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BGH Urteil v. - IX ZR 120/23

Geltendmachung von Anfechtungsansprüchen aus Nachlassinsolvenzverfahren durch Insolvenzverwalter; Anscheinsbeweis für Vorliegen einer Gläubigerbenachteiligung; Eintragung festgestellter Forderungen in Tabelle

Leitsatz

Der Anfechtungsgegner kann im Anfechtungsprozess nicht einwenden, die Insolvenzmasse reiche deshalb im eröffneten Verfahren aus, um alle Gläubigeransprüche zu befriedigen, weil die Feststellung einer Forderung zur Tabelle zu Unrecht erfolgt sei.

Gesetze: § 129 InsO, § 134 Abs 1 InsO, § 143 Abs 1 S 1 InsO, § 178 Abs 1 InsO, § 178 Abs 3 InsO, § 188 InsO

Instanzenzug: OLG Bamberg Az: 3 U 250/22 Urteilvorgehend LG Aschaffenburg Az: 61 O 89/21

Tatbestand

1Der Beklagte ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über den Nachlass des am verstorbenen K.                (fortan: Erblasser). Der Kläger macht geltend, der Beklagte sei nicht befugt, Anfechtungsansprüche aus dem Nachlassinsolvenzverfahren gegen den Kläger oder seine Gläubiger geltend zu machen.

2Der Erblasser war verheiratet; aus der Ehe gingen ein Sohn und eine Tochter hervor. Alleinerbin des Erblassers ist aufgrund eigenhändigen gemeinschaftlichen Testaments ihrer Eltern die Tochter (nachfolgend: Alleinerbin). In einem gerichtlichen Vergleich vom verpflichtete sich die Alleinerbin, an ihren Bruder einen Betrag von 90.000 € zur Abgeltung von etwaigen erbrechtlichen Ansprüchen am dereinstigen Nachlass der Mutter zu bezahlen.

3Mit notariellem Kaufvertrag vom veräußerte die Alleinerbin die zum Nachlass gehörende Immobilie zum Kaufpreis von 480.000 € an einen Dritten. Vom Kaufpreis wurde ein Teilbetrag in Höhe von 90.000 € unmittelbar an den Bruder der Alleinerbin ausgezahlt. Ein weiterer Teilbetrag in Höhe von 132.320,99 € wurde zur Ablösung einer im Grundbuch der veräußerten Immobilie eingetragenen Grundschuld verwendet. Der verbleibende Restbetrag in Höhe von 257.679,01 € wurde auf ein Anderkonto der Rechtsanwälte O.                      ausgezahlt, die zuvor sowohl für den Erblasser als auch für die Alleinerbin in diversen Rechtsstreitigkeiten tätig waren. Ein eigenes Konto besaß die in Vermögensverfall geratene Alleinerbin zum damaligen Zeitpunkt nicht. Der Veräußerungserlös wurde in der Folgezeit bis zum unter anderem zur Begleichung von Nachlassverbindlichkeiten und von eigenen Verbindlichkeiten von der Alleinerbin vollständig verbraucht. Außerdem veranlasste die Alleinerbin im Zeitraum zwischen dem und dem fünf Zahlungen von dem Anderkonto an verschiedene Gläubiger des Klägers in Höhe von insgesamt 8.700,46 € und weitere sechs Barzahlungen in Höhe von insgesamt 6.000 € an den Kläger selbst.

4Mit einer im Dezember 2019 erhobenen Stufenklage nahm die Mutter der Alleinerbin, vertreten durch ihren gesetzlichen Betreuer, die Alleinerbin auf Zahlung des Pflichtteils nach dem Erbfall des Erblassers in Anspruch. Außerdem verlangte die Mutter der Alleinerbin mit einer im Jahr 2020 erhobenen Stufenklage die Zahlung von Zugewinnausgleich. Daraufhin beantragte die Alleinerbin am die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Nachlass.

5Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Nachlass verlangte der Beklagte von dem Kläger außergerichtlich im Wege der Insolvenzanfechtung nach § 134 InsO die Rückzahlung eines Betrags in Höhe von 14.700,46 €, weil der Kläger die Befreiung von seinen Verbindlichkeiten und die Barzahlungen aus dem Nachlass unentgeltlich erhalten habe. Im Januar 2023 wurden Forderungen zur Tabelle in Höhe von 219.284,08 € festgestellt, darunter Zugewinnausgleichsansprüche der Mutter der Klägerin über 123.853,11 € und 86.922,50 €.

6Der Kläger ist der Auffassung, der Erlös aus dem noch vor Insolvenzeröffnung vorgenommenen Verkauf der Immobilie sei nicht Teil des Nachlasses und damit Teil der Insolvenzmasse, sondern Teil des Eigenvermögens der Alleinerbin geworden, über das sie frei habe verfügen können. Mit seiner Klage begehrt er - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - die Feststellung, dass der Beklagte nicht berechtigt ist, von ihm die Zahlung von 14.700,46 € an sich als Insolvenzverwalter über den Nachlass des K.                   zu verlangen. Ferner nimmt er den Beklagten auf Unterlassung der Inanspruchnahme von Gläubigern des Klägers auf Rückzahlung von im einzelnen bezeichneten Beträgen in Anspruch, die diese zur Begleichung ihrer Forderungen gegen den Kläger von dem Anderkonto der Rechtsanwälte O.                        erhalten haben.

7Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht unter teilweiser Abänderung des erstinstanzlichen Urteils festgestellt, dass der Beklagte nicht berechtigt ist, vom Kläger einen Betrag von 471,56 € und die Barzahlungen über 6.000 € zur Insolvenzmasse des Nachlasses des Erblassers zu fordern. Im Übrigen hat das Berufungsgericht die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Feststellungs- und Unterlassungsantrag weiter, soweit das Berufungsgericht seine Anträge zurückgewiesen hat.

Gründe

8Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

9Das Berufungsgericht hat zur Begründung der Zurückweisung des Feststellungsantrags ausgeführt, der vom Beklagten außergerichtlich geltend gemachte Zahlungsanspruch nach § 143 Abs. 1 Satz 1, § 134 Abs. 1 InsO bestehe in Höhe von 8.228,90 €, weil der Kläger in dieser Höhe unentgeltlich etwas aus der Insolvenzmasse erlangt habe. Der durch die Veräußerung der zum Nachlass gehörenden Immobilie erzielte Erlös sei Teil der Insolvenzmasse gewesen. Zum Schutz der Nachlassgläubiger sei die Vorschrift des § 2041 BGB, wonach bei Veräußerung von Nachlassgegenständen im Fall einer Erbengemeinschaft eine dingliche Surrogation stattfinde, bei der Veräußerung von Nachlassgegenständen durch einen Alleinerben analog anwendbar. Die analoge Anwendung des § 2041 BGB habe zur Folge, dass der Veräußerungserlös unmittelbar in die Insolvenzmasse falle. Verfügungen des Erben über das Surrogat unterlägen deshalb der insolvenzrechtlichen Anfechtung. Andernfalls blieben Verfügungen des Erben über das Surrogat in Kenntnis der Insolvenzreife des Nachlasses sanktionslos; jede Anfechtungsmöglichkeit gegen Dritte wäre abgeschnitten. Den Nachlassgläubigern stünde allein das Vermögen des Erben als Haftungsmasse zur Verfügung. Habe der Erbe (wie hier) das geerbte Vermögen verbraucht und verfüge auch sonst über kein Vermögen, liefen die Ansprüche der Nachlassgläubiger ins Leere.

10Selbst wenn eine dingliche Surrogation abzulehnen wäre, sei unter Berücksichtigung der Interessen der Nachlassgläubiger der Begriff des Nachlasses nicht statisch auf das Vermögen des Erblassers im Zeitpunkt des Erbfalls zu verstehen. Unter den Begriff des Nachlasses falle alles, was der Alleinerbe kraft Erbfolge vom Erblasser erlangt habe und was daraus geworden sei. Jedenfalls fielen all diejenigen Vermögenswerte in den Nachlass (und in der Konsequenz: in die Insolvenzmasse), die der Alleinerbe durch ein Rechtsgeschäft erlangt habe, welches er wirtschaftlich betrachtet und nach seinem Willen zur Verwaltung des Nachlasses abgeschlossen habe. Ein solches Rechtsgeschäft gelte als für den Nachlass abgeschlossen, selbst wenn dies für den Vertragspartner nicht erkennbar sei. Die Alleinerbin habe - entgegen ihrer Behauptung - bei der Veräußerung der Immobilie für den Nachlass gehandelt, wie sich anhand äußerer Umstände feststellen lasse. Auch die weiteren Voraussetzungen einer Anfechtbarkeit der vom Kläger empfangenen Zahlungen lägen vor.

