Obliegenheit des Klägers zum Vortrag weiterer Angriffsmittel in Patentnichtigkeitsverfahren - Kabelwickelband
Leitsatz
Kabelwickelband
1. Hat das Patentgericht in dem gemäß § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis dargelegt, dass sich das bisherige Klagevorbringen als unzureichend erweisen könnte, liegt es am Kläger, bereits in erster Instanz gegebenenfalls neue Angriffsmittel vorzutragen. Der Umstand, dass das Patentgericht auch diese Angriffsmittel als nicht ausreichend ansieht, reicht nicht aus, um die Zulassung weiterer Angriffsmittel im Berufungsrechtszug zu rechtfertigen (Bestätigung von , GRUR 2013, 1174 Rn. 33 - Mischerbefestigung).
2. Dies gilt auch hinsichtlich solcher Dokumente, die von bei der Patentrecherche gebräuchlichen Datenbanken nicht umfasst sind.
Gesetze: § 83 Abs 1 PatG, § 117 PatG, § 531 Abs 2 S 1 Nr 3 ZPO
Instanzenzug: Az: 3 Ni 7/21 (EP) Urteil
Tatbestand
1Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 911 633 (Streitpatents), das am unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom angemeldet wurde und ein Kabelwickelband betrifft.
2Patentanspruch 1, auf den dreizehn weitere Ansprüche zurückbezogen sind, lautet in der Erteilungssprache:
Kabelwickelband, insbesondere für den Motorenraum eines Automobils, welches die Abriebklasse E gemäß LV312 erfüllt, mit einem bandförmigen Träger (1), der mindestens auf einer Seite mit einer selbstklebenden Klebeschicht (2) versehen ist, die aus einem Haftklebstoff besteht, gekennzeichnet durch eine Dicke (D) von weniger als 0,50 mm, wobei der Träger (1) aus einer einzigen aus einem Gewebe gebildeten Schicht besteht und das Gewebe des Trägers (1) aus einem Garn besteht, welches aus einem Polyamidwerkstoff gebildet ist, eine Garnstärke von mindestens 280 dtex aufweist und aus 24 bis 80 Filamenten gebildet ist, wobei das Kabelwickelband sowohl an einem Dorn mit 5 mm Durchmesser, als auch an einem Dorn mit 10 mm Durchmesser die Abriebklasse E gemäß LV312 erfüllt.
3Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung und mit einem Hilfsantrag verteidigt. Das Patentgericht hat die Klage abgewiesen.
4Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren weiter. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Gründe
5Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
6I. Das Streitpatent betrifft ein Kabelwickelband, insbesondere für den Motorenraum eines Automobils.
71. Nach der Beschreibung des Streitpatents werden Kabelbäume in Automobilen gewöhnlich mit Klebebändern umwickelt.
8Neben der Bündelung dienten solche Klebebänder etwa dem Schutz vor Abrieb und der Dämpfung von Vibrations- und Klappergeräuschen (Abs. 2).
9Einige Autohersteller prüften die Abriebbeständigkeit, die thermische Belastbarkeit und andere Parameter von Klebebändern nach Maßgabe der gemeinsamen Richtlinie LV312. Deren Klasse E bezeichne Klebebänder mit einem sehr hohen Abriebschutz (Abs. 3-6).
10Ein solches Klebeband werde etwa im deutschen Gebrauchsmuster 298 23 462 (NK6) beschrieben. Dessen Träger bestehe aus einem Verbundmaterial, nämlich aus einem inneren Faservlies und einem äußeren Velours und weise eine Banddicke von mehr als 0,8 mm auf. Das Band könne maschinell nicht verarbeitet werden und es bedürfe beim Einsatz einer Fixierung der Enden, um ein Flagging zu vermeiden (Abs. 7).
11Im Stand der Technik bekannte Klebebänder, die nicht aus einem Verbundmaterial bestünden und weniger als 0,5 mm dick seien, wiesen keine hohe Abriebfestigkeit auf (Abs. 9).
122. Dem Streitpatent liegt vor diesem Hintergrund das technische Problem zugrunde, ein Klebeband bereitzustellen, das eine geringe Dicke und eine hohe Abriebfestigkeit aufweist.
