Nichtannahmebeschluss: Normunmittelbare Verfassungsbeschwerde bzgl Einschränkungen des Abschlusses von Restschuldversicherungen zu Verbraucherdarlehen ("Abkühlungsphase" gem Art 32 Nr 2 ZuFinG, § 7a Abs 5 VVG nF) erfolglos - Unzulässigkeit wegen Subsidiarität
Gesetze: § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, Art 3 Nr 16 EURL 2023/2225, Art 14 Abs 1 EURL 2023/2225, Art 14 Abs 5 EURL 2023/2225, Art 48 Abs 1 UAbs 1 EURL 2023/2225, Art 48 Abs 1 UAbs 2 EURL 2023/2225, § 294 Abs 2 VAG 2016, § 7a Abs 5 S 1 VVG vom , § 7a Abs 5 S 2 VVG vom , § 7a Abs 5 S 3 VVG vom , § 7a Abs 5 S 4 VVG vom , Art 32 Nr 2 ZuFinG
Gründe
I.
1 Die 22 beschwerdeführenden Unternehmen wenden sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen Art. 32 Nr. 2 des Zukunftsfinanzierungsgesetzes, der § 7a Abs. 5 des Versicherungsvertragsgesetzes dahin ändert, dass der Abschluss von Restschuldversicherungsverträgen zu Allgemein-Verbraucherdarlehen erst eine Woche nach Abschluss des Verbraucherdarlehensvertrags zulässig ist. Die Vorschrift verstoße gegen vollharmonisierendes Unionsrecht und greife unverhältnismäßig in die unternehmerische Freiheit (Art. 16 GRCh), die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) der Beschwerdeführerinnen ein.
2 1. Im sekundären Unionsrecht werden Verbraucherkreditverträge reguliert. Die Richtlinie (EU) 2023/2225 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 2008/48/EG ist nach Art. 48 Abs. 1 Unterabsatz 1 und 2 bis zum in nationales Recht umzusetzen, wobei die nationalen Rechtsvorschriften ab dem anzuwenden sind.
3 Die Richtlinie (EU) 2023/2225 lautet auszugsweise:
Artikel 3 Begriffsbestimmungen
Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck […]
15. "Kopplungsgeschäft" das Angebot oder den Abschluss eines Kreditvertrags in einem Paket gemeinsam mit anderen gesonderten Finanzprodukten oder -dienstleistungen, bei dem der Kreditvertrag nicht separat von dem Verbraucher abgeschlossen werden kann;
16. "Bündelungsgeschäft" das Angebot oder den Abschluss eines Kreditvertrags in einem Paket gemeinsam mit anderen gesonderten Finanzprodukten oder -dienstleistungen, bei dem der Kreditvertrag separat von dem Verbraucher abgeschlossen werden kann, jedoch nicht zwangsläufig zu den gleichen Bedingungen, zu denen er mit den anderen Produkten oder Dienstleistungen gebündelt angeboten wird; […]
Artikel 14 Kopplungs- und Bündelungsgeschäfte
(1) Die Mitgliedstaaten erlauben Bündelungsgeschäfte, untersagen jedoch Kopplungsgeschäfte. […]
(3) Die Mitgliedstaaten können es den Kreditgebern erlauben, vom Verbraucher unter Berücksichtigung von Verhältnismäßigkeitserwägungen eine einschlägige Versicherungspolice im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag zu verlangen. In diesen Fällen stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der Kreditgeber verpflichtet ist, ohne Änderung der Bedingungen des dem Verbraucher angebotenen Kredits die Versicherungspolice eines anderen als seines bevorzugten Anbieters zu akzeptieren, wenn diese eine gleichwertige Garantieleistung wie die vom Kreditgeber angebotene Versicherungspolice bietet. […]
(5) Damit Verbraucher mehr Zeit haben, um vor dem Abschluss einer Versicherungspolice nach Absatz 3 Versicherungsangebote im Zusammenhang mit Kreditverträgen zu vergleichen, schreiben die Mitgliedstaaten vor, dass den Verbrauchern für den Vergleich von Versicherungsangeboten im Zusammenhang mit Kreditverträgen mindestens drei Tage eingeräumt werden, ohne dass diese Angebote geändert werden, und dass die Verbraucher darüber informiert werden. Verbraucher können vor Ablauf dieser Frist von drei Tagen eine Versicherungspolice abschließen, wenn sie dies ausdrücklich wünschen. […]
Artikel 42 Grad der Harmonisierung
(1) Soweit diese Richtlinie harmonisierte Bestimmungen enthält, dürfen die Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Recht keine Bestimmungen aufrechterhalten oder einführen, die von den Bestimmungen dieser Richtlinie abweichen, es sei denn, in dieser Richtlinie ist etwas anderes bestimmt.
