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BGH Beschluss v. - 1 StR 356/24

Instanzenzug: Az: 14 KLs 2/23

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in drei Fällen, wegen Betrugs sowie wegen Beihilfe zum Betrug in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt sowie die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 200.907,64 Euro angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten hat mit einer Verfahrensbeanstandung Erfolg.

2Die Angeklagte beanstandet zu Recht eine Verletzung der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 1, 2 StPO.

31. Der Rüge liegt – soweit für die Entscheidung von Bedeutung – folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:

4Am ersten Verhandlungstag, dem , gab der Vorsitzende bekannt, dass der Verteidiger des Mitangeklagten ein Rechtsgespräch angeregt habe. Ein solches habe während einer Unterbrechung der Hauptverhandlung stattgefunden. Im Protokoll der Hauptverhandlung vom wird zum Inhalt des Gesprächs mitgeteilt, dass während der Sitzungsunterbrechung am Vortag ein Rechtsgespräch geführt wurde, in dem die Kammer – für den Fall geständiger Einlassungen – im Rahmen einer Verständigung Gesamtfreiheitsstrafen hinsichtlich der Angeklagten W.      zwischen zweieinhalb und dreieinhalb Jahren sowie hinsichtlich des Angeklagten N.         zwischen fünf und sechs Jahren für möglich erachtete. Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft erklärte danach, dass im Fall geständiger Einlassungen hinsichtlich des Angeklagten N.      eine Gesamtfreiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren und hinsichtlich der Angeklagten W.          eine Gesamtfreiheitsstrafe jedenfalls im nicht mehr bewährungsfähigen Bereich in Betracht komme. Eine Verständigung im Sinne des § 257c StPO sei in der Folge nicht zustande gekommen.

52. Diese Mitteilung des Vorsitzenden genügt nicht den rechtlichen Anforderungen des § 243 Abs. 4 StPO.

6a) Die Mitteilungspflicht ist Teil der im Verständigungsverfahren geltenden Transparenz- und Dokumentationsregeln, die gewährleisten sollen, dass Erörterungen mit dem Ziel einer Verständigung stets in öffentlicher Hauptverhandlung zur Sprache kommen, so dass für informelles und unkontrollierbares Verhalten unter Umgehung strafprozessualer Grundsätze kein Raum verbleibt (vgl. u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 80 ff.; Rn. 15 mwN). Die Mitteilungspflicht verfolgt zum einen den Zweck, den Angeklagten, der an Verständigungsgesprächen nicht teilgenommen hat, durch eine umfassende Unterrichtung über die wesentlichen Gesprächsinhalte seitens des Gerichts in die Lage zu versetzen, eine sachgerechte autonome Entscheidung über sein Verteidigungsverhalten zu treffen. Zum anderen soll insbesondere § 243 Abs. 4 StPO eine effektive Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit gewährleisten (vgl. Rn. 26; Urteil vom – 2 BvR 2628/10 u.a., aaO, Rn. 65, 81, 87 ff.). Hiernach ist nicht nur der Umstand mitzuteilen, dass es solche Erörterungen gegeben hat, sondern auch deren wesentlicher Inhalt. Dabei ist regelmäßig anzugeben, wer an dem Gespräch teilgenommen hat, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen worden ist, welche Standpunkte die einzelnen Gesprächsteilnehmer vertreten haben und ob diese bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen sind (vgl. Rn. 28 mwN). Diese Anforderungen gelten unverändert auch dann, wenn eine Verständigung nicht zustande gekommen ist (vgl. Rn. 26 mwN).

7b) Die Mitteilung des Vorsitzenden erweist sich danach als defizitär.

8Bei der während einer Unterbrechung der Hauptverhandlung geführten Unterredung handelte es sich um ein Gespräch, das die Möglichkeit einer Verständigung in Sinne des § 257c StPO zum Gegenstand hatte, so dass die wesentlichen Inhalte dieses Gesprächs mitzuteilen gewesen wären. Die Mitteilung des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung ging jedoch über die Gesprächsführung mit Vorstellungen zur Straferwartung seitens des Gerichts und der Staatsanwaltschaft sowie als deren Ergebnis letztlich das Ausbleiben einer Verständigung nicht hinaus. Sie verhielt sich insbesondere nicht dazu, wie sich die Verteidiger zu den Strafvorstellungen des Gerichts und der Staatsanwaltschaft verhalten und welche Standpunkte sie eingenommen haben. Tatsächlich ist die Verteidigung der Angeklagten den Erwartungen des Gerichts und der Staatsanwaltschaft entgegengetreten.

9c) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts kann der Senat nicht ausschließen, dass das angefochtene Urteil auf dem Verfahrensverstoß beruht (§ 337 Abs. 1 StPO).

10aa) Da die Transparenz- und Dokumentationspflichten aus § 243 Abs. 4 StPO – wie oben dargestellt – sowohl den Zweck verfolgen, den Angeklagten, der an den Verständigungsgesprächen nicht teilgenommen hat, durch eine umfassende Unterrichtung über die wesentlichen Gesprächsinhalte seitens des Gerichts in die Lage zu versetzen, eine sachgerechte autonome Entscheidung über sein Verteidigungsverhalten zu treffen, als auch eine effektive Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit, die Staatsanwaltschaft und das Rechtsmittelgericht zu ermöglichen, müssen diese beiden Aspekte gleichermaßen in den Blick genommen werden (vgl. u.a., aaO, Rn. 82 ff.; Beschlüsse vom – 2 BvR 878/14 Rn. 23 ff. und 2 BvR 2055/14 Rn. 15 ff. sowie vom – 2 BvR 900/19 Rn. 39). Insbesondere ist zu berücksichtigen, ob die nicht mitgeteilten Informationen zu einer nennenswerten Verkürzung der Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit geführt haben könnten ( Rn. 61).

11bb) Ausgehend von diesen Maßstäben kann der Senat hier ein Beruhen des Urteils auf einer Verletzung der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 1, 2 StPO durch die der Öffentlichkeit verschwiegenen Details des Verständigungsgesprächs nicht ausschließen. Die Öffentlichkeit soll nicht nur eine später zustande kommende Verständigung als solche mitverfolgen, sondern auch die darauf im Vorfeld geführten Unterredungen der Verfahrensbeteiligten außerhalb der Hauptverhandlung nachvollziehen und kontrollieren können. Die Umstände, von wem konkret die Initiative für eine Verständigung ausging und welche Standpunkte die Verteidiger eingenommen haben, sind in diesem Sinne wesentlich und hätten vom Vorsitzenden für die Öffentlichkeit transparent gemacht werden müssen.

Jäger                                Bär                                Leplow

              Allgayer                    Welnhofer-Zeitler

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:111224B1STR356.24.0

Fundstelle(n):
XAAAJ-84462