Gesetze: § 91 Abs 1 WDO 2002, § 106 Abs 1 WDO 2002, § 123 S 2 WDO 2002, § 24 Abs 2 StPO, § 74 Abs 1 S 2 StPO, § 83 Abs 3 StPO
Gründe
11. Die Erforschung der Wahrheit verlangt nach § 106 Abs. 1 WDO eine Ergänzung der bereits vorliegenden Sachverständigengutachten (... und ...) sowie zusätzlich eine Stellungnahme des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz. Dass die Anschuldigungsbehörde diese Ermittlungen nicht von sich aus angestellt hat (vgl. § 32 Abs. 2, § 97 Abs. 1 WDO), befreit das Gericht nicht von der Verpflichtung zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung. Etwaigen behördlichen Versäumnissen kann im Rahmen der Kostenentscheidung Rechnung getragen werden (vgl. 2 WD 5.09 - juris Rn. 32).
2a) Auch angesichts der bereits erstinstanzlich eingeholten Sachverständigengutachten besteht bei Würdigung des Sachvortrags des Verteidigers des früheren Soldaten (Verteidiger) im Schriftsatz vom weiterer Aufklärungsbedarf. Die erstinstanzliche Beweiserhebung beruht in beiden Fällen darauf, dass das Truppendienstgericht den Sachverständigen kein klar eingegrenztes Beweisthema vorgegeben hat. Die richterliche Fragestellung war nicht eindeutig auf eine Tatsachenermittlung und -begutachtung, sondern auf eine dem Gericht obliegende rechtliche Bewertung gerichtet.
3aa) Hinsichtlich des Gutachtens von ... ist zu beanstanden, dass er überwiegend Ergebnisse und Schlussfolgerungen dargestellt und nur wenige Primärquellen und Originalzitate benennt. Angesichts der insoweit berechtigten Kritik des Berufungsführers ist es geboten, den Gutachter um Ergänzung des Gutachtens hinsichtlich seiner Erkenntnisgrundlagen aufzufordern und ihn in der Berufungshauptverhandlung anzuhören. Es ist insbesondere notwendig, nähere Informationen und Nachweise darüber zu erhalten, welche Vorstellungen die führenden Repräsentanten der Identitären Bewegung von der Durchsetzung des "Ethnopluralismus" und der "identitären Demokratie" insbesondere in den Jahren 2015 und 2016 entwickelt und verbreitet haben. Anders als vom Verteidiger angenommen, ist die Beweisfrage somit noch nicht hinreichend geklärt und beantwortet. Die Ergänzung des Sachverständigengutachtens dient mithin - wie vom Verteidiger zutreffend beanstandet - der Benennung von Tatsachen, die die Schlussfolgerungen des Sachverständigen tragen.
4bb) Hinsichtlich des erstinstanzlich nicht verwerteten Sachverständigengutachtens von ... steht ein gerichtlicher Erkenntnisgewinn dahingehend zu erwarten, dass es dem Senat insbesondere durch die von der Sachverständigen vorgenommene nähere Auswertung der Veröffentlichungen des früheren Soldaten ermöglicht wird, zusätzliche Informationen über dessen politische Grundeinstellung und damit auf dessen Persönlichkeit als für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme nach § 38 Abs. 1 WDO relevanten Umstand zu erlangen.
5b) Um seiner Verpflichtung zur Sachverhaltsermittlung in umfassender Form nachzukommen, ist ferner das ... um eine gutachterliche Stellungnahme nach § 91 Abs. 1 WDO i. V. m. § 83 Abs. 3 StPO zu ersuchen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass dort jedenfalls aktuell Erkenntnisse zur politischen Ausrichtung der Identitären Bewegung Deutschland e. V. insbesondere in den Jahren 2015 und 2016 vorliegen.
62. Soweit der frühere Soldat mit Schriftsatz vom (i. V. m. dessen Berufungsschriftsatz vom ) den Sachverständigen ... sowie mit Schriftsatz vom (i. V. m. seinen Schriftsätzen vom , , und ) die Sachverständige ... wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hat, sind die Anträge unbegründet.