133. Zur Lösung dieser Aufgabe sieht Patentanspruch 1 eine Vorrichtung mit den folgenden Merkmalen vor:
1 Kabelwickelband, insbesondere für den Motorenraum eines Automobils,
2 welches die Abriebklasse E gemäß LV312 sowohl an einem Dorn mit 5 mm Durchmesser als auch an einem Dorn mit 10 mm Durchmesser erfüllt,
3 mit einer Dicke (D) von weniger als 0,5 mm,
4 mit einem bandförmigen Träger (1) aus einer einzigen ein Gewebe bildenden Schicht.
4.1 Das Gewebe des Trägers besteht aus einem Garn, das
4.1.1 aus einem Polyamidwerkstoff gebildet ist,
4.1.2 eine Garnstärke von mindestens 280 dtex aufweist und
4.1.3 aus 24 bis 80 Filamenten gebildet ist.
4.2 Der Träger ist mindestens auf einer Seite mit einer selbstklebenden Schicht (2) versehen, die aus einem Haftklebstoff besteht.
144. Einige Merkmale bedürfen näherer Betrachtung.
15a) Merkmal 1 legt fest, dass die streitpatentgemäße Vorrichtung zur Umwicklung von Kabelbäumen geeignet sein muss, und zwar nicht ausschließlich, aber auch für den Einsatz in Motorräumen von Kraftfahrzeugen.
16Damit ist nicht zwingend vorgegeben, in welcher Weise ein solches Band eingesetzt wird.
17b) Die Abriebfestigkeit wird nach der in Merkmal 2 angeführten Richtlinie LV312 (NK28) gemessen, indem das Klebeband auf einen 10 mm dicken Stahldorn einlagig in Längsrichtung aufgeklebt und dann mit einem Stahldraht mit 0,45 mm Durchmesser bei einer Gewichtsbelastung von 7 N überstrichen wird. Eine Einordnung in Abriebklasse E erfordert, dass das Band mindestens 5000 Doppelhübe übersteht, ohne durchzuscheuern.
18Nach Merkmal 2 muss das Band dieser Anforderung zusätzlich auch bei einer Prüfung auf einem 5 mm dicken Dorn genügen.
19c) Zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass sich die in Merkmal 3 formulierte Vorgabe bezüglich der Dicke (D) auf das Band insgesamt bezieht, also auf den Verbund aus dem in Merkmal 4 vorgesehenen Träger (1) und der in Merkmal 4.2 vorgesehenen selbstklebenden Schicht (2).
20Der Wortlaut des Anspruchs lässt zwar nicht ohne weiteres erkennen, worauf sich die Dickenvorgabe bezieht. Aus der Beschreibung ergibt sich aber, dass es um die Dicke des gesamten Bandes geht.
21In der Beschreibung wird als Dicke (D) die Dicke des Kabelwickelbandes insgesamt bezeichnet (Abs. 19). Dies steht in Einklang mit der Darstellung in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 1, die den Träger (1) und die Klebeschicht (2) zeigt (Abs. 16).
22d) Merkmal 4 definiert Anforderungen an den Träger (1).
23aa) Bandförmig ist ein Material nach dem von der Berufungserwiderung aufgezeigten allgemeinen Sprachverständnis, wenn es im Vergleich zu seiner Länge eine geringe Breite aufweist.
24Dieses Verständnis ist mangels abweichender Hinweise in der Patentschrift für die Auslegung von Merkmal 4 maßgeblich.
25Daraus ergeben sich jedoch keine bezifferbaren Anforderungen an die Länge oder Breite des Bandes. Diese werden im Wesentlichen durch die Vorgabe aus Merkmal 1 bestimmt, wonach das Band zum Umwickeln von Kabeln geeignet sein muss.
26bb) Merkmal 4 sieht ferner vor, dass der Träger lediglich aus einer einzigen Schicht besteht.
27Damit sind Träger aus Verbundmaterialien mit zwei oder mehr Schichten ausgeschlossen.
28e) Merkmalsgruppe 4.1 definiert Anforderungen an das Gewebe, aus dem der Träger besteht.
