Sozialgerichtsverfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - österreichische Ausgleichszulage
Gesetze: § 123 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, EGV 883/2004
Instanzenzug: Az: S 27 R 1100/21 Gerichtsbescheidvorgehend Bayerisches Landessozialgericht Az: L 6 R 276/22 Urteil
Gründe
1I. Der Kläger begehrt in einem Überprüfungsverfahren eine höhere Altersrente.
2Der 1940 geborene Kläger ist österreichischer Staatsbürger mit Wohnsitz im Bundesgebiet. Er bezieht seit Oktober 1992 eine Pension des österreichischen Rentenversicherungsträgers und seit Januar 2006 eine Regelaltersrente von der Beklagten (Bescheid vom ). Er ist der Auffassung, die Beklagte habe ihm eine höhere Altersrente unter Berücksichtigung der im österreichischen Recht vorgesehenen Ausgleichszulage zu gewähren. Den Anspruch auf einen höheren Zahlbetrag der Rente leitet er aus der Anwendung von Art 4 und 5 VO (EG) 883/2004 ab. Zwar könne die österreichische Ausgleichszulage nicht ins Ausland, also nach Deutschland exportiert werden. Er sei jedoch im Wege der Gleichstellung trotz des Wohnsitzes in Deutschland so zu behandeln, wie ein in Österreich lebender EU-Bürger. Der Kläger machte einen auf diese Weise begründeten Anspruch auf eine höhere Rente erstmals 2017 ohne Erfolg gegenüber der Beklagten geltend (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ; -; Bayerisches ). Ein seinerzeit gestellter Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde blieb erfolglos ( BH -; ). Mit der im Wesentlichen gleichen Argumentation hatte der Kläger auch erfolglos Rechtsbehelfe gegen die Mitteilung der Beklagten über die zum erfolgende Rentenanpassung eingelegt (Widerspruchsbescheid vom ; -; Bayerisches ). Ein Antrag auf PKH für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde blieb ebenfalls ohne Erfolg ( BH).
3Am beantragte der Kläger die Überprüfung des Rentenbescheids vom . Dies lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ). Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom ). Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine höhere Regelaltersrente. Die VO (EG) 883/2004 koordiniere lediglich die unterschiedlichen nationalen Systeme der sozialen Sicherheit. Die Republik Österreich habe den Export der Leistung im Anhang X der VO (EG) 883/2004 eindeutig ausgeschlossen. Im Übrigen werde auf das - verwiesen. Das LSG hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom zurückgewiesen und zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des SG Bezug genommen. Zudem hat es dem Kläger gemäß § 192 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG Verfahrenskosten iH von 500 Euro auferlegt.
4Der Kläger hat am die Bewilligung von PKH und Beiordnung eines Rechtsanwalts zur Durchführung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens beim BSG beantragt und am die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse übersandt.
5II. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen. Einem Beteiligten kann für das Verfahren vor dem BSG nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Nach Prüfung des Streitstoffs anhand der beigezogenen Gerichtsakten ist auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers nicht zu erkennen, dass ein nach § 73 Abs 4 SGG zugelassener Prozessbevollmächtigter in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich zu begründen.
7Dass dem Verfahren des Klägers eine grundsätzliche Bedeutung zukommen könnte, ist nicht erkennbar. Grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten revisiblen Rechtsvorschrift mit höherrangigem Recht aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig sein. Das ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist (vgl - juris RdNr 9). Im nationalen deutschen Recht fehlt es an einer Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers. Aus Art 70 Abs 4 VO (EG) 883/2004 iVm Art 70 Abs 2 Buchst c), Anhang X VO (EG) 883/2004 folgt, dass die Zahlung der österreichischen Ausgleichszulage an einen Wohnsitz in Österreich gebunden ist. Nach der Rechtsprechung des EuGH handelt es sich bei Art 70 VO (EG) 883/2004 um eine Kollisionsnorm, die gewährleistet, dass der zuständige Träger für die Zahlung der darin bezeichneten Leistungen bestimmt werden kann. Dabei lasse die Verordnung insgesamt, also auch die vom Kläger herangezogenen Art 4 (Gleichbehandlung) und 5 (Gleichstellung von Leistungen, Einkünften, Sachverhalten oder Ereignissen) der VO (EG) 883/2004, die nationalen Systeme unberührt. Die VO schaffe kein gemeinsames System der sozialen Sicherheit, sondern solle nur die bestehenden Systeme koordinieren, was zu unterschiedlichen Forderungen gegen unterschiedliche Träger führen könne (EuGH in der Rs Brey vom - C-140/12 - SozR 4-6065 Art 4 Nr 4 RdNr 39 und 43). Neue Leistungsansprüche gegen einen Träger, die dessen System nicht vorsieht, werden durch das die nationalen Vorschriften ergänzende Unionsrecht nicht geschaffen (vgl auch BH - juris RdNr 10). Die Voraussetzungen eines Überprüfungsverfahrens gemäß § 44 Abs 1 SGB X sind in der Rechtsprechung des BSG geklärt (siehe zB - BSGE 93, 10 = SozR 4-2600 § 99 Nr 2).
8Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass das LSG bei seiner Entscheidung einen Rechtssatz in Abweichung von einem solchen des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hätte und damit von höchstrichterlicher Rechtsprechung abgewichen wäre (Zulassungsgrund der Divergenz, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG).
9Ebenso wenig ist ein Verfahrensmangel ersichtlich, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte. Nach Halbsatz 2 dieser Bestimmung kann ein geltend gemachter Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Dass ein solcher entscheidungserheblicher Verfahrensmangel aufgezeigt werden und vorliegen könnte, ist nicht erkennbar.
10Insbesondere hat das LSG den Streitgegenstand nicht verfahrensfehlerhaft verkannt (Verstoß gegen § 123 SGG). Der Kläger hat betont, er habe nie eine Bezahlung der im österreichischen Recht vorgesehenen Ausgleichszulage begehrt, sondern die "allein pekuniäre (finanzielle) Umsetzung der Sache" nach den rechtlichen Vorgaben des EU-Rechts. Das LSG hat dem entsprechend einen Anspruch des Klägers auf höhere Altersrente im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens unter dem Aspekt der Gleichstellung nach Art 4 und 5 VO (EG) 883/2004 geprüft, also als Anspruch auf eine ergänzende Leistung des deutschen Trägers in Höhe der Ausgleichszulage beruhend auf europarechtlichen Regeln.
11Die isolierte Überprüfung der vom LSG getroffenen Entscheidung, einem Beteiligten Kosten wegen missbräuchlicher Rechtsverfolgung aufzuerlegen, ist im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ausgeschlossen. Die beanstandete Auferlegung von Verschuldenskosten ist Bestandteil der Kostenentscheidung, die nicht gesondert anfechtbar ist (stRspr; vgl nur - juris RdNr 7 mwN; AS 251/21 B - juris RdNr 12 mwN).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2024:071024BB5R1524BH0
Fundstelle(n):
IAAAJ-84159