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BGH Urteil v. - X ZR 55/22

Rückzahlung von Anzahlungen für Pauschalreisen und Zahlung von Stornierungskosten bei Reiserücktritt wegen Corona-Pandemie

Leitsatz

Der Ausschluss des Entschädigungsanspruchs nach § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB hängt nicht davon ab, auf welche Gründe der Reisende den Rücktritt gestützt hat. Maßgeblich ist allein, ob im Zeitpunkt des Rücktritts tatsächlich unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände vorliegen, die die Durchführung der Reise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen (Bestätigung von , MDR 2022, 1334 = RRa 2022, 278 Rn. 43).

Gesetze: § 651h Abs 1 BGB, § 651h Abs 2 S 2 BGB, § 651h Abs 3 S 1 BGB, § 651h Abs 3 S 2 BGB, Art 12 Abs 2 EURL 2015/2302

Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 2-24 S 240/21vorgehend AG Frankfurt Az: 385 C 459/20 (70)

Tatbestand

1Die Kläger beanspruchen die Rückzahlung von Anzahlungen für zwei Pauschalreisen. Die Beklagte begehrt widerklagend die Zahlung von Stornierungskosten.

2Am buchten die Kläger bei der Beklagten eine Pauschalreise nach Mallorca, die vom 16. bis stattfinden und 1.753 Euro kosten sollte. Die Kläger leisteten eine Anzahlung in Höhe von 325 Euro.

3Am buchten die Kläger bei der Beklagten eine Flusskreuzfahrt "Wolga-Wunder und Zarenzauber", die vom 5. bis stattfinden und 2.376 Euro kosten sollte. Die Kläger leisteten darauf eine Anzahlung in Höhe von 325 Euro.

4Am erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten telefonisch den Rücktritt von beiden Reisen. In einer E-Mail vom wies die Klägerin die Beklagte bezüglich des Rücktritts auf die weltweit ausgesprochene Reisewarnung und die Corona-Pandemie hin. Die Beklagte bestätigte den Rücktritt und machte unter Abzug der geleisteten Anzahlungen eine Entschädigungspauschale in Höhe von 194,50 Euro für die Mallorca-Reise und in Höhe von 354 Euro für die Wolga-Kreuzfahrt geltend. Dem Begehren der Kläger nach vollständiger Rückzahlung der Anzahlungen kam sie nicht nach.

5Beide Reisen konnten wegen der Corona-Pandemie nicht stattfinden.

6Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 650 Euro nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt und ihre auf Zahlung von 548,50 Euro nebst Zinsen gerichtete Widerklage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren in vollem Umfang weiter. Die Kläger treten dem Rechtsmittel entgegen.

Gründe

7Die zulässige Revision ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

8I.    Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

9Das Amtsgericht habe die Beklagte zu Recht zur Rückzahlung der Anzahlungen verurteilt und den widerklagend geltend gemachten Anspruch auf Zahlung restlicher Stornokosten abgelehnt.

10Beide Kläger seien als Buchende hinsichtlich des Anspruchs auf Rückzahlung der Anzahlungen aktivlegitimiert. Dass nur die Klägerin die Reisen gebucht habe, sei als neuer Beklagtenvortrag in der Berufungsinstanz nicht zuzulassen.

11Die Beklagte könne gegenüber dem Rückzahlungsanspruch der Kläger nicht mit einem Entschädigungsanspruch aufrechnen und den verbleibenden Betrag nicht widerklagend geltend machen, da die Voraussetzungen des § 651h Abs. 3 BGB erfüllt seien.

12Die Corona-Pandemie habe im Frühjahr 2020 zu einer nahezu weltweiten Abschottung und vollständigen Einstellung des internationalen Flugverkehrs geführt und stelle einen unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB dar.

13Die Kläger schuldeten gemäß § 651h Abs. 3 BGB keine Entschädigungsleistung. Dies gelte unabhängig davon, ob im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung bereits hinreichende Anhaltspunkte dafür bestanden hätten, dass die geplante Reise infolge der Corona-Pandemie nicht stattfinden kann. Eine ex-ante-Betrachtung sei jedenfalls dann nicht maßgeblich, wenn der Reiseveranstalter die Reise vor deren Beginn selbst aufgrund eines unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstandes abgesagt habe.

