Instanzenzug: LG Limburg Az: 5 KLs 2 Js 54390/22
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagten wegen versuchten erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu Freiheitsstrafen von drei Jahren und fünf Monaten (E. ) bzw. zwei Jahren und sechs Monaten (L. ) verurteilt. Die jeweils auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet.
21. Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen kamen beide Angeklagte und der gesondert verfolgte V. im April 2022 überein, den Nebenkläger zu entführen, um dessen Vater zu erpressen. V. überließ E. die weitere Tatplanung, kündigte aber an, einen weiteren − unbekannt gebliebenen − Mittäter für die konkrete Tatausführung zu stellen.
3Im Juni 2022 konkretisierten die beiden Angeklagten den Tatplan und beabsichtigten, den Nebenkläger auf einen leeren Parkplatz in W. zu locken. Dort sollte der Nebenkläger durch E. und den unbekannten Mittäter überwältigt und durch körperliche Gewalt sowie Bedrohung mit scheinbar geladenen Schusswaffen gezwungen werden, in das Fahrzeug des L. , der das Fahrzeug auch führen sollte, einzusteigen und sich fesseln zu lassen. Der gefesselte Nebenkläger sollte anschließend in eine Hütte auf einem Gartengrundstück gebracht werden, wo L. ihn, weiterhin gefesselt und mit verdecktem Gesicht, für zwei bis drei Tage gefangen halten und bewachen sollte. Währenddessen sollte E. Kontakt zu dem Vater des Nebenklägers aufnehmen und diesen von der Entführung seines Sohnes in Kenntnis setzen. Die Angeklagten wollten die so geschaffene Angst des Vaters um Leib und Leben seines Sohnes ausnutzen, um diesen zur Zahlung von Lösegeld und zur Aushändigung verschiedener Unterlagen im Zusammenhang mit Rechtsstreitigkeiten zwischen V. und der Familie des Nebenklägers zu bewegen. Die Angeklagten waren bereit, gegebenenfalls körperliche Gewalt gegenüber dem Nebenkläger, auch durch Abschneiden eines Fingers, auszuüben, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen.
4Am lockte E. den Nebenkläger tatplangemäß auf den leeren Parkplatz. Als der Nebenkläger gegen 22.50 Uhr dort erschien, fuhr L. das Tatfahrzeug, an dem die Angeklagten kurz zuvor falsche Kennzeichen angebracht hatten, in Richtung des Nebenklägers und brachte es kurz vor diesem zum Stehen. E. und der weitere Mittäter sprangen maskiert aus dem Fahrzeug und bedrohten den Nebenkläger mit ihren ungeladenen Schreckschusspistolen. Einer von beiden packte den Nebenkläger am rechten Oberarm, während er seine Waffe in einem Abstand von 20 bis 40 cm auf die rechte Kopfseite des Nebenklägers richtete und diesen dabei in Richtung des Tatfahrzeugs zerrte und stieß. Sowohl E. als auch der Mittäter forderten den Nebenkläger durch lautes Rufen auf, in das Fahrzeug einzusteigen. Der Nebenkläger hielt die ungeladenen Schreckschusspistolen für echte Schusswaffen.
5Als der Nebenkläger bereits mit einem Fuß im Fußraum des hinteren rechten Sitzplatzes des Tatfahrzeugs stand, riss er sich los und stieß den ihn festhaltenden Täter zur Seite. Er rannte über den Parkplatz und versteckte sich. Den beiden Angeklagten und ihrem Mittäter gelang es nicht, den Nebenkläger zu finden. Sie sahen keine Möglichkeit mehr, seiner habhaft zu werden, und fuhren in dem Bewusstsein, dass ihr Vorhaben gescheitert war, davon.
6E. wollte in der Folge einen erneuten Anlauf unternehmen, um des Nebenklägers habhaft zu werden und den Tatplan umzusetzen. Er kontaktierte mehrfach L. , der jedoch innerlich von der weiteren Tatausführung Abstand genommen hatte und dies durch passives Verhalten gegenüber E. demonstrierte. E. brachte einen GPS-Sender am Fahrzeug des Nebenklägers an, den dieser jedoch fand. Der Nebenkläger erhielt daraufhin Polizeischutz. Die Rückverfolgung des Senders lenkte den Tatverdacht auf E. . Nach einer Gefährderansprache durch die Polizei nahm dieser von der weiteren Tatausführung Abstand.
