Anspruch auf Zahlung einer monatlichen Nutzungsentschädigung für das alleinige Bewohnen des Familienheims nach der Trennung
Leitsatz
1. Ein Anspruch auf Nutzungsentschädigung nach § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB scheidet grundsätzlich aus, wenn der Wohnvorteil des in der Ehewohnung verbliebenen Ehegatten im Rahmen einer Regelung des Trennungsunterhalts - sei es durch außergerichtliche Verständigung, durch gerichtlichen Vergleich oder durch gerichtliche Entscheidung - familienrechtlich kompensiert, er insbesondere bei der Unterhaltsbemessung entweder bedarfsmindernd oder die Leistungsfähigkeit erhöhend berücksichtigt worden ist (im Anschluss an Senatsbeschluss vom - XII ZB 268/13, BGHZ 199, 322 = FamRZ 2014, 460).
2. Fehlt es an einer solchen Unterhaltsregelung, ist bereits im Ehewohnungsverfahren als Kriterium für die nach § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB gebotene Billigkeitsabwägung in den Blick zu nehmen, ob und gegebenenfalls in welcher Größenordnung dem in der Ehewohnung verbliebenen Ehegatten bei summarischer Prüfung im Falle der Verpflichtung zur Zahlung von Nutzungsentschädigung (hypothetische) Ansprüche auf Trennungsunterhalt gegen den weichenden Ehegatten zustehen würden.
Gesetze: § 1361b Abs 3 S 2 BGB
Instanzenzug: Az: 26 UF 995/22vorgehend Az: 556 F 2818/22
Gründe
1Die Beteiligten sind miteinander verheiratet und leben seit Januar 2020 getrennt. Aus ihrer Ehe ist ein im Jahr 2008 geborener Sohn hervorgegangen. Die Ehegatten sind jeweils zur Hälfte Miteigentümer eines Reihenhauses in M. mit einer Wohnfläche von 145 qm, welches ihnen vor der Trennung als Ehewohnung diente. Im Sommer 2020 verließ der Ehemann (Antragsteller) das Familienheim und siedelte nach W. über. Im Februar 2021 zog der gemeinsame Sohn nach W. zum Ehemann.
2Mit seinem Antrag hat der Ehemann die allein in der Ehewohnung verbliebene Ehefrau auf Zahlung einer monatlichen Nutzungsentschädigung von 1.464,50 € in Anspruch genommen, die er mit Schreiben vom erstmals geltend gemacht hat. Das Amtsgericht hat dem Ehemann eine Nutzungsentschädigung von monatlich 692 € für die Zeit ab dem zugesprochen. Gegen diese Entscheidung haben sich beide Beteiligte mit ihren Beschwerden gewendet. Während das Rechtsmittel der Ehefrau erfolglos geblieben ist, hat das Oberlandesgericht die amtsgerichtliche Entscheidung auf die Beschwerde des Ehemanns unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abgeändert und die für die Zeit ab dem zu zahlende Nutzungsentschädigung auf monatlich 805,60 € festgesetzt. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Ehefrau, die weiterhin eine vollständige Antragsabweisung erstrebt.
B.
3Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
4Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung das Folgende ausgeführt: Ob eine Nutzungsentschädigung zu bezahlen sei, richte sich nach den Grundsätzen der Billigkeit. Eine Nutzungsentschädigung scheide regelmäßig nur dann aus, wenn der in der Ehewohnung verbliebene Ehegatte nicht ausreichend leistungsfähig sei oder zwischen den Einkommensverhältnissen der Ehegatten ein besonders großes Ungleichgewicht bestehe. Letzteres sei weder vorgetragen noch ersichtlich, ohne dass es für diese Beurteilung einer genauen Ermittlung des vom Ehemann erzielten Einkommens bedürfe. Selbst wenn die Behauptungen der Ehefrau zu dessen Einkommensverhältnissen zuträfen, entspräche die Zuerkennung einer Nutzungsentschädigung der Billigkeit. Denn die Ehefrau sei leistungsfähig. Sie verfüge über ein monatliches Nettoeinkommen von 2.359,66 €. Nach Abzug der von ihr genannten Belastungen und des gezahlten Kindesunterhalts verblieben ihr jedenfalls noch monatlich 1.370 €. Davon könne sie die Nutzungsentschädigung bezahlen, zumal diese lediglich den Wohnwert kompensiere, der ihr durch die Nutzung des hälftigen Miteigentumsanteils des Ehemanns zufließe.