14Es bestünden auch keine Zweifel an der Berechtigung der Kläger, sich auf § 651h Abs. 3 BGB berufen zu dürfen. Dass die Stornierung der Kläger auf der Corona-Pandemie beruht habe, sei für die Beklagte selbst bei Nichtangabe von Gründen durch den Kläger offensichtlich gewesen und durch die Klägerin mit E-Mail vom zudem bestätigt worden. Dass der Kläger andere nicht im Zusammenhang stehende Gründe für den Rücktritt benannt habe, habe die Beklagte nicht behauptet.

15Mangels Entschädigungsanspruchs der Beklagten sei die Widerklage unbegründet.

16II.    Dies hält der revisionsrechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

171.    Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass beide Kläger aktivlegitimiert sind.

18Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das Berufungsgericht das Vorbringen der Beklagten zu dieser Frage zu Recht nach § 531 Abs. 2 ZPO unberücksichtigt gelassen hat.

19Selbst wenn die Klägerin die Buchungen allein und nur im eigenen Namen getätigt haben sollte, stehen auch dem Kläger Ansprüche aus den Verträgen zu.

20Wenn ein Reisender eine Reise für sich und weitere Mitreisende bucht, handelt es sich im Zweifel um einen Vertrag zugunsten Dritter ( Xa ZR 124/09, NJW 2010, 2950 = RRa 2010, 213 Rn. 14).

212.    Die Beklagte hat gemäß § 651h Abs. 1 Satz 2 BGB ihre Ansprüche auf den Reisepreis verloren, weil die Kläger nach § 651h Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam von beiden Pauschalreiseverträgen zurückgetreten sind.

223.    Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Entschädigungsanspruch aus § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB, den die Beklagte den Ansprüchen der Kläger entgegenhalten oder mit der Widerklage geltend machen könnte, nicht ausgeschlossen werden.

23a)    Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Covid-19-Pandemie in den vorgesehenen Reisezeiträumen einen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 Satz 2 BGB darstellt.

24Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, ist es in der Regel nicht zu beanstanden, dass ein Tatrichter die Covid-19-Pandemie als Umstand wertet, der grundsätzlich geeignet ist, die Durchführung der Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen (vgl. , NJW-RR 2023, 828 = RRa 2023, 118 Rn. 21; Urteil vom - X ZR 115/22, NJW-RR 2024, 193 Rn. 18; Urteil vom - X ZR 4/23, NJW-RR 2024, 466 Rn. 17; Urteil vom - X ZR 58/23, Rn. 21).

25Dies steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. , RRa 2023, 183 Rn. 45 - UFC; Urteil vom - C-584/22 RRa 2024, 62 Rn. 48 - Kiwi Tours) und gilt auch für die im Streitfall maßgeblichen Reisezeiträume im Mai und September 2020.

26b)    Entgegen der Auffassung der Revision steht der Beklagten nicht schon deshalb ein Entschädigungsanspruch zu, weil sich die Kläger bei der Abgabe der Rücktrittserklärung nicht ausdrücklich auf außergewöhnliche Umstände berufen haben.

27aa)    Nach § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB hängt der Ausschluss des Entschädigungsanspruchs allein davon ab, dass unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Reise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen.

28Ein zusätzliches Erfordernis, dass der Reisende seine Rücktrittserklärung ausdrücklich oder konkludent auf solche Umstände stützt, sieht die Vorschrift nicht vor.

29bb)    Nach § 651h Abs. 3 Satz 2 BGB hängt die Beurteilung, ob Umstände unvermeidbar und außergewöhnlich sind, unter anderem davon ab, dass sie nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich hierauf beruft.

30Auch diese Vorschrift knüpft nicht daran an, dass sich eine Partei bereits im Zeitpunkt des Rücktritts auf solche Umstände beruft.

31cc)    Aus der Richtlinie (EU) 2015/2302 ergibt sich nichts anderes.

32Wie der Senat bereits entschieden hat, hängt die in Art. 12 Abs. 2 vorgesehene Rechtsfolge - der Wegfall des Anspruchs auf Zahlung einer Rücktrittsgebühr - nicht davon ab, auf welche Gründe der Reisende den Rücktritt gestützt hat. Maßgeblich ist allein, ob tatsächlich Umstände vorliegen, die die Durchführung der Reise erheblich beeinträchtigen (, MDR 2022, 1334 = RRa 2022, 278 Rn. 43).