(2) Bis zu einer weiteren Harmonisierung gilt Folgendes: Macht ein Mitgliedstaat von der Möglichkeit nach […] Artikel 14 Absätze 2 und 3 […] Gebrauch, alternative Regelungen zu erlassen, so teilt dieser Mitgliedstaat der Kommission dies und alle nachfolgenden Änderungen unverzüglich mit. […]
4 In der Datenbank der Europäischen Union sind zur Richtlinie (EU) 2023/2225 bislang keine nationalen Umsetzungsakte verzeichnet.
5 2. Zum tritt Art. 32 des Gesetzes zur Finanzierung von zukunftssichernden Investitionen (Zukunftsfinanzierungsgesetz - ZuFinG) vom (BGBl I Nr. 354) in Kraft (Art. 35 Abs. 3 ZuFinG). Art. 32 Nr. 2 ZuFinG gibt § 7a Abs. 5 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz - VVG) vom (BGBl I S. 2631) folgenden Wortlaut:
(5) 1Der Versicherer darf einen Restschuldversicherungsvertrag, der sich auf einen Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag bezieht, nur dann schließen, wenn der Versicherungsnehmer die Vertragserklärung frühestens eine Woche nach Abschluss des Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrags abgegeben hat. 2Verstößt der Versicherer gegen diese Verpflichtung, so ist der Restschuldversicherungsvertrag nichtig. 3Der Versicherungsnehmer eines Gruppenversicherungsvertrags für Restschuldversicherungen hat gegenüber der versicherten Person die Pflichten eines Versicherers. 4Die versicherte Person hat die Rechte eines Versicherungsnehmers, insbesondere das Widerrufsrecht.
6 3. Die Beschwerdeführerinnen sind inländische und europäische Unternehmen, die als Versicherer (1-14, 17-22) oder Versicherungsnehmer (15) Restschuldversicherungen als Einzel- oder Gruppenversicherungen abschließen oder diese vermitteln (16).
7 Die Restschuldversicherung dient dazu, für den Fall des Todes, der Krankheit, der Arbeitslosigkeit und der Arbeitsunfähigkeit die Rückzahlungsverpflichtung des Verbrauchers als Darlehensnehmer abzusichern. In der Regel handelt es sich bei Restschuldversicherungsverträgen um kombinierte Versicherungsprodukte, bei denen verschiedene Versicherer die verschiedenen Risiken absichern.
8 Das Hauptgeschäft der Beschwerdeführerinnen wird über Filialbanken und über Kraftfahrzeug-Händler abgewickelt, die üblicherweise als Vertreter des Versicherers auftreten. Als Hauptgeschäftsfelder benennen die Beschwerdeführerinnen die Absicherung von Kreditkartenverträgen, allgemeinen Konsumentenkrediten sowie Darlehen zum Erwerb von Kraftfahrzeugen. Bei dem Abschluss eines Darlehensvertrags ist der Abschluss einer Restschuldversicherung in den Geschäftsmodellen der Beschwerdeführerinnen stets optional. Sofern die Prämie für die Restschuldversicherung als Einmalprämie zu leisten ist, wird diese regelmäßig mitfinanziert.
9 Nach dem Vortrag der Beschwerdeführerinnen wünschen rund drei Viertel der Verbraucher eine persönliche Beratung zur Restschuldversicherung bei Abschluss eines Darlehensvertrags und 97 % der Finanzierungsnutzer wünschten die Absicherung mindestens eines Risikos.
II.
10 Die Beschwerdeführerinnen rügen mit ihrer Verfassungsbeschwerde eine Verletzung der unternehmerischen Freiheit aus Art. 16 GRCh beziehungsweise ihrer Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG und ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG. § 7a Abs. 5 VVG in der Fassung des angefochtenen Art. 32 Nr. 2 ZuFinG (im Folgenden: § 7a Abs. 5 VVG n.F.) verstoße gegen vollharmonisierendes Unionsrecht und sei daher nicht geeignet, einen Eingriff in den Schutzbereich der betroffenen Grundrechte zu rechtfertigen. Im Übrigen sei der Eingriff in die Grundrechte der Beschwerdeführerinnen weder geeignet, noch erforderlich oder angemessen.
