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BFH Beschluss v. - VIII B 123/23

Wiederholungsgefahr für eine Fortsetzungsfeststellungsklage im Zusammenhang mit einem Freistellungsbescheinigungsverfahren

Leitsatz

NV: Entfällt das Rechtsschutzinteresse auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung nach Maßgabe des (BFHE 261, 406, BStBl II 2018, 624) für ein laufendes Verfahren, kann eine drohende Wiederholungsgefahr als Voraussetzung für eine Fortsetzungsfeststellungsklage nicht darauf gestützt werden, dass in einem neuen Verfahren auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung für andere Zeiträume erneut ein Wegfall des Rechtsschutzinteresses wegen eines langjährigen Prüfungsverfahrens drohe. Dies gilt jedenfalls dann, wenn in dem neuen Antragsverfahren eine andere Rechtslage gilt.

Gesetze: EStG 2007 § 50d Abs. 3; EStG 2012 § 50d Abs. 3; EStG 2021 § 50d Abs. 3; FGO § 100 Abs. 1 Satz 4; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3

Instanzenzug:

Tatbestand

I.

1 Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine in Österreich ansässige GmbH, die als Gründungsgesellschafterin seit dem Jahr 2007 zu 33,33 % an der inländischen M-GmbH mit Sitz in A beteiligt ist. Gesellschafter der Klägerin sind zu jeweils 50 % B und C, beide wohnhaft in Z.

2 Mit Antrag vom begehrte die Klägerin die Freistellung von der deutschen Abzugsteuer auf Kapitalerträge nach § 50d Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) im Hinblick auf eine Ausschüttung der M-GmbH. Mit Datum vom gewährte der Beklagte und Beschwerdegegner (Bundeszentralamt für Steuern —BZSt—) eine Freistellungsbescheinigung gemäß § 50d Abs. 2 EStG für Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, die in der Zeit vom bis zum zufließen, bis zu einem Reststeuersatz von 15 %. Eine volle Freistellung sei gemäß § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetzes (—BeitrRLUmsG— vom , BGBl I 2011, 2592; anzuwenden mangels spezieller zeitlicher Anwendungsregel ab dem , vgl. Art. 25 Abs. 1 BeitrRLUmsG und BFH/NV 2022, 708, Rz 24; —im Folgenden: § 50d Abs. 3 EStG a.F.—) nicht zu gewähren, da Personen an der Klägerin beteiligt seien, denen die Steuerentlastung nicht oder nicht in voller Höhe zustünde, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten und weil die Klägerin eine eigene Wirtschaftstätigkeit nicht anhand geeigneter Unterlagen eindeutig nachgewiesen habe. Hiergegen erhob die Klägerin Einspruch.

3 In der Gesellschafterversammlung der M-GmbH vom wurde eine Ausschüttung zum über 5.100.000 € beschlossen. Auf die Klägerin entfiel ein Ausschüttungsbetrag von 1.700.000 €. Die M-GmbH reichte am eine Kapitalertragsteueranmeldung über 0 € ein, da sie der Auffassung war, dass keine Kapitalertragsteuer einzubehalten sei. Da bis zum und die Freistellungsbescheinigung vom BZSt noch nicht erteilt worden war, beschlossen die Gesellschafter der M-GmbH, die Auszahlung der Ausschüttung zu verschieben. Am wurde von der M-GmbH im Vorgriff auf die Auszahlung eine weitere Kapitalertragsteueranmeldung zu der am beschlossenen Ausschüttung eingereicht, in der 1.700.000 € (1/3 der Ausschüttung für die Klägerin) dem Steuerabzug vom Kapitalertrag unterworfen wurden. Am wurden die Ausschüttungsbeträge ausgezahlt. Es wurde für die Ausschüttung an die Klägerin von der M-GmbH 15 % Kapitalertragsteuer (255.000 €) einbehalten. Hinsichtlich der restlichen 2/3 des Ausschüttungsbetrags wurde keine Kapitalertragsteuer einbehalten, da für die anderen inländischen Gesellschafter der M-GmbH Nichtveranlagungs-Bescheinigungen vorlagen. Ein Änderungsantrag zu der Kapitalertragsteueranmeldung vom wurde in der Folge von der M-GmbH nicht eingereicht.