29aa) Ein Polyamidwerkstoff im Sinne von Merkmal 4.1.1 muss jedenfalls im Wesentlichen aus Polyamid bestehen.
30Bei dem in der Beschreibung geschilderten Ausführungsbeispiel besteht das Gewebe des Trägers aus PA6.6 (Nylon).
31Patentanspruch 1 ist nicht auf dieses Material beschränkt. Er umfasst sämtliche Materialien, die als Polyamidwerkstoffe eingeordnet werden können.
32bb) Die in Merkmal 4.1.2 vorgegebene Garnstärke von mindestens 280 dtex liegt vor, wenn ein 10000 m langes Garnstück ein Gewicht von mindestens 280 g aufweist.
33cc) Ob der Träger insgesamt aus demselben Garnmaterial bestehen muss oder ob unterschiedliche Materialien zum Einsatz kommen dürfen, sofern jedes davon den Vorgaben der Merkmalsgruppe 4.1 genügt, hat das Patentgericht zu Recht als nicht entscheidungserheblich offengelassen.
34f) Entgegen der Auffassung der Berufung führt die Einhaltung der Vorgaben aus den Merkmalen 4 bis 4.2 nicht zwangsläufig zur Verwirklichung von Merkmal 3.
35aa) Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Garnstärke und die Anzahl der Filamente zwingende Rückschlüsse auf eine bestimmte Dicke des Trägermaterials ermöglichen.
36Selbst wenn diese Frage zu bejahen wäre, ergäbe sich aus Merkmal 3 jedenfalls deshalb keine Überbestimmung, weil Patentanspruch 1 lediglich für die Anzahl der Filamente eine Obergrenze vorsieht, nicht aber für die Garnstärke.
37Dass sich allein aus der Beschränkung auf maximal 80 Filamente unabhängig von der Garnstärke eine Dicke von maximal 0,5 mm ergibt, ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
38bb) Das Vorbringen der Berufung zu der Frage, welche Materialstärken bei Kabelwickelbändern fachüblich sind, ist in diesem Zusammenhang unerheblich.
39Selbst wenn die in Merkmal 3 vorgegebene Dicke fachüblich wäre, führte dieses Merkmal nicht zu einer Überbestimmung. Ohne konkrete Angaben zur Dicke würde Patentanspruch 1 auch Ausgestaltungen umfassen, die nicht fachüblich sind.
40cc) Selbst wenn Merkmal 3 als Überbestimmung anzusehen wäre, hätte dies für die Auslegung von Patentanspruch 1 keine Folgen.
41Der Umstand, dass ein einzelnes Merkmal eines Patentanspruchs sich bei einer bestimmten Auslegung zwangsläufig bereits aus anderen Merkmalen ergibt, kann zwar im Einzelfall dazu führen, dass dieses Merkmal enger auszulegen ist. Im Streitfall lassen sich der Patentschrift aber keine Anhaltspunkte für eine engere Auslegung von Merkmal 3 entnehmen.
42II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
43Der Gegenstand des Streitpatents sei in der internationalen Patentanmeldung 00/45657 (NK16) nicht vollständig offenbart. NK16 enthalte keine Angaben zur Form der dort vorgeschlagenen elastischen Einlage für Kleidungsstücke. Selbst wenn unterstellt werde, dass NK16 auch bandförmige Einlagen zu entnehmen seien, fehle es jedenfalls an einer Offenbarung von Merkmal 3. Entgegen der Auffassung der Klägerin könne aus den Gewichtsangaben in NK16 nicht auf die Banddicke geschlossen werden. Darüber hinaus offenbare NK16 Filamentzahlen innerhalb des in Merkmal 4.1.3 vorgegebenen Bereichs nur im Zusammenhang mit Polyestergarnen mit einem Garngewicht von 100 dtex.
44Der Gegenstand des Streitpatents sei ausgehend von NK16 nicht durch die deutsche Offenlegungsschrift 10 2004 028 825 (NK15) nahegelegt. NK15 offenbare zwar ein Klebeband, das auch als Kabelwickelband im Bereich der Automobilherstellung Verwendung finden könne. Auch bestehe dieses Klebeband aus einem mit Haftklebstoff beschichteten Gewebeträger, der aus Polyamidfilamentgarnen gewebt sei. Jedoch befasse sich NK15 mit der Ent- und Verfärbung, nicht mit dem Abrieb. NK15 offenbare auch die Merkmale 3, 4.1.2 und 4.1.3 nicht.
