziehungen außer Streit stellen zu wollen. Eine Wirkung als Anerkenntnis kommt nur dann in Betracht, wenn zusätzliche Umstände vorliegen, die geeignet sind, eine derartige Wertung zu tragen (, NJW 2009, 580 Rn. 12).
24Solche Umstände sind im Streitfall nicht festgestellt.
25b) Aus denselben Gründen kann der vorbehaltlosen Zahlung nicht die Erklärung entnommen werden, auf die Rückzahlung der einbehaltenen Anzahlung zu verzichten.
26c) Mit rechtsfehlerfreien Erwägungen ist das Berufungsgericht ferner zu dem Ergebnis gelangt, dass keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Zahlung der Stornierungsgebühr in Kenntnis der Nichtschuld (§ 814 BGB) erfolgt ist.
272. Das Berufungsgericht hat - von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, inwieweit bereits zum Zeitpunkt des Rücktritts der Kläger konkrete Umstände absehbar waren, die eine erhebliche Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung der jeweiligen Reise nach § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB begründen.
28Die Sache ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen treffen kann.
29Hierbei wird das Berufungsgericht insbesondere auch zu berücksichtigen haben, dass eine im Zeitpunkt des Rücktritts begründete Ungewissheit über die weitere Entwicklung ein starkes Indiz dafür bilden kann, dass die Durchführung der Reise schon aus damaliger Sicht nicht zumutbar war. Hierbei sind gegebenenfalls auch individuelle Gesundheitsrisiken zu berücksichtigen, denen die Reisenden bei Durchführung der Reise ausgesetzt wären (, NJW 2022, 3707 = RRa 2022, 283 Rn. 62 ff.; Urteil vom - X ZR 4/23, NJW-RR 2024, 466 Rn. 31 ff.). Wie der Senat bereits im Hinblick auf den auch hier von der Revision eingewandten verfrühten Rücktritt entschieden hat, ist dem Reisenden auch nicht ohne weiteres zuzumuten, mit einer Entscheidung über den Rücktritt bis kurz vor Reisebeginn zuzuwarten (, MDR 2024, 1570 Rn. 43 ff.).
30Entgegen der Auffassung der Revision wird es nicht zwingend des Vortrags belastbarer Tatsachen bedürfen, aufgrund derer im Rücktrittszeitpunkt am Bestimmungsort der Reise mit einer höheren Ansteckungsgefahr als am Heimatort zu rechnen war. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist § 651h Abs. 3 BGB auch dann anwendbar, wenn dieselben oder vergleichbare Beeinträchtigungen im vorgesehenen Reisezeitraum auch am Heimatort des Reisenden vorliegen ( Rn. 22).
31IV. Für ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV besteht kein Anlass.
32Wie oben bereits aufgezeigt wurde, hat der Gerichtshof die für die Entscheidung des Streitfalls erheblichen Fragen zur Auslegung von Art. 12 der Richtlinie (EU) 2015/2302 bereits beantwortet. Dies gilt auch für die Frage, ob ein Entschädigungsanspruch davon abhängt, dass die Reise tatsächlich durchgeführt wird.
Bacher Hoffmann Deichfuß
Marx von Pückler
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:280125UXZR68.22.0
Fundstelle(n):
KAAAJ-84611