11 Durch das einwöchige Abschlussverbot entstehe für die Verbraucher eine erhebliche Schutzlücke. Durchschnittlich 400 Versicherungsfälle pro Jahr träten allein bei den Beschwerdeführerinnen in der ersten Woche nach Darlehensschluss ein. Weiter sei ein Rückgang des Umsatzes mit Restschuldversicherungen von bis zu 85 % zu besorgen. Sie seien gezwungen, ihren Geschäftsbetrieb § 7a Abs. 5 VVG n.F. anzupassen. Ihnen entstehe hierdurch ein Umstellungsaufwand von 20,5 Millionen Euro. Weiter kehre §7a Abs. 5 Satz 1 VVG n.F. die bisherige Vertragsabschlusspraxis um (mit Verweis auf BTDrucks 20/9363, S. 127).
12 Die Verfassungsbeschwerde gegen Art. 32 Nr. 2 ZuFinG unterliege nicht dem Gebot der Rechtswegerschöpfung, da gegen formelle Gesetze kein Rechtsweg eröffnet sei. Es bestünden keine klärungsbedürftigen Tatsachen- oder Rechtsfragen des einfachen Rechts. Die Beschwerdeführerinnen könnten § 7a Abs. 5 VVG n.F. auch nicht unangewendet lassen, denn dies provoziere aufsichtsrechtliche Sanktionen durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht.
13 Die Richtlinie (EU) 2023/2225 sei vollharmonisierendes Unionsrecht, weshalb Art. 32 Nr. 2 ZuFinG als Umsetzungsgesetz am Maßstab der Unionsgrundrechte zu messen sei. Das einwöchige Abschlussverbot des § 7a Abs. 5 VVG n. F. widerspreche Art. 14 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Nr. 3 der Richtlinie, wonach beide Vertragsabschlüsse als Bündelungsgeschäfte "in einem Paket gemeinsam", also zeitgleich, zulässig seien.
III.
14 Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), weil die Annahmevoraussetzungen nicht vorliegen. Insbesondere ist ihre Annahme nicht zur Durchsetzung der im § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), da die Verfassungsbeschwerde unzulässig ist.
15 1. Die Verfassungsbeschwerde der in- und ausländischen Versicherungsunternehmen (1-14, 17-22) wahrt nicht den Grundsatz der Subsidiarität.
16 a) Vor Erhebung von Rechtssatzverfassungsbeschwerden sind grundsätzlich alle Mittel zu ergreifen, die der geltend gemachten Grundrechtsverletzung abhelfen können (zuletzt BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom - 1 BvR 1160/19 - Bundeskriminalamtgesetz II, m.w.N.). Dies gilt auch dann, wenn zweifelhaft ist, ob ein entsprechender Rechtsbehelf statthaft ist und im konkreten Fall in zulässiger Weise eingelegt werden kann (vgl. BVerfGE 162, 1 <54 Rn. 100> - Bayerisches Verfassungsschutzgesetz; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1951/21 -, Rn. 3). Wenn sich eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz wendet, kann die Erhebung einer Feststellungs- oder Unterlassungsklage zu den zuvor zu ergreifenden Rechtsbehelfen gehören (zur vorbeugenden Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO vgl. BVerfGE 74, 69 <76>; 115, 81 <95>; 145, 20 <54 f. Rn. 86>; BVerfG Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1335/18 -, Rn. 5). Das ist selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn die Vorschriften abschließend gefasst sind und die fachgerichtliche Prüfung günstigstenfalls dazu führen kann, dass das angegriffene Gesetz gemäß dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt wird. Ausschlaggebend ist auch dann, ob die fachgerichtliche Klärung erforderlich ist, um zu vermeiden, dass das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidungen auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage trifft. Ein solcher Fall wird in der Regel dann gegeben sein, wenn die angegriffenen Vorschriften auslegungsbedürftige und -fähige Rechtsbegriffe enthalten, von deren Auslegung und Anwendung es maßgeblich abhängt, inwieweit Beschwerdeführer durch die angegriffenen Vorschriften tatsächlich und rechtlich beschwert sind (vgl. BVerfGE 158, 170 <199 f. Rn. 70> m.w.N. - IT - Sicherheitslücken).
