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BGH Beschluss v. - II ZR 131/23

Instanzenzug: Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen Az: 4 U 33/22vorgehend Az: 6 O 924/21nachgehend Az: II ZR 131/23 Beschluss

Gründe

I.

1Der Kläger ist Mitglied bei der Beklagten, einer Genossenschaft, gegen die er Zahlungsansprüche im Zusammenhang mit der Lieferung von Rohmilch vor dem Landgericht Bremen geltend macht.

2§ 60 der Satzung der Beklagten lautet:

"Gerichtsstand für alle Streitigkeiten zwischen dem Mitglied und der Genossenschaft aus dem Mitgliedverhältnis ist das Amts- oder Landgericht, das für den Sitz der Genossenschaft zuständig ist."

3Nach § 1 der Satzung hat die Beklagte ihren Sitz in Z.     . Z.       liegt im Landgerichtsbezirk S.      .

4Das Landgericht Bremen hat seine örtliche Zuständigkeit auf eine entsprechende Rüge der Beklagten hin verneint und die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen.

II.

5Die Revision ist durch Beschluss zurückzuweisen (§ 552a ZPO). Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Revision des Klägers hat zudem keine Aussicht auf Erfolg.

61. Das Berufungsgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, zur Begründung ausgeführt:

7Zu Recht habe das Landgericht seine örtliche Unzuständigkeit angenommen. § 60 i.V.m. § 1 Abs. 2 der Satzung der Beklagten enthalte eine ausschließliche, auch gegenüber dem Kläger wirksame Gerichtsstandsklausel. Zuständig sei das Landgericht Stade.

8Die Wirksamkeit von in Satzungen juristischer Personen enthaltenen Gerichtsstandsklauseln beurteile sich in analoger Anwendung von § 1066 ZPO. Die Norm erlaube den Schluss, dass es, wenn es möglich sei, den Rechtsweg zu ordentlichen Gerichten zugunsten eines Schiedsgerichts ganz auszuschließen, erst recht möglich sein müsse, die Zuständigkeit innerhalb der staatlichen Gerichtsbarkeit zu derogieren.

9Die Wirksamkeit einer satzungsmäßigen Gerichtsstandsklausel sei nicht nach § 38 ZPO zu beurteilen, dessen Voraussetzungen nicht vorlägen. Der Europäische Gerichtshof und nachfolgend der Bundesgerichtshof hätten zwar für den Geltungsbereich von Art. 17 EuGVÜ (nunmehr Art. 25 EuGVVO) entschieden, dass eine in der Satzung einer Aktiengesellschaft enthaltene Gerichtsstandsklausel als Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne des § 38 ZPO anzusehen sei. Die Ausführungen des Bundesgerichtshofs sprächen aber dafür, dass die vom Europäischen Gerichtshof vorgenommene Qualifizierung nur dem Zweck der autonomen Auslegung des Art. 17 EuGVÜ gedient habe.

102. Zulassungsgründe gemäß § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben. Die Frage, zu deren Klärung das Berufungsgericht die Revision zugelassen hat, ob § 38 ZPO auch für satzungsmäßige Gerichtsstandklauseln gilt, ist nicht klärungsfähig.

11a) Ob das Berufungsgericht die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts zu Recht verneint hat, wogegen sich die Revision wendet, ist der Prüfung durch den Senat entzogen. Denn nach § 545 Abs. 2 ZPO kann die Revision nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen oder verneint hat. Dieser Vorschrift entnimmt der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ein schlechthin bestehendes Verbot, eine in den Vorinstanzen angenommene oder verneinte sachliche oder örtliche Zuständigkeit revisionsgerichtlich nachzuprüfen (vgl. , NJW 1988, 3267; Beschluss vom - III ZR 91/03, NJW 2003, 2917; Urteil vom - VI ZR 42/05, NJW-RR 2006, 930; Beschluss vom - VIII ZR 73/06, WuM 2006, 697; Beschluss vom - VIII ZR 341/09, NJW-RR 2011, 72 Rn. 2; Urteil vom25. Februar 2022 ­ V ZR 143/21, Grundeigentum 2022, 531 Rn. 5).

