Instanzenzug: Az: 2 StR 381/24 Beschlussvorgehend LG Aachen Az: 52 Ks 12/23nachgehend Az: 2 StR 381/24 Beschluss
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagten „des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit versuchter Nötigung in zwei tateinheitlich verwirklichten Fällen sowie der versuchten gefährlichen Körperverletzung in zwei tateinheitlich verwirklichten Fällen“ schuldig gesprochen und jeweils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Außerdem hat es die Angeklagten „als Gesamtschuldner verurteilt, an den Adhäsionskläger […] ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem zu zahlen“. Ihre hiergegen gerichteten Revisionen, mit denen sie die Verletzung sachlichen Rechts, der Angeklagte G. darüber hinaus auch des formellen Rechts, rügen, haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet.
I.
2Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen entwickelten die beiden Angeklagten Ende März/Anfang April 2023 den endgültigen Tatplan, dass der Angeklagte G. , der der Angeklagten E. zugetan war, nachts heimlich in die vom Neben- und Adhäsionskläger S. W. mit seinem Bruder Y. W. , dem weiteren Nebenkläger, genutzte Wohnung einsteigen und die dort schlafenden Brüder töten sollte. E. wollte sich dadurch zum einen aus der Beziehung mit Y. W. , die durch eine emotionale Abhängig- und Hörigkeit von E. und von einem rücksichtslosen, dominanten, ausbeutenden und abwertenden Verhalten des Y. W. ihr gegenüber geprägt war, befreien. Zum anderen wollte sie durch die Tat in den Besitz der Mobiltelefone der Brüder gelangen, da sie Y. W. auf dessen Wunsch wiederholt Fotos und Videos mit sexuell kompromittierenden Inhalten von sich übersandt hatte. Sie gestaltete den Tatplan maßgeblich, ihr kam die Rolle einer Letztentscheiderin zu.
3Der Tatplan sah zunächst vor, die Brüder durch sedierende Medikamente in einen bewusstlosen Zustand zu versetzen und die Tat anschließend als Raubmord zu kaschieren. Während die Angeklagten keinerlei Interesse an den Wertgegenständen hatten, kam es ihnen auf die Mobiltelefone und die darauf befindlichen kompromittierenden Bild- und Videodateien an, die sie vernichten wollten.
41. Am präparierten die beiden Angeklagten zwei Pizzen und zwei Getränkebecher mit verschiedenen Medikamenten. Sie wollten so einen schlafenden bzw. bewusstlosen Zustand der Brüder herbeiführen, um diese sodann zu töten. Der Plan schlug fehl, da die Nebenkläger die durch den gutgläubigen Neffen der E. gelieferten Speisen und Getränke lediglich probierten, von deren weiteren Verzehr jedoch absahen (Fall 1 der Urteilsgründe).
52. In den frühen Morgenstunden des stieg G. tatplangemäß durch das zur Straßenseite gelegene Badezimmerfenster in die von den Nebenklägern genutzte Wohnung, nachdem er sich nach längerer Observation davon überzeugt hatte, dass beide schliefen. Die Wohnung war in sämtlichen Räumen mit Gegenständen und Unrat übersät, sodass G. sich vorsichtig bewegen musste. Er begab sich in das zur Straßenseite gelegene unbeleuchtete Wohnzimmer, in welchem S. W. , wie von den Angeklagten in ihrer Tatplanung vorgesehen, auf einer auf dem Boden liegenden Matratze schlief. Y. W. schlief, wie die Angeklagten ebenfalls wussten, in einem anderen Zimmer der Wohnung.
6G. schlug S. W. zweimal wuchtig mit einem Zimmermannshammer auf die rechte Kopfseite, um ihn zu töten. Hierdurch erwachte S. W. . Er versuchte, sich aufzurichten und weitere Schläge zu unterbinden, während G. weiter mit dem Hammer zuschlug. G. traf S. W. zweimal am Rücken. Dieser rief nach seinem schlafenden Bruder. Der erwachte durch die Schreie und begab sich umgehend in das dunkle Wohnzimmer, wobei er die Gründe für die Schreie seines Bruders nicht kannte, sich weiterhin keines Angriffs versah und dadurch in seiner Verteidigungsbereitschaft und Verteidigungsfähigkeit eingeschränkt war. G. versetzte dem vollkommen überraschten Y. W. mindestens zwei wuchtige Schläge mit dem Hammer gegen dessen Kopf, um ihn zu töten. Den Brüdern gelang es gemeinsam, sich gegen den Angriff zur Wehr zu setzen, G. durch Schläge zu überwältigen und mittels Kabelbindern zu fixieren. Anschließend alarmierte S. W. mit Hilfe von Nachbarn die Polizei.
7S. W. erlitt durch die Schläge unter anderem eine offene Impressionsfraktur der Schädelkalotte rechts sowie ein ausgedehntes Galeahämatom. Zudem trug er mehrere Hautverletzungen davon. Er befand sich 13 Tage in stationärer Behandlung. Er hat seit der Tat ein stetes Unsicherheitsgefühl und Schwierigkeiten, anderen Menschen zu vertrauen. Er befindet sich in psychotherapeutischer Behandlung.
