Kapitel I: Allgemeine Bestimmungen
Artikel 3 Begriffsbestimmungen
(1) Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
„überschüssige Quellensteuer” die Differenz zwischen dem Quellensteuerbetrag, den ein Mitgliedstaat bei gebietsfremden Eigentümern von Wertpapieren auf Dividenden oder Zinsen aus diesen Wertpapieren erhebt, indem er den allgemeinen für das Inland geltenden Steuersatz anwendet, und dem niedrigeren auf dieselben Dividenden oder Zinsen anfallenden Quellensteuerbetrag, der sich gegebenenfalls aus der Anwendung eines Doppelbesteuerungsabkommens oder spezifischer nationaler Vorschriften durch jenen Mitgliedstaat ergibt;
„öffentlich gehandelte Aktie” eine Aktie, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen ist oder über ein multilaterales Handelssystem gehandelt wird;
„öffentlich gehandelte Anleihe” eine Anleihe, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen ist oder über ein multilaterales Handelssystem oder ein organisiertes Handelssystem gehandelt wird;
„Finanzintermediär” einen der folgenden Rechtsträger, wobei der Finanzintermediär Teil der Wertpapier-Zahlungskette zwischen dem Rechtsträger, der Wertpapiere ausgibt, und dem eingetragenen Eigentümer ist, der Zahlungen für solche Wertpapiere erhält:
einen Zentralverwahrer im Sinne des Artikels 2 Nummer 1 der Verordnung (EU) Nr. 909/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates [1];
ein Kreditinstitut im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 1 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013;
eine Wertpapierfirma;
eine Zweigniederlassung der Rechtsträger gemäß den Buchstaben a, b, oder c; oder
eine juristische Person aus einem Drittland, die gemäß vergleichbaren Rechtsvorschriften eines Drittlands, in dem sie ansässig ist, für die Erbringung von Dienstleistungen zugelassen ist, die mit den von einem der Rechtsträger gemäß den Buchstaben a, b, oder c erbrachten Dienstleistungen vergleichbar sind, oder eine Zweigstelle einer solchen juristischen Person aus einem Drittland;
„zertifizierter Finanzintermediär” einen Finanzintermediär, der in einem nationalen Register gemäß Artikel 5 eingetragen ist;
„Rechtsträger” eine juristische Person oder eine Rechtsvereinbarung, wie etwa einer Kapitalgesellschaft, einer Personengesellschaft, eines Trust oder einer Stiftung;
„Organismus für gemeinsame Anlagen” einen OGAW, einen EU-AIF oder einen von einem EU-AIFM verwalteten alternativen Investmentfonds oder jedes andere Vehikel für gemeinsame Anlagen, das auf der Grundlage der nationalen Vorschriften des Quellenmitgliedstaats oder eines Doppelbesteuerungsabkommens Anspruch auf eine Entlastung von überschüssiger Quellensteuer hat, oder ein Vehikel für gemeinsame Anlagen, dessen zugrunde liegende Anleger Anspruch auf eine solche Entlastung haben, die in deren Namen beantragt werden kann, mit Ausnahme solcher Vehikel für gemeinsame Anlagen, die oder deren Verwalter oder Verwahrstelle ihren Sitz in einem Drittland haben, das in Anhang I der Schlussfolgerungen des Rates zur überarbeiteten EU-Liste nicht kooperativer Länder und Gebiete für Steuerzwecke oder in Tabelle I des Anhangs der Delegierten Verordnung (EU) 2016/1675 der Kommission [2] aufgeführt ist;
„Einrichtung der betrieblichen Altersversorgung” eine Einrichtung der betrieblichen Altersversorgung im Sinne von Artikel 6 Nummer 1 der Richtlinie (EU) 2016/2341;
„EUID” die europäische einheitliche Kennung gemäß Artikel 16 der Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates [3];
„Steuer-Identifikationsnummer” oder „TIN” die in einem Mitgliedstaat vergebene eindeutige Kennung eines eingetragenen Eigentümers für Steuerzwecke;