4 Im Einspruchsverfahren zur Änderung der Freistellungsbescheinigung legte die Klägerin beim BZSt Unterlagen zum Nachweis ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit vor. Das BZSt teilte der Klägerin mit, dass es weiterhin von einer schädlichen passiven Vermögensverwaltung ausgehe und kündigte eine ablehnende Einspruchsentscheidung an. Diese erging in der Folge jedoch nicht.

5 Auf Nachfrage der Klägerin vom , wann mit einer Entscheidung über den Einspruch zu rechnen sei, teilte das BZSt der Klägerin am —nach Ergehen der Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) Deister Holding und Juhler Holding vom  - C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009; GS vom  - C-440/17, EU:C:2018:437 sowie des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom (BStBl I 2018, 589)— mit, dass ein Rechtsschutzinteresse an der Erteilung einer vollumfänglichen Freistellungsbescheinigung nicht mehr bestehe, da diese keine Rechtswirkung zugunsten der Klägerin mehr entfalten könne.

6 Das BZSt verwarf den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom mit dieser Begründung als unzulässig.

7 Die Klägerin stellte unter dem unter Verwendung des amtlichen Vordrucks einen Antrag auf Freistellung und Erstattung der Kapitalertragsteuer in Höhe von 255.000 € beim BZSt. Diesen Antrag lehnte das BZSt mit Bescheid vom ab und wies den hiergegen erhobenen Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück. Die Klägerin erhob Klage, die unter dem Aktenzeichen 2 K 1501/20 beim Finanzgericht (FG) geführt wurde.

8 Das FG hat die unter dem Aktenzeichen 2 K 754/19 geführte Klage auf Erteilung einer vollständigen Freistellungsbescheinigung hinsichtlich des gestellten Haupt- und Hilfsantrags mit Urteil vom als unzulässig abgewiesen.

9 Im Verfahren 2 K 1501/20, das die Freistellung und Erstattung der Kapitalertragsteuer betrifft, hat das FG die Klage durch Urteil vom selben Tag als unbegründet abgewiesen. Über die Nichtzulassungsbeschwerde gegen dieses Urteil hat der Senat mit Beschluss vom  - VIII B 124/23 entschieden.

10 Mit der vorliegenden Nichtzulassungsbeschwerde zum macht die Klägerin geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und die Revision sei zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Zudem lägen Verfahrensmängel vor.

11 Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Revision zuzulassen.

12 Das BZSt beantragt,

die Beschwerde als unzulässig, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.

Gründe

II.

13 Die Beschwerde ist unbegründet.

14 1. Soweit die Klägerin im Zusammenhang mit der Abweisung der Klage zum Hauptantrag im finanzgerichtlichen Verfahren Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) geltend macht, sind diese nicht gegeben.

15 a) Die Rüge, das FG hätte zum Zeitpunkt der Auszahlung der Ausschüttung am einen von der Klägerin angebotenen Zeugenbeweis erheben müssen und habe deshalb seine Sachaufklärungspflichten gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verletzt, ist unbegründet.

16 Gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und dabei die erforderlichen Beweise (§ 81 Abs. 1 Satz 2 FGO) zu erheben. Ein Verfahrensmangel liegt vor, wenn das FG einen entscheidungserheblichen Beweisantrag übergeht und das angegriffene Urteil ausgehend vom materiell-rechtlichen Standpunkt des FG auf der unterbliebenen Zeugenvernehmung beruhen kann (BFH-Beschlüsse vom  - X B 64/17, BFH/NV 2018, 538, Rz 10, 11; vom  - VIII B 82/21, BFH/NV 2022, 1295, Rz 3; vom  - VIII B 121/20, BFH/NV 2021, 1329, Rz 17; vom  - VIII B 32/23, BFH/NV 2024, 908, Rz 27).