5Grundlage des Anspruchs auf Nutzungsentschädigung sei der objektive Mietwert der Ehewohnung, der mit monatlich 1.840 € zu schätzen sei. Die Hälfte dieses Mietwerts stehe dem Ehemann als Nutzungsentschädigung zu. Allerdings müssten von diesem Betrag noch die von der Ehefrau allein getragenen Hausdarlehen gegenüber der C.-Bank in Höhe von monatlich 228,79 € zur Hälfte abgezogen werden. Die ab Juni 2021 zu zahlende Nutzungsentschädigung betrage somit 805,60 €.
6Der Ehefrau sei nach Erhalt des Aufforderungsschreibens vom keine mehrmonatige Bedenkzeit einzuräumen gewesen, in der eine Nutzungsentschädigung nicht verlangt werden könne. Denn der Auszug des Ehemanns sei bereits im Sommer 2020 erfolgt, so dass sie ihre Lebensverhältnisse entsprechend habe einrichten können. Sie könne dem Anspruch des Ehemanns auf Nutzungsentschädigung auch keine eigenen Unterhaltsansprüche entgegenhalten. Ihr Anspruch auf Trennungsunterhalt müsse vielmehr in einem eigenen Verfahren verfolgt werden. Denn das Verfahren auf Nutzungsentschädigung als Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit und das Unterhaltsverfahren als Familienstreitsache unterlägen gänzlich verschiedenen Verfahrensvorschriften, so dass die jeweiligen Ansprüche nicht in demselben Verfahren verfolgt werden könnten und auch eine Verbindung dieser Verfahren nicht zulässig sei. Dies führe dazu, dass dem Anspruch auf Nutzungsentschädigung jedenfalls ein streitiger Anspruch auf Trennungsunterhalt nicht in demselben Verfahren entgegengehalten werden könne, und zwar auch nicht im Rahmen einer Billigkeitsabwägung. Es bestehe auch keine verfahrensrechtliche Möglichkeit, bei fehlender Entscheidungsreife des von dem Anspruchsgegner geltend gemachten Trennungsunterhaltsanspruchs über die Nutzungsentschädigung des Anspruchstellers im Wege eines Vorbehaltsbeschlusses zu entscheiden, weil das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine solche Entscheidungsform nicht kenne.
II.
7Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
81. Zutreffend und von der Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel gezogen sind dabei allerdings die rechtlichen Ausgangspunkte des Beschwerdegerichts: Nach § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB kann der Ehegatte, der dem anderen die Ehewohnung während des Getrenntlebens ganz oder zum Teil überlassen hat, von dem nutzungsberechtigten Ehegatten eine Vergütung für die Nutzung verlangen, soweit dies der Billigkeit entspricht. Dabei knüpft die Vergütungsregelung nur noch an die tatsächliche Überlassung der Wohnung an, ohne dass es darauf ankommt, ob der weichende Ehegatte die Ehewohnung - wie hier - freiwillig verlässt oder er verpflichtet ist, sie dem anderen zur alleinigen Benutzung zu überlassen (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 199, 322 = FamRZ 2014, 460 Rn. 9). Die familienrechtliche Nutzungsvergütung soll den Verlust des Wohnungsbesitzes und die damit einhergehenden wirtschaftlichen Nachteile für den weichenden Ehegatten im Einzelfall und nach Billigkeit kompensieren. Zugleich schafft sie einen Ausgleich dafür, dass nur noch der Verbliebene allein diejenigen Nutzungen zieht, die nach der ursprünglichen ehelichen Lebensplanung beiden Ehegatten gemeinsam zustehen sollten. Die Vergütungsregelung nach § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB ermöglicht somit einen an familienrechtlichen Billigkeitskriterien orientierten Ausgleich für die Zeit des Getrenntlebens (vgl. Senatsbeschlüsse BGHZ 214, 146 = FamRZ 2017, 693 Rn. 35 und BGHZ 199, 322 = FamRZ 2014, 460 Rn. 10). Der Grundsatz der Billigkeit bestimmt dabei sowohl den Grund des Anspruchs auf Nutzungsvergütung als auch dessen Höhe (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 199, 322 = FamRZ 2014, 460 Rn. 15 und Senatsurteil vom - XII ZR 202/03 - FamRZ 2006, 930, 933).