45Die deutsche Offenlegungsschrift 101 49 975 (NK7) offenbare lediglich ein dreischichtiges Kabelwickelband. Außerdem sei dort für das Kettgarn eine Stärke von maximal 240 dtex vorgesehen.
46Eine Kombination von NK7 mit den Ausführungen im Fachbuch von Saville (Physical testing of textiles, Boca Raton, 1999, S. 195-198, NK8) führe nicht weiter. Aus NK7 ergebe sich keine Anregung, den dort offenbarten Verbundwerkstoff durch ein Gewebe zu ersetzen.
47Das US-Patent 4 936 135 (NK9) offenbare zwar Vorteile stärkerer Filamentgarne und engerer Gewebe, besage aber nichts über Polyamidfasern, sondern empfehle Polyesterfasern.
48Die japanische Offenlegungsschrift H04-53890 (NK11) offenbare unterschiedliche, sich überschneidende Werte für Kett- und Schussfäden. Diese führten nicht zu den vom Streitpatent vorgegebenen Werten. Ferner verhalte sich NK11 weder zu Filamenten noch zu deren Zahl.
49Die internationale Patentanmeldung 03/033611 (NK14) empfehle als Material Polyester und offenbare für Polyesterfilamentgarne eine vom Streitpatent abweichende Stärke. Schließlich lasse sich NK11 auch kein Hinweis auf die Problematik des Abriebs entnehmen.
50Auch die deutsche Offenlegungsschrift 44 19 169 (NK13) empfehle Polyester und verhalte sich nicht zu den Merkmalen 4.1.2 und 4.1.3.
51III. Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Berufungsverfahren stand.
521. Entgegen der Auffassung der Berufung ist der Gegenstand von Patentanspruch 1 durch NK16 nicht vorweggenommen.
53a) NK16 offenbart eine elastische Einlage zur Verstärkung des Vorderteils eines Bekleidungsstücks (S. 1).
54aa) Nach den Ausführungen in NK16 waren im Stand der Technik bekannte Einlagen weitgehend starr und wenig elastisch.
55Deshalb sei eine andere Art von Fixiereinlagen entwickelt worden, die durch den Einsatz von falschdrahttexturierten Polyesterfilamentgarnen mit einer Feinheit von 20 bis 400 dtex als Schussfäden gekennzeichnet sei. Diese Einlagen seien elastisch und wiesen eine Reihe weiterer Vorteile auf. Die eingesetzten Garne könnten aber nicht aufgeraut werden. Der Einsatz texturierter Mikrofasergarne habe diesen Nachteil nur in begrenztem Umfang beheben können.
56bb) Zur Verbesserung schlägt NK16 vor, handelsübliche Filamentgarne einzusetzen und diese durch Schmirgeln oder dergleichen aufzurauen.
57Als bevorzugte Materialien werden falschdrahttexturierte Polyester (PES)- und/oder Polyamid (PA)-Garne vorgeschlagen (S. 8 und Anspruch 2). Der textile Träger kann ein Gewebe oder ein Gewirke mit oder ohne Schusseintrag sein und weist ein Gewicht von bevorzugt 15 bis 125 g/m² auf (S. 9). Die Garnfeinheit wird mit 15 bis 440 dtex (Anspruch 3) und bevorzugt mit 30 bis 180 dtex (Anspruch 4) angegeben.
58Auf diesen Träger wird bevorzugt ein thermoplastischer Schmelzkleber aufgetragen, und zwar mit einem Auftragsgewicht von 8 bis 15 g/m² (S. 12).
59Bei den vier Ausführungsbeispielen werden Polyestergarne mit 33 bis 167 dtex und 15 bis 100 Filamenten eingesetzt.
60b) Damit ist jedenfalls die Kombination des Merkmals 3 mit der Merkmalsgruppe 4.1 nicht offenbart.