17 Die Einvernahme von Zeugen zu der behaupteten Verschiebung der Auszahlung der am beschlossenen Ausschüttung auf den war nach dem materiell-rechtlichen Standpunkt des FG für die Entscheidung über den Hauptantrag nicht entscheidungserheblich. Das FG hat für den Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses der Klägerin auf den Ablauf der Festsetzungsfrist für die Festsetzung der Kapitalertragsteuer aus der Ausschüttung vom abgestellt. Den Beginn der Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) hat das FG aufgrund der Abgabe der geänderten Steueranmeldung der M-GmbH am jedenfalls mit Ablauf des und deren Ende gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO mit Ablauf des angenommen. Mit Ablauf der Festsetzungsfrist für die Kapitalertragsteueranmeldung gemäß § 168 i.V.m. § 164 Abs. 4 Satz 1 AO sei der Vorbehalt der Nachprüfung entfallen und habe die Kapitalertragsteueranmeldung der M-GmbH nicht mehr geändert werden können. Eine Haftungsinanspruchnahme der M-GmbH als Steuerentrichtungspflichtige gemäß § 44 Abs. 5 EStG sei nicht in Betracht gekommen, da diese die Kapitalertragsteuer für die Ausschüttung einbehalten, angemeldet und abgeführt habe. Auch insoweit habe die Freistellungsbescheinigung für die Klägerin keine Bedeutung mehr gehabt. Nach diesem materiell-rechtlichen Standpunkt musste das FG den angebotenen Beweis zum tatsächlichen Auszahlungszeitpunkt nicht erheben; es hat auch nicht zum Ausdruck gebracht, dass es von einem anderen Auszahlungstag ausgehe.

18 b) Es liegt auch kein Verfahrensfehler darin, dass das FG das Klageverfahren nicht gemäß § 74 FGO ausgesetzt und kein Vorabentscheidungsverfahren zum EuGH nach Art. 267 Abs. 1 Buchst. a des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) eingeleitet hat. Die von der Klägerin in der Beschwerdebegründung zur Entscheidung des FG über den Hauptantrag angesprochenen unionsrechtlichen Auslegungsfragen betreffen Fragen des Äquivalenz- und Effektivitätsprinzips zu abstrakten Auslegungsvorgaben für Verfahrenshandlungen beim BZSt.

19 Das FG ist als erstinstanzliches Gericht gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV im Fall unionsrechtlicher Auslegungsfragen (Art. 267 Abs. 1 Buchst. a AEUV) zwar berechtigt, nicht aber verpflichtet, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen, weshalb grundsätzlich kein Verfahrensmangel anzunehmen ist, wenn es davon absieht (BFH-Beschlüsse vom  - VII B 162/99, BFH/NV 2000, 77, m.w.N.; vom  - VIII B 70/19, BFH/NV 2020, 212, Rz 21). Eine Vorlage der von der Klägerin angesprochenen Auslegungsfragen an den EuGH war für das FG auch deshalb nicht geboten, weil die Beantwortung dieser Fragen für eine Entscheidung über die aus Sicht des FG unzulässige Klage nicht entscheidungserheblich war.

20 2. Soweit die Klägerin in der Beschwerdebegründung unionsrechtliche Auslegungsfragen anspricht und meint, diese müssten zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO führen, greift dies ebenfalls nicht durch. Diese Fragen betreffen ausschließlich das Erstattungsverfahren wegen der einbehaltenen Kapitalertragsteuer, die Gegenstand der Vorentscheidung im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren VIII B 124/23 sind.

21 3. Soweit die Beschwerdebegründung den Hilfsantrag betrifft, hat die Beschwerde ebenfalls keinen Erfolg.

22 a) Soweit sich die Klägerin insoweit auf eine Divergenz der Vorentscheidung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zu verschiedenen BFH-Urteilen stützt, legt sie nicht den Anforderungen gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügend dar, dass eine solche vorliegen könnte.