17 Nur soweit die Beurteilung einer Norm allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen aufwirft, die das Bundesverfassungsgericht zu beantworten hat, ohne dass von einer vorausgegangenen fachgerichtlichen Prüfung verbesserte Entscheidungsgrundlagen zu erwarten wären, bedarf es einer vorangehenden fachgerichtlichen Entscheidung nicht (vgl. BVerfGE 150, 309 <326 f. Rn. 44> m.w.N.). Darüber hinaus gelten Ausnahmen von der Pflicht zur vorherigen Anrufung der Fachgerichte, wenn die angegriffene Regelung die Beschwerdeführer zu gewichtigen Dispositionen zwingt, die später nicht mehr korrigiert werden können, wenn die Anrufung der Fachgerichte offensichtlich sinn- und aussichtslos wäre oder sie sonst nicht zumutbar ist. Dabei ist allerdings die Anrufung der Fachgerichte nicht schon dann als von vornherein aussichtslos anzusehen, wenn Rechtsprechung zugunsten der Zulässigkeit des Rechtsbehelfs für die gegebene Fallgestaltung noch nicht vorliegt (vgl. BVerfGE 162, 1 <55 Rn. 102> m.w.N.).
18 Weiter kann es einem einer uneingeschränkten Aufsicht unterliegenden Beschwerdeführer zumutbar sein, eine verbindliche Auskunft in Form einer Weisung der Aufsichtsbehörde einzuholen und gegebenenfalls den gegen die Weisung eröffneten Rechtsweg zu beschreiten (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1523/99 -, Rn. 2).
19 b) Demnach wird die Verfassungsbeschwerde dem Grundsatz der Subsidiarität nicht gerecht. Den beschwerdeführenden Versicherungsunternehmen ist zumutbar, eine verbindliche Auskunft in Form einer Weisung der Aufsichtsbehörde einzuholen und gegebenenfalls den gegen diese Weisung eröffneten Rechtsweg zu beschreiten.
20 aa) Die beschwerdeführenden Versicherungsunternehmen mit Sitz im Inland (1-14) unterliegen als solche einer uneingeschränkten Aufsicht.
21 Sie bringen selbst vor, Aufsichtsmaßnahmen zu fürchten, sollten sie nach Inkrafttreten des § 7a Abs. 5 VVG n.F. vor Ablauf der einwöchigen Abkühlungsphase ("Abschlussverbot") Restschuldverträge abschließen. Die Versicherungsaufsicht erstreckt sich nach § 294 Abs. 2 VAG auf die Einhaltung der Gesetze, die für den Betrieb des Versicherungsgeschäfts gelten, und auf die ausreichende Wahrung der Belange der Versicherten. Nach § 294 Abs. 3 VAG ist Gegenstand der rechtlichen Aufsicht insbesondere die Einhaltung der das Versicherungsverhältnis betreffenden und aller sonstigen die Versicherten betreffenden Rechtsvorschriften (vgl. BVerwGE 172, 209 <214 ff. Rn. 20 ff.>). Die Aufsichtsbehörde trifft nach § 298 Abs. 1 und § 297 Abs. 1 VAG nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens alle Maßnahmen, die geeignet sind, Missstände zu vermeiden oder zu beseitigen. Missstände sind dabei nach § 298 Abs. 1 Satz 2 VAG jedes Verhalten, dass den Aufsichtszielen des § 294 Abs. 2 VAG widerspricht. Zu den Kompetenzen der Aufsichtsbehörde gehört insbesondere, den Versicherern die Verwendung unwirksamer Vertragsklauseln zu untersagen (vgl. BVerwGE 172, 209 <218 Rn. 29>; Wandt, Versicherungsrecht, 6. Aufl. 2016, Rn. 108). Nach dem Wortlaut des § 298 Abs. 1 Satz 1 VAG ("Missstände zu vermeiden") soll die Aufsichtsbehörde befugt sein, drohenden Missständen präventiv entgegenzuwirken, was auch vorläufige Maßnahmen umfasst (Dreher, in: Dreher, VAG, 14. Aufl. 2024, § 298 Rn. 92; Brand, in: Brand/Baroch Castellvi, VAG, 2. Aufl. 2024, § 298 Rn. 14). Als Aufsichtsinstrument kommen insbesondere Allgemein- und Sammelverfügungen in Betracht, wovon die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Gebrauch macht.