12b) Das Verbot gilt auch dann, wenn das Berufungsgericht die Revision zur Klärung der von ihm vertretenen Auffassung zur Zuständigkeit zugelassen hat (vgl. , NJW 1988, 3267; Urteil vom - VI ZR 42/05, NJW-RR 2006, 930; Beschluss vom - VIII ZR 341/09, NJW-RR 2011, 72 Rn. 2 mwN; Beschluss vom - I ZR 93/15, WRP 2017, 179 Rn. 15; Urteil vom - V ZR 143/21, Grundeigentum 2022, 531 Rn. 6). Die vom Gesetz festgelegte Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts kann durch die Zulassungsentscheidung nicht erweitert werden (vgl. , NJW 2009, 1974 Rn. 4 zur Parallelvorschrift des § 576 Abs. 2 ZPO für die Rechtsbeschwerde; Urteil vom - V ZR 143/21, Grundeigentum 2022, 531 Rn. 6).

13c) Eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist auch nicht im Hinblick auf die umstrittene Frage erforderlich, ob eine Zuständigkeitsprüfung im Rechtsmittelverfahren ausnahmsweise dann stattfindet, wenn die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Zuständigkeit auf Willkür oder auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht und damit der betroffenen Partei ihr gesetzlicher Richter entzogen wird (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG; bislang offengelassen: , WM 2006, 697; Urteil vom - V ZR 122/12, NJW 2013, 3779 Rn. 6; Urteil vom - VI ZR 11/14, ZIP 2015, 879 Rn. 19; Beschluss vom - XII ZB 495/20,FamRZ 2021, 1908 Rn. 15). Eine willkürliche Annahme der Unzuständigkeit des Landgerichts durch das Berufungsgericht liegt nicht vor. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs wird nicht gerügt.

14aa) Objektiv willkürlich ist ein Richterspruch nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dann, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Schuldhaftes Handeln des Richters ist nicht erforderlich. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst dann vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt, der Inhalt einer Norm in krasser Weise missverstanden oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet wird, so dass die Entscheidung auf schweren Rechtsanwendungsfehlern beruht (BVerfG, FamRZ 2010, 25; BVerfG, NJW 2014, 3147 Rn. 13; BVerfG, ZEV 2019, 473 Rn. 25; , ZIP 2015, 879 Rn. 20; Beschluss vom29. September 2021 - XII ZB 495/20, FamRZ 2021, 1908 Rn. 16).

15bb) Gemessen daran hat das Berufungsgericht die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts nicht willkürlich verneint.

16Es ist umstritten, ob § 38 ZPO auch bei in der Satzung verankerten Gerichtsstandsklauseln zur Anwendung gelangt (so Musielak/Voit/Heinrich, 21. Aufl., ZPO § 38 Rn. 12; MünchKommZPO/Patzina, 6. Aufl., ZPO § 38 Rn. 34; Zöller/Schultzky, ZPO, 35. Aufl., § 38 Rn. 12) oder ob die Zulässigkeit solcher Klauseln in entsprechender Anwendung von § 1066 ZPO zu beurteilen ist (so LG München I, MittBayNot 2007, 142, 146; Stein/Bork, 24. Aufl., ZPO § 38 Rn. 62; Waclawik, DB 2005, 1151, 1156; Bork, ZHR 157 (1993), 48, 58; Mülbert, ZZP 118 (2005), 313, 338).

17Es kann dahinstehen, welcher Auffassung der Vorzug zu geben ist. Bereits der Umstand, dass der Standpunkt des Berufungsgerichts von einem beachtlichen Teil des Schrifttums ausführlich begründet vertreten wird, zeigt, dass seine Auffassung, die Wirksamkeit der in § 60 der Satzung der Beklagten enthaltenen Gerichtsstandklausel sei nicht nach § 38 ZPO, sondern in entsprechender Anwendung von § 1066 ZPO zu beurteilen, jedenfalls nicht unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist (zu diesem Aspekt vgl. , NJW-RR 2000, 209; Beschluss vom - I ZB 13/00, juris Rn. 5; Beschluss vom - 2 ARs 176/23,NStZ-RR 2024, 226 Rn. 17).

183. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg. Ob die Entscheidung des Berufungsgerichts, das in Übereinstimmung mit dem Landgericht dessen örtliche Zuständigkeit verneint und die Berufung daher zurückgewiesen hat, rechtsfehlerhaft ist, kann nach den vorstehenden Ausführungen vom Senat nicht nachgeprüft werden.

Born                                  B. Grüneberg                            Sander

                    von Selle                                      Adams

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:221024BIIZR131.23.0

Fundstelle(n):
TAAAJ-84245