Instanzenzug: Az: 2 BGs 299/24
Gründe
I.
1Der Angeschuldigte ist am festgenommen worden und befindet sich seitdem aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des ) ununterbrochen in Untersuchungshaft. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe sich im Irak im Jahr 2014 nach dem der ausländischen terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) angeschlossen und sich an dieser mindestens bis zum als Kämpfer mitgliedschaftlich beteiligt, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB.
2Der Generalbundesanwalt hat unter dem wegen des dem Haftbefehl zugrundeliegenden Vorwurfs - mit einer geringfügig erweiterten Tatzeit - Anklage zum Oberlandesgericht Düsseldorf erhoben.
II.
3Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
41. Der Angeschuldigte ist der ihm zur Last gelegten mitgliedschaftlichen Beteiligung an der ausländischen terroristischen Vereinigung IS dringend verdächtig.
5a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:
6aa) Der IS ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash-Sham“ - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ unter Geltung der Scharia zu errichten und dazu das Regime des syrischen Präsidenten Assad und die schiitisch dominierte Regierung im Irak zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam“ begreift; die Tötung solcher „Feinde“ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht der IS als legitimes Mittel des Kampfes an.
7Die Führung der Vereinigung, die sich mit der Ausrufung des „Kalifats“ am aus „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien“ (ISIG) in „Islamischer Staat“ (IS) umbenannte, wodurch sie von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm, hatte ab 2010 Abu Bakr al-Baghdadi inne. Bei der Ausrufung des Kalifats erklärte der Sprecher des IS ihn zum „Kalifen“, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Seit dem Tod al-Baghdadis im Oktober 2019 benannte die Organisation mehrere Nachfolger.
8Dem Anführer des IS unterstanden ein Stellvertreter sowie „Minister“ als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein „Kriegsminister“ und ein „Propagandaminister“. Zur Führungsebene gehörten außerdem beratende „Schura-Räte“. Veröffentlichungen wurden von eigenen Medienstellen produziert und verbreitet. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem „Prophetensiegel“ (einem weißen Oval mit der Inschrift „Allah - Rasul - Muhammad“) auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die zeitweilig über mehrere Tausend Kämpfer waren dem „Kriegsminister“ unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.
9Die Vereinigung teilte von ihr besetzte Gebiete in Gouvernements ein und richtete einen Geheimdienstapparat ein; diese Maßnahmen zielten auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der irakischen und syrischen Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum IS stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsbereich des IS in Frage stellten, sahen sich der Verhaftung, Folter und der Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus beging er immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb seines Machtbereichs Terroranschläge. So übernahm er für Anschläge in Europa, etwa in Paris, Brüssel und Berlin, die Verantwortung.
10Im Irak gelang es dem IS im Jahr 2014 nach anhaltenden Kampfhandlungen zwischen ihm und irakischen Streitkräften, etwa ein Drittel des Staatsterritoriums zu besetzen. Am erlangte er die Kontrolle über die Millionenstadt Mossul, die bis zu der Offensive der von den USA unterstützten irakischen Armee Ende 2016 der zentrale Ort seiner Herrschaft im Irak war. Seit Januar 2015 wurde die Vereinigung schrittweise erfolgreich zurückgeschlagen. So begann am die Rückeroberung von Mossul, die Anfang Juni 2017 abgeschlossen war. Im August 2017 wurde der IS aus seiner letzten nordirakischen Hochburg in Tal Afar verdrängt. Im März 2019 galt er - nach der Einnahme des von seinen Kämpfern gehaltenen ostsyrischen Baghouz - sowohl im Irak als auch in Syrien als militärisch besiegt, ohne dass aber die Vereinigung als solche zerschlagen wäre.
11bb) Der aus M. stammende Angeklagte schloss sich dort spätestens im Juni 2014 dem IS an, leistete einen Treueeid auf dessen Anführer und war im Folgenden zumindest bis in den Mai 2017 als Angehöriger mehrerer Kampfeinheiten in ihn eingegliedert. Er hielt sich für Kampfeinsätze bereit und bezog regelmäßig Sold vom IS. Ihm waren ein Sturmgewehr Kalaschnikow und eine Pistole Glock zugeordnet.
12b) Der dringende Tatverdacht beruht hinsichtlich des IS insbesondere auf islamwissenschaftlichen Gutachten des Sachverständigen S. und detaillierten Auswerteberichten des Bundeskriminalamts sowie den dort in Bezug genommenen und dargestellten weiteren Quellen.