22 Gegen Maßnahmen der Aufsichtsbehörde ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Insbesondere können (Sammel-)Verwaltungsakte mit dem Widerspruch und der Anfechtungsklage angefochten werden (Wandt, Versicherungsrecht, 6. Aufl. 2016, Rn. 113; vgl. BVerwGE 172, 209).
23 bb) Es ist den Beschwerdeführerinnen zuzumuten, eine verbindliche Auskunft in Gestalt einer Weisung der Aufsichtsbehörde darüber einzuholen, ob sie § 7a Abs. 5 VVG n.F. ab dem anzuwenden haben und ob die Vorschrift auch über den hinaus anzuwenden ist. Die Beschwerdeführerinnen haben nicht dargelegt, dass das Anrufen der Aufsichtsbehörde und gegebenenfalls der Fachgerichte erkennbar aussichtslos wäre. Insbesondere lässt sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen, dass die angesprochenen Fragen des Fach- und des Unionsrechts hinreichend geklärt wären. Im Übrigen dürften auch weitere, in der Verfassungsbeschwerde nicht thematisierte Rechtsfragen noch ungeklärt sein.
24 (1) Es stellen sich nicht allein verfassungsrechtliche Fragen. Die Beschwerdeführerinnen rügen, § 7a Abs. 5 VVG n.F. sei nicht anwendbar, weil die Vorschrift gegen sekundäres Unionsrecht verstoße. Aufgrund einer unionsrechtlichen Vorwirkung der Richtlinie (EU) 2023/2225 sei § 7a Abs. 5 VVG n.F. bereits von einem Inkrafttreten an und bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist nicht anwendbar.
25 Zur Klärung dieser Frage hätte zunächst eine aufsichtliche Weisung eingeholt und bei Bejahung der Anwendbarkeit der fachgerichtliche Rechtsweg beschritten werden müssen. Denn es ist vornehmlich Aufgabe der Fachgerichte, entscheidungserhebliche unionsrechtliche Fragen aufzuarbeiten und zu prüfen, ob eine Normenkollision mit unionsrechtlichem Fachrecht besteht. Ebenso wie die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts in erster Linie den Fachgerichten obliegt, sind sie auch zur Auslegung und Anwendung des unionsrechtlichen Fachrechts berufen und gehalten, erforderlichenfalls den Europäischen Gerichtshof nach Art. 267 AEUV anzurufen. Auch die Auswirkungen der geklärten unionsrechtlichen Fragen auf das nationale Recht sind nicht vorrangig durch das Bundesverfassungsgericht, sondern in erster Linie durch die Fachgerichte zu klären (vgl. BVerfGE 126, 286 <316>; 129, 78 <103>; 129, 186 <202>; BVerfGK 15, 306 <314>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 555/15 -, Rn. 15).
26 Die vorherige Einholung einer aufsichtlichen Weisung ist den Beschwerdeführerinnen auch zumutbar. Die Verpflichtung, primär- oder sekundärrechtswidrige nationale Bestimmungen unangewendet zu lassen, trifft nicht nur die nationalen Gerichte, sondern auch alle Träger der Verwaltung und damit schon die Aufsichtsbehörde (vgl. Ciola, C-224/97, ECLI:EU:C:1999:212, Rn. 29 ff.).
27 (2) Es ist zu klären, ob § 7a Abs. 5 VVG n.F. mit Art. 14 der Richtlinie (EU) 2023/2225 vereinbar ist.
28 Zunächst ist noch ungeklärt, ob Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2023/2225 der Einführung der in § 7a Abs. 5 VVG n.F. geregelten Abkühlungsphase entgegensteht, weil Bündelungsgeschäfte im Sinne des Art. 3 Nr. 16 der Richtlinie zu erlauben sind. Insoweit ist zu klären, ob aus der Richtlinie folgt, dass stets ein zeitgleicher Abschluss der Verträge zulässig ist. Art. 3 Nr. 16 der Richtlinie spricht jedenfalls von Angebot oder Abschluss der verschiedenen Verträge "in einem Paket". Ob Restschuldversicherungsverträge, die in Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie als Versicherungspolice und Versicherungsprodukt bezeichnet werden, überhaupt unter die "gesonderten Finanzprodukte und -dienstleistungen" im Sinne des Art. 3 Nr. 15 und 16 der Richtlinie fallen, ist ungeklärt.