61aa) Entgegen der Auffassung der Berufung reicht es für eine Offenbarung der Merkmalsgruppe 4.1 nicht aus, dass eine Garnstärke von mindestens 280 dtex und eine Filamentzahl von 24 bis 80 innerhalb von Bereichen liegen, die in NK16 offenbart sind. Erforderlich wäre vielmehr, dass eine Kombination dieser Merkmale für einen Träger mit einem Gewebe aus Polyamidgarn offenbart ist.
62Die in NK16 geschilderten Ausführungsbeispiele erfüllen diese Voraussetzung schon deshalb nicht, weil sie Polyestergarne betreffen.
63Die allgemeinen Ausführungen, wonach auch Polyamidgarne in Betracht kommen, und die Angaben zur möglichen Garnstärke und Filamentzahl eröffnen einen derart weiten Gestaltungsbereich, dass eine Ausführungsform, die die Merkmalsgruppe 4.1 insgesamt verwirklicht, nicht hinreichend identifizierbar ist.
64Das Vorbringen der Berufung, eine Filamentzahl von 40 sei bei Garnen fachüblich, reicht in diesem Zusammenhang nicht aus. Selbst wenn dieses Vorbringen zuträfe, ergäbe sich eine Festlegung auf diesen Wert vor dem Hintergrund des in NK16 vorgeschlagenen Bereichs von 15 bis 100 Filamenten nicht durch bloßes Mitlesen, sondern allenfalls durch ergänzende Heranziehung von Fachwissen. Dies reicht für eine unmittelbare Offenbarung nicht aus.
65bb) Vor diesem Hintergrund hat das Patentgericht zu Recht auch eine Offenbarung von Merkmal 3 verneint.
66Dabei kann dahingestellt bleiben, welche Dicke sich anhand der Angaben in NK16 für die vier Ausführungsbeispiele mit Polyestergarnen ergibt. Die in NK16 enthaltenen Ausführungen zu Polyamidgarnen sind auch unter diesem Aspekt zu allgemein gehalten, um aus ihnen Rückschlüsse auf eine bestimmte Ausgestaltung des Materials und eine sich daraus ergebende Dicke zu ziehen. Dass bestimmte Ausgestaltungen fachüblich sind, reicht auch insoweit für eine unmittelbare Offenbarung nicht aus.
672. Der Gegenstand des Streitpatents liegt ausgehend vom Stand der Technik nicht nahe.
68a) Ausgehend von NK16 lag eine Ausgestaltung gemäß der Merkmalsgruppe 4.1 auch im Lichte des von der Berufung geltend gemachten Fachwissens nicht nahe.
69Dabei kann zugunsten der Berufung unterstellt werden, dass eine Filamentzahl von 40 für Garne fachüblich ist. Ausgehend von NK16 ergab sich jedenfalls keine Anregung, ein Polyamidgarn mit einer Garnstärke von mindestens 280 dtex einzusetzen.
70Wie bereits dargelegt wurde, bezeichnet NK16 eine Garnstärke im Bereich von 30 bis 180 dtex als vorzugswürdig. Vor diesem Hintergrund bestand kein Anlass, auf der Suche nach Verbesserungen oder Alternativen eine höhere Garnstärke zu wählen, auch wenn dies nach den Ausführungen in NK16 nicht zwingend ausgeschlossen war.
71b) Entgegen der Auffassung der Berufung war der Gegenstand von Patentanspruch 1 ausgehend von der im Streitpatent angeführten Entgegenhaltung NK6 nicht durch die Ausführungen in dem Fachbuch von Fung and Hardcastle (Textiles in automotive engineering, Cambridge/England, 2001, NK24) nahegelegt.
72aa) NK6 betrifft eine Schutzummantelung, insbesondere zur Eindämmung von Klappergeräuschen für Kabel und Kabelbäume in Kraftfahrzeugen (S. 1).
73NK6 führt aus, bekannte Vorrichtungen dieser Art seien schwer zu verarbeiten und böten nur begrenzten Schutz (S. 2-5).
74bb) Zur Verbesserung schlägt NK6 vor, die Schutzummantelung in Form eines im wesentlichen zweischichtigen textilen Wickelbandes auszubilden (S. 5).