„Verfahren der Quellensteuerentlastung” ein Verfahren, mit dem ein eingetragener Eigentümer, der Dividenden oder Zinsen aus Wertpapieren erhält, für die überschüssige Quellensteuer einbehalten worden sein kann, eine Entlastung oder eine Erstattung für eine solche überschüssige Quellensteuer erhält;
„zuständige Behörde” die Behörde, die von einem Mitgliedstaat gemäß Artikel 5 benannt wurde, einschließlich jeder Person, die gemäß den nationalen Vorschriften von dieser Behörde ermächtigt wurde, für die Zwecke dieser Richtlinie in ihrem Namen zu handeln;
„Wertpapier” eine öffentlich gehandelte Aktie oder eine öffentlich gehandelte Anleihe;
„Aktienzertifikate” (Hinterlegungsscheine) auf dem Kapitalmarkt eines Mitgliedstaats oder eines Drittlands handelbare Finanzinstrumente, die ein Eigentumsnachweis an den Wertpapieren eines Emittenten in der Union darstellen, wobei sie aber zugleich an einem Handelsplatz in einem Mitgliedstaat oder einem Drittland und unabhängig von den Wertpapieren des Emittenten gehandelt werden;
„großes Institut” ein großes Institut im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 146 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013;
„Gruppe” eine Gruppe im Sinne des Artikels 2 Nummer 12 der Richtlinie 2002/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates [4];
„für die Quellensteuer zuständige Stelle” einen Rechtsträger, der gemäß den nationalen Vorschriften des Quellenmitgliedstaats dafür verantwortlich ist oder dazu ermächtigt wurde, den Abzug der Quellensteuer von Dividenden- oder Zinszahlungen aus Wertpapieren vorzunehmen und diese Quellensteuer an die Steuerbehörde des Quellenmitgliedstaats abzuführen;
„Bestandsstichtag” den vom Emittenten eines Wertpapiers festgelegten Tag, an dem die Identität des Inhabers dieses Wertpapiers und die daraus abgeleiteten Rechte festgestellt werden, wobei auf die tatsächliche Abwicklung der Positionen durch Eintragung in den Büchern des Finanzintermediärs bei Geschäftsschluss abzustellen ist;
„Abwicklung” den Abschluss eines Wertpapiergeschäfts, wenn es mit dem Ziel abgeschlossen wird, die Verbindlichkeiten der an diesem Geschäft beteiligten Parteien durch die Übertragung von Geld oder Wertpapieren oder beiden zu erfüllen, wie in Artikel 2 Absatz 1 Nummer 7 der Verordnung (EU) Nr. 909/2014 definiert;
„eingetragener Eigentümer” jede natürliche Person oder jeden Rechtsträger, die oder der berechtigt ist, als Inhaber des Wertpapiers zum Bestandsstichtag Dividenden oder Zinsen aus Wertpapieren zu erhalten, die in einem Mitgliedstaat einer Quellensteuer unterliegen, unbeschadet der Anpassungen an noch abzuwickelnde Transaktionen, die gemäß den nationalen Vorschriften des Quellenmitgliedstaats vorgenommen werden könnten, und bei der oder dem es sich nicht um einen Finanzintermediär handelt, der in Bezug auf diese Dividenden oder Zinsen für Rechnung Dritter handelt;
„Depotkonto” das Konto oder die Konten, das bzw. die die Finanzintermediäre eingetragenen Eigentümern bereitstellen, über das bzw. die eingetragene Eigentümer ihre Wertpapiere halten oder eintragen lassen;
„Verrechnungskonto” das Konto oder die Konten, auf das bzw. die die Zahlungen im Zusammenhang mit den über das Depotkonto gehaltenen oder eingetragenen Wertpapieren geleistet werden;
„Ex-Dividenden Tag” den Tag, ab dem die Aktien ohne die mit den Aktien verbundenen Rechte, einschließlich des Rechts auf Teilnahme an und Ausübung des Stimmrechts in einer Hauptversammlung, gehandelt werden;
„Zahlungstag” den Tag, an dem die Zahlung der Dividende für eine öffentlich gehandelte Aktie oder der Zinsen für eine öffentlich gehandelte Anleihe an den eingetragenen Eigentümer zu leisten ist;
„Finanzvereinbarung” jede Vereinbarung oder Reihe von Vereinbarungen oder jede vertragliche Verpflichtung, durch die