29 Weiter ist zu klären, ob die in Art. 14 Abs. 5 der Richtlinie (EU) 2023/2225 vorgesehene Abkühlungsphase von "mindestens drei Tagen" sowie die dort vorgesehene Möglichkeit, auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers auf diese zu verzichten, dem Erlass des § 7a Abs. 5 VVG n.F. entgegenstehen. Ob Art. 14 Abs. 5 der Richtlinie auf die von den Beschwerdeführerinnen betriebenen Geschäfte überhaupt anwendbar ist, ist zweifelhaft. Art. 14 Abs. 5 der Richtlinie nimmt Bezug auf Absatz 3 der Vorschrift, wonach die Mitgliedstaaten den Kreditinstituten erlauben können, beim Abschluss eines Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrags den Abschluss einer Restschuldversicherung zu verlangen. Von dieser Möglichkeit hat der nationale Gesetzgeber bislang keinen Gebrauch gemacht. Im Geschäftsmodell der Beschwerdeführerinnen ist der Abschluss der Restschuldversicherung ohnehin stets optional. Ob die in Art. 14 Abs. 5 der Richtlinie vorgesehene Frist von "mindestens drei Tagen" insoweit vollständig harmonisiert ist, als dass dem nationalen Gesetzgeber verwehrt wäre, eine längere Mindestfrist durch nationales Recht zu bestimmen, ist darüber hinaus bislang nicht richterlich geklärt.
30 (3) Auch bei der Auslegung des § 7a Abs. 5 VVG n.F. stellen sich fachrechtliche Auslegungsfragen. Soweit die Beschwerdeführerinnen rügen, die Norm gebe die Abschlussreihenfolge vor (so wohl auch BTDrucks 20/9363, S. 127), ist durch die Fachgerichte zu klären, ob § 7a Abs. 5 Satz 1 VVG derartige Vorgaben enthält (verneinend Fortmann/Jula, in: Marlow/Spuhl, BeckOK VVG, § 7a Rn. 28 <Aug. 2024>).
31 cc) Eine Unzumutbarkeit kann sich auch nicht (mehr) daraus ergeben, dass die Normadressaten zu später nicht mehr korrigierbaren Entscheidungen gezwungen sind oder zu Dispositionen veranlasst wären, die später nicht mehr korrigiert werden können. Die Beschwerdeführerinnen haben nach ihrem Vorbringen bereits seit Anfang 2024 umfangreiche Vorbereitungen getroffen, um die angegriffene Vorschrift ab einzuhalten, weil für die Umstellung der Vertriebsprozesse eine Vorlaufzeit von bis zu 16 Monaten erforderlich ist. Soweit sie eine erneute Umstellung ihrer Vertragsabschlusspraxis ab Ablauf der Umsetzungsfrist am besorgen, tragen sie selbst vor, dass ihre bisherigen Dispositionen umkehrbar sind und folglich in Zukunft korrigiert werden können. Im Hinblick auf die insoweit besorgte doppelte Umstellung bleibt ausreichend Zeit, die Aufsichtsbehörde und die Fachgerichte mit der Frage zu befassen.
32 dd) Für die Beschwerdeführerinnen zu 17) - 22), deren Sitz in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union belegen ist, gilt nichts Anderes. Zwar ist die Finanzaufsicht der Aufsichtsbehörde des Herkunftsstaates vorbehalten. Im Übrigen unterliegen auch diese Versicherungsunternehmen nach § 62 Abs. 1 VAG der Versicherungsaufsicht nach dem Versicherungsaufsichtsgesetz, die insbesondere die Einhaltung der zwingenden vertragsrechtlichen Vorschriften nach dem VVG umfasst (vgl. BVerwGE 172, 209 <213 ff. Rn. 16 ff.>; Präve, in: Dreher, VAG, 14. Aufl. 2024, § 1 Rn. 53 ff.).
33 2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch im Hinblick auf die Beschwerdeführerinnen zu 15) und 16) unzulässig, die als Versicherungsnehmerin von Gruppenversicherungsverträgen ("Gruppenspitze") beziehungsweise als Vermittlerin von Beitritten zu diesen Gruppenversicherungsverträgen nicht der Versicherungsaufsicht unterliegen.