75Ein Ausführungsbeispiel ist in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 1 dargestellt.
76Das Band besteht aus einer inneren Schicht (2) aus Vlies und einer äußeren Schicht (3) aus Kettenstuhlwirkwaren-Velours, die durch eine Verklebung (4) miteinander verbunden sind. Auf der Außenseite der Vliesschicht (2) befindet sich eine vollflächige Klebstoffschicht (5) (S. 7).
77Als bevorzugtes Material für die Veloursschicht wird Polyamid oder Polyester angegeben (S. 8). Die Feinheit der Filamente für die erste Barre oder Unterkette beträgt zwischen 30 und 80 dtex. Als Beispiel wird ein Garn mit 44 dtex angeführt, das aus 10 Polyamid-Einzelfasern besteht. Als Material für die zweite Barre wird Polyamid bevorzugt, und zwar in Form eines Multifilaments mit 60 bis 90 dtex und 5 bis 20 Einzelfasern (S. 8). Das Flächengewicht des Velours beträgt vorzugsweise zwischen 100 und 250 g/m², die Gesamtdicke 1,05 bis 1,4 mm (S. 9).
78cc) Daraus ergab sich keine Anregung, anstelle des zweischichtigen Bandes ein Gewebe mit den Merkmalen 4 bis 4.1.3 einzusetzen.
79dd) NK24 führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
80(1) Eine Berücksichtigung dieser erst in zweiter Instanz eingeführten Entgegenhaltung ist nach § 117 Satz 1 PatG und § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht zulässig.
81(a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist ein Nichtigkeitskläger allerdings grundsätzlich nicht gehalten, den Angriff gegen die Patentfähigkeit des Streitpatents auf alle denkbaren Gesichtspunkte zu stützen. Vielmehr dient der nach § 83 Abs. 1 PatG zu erteilende Hinweis des Patentgerichts dazu, die sich aus der Klagebegründung ergebende Fokussierung der Argumentation entweder als nach der vorläufigen Sicht des Patentgerichts sachgerecht zu bestätigen oder aber als nicht angemessen oder jedenfalls nicht zulänglich aufzuzeigen (, BGHZ 194, 290 = GRUR 2012, 1236 Rn. 38 - Fahrzeugwechselstromgenerator; Urteil vom - X ZR 21/12, GRUR 2013, 912 Rn. 71 - Walzstraße).
82Hat das Patentgericht in dem gemäß § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis dargelegt, dass sich das bisherige Klagevorbringen als unzureichend erweisen könnte, obliegt es dem Kläger, bereits in erster Instanz gegebenenfalls neue Angriffsmittel vorzutragen. Der Umstand, dass das Patentgericht auch diese Angriffsmittel als nicht ausreichend ansieht, reicht nicht aus, um die Zulassung weiterer Angriffsmittel im Berufungsrechtszug zu rechtfertigen (, GRUR 2013, 1174 Rn. 33 - Mischerbefestigung).
83(b) Im Streitfall hat das Patentgericht bereits in dem gemäß § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis die Auffassung geäußert, der Gegenstand des Streitpatents sei patentfähig. Die Klägerin hat ihren Angriff daraufhin ergänzend auf NK16 gestützt. Dass das Patentgericht auch im Lichte dieser Entgegenhaltung an seiner vorläufigen Einschätzung festgehalten hat, bildet keinen zureichenden Grund für den Rückgriff auf weitere Angriffsmittel in zweiter Instanz.
84Der Umstand, dass es sich bei NK24 um ein Fachbuch handelt, das nach dem Vorbringen der Berufung von den bei der Patentrecherche gebräuchlichen Datenbanken nicht umfasst ist, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Die Klägerin hatte schon nach dem gemäß § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis Anlass, auch nach anderen Quellen für Fachwissen zu suchen, wenn sie das Streitpatent auf dieser Grundlage angreifen wollte.
85(2) Unabhängig davon ergibt sich auch aus NK24 keine Anregung, das in NK6 offenbarte Kabelwickelband mit zwei textilen Schichten durch ein Band mit den Merkmalen 4 bis 4.1.3 zu ersetzen.