das Eigentum oder ein Teil des Eigentums an der öffentlich gehandelten Aktie, für die eine Dividende gezahlt wird, dauerhaft oder vorübergehend auf eine verbundene oder unabhängige Partei übertragen wird oder werden könnte oder
die Dividende zwischen verbundenen oder unabhängigen Parteien in bar oder in anderer Form ganz oder teilweise ausgeglichen wird;
„Wertpapier-Zahlungskette” die Abfolge von Finanzintermediären, die die Zahlung von Dividenden oder Zinsen auf Wertpapiere zwischen dem Emittenten der Wertpapiere und einem eingetragenen Eigentümer, an den Dividenden oder Zinsen aus solchen Wertpapieren gezahlt werden, ausführen, und umfasst Broker, bei denen es sich um gemäß der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates [5] zugelassene Wertpapierfirmen oder gemäß der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments oder des Rates [6] zugelassene Kreditinstitute handelt, wenn sie eine oder mehrere Wertpapierdienstleistungen erbringen oder eine Anlagetätigkeit ausüben, und juristische Personen aus einem Drittland, wenn sie gemäß den vergleichbaren Vorschriften eines Drittlands, in dem sie ansässig sind, zugelassen sind, Wertpapierdienstleistungen erbringen oder eine Anlagetätigkeit ausüben;
„Doppelbesteuerungsabkommen” ein Abkommen oder Übereinkommen, das zwischen zwei oder mehreren Ländern und Gebieten gilt und in dem die Beseitigung der Doppelbesteuerung von Einkommen und gegebenenfalls Vermögen vorgesehen ist;
„Quellenmitgliedstaat” den Ansässigkeitsmitgliedstaat des Emittenten des Wertpapiers, für das Dividenden oder Zinsen gezahlt werden;
„Schnellerstattungssystem” ein System, bei dem Dividenden oder Zinsen unter Berücksichtigung des allgemeinen für das Inland geltenden Quellensteuersatzes gezahlt werden und anschließend innerhalb der in Artikel 14 festgelegten Frist ein Antrag auf Erstattung der überschüssigen Quellensteuer gestellt wird;
„System der Entlastung an der Quelle” ein System, bei dem gemäß den anwendbaren nationalen Vorschriften oder internationalen Übereinkünften wie etwa dem anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommen der einschlägige Quellensteuersatz zum Zeitpunkt der Zahlung von Dividenden oder Zinsen angewandt wird;
„umfassendes System der Entlastung an der Quelle” ein von einem Mitgliedstaat angewandtes System der Entlastung an der Quelle, das alle folgenden Bedingungen erfüllt:
Es gewährt jeder natürlichen Person oder jedem Rechtsträger, die bzw. der gemäß den nationalen Vorschriften des Quellenmitgliedstaats oder einem Doppelbesteuerungsabkommen Anspruch auf Entlastung hat, Zugang zu dieser Entlastung;
es gewährt jeder natürlichen Person oder jedem Rechtsträger nach Buchstabe a die Entlastung zum Zahlungstag, es sei denn, die vom Mitgliedstaat für die Anwendung einer solchen Entlastung vorgeschriebenen Informationen wurden nicht gemeldet;
abgesehen von den in Artikel 11 Absatz 2 festgelegten Umständen schließt der Mitgliedstaat Anträge auf Entlastung nicht aus;
abgesehen von den in Artikel 11 Absatz 2 festgelegten Umständen verlangt der Mitgliedstaat von der natürlichen Person oder dem Rechtsträger, die oder der Anspruch auf die Entlastung hat, oder dem Finanzintermediär, bei dem es sich nicht um die für die Quellensteuer zuständige Stelle handelt, weder zusätzliche Informationen noch erlegt es ihr oder ihm zusätzliche Pflichten auf, die über die in den Artikeln 12, 13 und 15 vorgesehenen Informationen und Pflichten hinausgehen;
der Mitgliedstaat hat Vorschriften über die Haftung für den vollständigen oder teilweisen Verlust an Quellensteuereinnahmen festgelegt, der diesem Mitgliedstaat durch die Anwendung dieses Systems der Entlastung an der Quelle entstanden ist; und
der Mitgliedstaat hat Vorschriften über wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen festgelegt, die bei Verstößen gegen nationale Bestimmungen in Bezug auf dieses System der Entlastung an der Quelle zu verhängen sind;