72. Die Revisionen der Angeklagten sind teilweise begründet.
8a) Die Strafkammer ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass beide Angeklagte des versuchten erpresserischen Menschenraubs gemäß § 239a Abs. 1 Variante 1 StGB schuldig sind. Angesichts des offensichtlichen Fehlschlags bedurfte es hier auch, worauf der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend hinweist, keiner Erörterung eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch im Sinne des § 24 Abs. 2 StGB.
9b) Hingegen tragen die Feststellungen keine Verurteilung wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung.
10aa) Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestands unmittelbar ansetzt (§ 22 StGB). Erforderlich ist hierfür nicht die Verwirklichung mindestens eines Tatbestandsmerkmals. Genügend ist vielmehr auch ein für sich gesehen noch nicht tatbestandsmäßiges Handeln, soweit es nach der Vorstellung des Täters der Verwirklichung des Tatbestandsmerkmals räumlich und zeitlich unmittelbar vorgelagert ist und nach dem Tatplan im ungestörten Fortgang ohne Zwischenakte in die Tatbestandsverwirklichung einmünden soll (st. Rspr.; vgl. etwa , NStZ 2014, 447, 448). Diese abstrakten Maßstäbe bedürfen angesichts der Vielzahl denkbarer Sachverhaltsgestaltungen der wertenden Konkretisierung unter Beachtung der Umstände des Einzelfalls. Maßgeblicher Orientierungspunkt ist dabei angesichts der Fassung des § 22 StGB die Vorstellung des Täters, das heißt der Tatplan, der über die Abgrenzung zwischen Vorbereitungs- und Versuchsstadium entscheidet. Der Versuch der räuberischen Erpressung beginnt regelmäßig, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat im Sinne des § 22 StGB unmittelbar zur Nötigungshandlung ansetzt (vgl. , Rn. 6).
11bb) Hieran gemessen belegen die Feststellungen nicht, dass die Angeklagten zu einer schweren räuberischen Erpressung angesetzt haben. Die um 22.50 Uhr begonnene Entführung des Nebenklägers diente nach ihrer Vorstellung dazu, die für einen späteren Zeitpunkt vorgesehene Erpressung des Vaters des Nebenklägers vorzubereiten. Vor der hierfür vorgesehenen Kontaktierung des Vaters des Nebenklägers, des späteren Erpressungsopfers, waren weitere maßgebliche Zwischenschritte vorgesehen. Denn der Nebenkläger sollte zunächst gefesselt und zu einem Gartengrundstück gefahren werden. Dort sollte er für zwei bis drei Tage bewacht und verpflegt werden. Erst während seiner Gefangenschaft sollte sein Vater kontaktiert und dessen Angst um Leib und Leben seines Sohnes ausgenutzt werden, um ihn zur Auszahlung des Lösegeldes und der Aushändigung der begehrten Unterlagen zu bewegen. Der Erfolg der Entführung war somit notwendige Voraussetzung der geplanten Erpressung. Nähere Feststellungen zur Dichte des Tatplans hat die Strafkammer nicht getroffen.
12c) Bei dieser Sachlage kann das Urteil keinen Bestand haben. Der Rechtsfehler führt zum Wegfall der tateinheitlichen Verurteilung wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung. Dies zieht die Aufhebung der für sich genommen rechtsfehlerfreien Verurteilung wegen versuchten erpresserischen Menschenraubs nach sich. Die Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und haben Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO); sie können jedoch um solche Feststellungen ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.
133. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die Feststellungen eine tateinheitliche Verabredung der Angeklagten zu einer räuberischen Erpressung − angesichts des Tatplans, die körperliche Gewalt gegenüber dem Nebenkläger während seiner Gefangenschaft gegebenenfalls auch durch Abschneiden eines Fingers auszuüben, naheliegend in besonders schwerer Form (§ 30 Abs. 2 Variante 3, § 253 Abs. 1, §§ 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB; ggf. auch § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a) StGB) − belegen. Sie lassen indes, was das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht ebenfalls in den Blick zu nehmen haben wird, die Möglichkeit eines Rücktritts von der Verbrechensverabredung (§ 31 Abs. 1 Nr. 3 bzw. § 31 Abs. 2 StGB) nicht ausgeschlossen erscheinen (vgl. , Rn. 9 mwN).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:081024B2STR351.24.0
Fundstelle(n):
UAAAJ-83601