7Dabei lässt der Senat dahingestellt, ob der diesbezügliche Vortrag bereits den Begründungserfordernissen entspricht, insbesondere die im Schriftsatz des Verteidigers vom geäußerten Gründe gegen die Unvoreingenommenheit des Sachverständigen ... als Antrag anzusehen sind. Zugunsten des früheren Soldaten nimmt der Senat angesichts der Stellungnahme seines Verteidigers vom zum Beschluss des Senats vom - 2 WD 9.23 -, in dem dieser (in Rn. 5) von einem entsprechenden Befangenheitsantrag auch gegen diesen Sachverständigen ausgeht, an, dass er jedenfalls auch im Berufungsverfahren einen entsprechenden Antrag stellt.
8a) Über die Befangenheit von Sachverständigen ist gemäß § 123 Satz 2, § 91 Abs. 1 WDO i. V. m. § 74 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 24 Abs. 2 StPO zu befinden. Ein Sachverständiger kann danach aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen.
9Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit setzt bei der Ablehnung eines Richters einen Grund voraus, der geeignet ist, Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit zu erregen, nicht hingegen, dass dieser tatsächlich befangen, voreingenommen oder parteiisch ist. Es genügt zwar, wenn vom Standpunkt eines Beteiligten aus gesehen hinreichend objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an der Unparteilichkeit eines Richters zu zweifeln, mithin bereits der "böse Schein" besteht. Die ausschließlich subjektive Besorgnis, für die bei einer Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, reicht indes nicht aus. Der Standpunkt dessen, der die Parteilichkeit geltend macht, ist rechtlich wichtig, aber nicht ausschlaggebend; entscheidend ist vielmehr, ob seine Befürchtung auch objektiv berechtigt ist ( 1 WB 48.22 (1 WB 2.22) - NVwZ 2023, 173 Rn. 31 m. w. N.). Dabei dient das Ablehnungsverfahren nicht dazu, richterliche Entscheidungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen oder einem Verfahrensbeteiligten eine Handhabe zu geben, einen seinem Anliegen gewogenen Richter auszuwählen. Es soll Verfahrensbeteiligte ausschließlich vor einer persönlichen Voreingenommenheit des Richters, nicht aber vor dessen Rechtsanwendung schützen ( 1 WB 48.22 (1 WB 2.22) - NVwZ 2023, 173 Rn. 33 m. w. N.). Da diese Maßstäbe bei mündlichen oder schriftlichen Äußerungen von Sachverständigen entsprechend gelten ( - juris Rn. 24), somit ein - vom Verteidiger mehrfach gerügter - Mangel an Sachkunde, Unzulänglichkeiten oder Fehlerhaftigkeiten eines Sachverständigengutachtens einen Sachverständigen nicht befangen macht, sondern die davon zu unterscheidende Verwertbarkeit eines Gutachtens betrifft (vgl. 2 WD 9.23 - Rn. 5 sowie - BauR 2021, 858 <860 f.> und OLG Celle, Beschluss vom - 14 W 45/01 - NJW-RR 2003, 135 <135>), sind die Anträge unbegründet.
10b) Hinsichtlich des Sachverständigen ... ist bei objektiver Betrachtung nicht die Annahme berechtigt, dieser habe die Beweisfrage des Gerichts positiv beantworten wollen und "dazu auch fernliegende Deutungen, in den Tiefen der Archiven verschwundene Literatur, Arkanwissen einer winzigen spezialisierten Gruppe von Politologen und ein kaum zu übersehendes Vorurteil gegen Menschen mit einer Gesinnung rechts vom Mainstream, aber klar innerhalb des Verfassungsbogens, den er allerdings wie viele Politologen und Publizisten seines Schlages nach links verschieben (wolle), zu einer ... braunen Melange" verrührt (Seite 15 des Schriftsatzes vom ). Der Verteidiger unterstellt dem Sachverständigen damit lediglich eine befangene Haltung und leitet sie vor allem aus schwammigen, nebulösen Aussagen (Seite 12, 14), nicht nachvollziehbaren Schlussfolgerungen (Seite 13), unbehelflichen Feststellungen (Seite 14) und unzutreffenden Aussagen über die Haltung des früheren Soldaten (Seite 14) ab. Damit stützt er den Eindruck der Befangenheit auf Defizite des Gutachtens, die - ebenso wie bei Einwendungen gegen die richterliche Rechtserkenntnis ( 1 WB 48.22 (1 WB 2.22) - NVwZ 2023, 173 Rn. 33 f.) - allein nicht geeignet sind, den objektiven Eindruck einer Befangenheit zu begründen. Dies gilt umso mehr, als die - mit dem vorliegenden Beschluss zu beseitigenden - Defizite des Sachverständigengutachtens auch darauf beruhen, dass das Truppendienstgericht diesem Sachverständigen bei der Ladung kein und ihm in der Hauptverhandlung kein klar eingegrenztes Beweisthema vorgegeben, sondern von ihm eine rechtliche Würdigung zur Frage der Verfassungstreue des früheren Soldaten abverlangt hat (vgl. 2 WD 9.23 - Rn. 3). Zutreffend hat der Verteidiger dazu ausgeführt, die Aufgabenstellung an den Sachverständigen sei damit verfehlt worden.