23 aa) Die Zulassung der Revision wegen Divergenz gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO setzt voraus, dass das FG bei gleichem oder vergleichbarem festgestellten Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung als ein anderes Gericht, unter anderem der BFH oder ein FG, vertritt. Das FG muss seiner Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den tragenden Rechtsausführungen in der bezeichneten Divergenzentscheidung nicht übereinstimmt. Es müssen zudem die Entscheidungen zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sein, die abweichend beantwortete Rechtsfrage muss im Revisionsverfahren geklärt werden können und eine Entscheidung des BFH zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich sein. Eine Abweichung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO kann dabei nicht nur vorliegen, wenn das FG ausdrücklich einen tragenden abstrakten Rechtssatz abweichend von einem solchen Rechtssatz eines anderen Gerichts formuliert. Es genügt, wenn das FG in fallbezogenen Rechtsausführungen abweicht und sich dies aus den Entscheidungsgründen hinreichend deutlich ergibt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom  - VIII B 39/22, BFH/NV 2023, 979, Rz 4; vom  - VIII B 70/22, BFH/NV 2024, 34, Rz 14; vom  - VIII B 37/23, BFH/NV 2024, 944, Rz 4).

24 bb) Die Klägerin erläutert in ihrer Begründung nicht, welche tragenden abstrakten Rechtssätze zu den Voraussetzungen einer Wiederholungsgefahr als Zulässigkeitsvoraussetzung der Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO) das FG seiner Entscheidung zugrunde gelegt haben soll und inwieweit es damit von dem tragenden Rechtssatz einer konkret zu bezeichnenden Divergenzentscheidung abgewichen sein soll. Ihr Hinweis auf eine Reihe verschiedener BFH-Urteile, die das FG in der Vorentscheidung zitiert hat und die Aussage, das FG hätte „unter Anwendung der von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze . ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr bejahen und dem zulässigen Fortsetzungsfeststellungsantrag stattgeben müssen“, enthält allein den Vorwurf, dass das FG bei der Beurteilung der Zulässigkeitsvoraussetzungen zu einem anderen Ergebnis hätte kommen müssen. Hiermit wird nicht erläutert, dass das FG seiner Entscheidung einen divergierenden und tragenden abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat.

25 b) Zwar kann auch ein zur Zulassung der Revision oder zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache gemäß § 116 Abs. 6 FGO führender Verfahrensmangel gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vorliegen, wenn das FG das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr rechtsfehlerhaft verneint und damit zu Unrecht durch ein Prozessurteil anstatt durch ein Sachurteil über eine Fortsetzungsfeststellungsklage entscheidet. Dass eine fehlerhafte Beurteilung des FG zur (fehlenden) Wiederholungsgefahr vorliegen könnte, wird von der Klägerin aber weder substantiiert erläutert noch ist dies sonst ersichtlich.

26 aa) Eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO kann auch im Fall einer Verpflichtungsklage erhoben werden, und zwar selbst dann, wenn aufgrund eines erledigenden Ereignisses vor Klageerhebung dem Verpflichtungsbegehren nicht mehr entsprochen werden kann (, BFH/NV 2015, 333, Rz 9; zum zulässigen hilfsweisen Fortsetzungsfeststellungsantrag , BFHE 147, 14, BStBl II 1986, 736, unter 2.a [Rz 19 f.]). Erforderlich für die Zulässigkeit ist ein Feststellungsinteresse, das von der Rechtsprechung unter anderem bejaht wird, wenn eine hinreichend konkrete Wiederholungsgefahr vorliegt. Dabei muss ein konkreter Anlass für die Annahme bestehen, die Finanzbehörde werde die für rechtswidrig erachtete Maßnahme in absehbarer Zukunft in einem anderen Verwaltungsverfahren wiederholen (, BFH/NV 2016, 1059, Rz 5; , BFHE 251, 112, BStBl II 2016, 135, Rz 27, m.w.N.; vom  - VIII R 8/19, BFHE 276, 555, Rz 21).

27 bb) Das FG hat nach diesen Maßstäben geprüft, ob eine Wiederholungsgefahr besteht. Es hat hierzu den klägerischen Vortrag in den Blick genommen und diesen ohne Rechtsfehler dahin gewürdigt, dass eine Wiederholungsgefahr nicht bestehe.