34 a) Bei echten Gruppenversicherungen wird im Unterschied zur Einzelversicherung der Versicherungsvertrag nicht zwischen dem Versicherer und der versicherten Person geschlossen, sondern zwischen dem Versicherer und einem Versicherungsnehmer als sogenannte Gruppenspitze. Die versicherten Personen treten dem Gruppenversicherungsvertrag bei, ohne selbst Vertragspartei zu werden. In der Regel handelt es sich bei dem echten Gruppenversicherungsvertrag um einen Vertrag zugunsten Dritter. Durch die Gruppenversicherung sollen gegenüber Einzelversicherungen Vertriebs- und Verwaltungskosten gespart werden (vgl. Wandt, Versicherungsrecht, 6. Aufl. 2016, Rn. 40 ff.).
35 b) Die Beschwerdeführerinnen zu 15) und 16) haben nicht dargelegt, dass ihnen die vorherige Anrufung der Fachgerichte unzumutbar wäre und ihre Verfassungsbeschwerde dem Subsidiaritätsgrundsatz genügt.
36 aa) Die Darlegung, dass und in welcher Weise dem Subsidiaritätsgrundsatz genügt wurde, gehört zum notwendigen Vortrag im Verfassungsbeschwerdeverfahren (vgl. BVerfGE 5, 9 <10 f.>). Zur Erfüllung der hierauf bezogenen Darlegungserfordernisse hätte es einer hinreichenden Begründung bedurft, warum die Erhebung einer Klage vor den Fachgerichten trotz der bestehenden Fragen zur Vereinbarkeit der Vorschrift mit dem Unionsrecht und zur Auslegung des § 7a Abs. 5 VVG n.F. nicht möglich oder nicht erforderlich gewesen sein sollte (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1552/19 -, Rn. 18).
37 bb) Die Beschwerdeführerinnen zu 15) und 16) haben nicht dargelegt, dass ihnen die vorherige Anrufung der Verwaltungsgerichte unzumutbar wäre.
38 Mit der Möglichkeit einer negativen Feststellungsklage nach § 43 VwGO vor den Verwaltungsgerichten setzen sie sich nicht auseinander. Es scheint nicht von vornherein ausgeschlossen, dass eine Feststellungsklage der Beschwerdeführerinnen zu 15) und 16) zulässig ist, die sich auf die Feststellung richtet, es begründe keinen Anlass zur Rücknahme oder zum Widerruf der Erlaubnis nach § 34d GewO oder zur Untersagung ihres Gewerbes nach § 35 GewO, wenn sie unter Missachtung von § 7a Abs. 5 VVG n.F. weiterhin den Beitritt zum Restschuldversicherungsvertrag vermitteln, ohne die einwöchige Abkühlungsphase zu beachten. Mit den Fragen des Gewerbeaufsichtsrechts und des Verwaltungsprozessrechts setzen sie sich nicht auseinander, obwohl nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs auch Gruppenversicherungsnehmer ("Gruppenspitze") als Versicherungsvermittler im Grundsatz einer Erlaubnis nach § 34d GewO bedürfen (vgl. TC Medical Air Ambulance Agency, C-633/20, ECLI:EU:C:2022:733, Rn. 60; -).
39 cc) Auf Grundlage des Vorbringens in der Verfassungsbeschwerde lässt sich auch nicht beurteilen, ob den Beschwerdeführerinnen die Erhebung einer Leistungsklage oder einer (negativen) Feststellungsklage vor den Zivilgerichten möglich und zumutbar ist. Hierzu hätte es insbesondere eines Vortrags zu den zwischen den Beschwerdeführerinnen zu 15) und 16) untereinander und zu den jeweiligen Gruppenversicherern bestehenden Rechtsbeziehungen und Interessenlagen bedurft. Schon allein aufgrund des Vorbringens der Beschwerdeführerinnen zu dem besorgten, gravierenden Umsatzrückgang und den Kosten für die Anpassung des Geschäftsbetriebs an § 7a Abs. 5 VVG n.F. liegt nahe, dass das wirtschaftliche Gleichgewicht der wechselseitigen vertraglichen Bindungen durch das Inkrafttreten der Norm verändert oder sogar erheblich gestört wird, weshalb ein Anspruch auf Anpassung der vereinbarten Prämien, Provisionen und sonstigen Vergütungen nicht von vornherein ausgeschlossen scheint. Die Beschwerdeführerinnen legen zudem nicht dar, dass die Anrufung der Zivilgerichte deshalb unzumutbar wäre, weil sie und die möglichen Klagegegner § 7a Abs. 5 VVG n.F. gleichermaßen für verfassungswidrig halten. Zwar besteht im Zivilprozess das Risiko, dass eine Partei den geltend gemachten Anspruch anerkennt und das Gericht die Partei ohne Sachprüfung verurteilt (§ 307 Satz 1 ZPO; Feskorn, in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 307 Rn. 5). Es wird schon nicht aufgezeigt, inwieweit die als Versicherungsnehmer, Versicherer und Versicherungsvermittler an Gruppenversicherungskonstellationen beteiligten Beschwerdeführerinnen als mögliche Klagegegner auch untereinander die Auffassung vertreten, § 7a Abs. 5 VVG n.F. sei nicht anzuwenden und umzusetzen.