86(a) NK24 befasst sich mit dem Einsatz von Textilien im Automobilbau.
87In den einleitenden Ausführungen werden als hauptsächliche Materialien Polyester sowie Polyamid 6 und 66 (Perlon und Nylon) angeführt. Als hauptsächliche Anwendungsbereiche für Polyamid werden Airbags, Teppiche und Reifenkabel angegeben (Tabelle 1.4).
88In einem nachfolgenden Kapitel wird ausgeführt, Airbags würden typischerweise aus Multifilamentgarnen aus Nylon 66 gewoben. In Europa und Japan betrage die Garnfeinheit meist 470 dtex (S. 232).
89In einem nachfolgenden Kapitel werden Schläuche angesprochen. Als geeignete Materialien bei höchsten Anforderungen in Bezug auf Hitzebeständigkeit und Stabilität werden Aramidfasern wie Nomex und Kevlar bezeichnet (S. 248 unter 7.11.1).
90(b) Daraus ergab sich keine Anregung, Fasern aus Polyamid 66 oder Aramid auch für Kabelwickelbänder nach dem Vorbild von NK6 einzusetzen.
91Der Umstand, dass diese Materialen in NK24 als besonders gut geeignet für Airbags und Schläuche bezeichnet werden, gab keinen Hinweis darauf, dass sie auch für Kabelwickelbänder vorteilhaft sein und damit eine einfache Alternative zu dem relativ aufwendig aufgebauten Band aus NK6 darstellen könnten.
92c) Aus NK15 ergeben sich keine weitergehenden Anregungen.
93aa) NK15 betrifft ein technisches Klebeband mit einem bandförmigen textilen Träger und einer ein- oder beidseitig aufgetragenen Klebebeschichtung.
94NK15 strebt an, solche Bänder so zu verbessern, dass sie bei erhöhten Temperaturbelastungen eine verringerte Ver- und Entfärbung aufweisen (Abs. 16). Zu diesem Zweck wird ein textiler Träger aus spinndüsengefärbten Fäden oder Fasern vorgeschlagen (Abs. 17).
95Als geeignete Materialen werden Polyester, etwa PET, Polyamid, etwa PA 66, sowie Mischfasern aus diesen beiden Stoffen angeführt (Abs. 20), und zwar in Form von Filament- oder Stapelfasergarnen (Abs. 21). Bei den beiden Ausführungsbeispielen kommen PET-Gewebe zum Einsatz (Abs. 34, Abs. 38).
96bb) Daraus ergab sich keine Anregung, ein Gewebe mit den Merkmalen der Merkmalsgruppe 4.1 einzusetzen.
97NK15 zeigt bezüglich des einzusetzenden Materials eine Vielzahl von Möglichkeiten auf, ohne sich mit Einzelheiten zu befassen oder einzelne Ausführungsformen als besonders geeignet hervorzuheben. Eine Anregung, das Gewebe mit den in Merkmalsgruppe 4.1 vorgesehenen Eigenschaften zu versehen, ergab sich daraus nicht, zumal NK15 zwar die für das Streitpatent bedeutsame Hersteller-Norm LV312 in Bezug nimmt (Abs. 9), aber nicht das dem Streitpatent zugrundeliegende technische Problem zum Gegenstand hat, sondern auch hinsichtlich der LV312 auf die Vermeidung von Ent- und Verfärbungen bei hohen Temperaturbelastungen abzielt (Abs. 10, Abs. 16).
98cc) Die europäische Patentanmeldung 1 698 523 (NK26) führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
99NK26 hat ebenso wie NK24 schon nach § 117 Satz 1 PatG und § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO unberücksichtigt zu bleiben.
100Unabhängig davon ergibt sich auch aus den Ausführungen in NK26, wonach gewebte Stoffe aus Polyamid oder Polyester besonders abriebfest sind und sich deshalb für Airbags eignen, keine Anregung, ein zum Umwickeln von Kabeln geeignetes Band aus einem Gewebe mit den in Merkmalsgruppe 4.1 definierten Eigenschaften anzufertigen.
101IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97 Abs. 1 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:140125UXZR1.23.0
Fundstelle(n):
TAAAJ-84365