8Die Schläge des G. gegen Y. W. verursachten unter anderem eine Impressionsfraktur der rechten Kieferhöhle mit erheblicher Verlagerung derselben, dortigem Bluteintritt sowie die Einklemmung eines Nervs. Die Verletzungen beider Nebenkläger waren abstrakt lebensgefährlich, eine konkrete Lebensgefahr bestand nicht.
II.
9Die Revisionen der Angeklagten sind teilweise begründet.
101. Das Rechtsmittel des Angeklagten G. ist zulässig erhoben. Auf den insoweit hilfsweise gestellten Wiedereinsetzungsantrag kommt es daher nicht an.
112. Die von ihm erhobenen Verfahrensrügen bleiben aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts dargestellten Gründen ohne Erfolg.
123. Die auf die Rüge sachlichen Rechts veranlasste Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch im Fall 1 der Urteilsgründe sowie zur Adhäsionsentscheidung keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Hingegen hat der Schuldspruch im Fall 2 der Urteilsgründe keinen Bestand.
13a) Die bisherigen Feststellungen tragen hinsichtlich der versuchten Tötungsdelikte zwar die Annahme eines versuchten Heimtückemordes zum Nachteil des S. W. in Tateinheit mit versuchtem Totschlag zum Nachteil des Y. W. ; nicht getragen wird indes die Annahme eines (tateinheitlich) versuchten Heimtückemordes zum Nachteil des Y. W. .
14aa) Heimtückisch handelt, wer in feindseliger Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs (st. Rspr.; vgl. etwa , NStZ 2006, 502 mwN; vom – 3 StR 223/11, NStZ 2012, 35; vom – 5 StR 124/20, NStZ 2021, 226; Beschluss vom – 4 StR 416/14, Rn. 6). Das bedeutet, dass sich das Opfer beim Eintritt der Tat in das Versuchsstadium im Zustand der Arglosigkeit befunden haben muss (st. Rspr.; vgl. , BGHSt 32, 382, 384 f.; vom – 3 StR 205/90, NJW 1991, 1963; Beschluss vom – 4 StR 134/19, NStZ 2020, 609). Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit ist es erforderlich, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. , NStZ-RR 2015, 30, 31; Beschlüsse vom – 4 StR 416/14, Rn. 6; vom – 1 StR 81/22, Rn. 7).
15bb) Hieran gemessen ist das erforderliche Ausnutzungsbewusstsein für den Moment, in dem G. als Mittäter von E. zu der Tötung des Y. W. ansetzte, nicht rechtsfehlerfrei festgestellt.
16(1) Nach § 22 StGB liegt der Versuch einer Straftat vor, sobald der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt. Dies ist nicht erst dann der Fall, wenn er bereits eine der Beschreibung des gesetzlichen Tatbestandes entsprechende Handlung vornimmt bzw. ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht. Auch eine frühere, vorgelagerte Handlung kann bereits die Strafbarkeit wegen Versuchs begründen. Das ist der Fall, wenn sie nach der Vorstellung des Täters bei ungestörtem Fortgang ohne Zwischenakte zur Tatbestandsverwirklichung führt oder im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang in sie einmündet. Diese abstrakten Maßstäbe bedürfen angesichts der Vielzahl denkbarer Sachverhaltsgestaltungen jedoch stets der wertenden Konkretisierung unter Beachtung der Umstände des Einzelfalls. Hierher können etwa die Dichte des Tatplans und der Grad der Rechtsgutsgefährdung, die aus Sicht des Täters durch die zu beurteilende Handlung bewirkt wird, für die Abgrenzung zwischen Vorbereitungs- und Versuchsstadium Bedeutung gewinnen (st. Rspr.; vgl. etwa , Rn. 30; Beschluss vom – 1 StR 28/18, Rn. 8 f. mwN).
17(2) Ausgehend von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab hat die Strafkammer einen einheitlichen Versuchsbeginn der Tötungshandlung gegen beide Brüder für den Moment angenommen, in dem G. auf S. W. einschlug, da nach „dem Tatplan zunächst der eine Bruder im Schlaf mittels einer möglichst sofort tödlich wirkenden Attacke ausgeschaltet werden sollte und das Tatgeschehen sodann ohne weitere Zwischenschritte in den gleichfalls tödlich wirkenden Angriff auf den noch schlafenden weiteren Bruder münden sollte“. Diese Wertung begegnet durchgreifenden Bedenken.
18(a) Feststellungen dazu, wie die geplante Tat im Einzelnen ablaufen sollte, hat die Strafkammer nicht getroffen. Die von ihr gleichwohl vorgenommene Wertung, nach der das Tatgeschehen ohne weitere Zwischenschritte in den Angriff auf Y. W. übergehen sollte, wird von den Feststellungen nicht getragen. Denn die Angeklagten wussten, dass die Brüder in unterschiedlichen Zimmern schliefen, mithin die Ausschaltung des nach dem Tatplan im Wohnzimmer schlafenden S. W. notwendige Voraussetzung und damit ein maßgeblicher Zwischenschritt für den anschließenden Angriff auf Y. W. war. Solange G. den im Wohnzimmer schlafenden S. W. nicht ausgeschaltet hatte, bestand nach dem Tatplan noch keine konkrete Gefahr für den in einem anderen Zimmer der Wohnung schlafenden Y. W. . Denn dessen Tötung sollte sich erst anschließen. Diese stellte sich damit nach der Tatplanung als eigenständige Tötungshandlung dar.