40 c) Die Verfassungsbeschwerdeschrift verhält sich im Übrigen nicht zu der Frage, ob die Beschwerdeführerinnen zu 15) und 16) als Versicherungsnehmerin von Gruppenversicherungsverträgen beziehungsweise als Vermittlerin von Beitritten zu Gruppenversicherungsverträgen selbst von § 7a Abs. 5 VVG n.F. betroffen sind. Inhaltlich wenden sie sich alleine gegen die Regelung der Sätze 1 und 2, die laut dem Beschwerdevorbringen nach Satz 3 auch für den Beitritt zu Gruppenversicherungsverträgen Anwendung finden sollen.
41 aa) Die Beschwerdebefugnis setzt die Behauptung der Beschwerdeführer voraus, durch die angegriffene Maßnahme der öffentlichen Gewalt in einem nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und § 90 Abs. 1 BVerfGG beschwerdefähigen Grundrecht oder grundrechtsgleichen Recht selbst, unmittelbar und gegenwärtig verletzt zu sein (vgl. BVerfGE 123, 267 <329>). Sie müssen hinreichend substantiiert darlegen, dass eine solche Verletzung möglich erscheint. Die Begründung von Verfassungsbeschwerden erfordert nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG eine substantiierte Auseinandersetzung mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht und mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts (vgl. BVerfGE 162, 1 <52 Rn. 94>; stRspr). Die Beschwerdeführer sind dann selbst betroffen, wenn sie Adressat der angefochtenen Regelung sind oder die Norm sie in rechtlich erheblicher Weise berührt (vgl. nur BVerfGE 153, 182 <257 Rn. 195> m.w.N.; stRspr).
42 bb) Diesen Anforderungen wird die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerinnen zu 15) und 16) nicht gerecht. Die Beschwerdeführerinnen behaupten ohne nähere Begründung, die einwöchige Abkühlungsphase ("Abschlussverbot") und die für den Verstoß hiergegen angeordnete Nichtigkeitsfolge des § 7a Abs. 5 Sätze 1 und 2 VVG n.F. gälten nach § 7a Abs. 5 Satz 3 VVG n.F. auch für den Beitritt zu Gruppenversicherungsverträgen. § 7a Abs. 5 Satz 3 VVG n.F. bedarf jedoch der Auslegung. Mit der Auslegung dieser Vorschrift setzen sich die Beschwerdeführerinnen nicht auseinander. Die Annahme, dass § 7a Abs. 5 Satz 3 VVG n.F. dahin auszulegen ist, dass der Beitritt zum Gruppenversicherungsvertrag nur unter den Voraussetzungen des § 7a Abs. 5 Satz 1 VVG n.F. zulässig ist, ist jedenfalls nicht zwingend. Ohne Auslegung der Norm ist nicht erkennbar, welche der zahlreichen, im Versicherungsvertragsgesetz geregelten Pflichten (vgl. etwa §§ 1, 6, 7 VVG) den Versicherungsnehmer eines Gruppenversicherungsvertrags treffen. Der Gesetzgeber, der mit § 7a Abs. 5 Sätze 3 und 4 VVG n.F. die bisherige Fassung des § 7d Abs. 1 Sätze 1 und 2 VVG, der die Beratungs- und Informationspflichten betrifft, fortführen und die Rechte und Pflichten von Versicherer und Versicherungsnehmer auf Gruppenversicherungskonstellationen erstrecken wollte (BTDrucks 20/9363, S. 127 f.), hat insbesondere nicht dahin formuliert, dass "die Pflicht nach Satz 1" den Gruppenversicherungsnehmer treffe oder dass die Sätze 1 und 2 auf den Beitritt der versicherten Person zum Gruppenversicherungsvertrag entsprechend anzuwenden wären.
43 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2024:rk20241220.1bvr177924
Fundstelle(n):
LAAAJ-84025