11Der Unterlassungsanspruch sei unbegründet, weil eine Anspruchsgrundlage nicht gegeben sei.

II.

12Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung im Ergebnis stand.

131. Der Feststellungsantrag des Klägers ist unbegründet.

14a) Entgegen der Auffassung des Klägers hat er durch die von der Alleinerbin von dem Anderkonto vorgenommenen Zahlungen auf seine Verbindlichkeiten etwas aus dem Nachlass erhalten. Der auf das Anderkonto eingezahlte Erlös aus der Veräußerung der zum Nachlass gehörenden Immobilie ist Bestandteil des Nachlasses geworden.

15aa) Wie der Senat mit Urteil vom (IX ZR 119/23, Rn. 18 ff, zVb) entschieden und näher begründet hat, ist der Veräußerungserlös allerdings nicht im Wege dinglicher Surrogation nach § 2041 BGB analog an die Stelle des ursprünglich zum Nachlass gehörenden Grundstücks getreten. Eine analoge Anwendung des § 2041 BGB im Fall der rechtsgeschäftlichen Verfügung des Alleinerben über einen Nachlassgegenstand scheidet aus.

16bb) Die Zugehörigkeit des Veräußerungserlöses zum Nachlass ergibt sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht aus einer möglichst weiten Definition des Begriffs des Nachlasses. Zur Nachlassinsolvenzmasse gehören alle Gegenstände, Rechte und Rechtspositionen, die im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Nachlass noch unterscheidbar vom Eigenvermögen des oder der Erben vorhanden sind. Da rechtsgeschäftliche Verfügungen des Erben über Gegenstände der Insolvenzmasse (vorbehaltlich einer wirksamen Anfechtung nach §§ 129 ff InsO) wirksam bleiben (, ZIP 2014, 134 Rn. 11), gehört nicht zur Insolvenzmasse, was der Erbe der Insolvenzmasse zwischenzeitlich durch Verfügung entzogen hat. Die Problematik einer dinglichen Zuordnung eines durch Rechtsgeschäft erlangten Äquivalents zum Nachlass kann durch eine weitgehende Definition des Begriffs des Nachlasses nicht aufgelöst werden.

17cc) Der Senat hat aber mit Urteil vom (IX ZR 119/23, Rn. 29 ff‚ zVb) entschieden und näher begründet, dass ein bei der Veräußerung eines Nachlassgegenstands erlangtes Äquivalent dem Nachlass und damit der Insolvenzmasse jedenfalls dann zuzurechnen ist, wenn der Erbe den Erlös dergestalt strikt von seinem Eigenvermögen trennt, dass dieser damit einem Sondervermögen gleichsteht, und das Rechtsgeschäft nach den objektiven Umständen erkennbar der Verwaltung des Nachlasses dient.

18b) Auch das Vorliegen einer von allen Anfechtungstatbeständen der Insolvenzordnung vorausgesetzten Gläubigerbenachteiligung hat das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht bejaht. Diese liegt dann vor, wenn durch die angefochtene Handlung entweder die Schuldenmasse vermehrt oder die Aktivmasse verkürzt und dadurch der Gläubigerzugriff auf das Schuldnervermögen vereitelt, erschwert, gefährdet oder verzögert wird. Erforderlich ist mithin, dass die Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger ohne die angefochtene Rechtshandlung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise günstiger gewesen wären. Das ist nicht der Fall, wenn die Insolvenzmasse ohne die Anfechtung ausreicht, um alle Ansprüche der Insolvenzgläubiger zu erfüllen (, ZIP 2024, 196 Rn. 33 mwN).