„Marktkapitalisierung” den Gesamtwert der öffentlich gehandelten Aktien der Gesellschaften, deren Aktien zum Handel an einem geregelten Markt oder über ein multilaterales Handelssystem zugelassen sind, in einem Mitgliedstaat, der jährlich von der ESMA veröffentlicht wird;
„Marktkapitalisierungsquote” das als Prozentsatz der Marktkapitalisierung eines Mitgliedstaats am 31. Dezember ausgedrückte Verhältnis zur gesamten Marktkapitalisierung der Union am 31. Dezember in einem bestimmten Jahr;
„Standard-Erstattungssystem” ein System, bei dem Dividenden oder Zinsen unter Berücksichtigung des allgemeinen für das Inland geltenden Quellensteuersatzes gezahlt werden und anschließend ein Antrag auf Erstattung der überschüssigen Quellensteuer gestellt wird, der nicht unter das in Artikel 14 festgelegte Verfahren fällt;
„Wertpapierfirma” eine Wertpapierfirma im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 1 der Richtlinie 2014/65/EU;
„OGAW” einen OGAW im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates [7];
„EU-AIF” einen EU-AIF im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe k der Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates [8];
„EU-AIFM” einen EU-AIFM im Sinne von Artikel 4 Nummer 1 Buchstabe l der Richtlinie 2011/61/EU.
(2) Für die Zwecke von Absatz 1 Nummern 2 und 3 des vorliegenden Artikels bezeichnen die Ausdrücke „geregelter Markt”, „multilaterales Handelssystem” und „organisiertes Handelssystem” einen geregelten Markt, ein multilaterales Handelssystem und ein organisiertes Handelssystem im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummern 21, 22 oder 23 der Richtlinie 2014/65/EU.
(3) Für die Zwecke von Absatz 1 Nummer 20 können die Quellenmitgliedstaaten gemäß ihren nationalen Vorschriften den Inhaber von Aktienzertifikaten anstelle des Inhabers der zugrunde liegenden Wertpapiere als eingetragenen Eigentümer betrachten, so als hätte dieser Inhaber von Aktienzertifikaten direkt in diese Wertpapiere investiert.
Fundstelle(n):
zur Änderungsdokumentation
SAAAJ-83645
1Amtl. Anm.: Verordnung (EU) Nr. 909/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Verbesserung der Wertpapierlieferungen und -abrechnungen in der Europäischen Union und über Zentralverwahrer sowie zur Änderung der Richtlinien 98/26/EG und 2014/65/EU und der Verordnung (EU) Nr. 236/2012 (ABl L 257 vom , S. 1).
2Amtl. Anm.: Delegierte Verordnung (EU) 2016/1675 der Kommission vom 14. Juli 2016 zur Ergänzung der Richtlinie (EU) 2015/849 des Europäischen Parlaments und des Rates durch Ermittlung von Drittländern mit hohem Risiko, die strategische Mängel aufweisen (ABl L 254 vom , S. 1).
3Amtl. Anm.: Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (ABl L 169 vom , S. 46).
4Amtl. Anm.: Richtlinie 2002/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2002 über die zusätzliche Beaufsichtigung der Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen und Wertpapierfirmen eines Finanzkonglomerats und zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG, 79/267/EWG, 92/49/EWG, 92/96/EWG, 93/6/EWG und 93/22/EWG des Rates und der Richtlinien 98/78/EG und 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl L 35 vom , S. 1).
5Amtl. Anm.: Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU (ABl L 173 vom , S. 349).
6Amtl. Anm.: Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG (ABl L 176 vom , S. 338).
7Amtl. Anm.: Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) (ABl L 302 vom , S. 32).
8Amtl. Anm.: Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Verwalter alternativer Investmentfonds und zur Änderung der Richtlinien 2003/41/EG und 2009/65/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009 und (EU) Nr. 1095/2010 (ABl L 174 vom , S. 1).