11c) Nichts anderes gilt für die Sachverständige ..., deren Gutachten nach der erstinstanzlichen Einschätzung die gerichtlich gestellte Beweisfrage nicht beantwortet hat und das nicht verwertet wurde, obwohl ein sachverständiger Abgleich der vom früheren Soldaten in seinen Publikationen verwerteten Literatur und dessen Positionierung dazu Rückschlüsse auf dessen Gesinnung und Persönlichkeit zulässt.
12Der Eindruck des Verteidigers, die Sachverständige habe eine vermeintlich günstige Gelegenheit beim Schopf gepackt, einen ihr politisch suspekten Menschen zu diskreditieren, findet bei objektiver Würdigung der Umstände keine Bestätigung. Eine eigenmächtige Abweichung vom Beweisthema im Sinne einer bewussten, für die Voreingenommenheit der Sachverständigen sprechenden Abweichung liegt bei objektiver Betrachtung nicht vor. Denn der Eindruck einer eigenmächtigen Abweichung vom Beweisthema durch eine personenbezogene Würdigung einer Rechtsfrage resultiert aus dem Begutachtungsauftrag vom . In ihm wird nicht nur eine gutachterliche Stellungnahme zur Frage, "ob die angeschuldigten Sachverhalte (so erweislich) geeignet scheinen, Zweifel an der Verfassungstreue im Sinne des § 8 SG des früheren Soldaten zu begründen", gefordert, sondern wurden auch Veröffentlichungen des früheren Soldaten beigefügt. Nicht zuletzt durch deren Übersendung wurde bei der Sachverständigen der Eindruck einer "zentralen Quelle" erweckt (vgl. Mail vom ) und eine personenbezogene Würdigung vorgenommen, die in den Fragestellungen gemäß Seite 1 des schriftlichen Sachverständigengutachtens vom Ausdruck fand, obgleich das Truppendienstgericht "politologische Ausführungen zum Wesen und Zielen der Identitäten Bewegung in den Jahren 2015/2016 ... Was musste/konnte man über diese wissen, war ihre Ideologie ... zum damaligen Zeitpunkt verfassungsfeindlich?" (Schreiben des erstinstanzlichen Vorsitzenden vom an die Sachverständige) erwartet hatte. Vor diesem in die Einzelfallbetrachtung mit einzubeziehenden Hintergrund (OLG Celle, Beschluss vom - 14 W 24/23 - juris Rn. 11) bildet die Verkennung des Beweisthemas durch die Sachverständige keinen schwerwiegenden, sondern einen nachvollziehbar mit dem gerichtlichen Agieren erklärbaren Irrtum (vgl. auch - BauR 2021, 858 <860 f.>), der nicht den Eindruck entstehen lässt, diese habe sich faktisch an die Stelle des Gerichts gesetzt und ihre Neutralitätspflicht dadurch verletzt, dass sie dem Gericht den Weg der Entscheidungsfindung weist (OLG Celle, Beschluss vom - 14 W 24/23 - juris Rn. 11 und OLG Oldenburg, Beschluss vom - 5 W 133/07 - MDR 2008, 101).
13Dass die Sachverständige in ihrem Sachverständigengutachten "genderte", mag zwar den Rückschluss zulassen, dass sie konservativen Ausdrucksformen nicht nahesteht, berechtigt indes nicht zur weiteren Schlussfolgerung, ihre insoweit abgrenzende politische Positionierung habe sie aus ideologischen Gründen daran gehindert, wissenschaftliche Standards zu wahren.
143. Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:050124B2WD9.23.0
Fundstelle(n):
XAAAJ-83613