19aa) Im Ausgangspunkt ist die Gläubigerbenachteiligung vom Insolvenzverwalter zu beweisen. Grundsätzlich spricht nach der Lebenserfahrung ein Anscheinsbeweis dafür, dass in dem eröffneten Verfahren die Masse nicht ausreicht, um alle Gläubigeransprüche zu befriedigen (, ZIP 1997, 853, 854; vom - IX ZR 407/98, WM 2001, 1038, 1041; vom - IX ZR 115/99, WM 2002, 561, 563; vom - IX ZR 164/13, BGHZ 200, 210 Rn. 20; Beschluss vom - IX ZR 5/19, ZIP 2020, 563 Rn. 4; Urteil vom - IX ZR 36/22, ZIP 2024, 196 Rn. 34). Dieser Anscheinsbeweis greift auch in einem Nachlassinsolvenzverfahren ein. Sind die Voraussetzungen eines Anscheinsbeweises für eine weiterhin bestehende Gläubigerbenachteiligung erfüllt, kann der Anfechtungsgegner diesen erschüttern oder nach allgemeinen Beweisgrundsätzen entkräften (vgl. , ZIP 2024, 196 Rn. 34 mwN).

20bb) Der Kläger hat weder die Voraussetzungen des Anscheinsbeweises für eine unzureichende Insolvenzmasse in Frage gestellt noch diesen Anscheinsbeweis entkräftet oder erschüttert. Insbesondere hat der Kläger keine Tatsachen dargelegt oder bewiesen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines vollständigen Ausgleichs aller Gläubigeransprüche ergibt. Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, es fehle an einer Gläubigerbenachteiligung, weil die zur Tabelle festgestellten Forderungen der Mutter der Alleinerbin tatsächlich nicht bestünden.

21Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wurden im Januar 2023 Forderungen zur Tabelle in Höhe von über 215.000 € festgestellt, ohne dass diese nach § 178 Abs. 1 InsO bestritten worden wären. Die für diese festgestellten Forderungen vorgenommene Eintragung in die Tabelle wirkt gemäß § 178 Abs. 3 InsO wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern. Es steht somit für das Insolvenzverfahren fest, dass das angemeldete Insolvenzgläubigerrecht besteht (MünchKomm-InsO/Schumacher, 4. Aufl., § 178 Rn. 59). Darauf, dass sich die Rechtskraftwirkung nach § 178 Abs. 3 InsO nur auf den Insolvenzverwalter und alle Insolvenzgläubiger erstreckt und sich grundsätzlich nicht gegenüber anderen Personen entfaltet, kommt es dabei nicht an. Die Feststellung einer Forderung zur Tabelle hat zur Folge, dass diese Forderungen vom Insolvenzverwalter bei der Schlussverteilung zu berücksichtigen und in das Verteilungsverzeichnis nach § 188 InsO aufzunehmen sind (vgl. MünchKomm-InsO/Schumacher, aaO; Jaeger/Preuß, InsO, 2. Aufl., § 178 Rn. 41). Mithin kann der Anfechtungsgegner im Anfechtungsprozess nicht einwenden, die Insolvenzmasse sei ausreichend, weil die Feststellung einer Forderung zur Tabelle zu Unrecht erfolgt sei. Reicht die Insolvenzmasse ohne Rückgewähr der anfechtbar weggegebenen Mittel schon nicht zur Befriedigung der Gläubiger von festgestellten Forderungen aus, steht fest, dass die Insolvenzmasse unzureichend ist (vgl. , BGHZ 200, 210 Rn. 20 f).

222. Der Unterlassungsantrag, dessen Zulässigkeit dahinstehen kann, ist schon deswegen unbegründet, weil es zu den Aufgaben des Beklagten als Insolvenzverwalter gehört, Insolvenzanfechtungsansprüche zu prüfen und durchzusetzen (vgl. , BGHZ 131, 325, 328). Insoweit steht einem Dritten kein Anspruch gegen einen Insolvenzverwalter zu, dass dieser keine Anfechtungsansprüche gegen die Gläubiger des Dritten geltend macht.

Schoppmeyer                       Schultz                       Selbmann

                             Harms                       Kunnes

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:191224UIXZR120.23.0

Fundstelle(n):
NAAAJ-84367