33c)    Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts darf eine erhebliche Beeinträchtigung nicht schon deshalb bejaht werden, weil die Reise nach der Rücktrittserklärung abgesagt worden ist.

34Nach der auf Vorlage des Senats ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2015/2302 dahin auszulegen, dass für die Feststellung, ob unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände aufgetreten sind, die im Sinne dieser Bestimmung die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen, nur die Situation zu berücksichtigen ist, die zu dem Zeitpunkt bestand, zu dem der Reisende vom Reisevertrag zurückgetreten ist (, RRa 2024, 62 Rn. 28 ff. - Kiwi Tours).

35Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung hat der Gerichtshof damit nicht nur über die Frage entschieden, ob der Reisende in der genannten Konstellation zum Rücktritt berechtigt ist. Der Gerichtshof hat sich vielmehr mit der Frage befasst, ob der Reisende berechtigt ist, ohne Zahlung einer Gebühr vom Vertrag zurückzutreten, und entschieden, dass nach dem Rücktritt eingetretene Ereignisse weder zum Wegfall noch zur Begründung eines solchen Rechts führen dürfen (, RRa 2024, 62 Rn. 35 - Kiwi Tours).

36III.    Die angefochtene Entscheidung erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO).

37Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist die Klage nicht deshalb ohne weiteres begründet, weil die Reise später abgesagt worden ist.

38Nach § 651h Abs. 2 Satz 2 BGB bestimmt sich die Höhe der Entschädigung vorbehaltlich einer abweichenden vertraglichen Regelung nach dem Reisepreis abzüglich des Werts der vom Reiseveranstalter ersparten Aufwendungen sowie abzüglich dessen, was er durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen erwirbt. Eine Absage der Reise führt nicht ohne weiteres dazu, dass die Höhe der ersparten Aufwendungen dem Reisepreis entspricht oder diesen sogar übersteigt.

39IV.    Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

40Das Berufungsgericht hat - von seinem rechtlichen Standpunkt aus folge-richtig - keine Feststellungen dazu getroffen, inwieweit bereits zum Zeitpunkt des Rücktritts der Kläger konkrete Umstände absehbar waren, die eine erhebliche Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung der jeweiligen Reise nach § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB begründen.

41Die Sache ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen treffen kann.

42Hierbei wird das Berufungsgericht insbesondere auch zu berücksichtigen haben, dass eine im Zeitpunkt des Rücktritts begründete Ungewissheit über die weitere Entwicklung ein starkes Indiz dafür bilden kann, dass die Durchführung der Reise schon aus damaliger Sicht nicht zumutbar war. Hierbei sind gegebenenfalls auch individuelle Gesundheitsrisiken zu berücksichtigen, denen die Reisenden bei Durchführung der Reise ausgesetzt wären (, NJW 2022, 3707 = RRa 2022, 283 Rn. 62 ff.; Urteil vom - X ZR 4/23, NJW-RR 2024, 466 Rn. 31 ff.). Wie der Senat bereits entschieden hat, ist dem Reisenden auch nicht ohne weiteres zuzumuten, mit einer Entscheidung über den Rücktritt bis kurz vor Reisebeginn zuzuwarten (, MDR 2024, 1570 Rn. 43 ff.).

43Entgegen der Auffassung der Revision wird es bei diesen Feststellungen nicht zwingend des Vortrags belastbarer Tatsachen bedürfen, aufgrund derer im Rücktrittszeitpunkt am Bestimmungsort der Reise mit einer höheren Ansteckungsgefahr als am Heimatort zu rechnen war. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist § 651h Abs. 3 BGB auch dann anwendbar, wenn dieselben oder vergleichbare Beeinträchtigungen im vorgesehenen Reisezeitraum auch am Heimatort des Reisenden vorliegen (, Rn. 22).

44V.    Für ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV besteht kein Anlass.

45Wie oben bereits aufgezeigt wurde, hat der Gerichtshof die für die Entscheidung des Streitfalls erheblichen Fragen zur Auslegung von Art. 12 der Richtlinie (EU) 2015/2302 bereits beantwortet. Die gilt auch für die Frage, ob ein Entschädigungsanspruch davon abhängt, dass die Reise tatsächlich durchgeführt wird.

Bacher                         Hoffmann                         Deichfuß

                   Marx                            von Pückler

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:280125UXZR55.22.0

Fundstelle(n):
NJW 2025 S. 9 Nr. 9
EAAAJ-84477