Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 2-24 S 49/22vorgehend AG Frankfurt Az: 381 C 407/20 (37)
Tatbestand
1Der Kläger beansprucht die Rückzahlung einer Anzahlung auf den Reisepreis für eine Pauschalreise.
2Der Kläger buchte bei der Beklagten für sich und seine Ehefrau eine Reise "Das Beste aus Andalusien 2020", die vom 6. bis zum stattfinden und 1.788 Euro kosten sollte. Der Kläger leistete eine Anzahlung in Höhe von 325 Euro.
3Mit Schreiben vom erklärte der Kläger den Rücktritt von der Reise.
4Die Beklagte sagte die Reise später wegen der Corona-Pandemie ab. Dem Begehren nach Erstattung der geleisteten Anzahlung kam sie nicht nach.
5Das Amtsgericht hat die Beklagte durch Versäumnisurteil antragsgemäß zur Zahlung von 325 Euro nebst Zinsen verurteilt und diese Entscheidung nach Einspruch der Beklagten aufrechterhalten. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin die Aufhebung des Versäumnisurteils und die Abweisung der Klage. Der Kläger tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Gründe
6Die zulässige Revision ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
7I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
8Das Amtsgericht habe dem Kläger zu Recht einen Anspruch auf Rückzahlung der Anzahlung zugesprochen. Die Beklagte könne gegenüber dem Kläger nicht mit einem Entschädigungsanspruch aufrechnen, da die Voraussetzungen des § 651h Abs. 3 BGB erfüllt seien.
9Der Ausbruch der Corona-Pandemie habe im Frühjahr 2020 zu einer nahezu weltweiten Abschottung und zur Annullierung sämtlicher internationaler Flüge geführt und stelle einen unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB dar.
10Der Kläger schulde gemäß § 651h Abs. 3 BGB keine Entschädigungsleistung. Dies gelte unabhängig davon, ob im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung nach einer ex-ante-Betrachtung bereits hinreichende Anhaltspunkte bestanden hätten, dass die vom Reiseveranstalter geplante Reise infolge der Corona-Pandemie nicht stattfinden kann. Eine ex-ante-Betrachtung sei jedenfalls dann nicht maßgeblich, wenn der Reiseveranstalter die Reise vor deren Beginn selbst aufgrund eines unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstandes abgesagt habe.
11Die streitige Behauptung der Beklagten, es habe eine Vereinbarung zwischen dem Kläger und ihr über die Zahlung einer Stornierungspauschale in Höhe von zumindest 447,00 Euro gegeben, sei als neuer Tatsachenvortrag zurückzuweisen (§§ 529, 531 ZPO).
12II. Dies hält der revisionsrechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
131. Die Beklagte hat gemäß § 651h Abs. 1 Satz 2 BGB ihren Anspruch auf den Reisepreis verloren, weil der Kläger nach § 651h Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam vom Pauschalreisevertrag zurückgetreten ist. Damit ist die Beklagte zur Rückzahlung der Anzahlung verpflichtet.
142. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Entschädigungsanspruch aus § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB, den die Beklagte dem Anspruch des Klägers entgegenhalten könnte, nicht ausgeschlossen werden.
15a) Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Covid-19-Pandemie im vorgesehenen Reisezeitraum einen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 Satz 2 BGB darstellt.
16Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, ist es in der Regel nicht zu beanstanden, dass ein Tatrichter die Covid-19-Pandemie als Umstand wertet, der grundsätzlich geeignet ist, die Durchführung der Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen (vgl. , NJWRR 2023, 828 = RRa 2023, 118 Rn. 21; Urteil vom - X ZR 115/22, NJWRR 2024, 193 Rn. 18; Urteil vom - X ZR 4/23, NJWRR 2024, 466 Rn. 17; Urteil vom - X ZR 58/23 Rn. 21). Dies steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. , RRa 2023, 183 Rn. 45 - UFC; Urteil vom - C-584/22, RRa 2024, 62 Rn. 48 - Kiwi Tours) und gilt auch für den im Streitfall maßgeblichen Reisezeitraum im September 2020.
17b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts darf eine erhebliche Beeinträchtigung im Streitfall jedoch nicht schon deshalb bejaht werden, weil die Reise nach der Rücktrittserklärung abgesagt worden ist.
18Nach der auf Vorlage des Senats ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2015/2302 dahin auszulegen, dass für die Feststellung, ob unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände aufgetreten sind, die im Sinne dieser Bestimmung die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen, nur die Situation zu berücksichtigen ist, die zu dem Zeitpunkt bestand, zu dem der Reisende vom Reisevertrag zurückgetreten ist (, RRa 2024, 62 Rn. 28 ff. - Kiwi Tours).
19III. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).
201. Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht die Behauptung der Beklagten, die Parteien hätten sich auf eine Stornierungspauschale in Höhe von 447 Euro geeinigt, gemäß § 531 Abs. 2 ZPO unberücksichtigt gelassen.
21Dem von der Revision angeführten erstinstanzlichen Vortrag der Beklagten lässt sich nur entnehmen, der Kläger habe gewusst, dass er eine Entschädigung in der genannten Höhe schulde. Hieraus ergibt sich keine diesbezügliche Vereinbarung zwischen den Parteien. Die in zweiter Instanz erhobene Behauptung, es habe eine solche Vereinbarung gegeben, ist damit keine Konkretisierung des erstinstanzlichen Vorbringens, sondern ein neues Verteidigungsmittel.
222. Das Berufungsgericht hat - von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, inwieweit bereits zum Zeitpunkt des Rücktritts des Klägers konkrete Umstände absehbar waren, die eine erhebliche Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung der Reise nach § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB begründen.
23Die Sache ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen treffen kann.
24Bei diesen Feststellungen wird das Berufungsgericht insbesondere auch zu berücksichtigen haben, dass eine im Zeitpunkt des Rücktritts begründete Ungewissheit über die weitere Entwicklung ein starkes Indiz dafür bilden kann, dass die Durchführung der Reise schon aus damaliger Sicht nicht zumutbar war. Hierbei sind gegebenenfalls auch individuelle Gesundheitsrisiken zu berücksichtigen, denen die Reisenden bei Durchführung der Reise ausgesetzt wären (, NJW 2022, 3707 = RRa 2022, 283 Rn. 62 ff.; Urteil vom - X ZR 4/23, NJW-RR 2024, 466 Rn. 31 ff.). Wie der Senat bereits entschieden hat, ist dem Reisenden auch nicht ohne weiteres zuzumuten, mit einer Entscheidung über den Rücktritt bis kurz vor Reisebeginn zuzuwarten (, MDR 2024, 1570 Rn. 43 ff.).
25Entgegen der Auffassung der Revision wird es nicht zwingend des Vortrags belastbarer Tatsachen bedürfen, aufgrund derer im Rücktrittszeitpunkt am Bestimmungsort der Reise mit einer höheren Ansteckungsgefahr als am Heimatort zu rechnen war. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist § 651h Abs. 3 BGB auch dann anwendbar, wenn dieselben oder vergleichbare Beeinträchtigungen im vorgesehenen Reisezeitraum auch am Heimatort des Reisenden vorliegen ( Rn. 22).
Bacher Hoffmann Deichfuß
Marx von Pückler
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:280125UXZR77.22.0
Fundstelle(n):
HAAAJ-84382