28 Die Klägerin meint, dass eine Wiederholung des langjährigen Antragsverfahrens beim BZSt zur Erteilung von Freistellungsbescheinigungen drohe. Die Wiederholungsgefahr sei gegeben, weil dem BZSt wegen seiner Verfahrensführung eine (Mit-)Schuld am Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses vorzuhalten sei. In dem neuen Verfahren ziehe das BZSt abermals (anlasslos) in Zweifel, ob die Klägerin die Voraussetzungen einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne von § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. erfülle.

29 Das FG hat eine Wiederholungsgefahr mit der Erwägung verneint, dass das neue Antragsverfahren einen späteren Ausschüttungszeitpunkt betreffe und es im Zusammenhang mit der Überprüfung von Hinderungsgründen für die Erteilung einer vollständigen Freistellungsbescheinigung sowohl auf § 50d Abs. 3 EStG a.F. als auch auf die jeweils geltende Rechtslage, insbesondere auf § 43b Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetzes (AbzStEntModG) vom (BGBl I 2021, 1259) ankomme. Aus dem Ablauf der Antragsbearbeitung durch das BZSt in den Jahren 2013 bis 2016 könne für die Bearbeitung im neuen Antragsverfahren zur Erteilung einer Freistellungsbescheinigung daher nicht zwingend auf eine abermalige Verschleppung des Verfahrens der Klägerin sowie den erneuten Wegfall des Rechtsschutzinteresses geschlossen werden (vgl. , BFHE 261, 406, BStBl II 2018, 624).

30 Diese Würdigung des FG ist nicht zu beanstanden. Eine Wiederholungsgefahr ist zu verneinen, wenn im Vergleich zu dem erledigten Verpflichtungsbegehren eine wesentliche Veränderung der Sach- und Rechtslage eingetreten ist (vgl. , BFH/NV 1987, 714, unter 2.a und b [Rz 13, 15]; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 100 Rz 89). Hiervon ist das FG bei der Vergleichsprüfung für das unzulässig gewordene Begehren auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung und das von der Klägerin angeführte weitere Antragsverfahren zu Recht ausgegangen. Dass von einer geänderten Rechtslage zur Beurteilung des Anspruchs der Klägerin in beiden Freistellungsbescheinigungsverfahren auszugehen ist, liegt auf der Hand. Nach dem EuGH-Urteil Deister Holding und Juhler Holding vom  - C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, dem EuGH-Beschluss GS vom  - C-440/17, EU:C:2018:437 sowie des (BStBl I 2018, 589) ist in dem neuen Antragsverfahren der Klägerin § 50d Abs. 3 EStG a.F. mit der Maßgabe anzuwenden, dass Satz 2 keine Anwendung findet. Zudem ist nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des FG am auch § 43b Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des AbzStEntModG im Wege einer Günstigerprüfung gemäß § 52 Abs. 47b EStG in allen offenen Fällen und damit auch in dem zum Zeitpunkt der Entscheidung des FG noch schwebenden weiteren Freistellungsbescheinigungsverfahren der Klägerin anzuwenden.

31 cc) Zudem kann die Klägerin dafür sorgen, dass die M-GmbH begleitend zu dem neuen Freistellungsbescheinigungsverfahren den verjährungsbedingten Wegfall des Vorbehalts der Nachprüfung gemäß § 168 i.V.m. § 164 Abs. 4 AO durch Änderungsanträge unterbindet. Auf diese Weise könnte das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin auch für eine nach dem Einbehalt der Kapitalertragsteuer zu erteilende Freistellungsbescheinigung erhalten werden, um einen Erstattungsanspruch gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 AO (vgl. , BFH/NV 2015, 950 und die Ausführungen im Senatsbeschluss vom  - VIII B 124/23) geltend machen zu können. Auch diese verfahrensrechtlichen Handlungsoptionen sprechen aus Sicht des Senats gegen die Annahme einer Wiederholungsgefahr.

32 4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.

33 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2025:B.220125.VIIIB123.23.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-84496