19Insofern unterscheidet sich die hiesige Konstellation maßgeblich von den Fällen, in denen der Täter an der Wohnungstür klingelt, um unter Ausnutzung des Überraschungsmoments sein Opfer unmittelbar nach dem Öffnen der Tür anzugreifen (vgl. , NStZ 2012, 85; vgl. auch , BGHR StGB § 22 Ansetzen 5).
20(b) Die Heimtücke des Tötungsversuchs gegen Y. W. wird auch nicht dadurch belegt, dass die Strafkammer darüber hinaus dessen arglosigkeitsbedingte Wehrlosigkeit für den Zeitpunkt festgestellt hat, in dem G. diesen im Wohnzimmer mit dem Zimmermannshammer attackierte. Denn die Urteilsgründe verhalten sich nicht zum Vorstellungsbild des G. von der Arg- und Wehrlosigkeit des Y. W. zu diesem Zeitpunkt. Dies versteht sich auch nicht von selbst. Denn Y. W. war nach seiner von der Strafkammer als glaubhaft dargestellten Bekundung von den Schreien seines Bruders wach geworden. Selbst wenn er sich nach den Feststellungen keines gewichtigen Angriffs auf seine körperliche Integrität (vgl. hierzu , NStZ-RR 2022, 307) versah, erschließt sich nicht, dass dies auch dem Vorstellungsbild des Angeklagten entsprach. Denn S. W. hatte seinem Bruder vor der Attacke durch G. gesagt, dass sich jemand in dem dunklen Wohnzimmer befinde.
21b) Die Verurteilung wegen versuchter Nötigung in zwei tateinheitlichen Fällen aufgrund der geplanten Duldung einer Wegnahme der Mobiltelefone zum Zwecke der Gebrauchsanmaßung hat ebenfalls keinen Bestand.
22aa) § 240 Abs. 1 StGB ist als Erfolgsdelikt ausgestaltet. Die Anwendung des Nötigungsmittels muss in kausalem Sinne zu dem vom Täter geforderten Verhalten des Opfers führen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 3/90, BGHSt 37, 350, 353; vom – 4 StR 506/05, NStZ-RR 2006, 77). Das Verhalten des Opfers darf sich daher nicht in der bloßen Duldung der Nötigungshandlung (z.B. der Anwendung von Gewalt) erschöpfen, sondern muss über den darin liegenden Zwang hinausgehen (vgl. , BVerfGE 92, 1, 17 Rn. 59).
23bb) Hieran gemessen belegen die Urteilsgründe nicht, dass die Angeklagten nach ihrem Tatplan die Nebenkläger noch während ihrer Lebzeiten zur Duldung der Wegnahme ihrer Mobiltelefone zwingen wollten. Denn es bleibt offen, welche Vorstellung die Angeklagten zu dem Zeitpunkt der Wegnahmehandlung und zur Dauer des ausgeübten Zwangs (vgl. hierzu , Rn. 13) hatten.
24c) Die aufgezeigten Rechtsfehler bedingen die Aufhebung der im Übrigen rechtsfehlerfreien tateinheitlichen Verurteilung wegen versuchten Mordes zum Nachteil des S. W. und wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil beider Nebenkläger. Der Wegfall der Einzelstrafe im Fall 2 der Urteilsgründe führt zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs. Die Feststellungen sind von den aufgezeigten Rechtsfehlern nicht betroffen und haben Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO); sie können – wie stets – durch solche, die den bisherigen nicht widersprechen, ergänzt werden.
25Die Aufhebung des Schuldspruchs führt nicht zur Aufhebung der zu Gunsten des Adhäsionsklägers ergangenen Adhäsionsentscheidung. Dies folgt zum einen daraus, dass sich der Schuldspruch, soweit er den Adhäsionskläger betraf, bis auf den Vorwurf der versuchten Nötigung als rechtsfehlerfrei erwiesen hat. Die Aufhebung des strafrechtlichen Teils des Urteils erfasst im Übrigen im Falle der Zurückverweisung nicht den Adhäsionsausspruch (§ 406a Abs. 3 Satz 1 StPO); dessen Aufhebung wäre dem neuen Tatgericht vorbehalten (vgl. , Rn. 56 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 406a Rn. 8 mwN).
264. Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung. Soweit das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht wiederum die Tötungsabsicht strafschärfend berücksichtigen möchte, wird es Gelegenheit haben, genauer als bisher die hierzu aufgestellten Grundsätze der Rechtsprechung in den Blick zu nehmen (vgl. , BGHSt 63, 54, 63 ff. Rn. 26 ff.; Beschluss vom – 5 StR 449/23, Rn. 16).
Menges Meyberg Schmidt
Lutz Herold
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:031224B2STR381.24.1
Fundstelle(n):
FAAAJ-84387