13Der Angeschuldigte hat eine Mitgliedschaft im IS bestritten. Für seine Eingliederung in den IS und seine Tätigkeit für diesen sprechen jedoch insbesondere Eintragungen auf augenscheinlichen Personal- und Gehaltslisten. Nach gegenwärtigem Sachstand, der etwa durch ein Gutachten des Sachverständigen S. gestützt wird, sind die Listen dem IS zuzurechnen und handelt es sich bei der dort gelisteten Person B. um den Angeschuldigten. Hierauf deuten etwa ein zugehöriges Lichtbild und individuelle Daten hin. Überdies soll der Angeschuldigte gegenüber einer V-Person des Bundeskriminalamts erklärt haben, von 2014 bis 2015 rund elf Monate Mitglied beim IS gewesen zu sein. Soweit auf einem Mobiltelefon des Angeklagten gesicherte Lichtbilder diesen in Militärkleidung irakischer Spezialeinheiten zeigen, steht dies nach vorläufiger Würdigung seiner Zugehörigkeit zum IS nicht entgegen, da zum einen laut einer Zeugenaussage anfangs auch IS-Kämpfer „als Strategie“ solche Uniformen getragen hätten. Zum anderen kann es sich etwa um eine Abbildung in erbeuteter Kleidung handeln.
14Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Haftbefehl und die Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen in der Anklageschrift verwiesen.
15c) In rechtlicher Hinsicht folgt daraus, dass sich der im Inland befindende Angeschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit zumindest wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland strafbar gemacht hat (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB). Eine einvernehmliche Eingliederung in die Organisation (die Mitgliedschaft) und eine aktive Tätigkeit zur Förderung ihrer Ziele (die Beteiligungshandlungen), die sowohl unter Zugrundelegung des bis zum nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs maßgeblichen Vereinigungsbegriffs als auch auf der Grundlage der Legaldefinition des seit dem Folgetag gültigen § 129 Abs. 2 i.V.m. § 129a Abs. 1 StGB Voraussetzung für eine mitgliedschaftliche Beteiligung an einer Vereinigung sind (s. im Einzelnen etwa , juris Rn. 27 ff. mwN), werden durch die bislang ermittelten Tatsachen belegt. Eine Verfolgungsermächtigung im Sinne des § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB liegt vor. Deutsches Strafrecht ist nach gegenwärtigem Sachstand gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB anwendbar, weil die Tat nach Art. 2 des irakischen Antiterrorgesetzes Nr. 13/2005 strafbar ist (vgl. , juris Rn. 51), der Angeschuldigte in Deutschland festgenommen worden ist und mit Irak aktuell kein Auslieferungsverkehr stattfindet.
16Ob sich der Angeschuldigte tateinheitlich wegen weiterer - etwa waffenrechtlicher - Delikte strafbar gemacht hat (vgl. etwa , juris Rn. 48, 51; zur konkurrenzrechtlichen Einordnung , juris Rn. 11), bedarf derzeit für die Beurteilung der Haftfortdauer keiner Entscheidung.
172. Es bestehen aus den im Haftbefehl dargelegten Erwägungen die Haftgründe der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO sowie - auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (s. , juris Rn. 30 f.) - der Schwerkriminalität. Der Beschuldigte hält sich erst seit rund zwei Jahren in Deutschland auf und hat hier keine sozialen Bindungen, die einer Flucht entgegenstünden. Nahe Verwandte leben im Ausland, etwa seine Eltern in Irak und ein Bruder in der Türkei. Die drohende mehrjährige Freiheitsstrafe stellt einen deutlichen Fluchtanreiz dar.
18Eine - bei verfassungskonformer Auslegung im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO ebenfalls mögliche - Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO) ist nicht erfolgversprechend. Unter den genannten Umständen kann der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als ihren Vollzug erreicht werden.
193. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Haftfortdauer. Im Zuge der Festnahme des Angeschuldigten sind Mobiltelefone mit umfangreichen arabischsprachigen Chats sichergestellt worden, die ebenso der Übersetzung und Auswertung bedurft haben wie eine Vielzahl von durch die Vereinten Nationen - Investigative Team to Promote Accountability for Crimes Committed by Da'esh/ISIL (UNITAD) - Ende Juni 2024 übersandten Dokumenten. Zudem ist infolge fortschreitender Erkenntnisse im November 2024 eine zusätzliche Zeugenvernehmung erforderlich geworden. Der Generalbundesanwalt hat zeitnah nach Eingang weiterer Ermittlungsergebnisse Anklage erhoben.
20Die Akten sind dem Senat zur besonderen Haftprüfung am vorgelegt worden, so dass die Frist des § 121 Abs. 2 Satz 1 StPO noch nicht abgelaufen ist, weil sie seitdem bis zur hiesigen Entscheidung geruht hat (§ 121 Abs. 3 Satz 1 StPO). Vor dieser ist dem Angeschuldigten zunächst rechtliches Gehör zu der Zuschrift des Generalbundesanwalts gewährt worden.
214. Schließlich steht die Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Angeschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nicht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Schäfer Berg Anstötz
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:160125BAK102.24.0
Fundstelle(n):
BAAAJ-84063