92. Ob und in welchem Umfang der in der Wohnung verbliebene Ehegatte einen gestiegenen Wohnwert aus der ungeteilten Nutzung der Ehewohnung zieht, in welchem Umfang der weichende Ehegatte durch den Verlust des Wohnungsbesitzes wirtschaftliche Nachteile erleidet und inwieweit es der Billigkeit entspricht, diese durch eine Nutzungsvergütung zu kompensieren, obliegt einer wertenden Betrachtungsweise des Tatrichters. Dessen Würdigung kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur daraufhin überprüft werden, ob er die maßgebenden Tatsachen vollständig und fehlerfrei festgestellt und gewürdigt hat, von ihm Rechtsbegriffe verkannt oder Erfahrungssätze verletzt wurden und er die allgemein anerkannten Maßstäbe berücksichtigt und richtig angewandt hat (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 199, 322 = FamRZ 2014, 460 Rn. 16). Die angefochtene Entscheidung begegnet aber auch nach diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab durchgreifenden Bedenken.
10a) Bei der nach § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB erforderlichen Billigkeitsabwägung sind alle Gesamtumstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, zu denen insbesondere auch die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse der Ehegatten und der gemeinsamen Kinder gehören (vgl. OLG Stuttgart FamRZ 2023, 1855, 1856; Staudinger/Voppel BGB [2024] § 1361 b Rn. 76 mwN). Wie das Beschwerdegericht im Ausgangspunkt nicht verkennt, werden die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten auch durch ihre wechselseitigen unterhaltsrechtlichen Beziehungen bestimmt. Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Nutzungsvergütung und den Unterhaltsansprüchen in der Trennungszeit.
11b) In der Rechtsprechung des Senats geklärt ist dabei das Folgende: Begehrt der in der Wohnung verbliebene Ehegatte Trennungsunterhalt oder ist er seinerseits zur Gewährung von Trennungsunterhalt verpflichtet, ist bei der Unterhaltsbemessung der Vorteil mietfreien Wohnens zu berücksichtigen, und zwar entweder als bedarfsdeckendes und seine Bedürftigkeit minderndes Einkommen des Unterhaltsberechtigten oder als unterhaltsrelevantes und seine Leistungsfähigkeit erhöhendes Einkommen des Unterhaltspflichtigen. Ist der Wohnvorteil des in der Ehewohnung verbleibenden Ehegatten auf diese Weise im Rahmen einer Unterhaltsregelung - sei es durch außergerichtliche Verständigung, durch gerichtlichen Vergleich oder durch gerichtliche Entscheidung - familienrechtlich kompensiert worden, kommt daneben schon wegen des Verbots der Doppelverwertung ein Anspruch des weichenden Ehegatten auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung nach § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB grundsätzlich nicht mehr in Betracht (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 199, 322 = FamRZ 2014, 460 Rn. 10). Insoweit besteht ein Vorrang der Unterhaltsregelung vor der Nutzungsvergütung, um zwischen den Ehegatten einen angemessenen Ausgleich für den Wohnvorteil zu bewirken.
12c) In Rechtsprechung und Schrifttum uneinheitlich beurteilt wird demgegenüber die Frage, wie sich das Fehlen einer Unterhaltsregelung auf den Anspruch auf Nutzungsentschädigung auswirkt, und zwar insbesondere dann, wenn der in der Wohnung verbliebene Ehegatte geltend macht, durch die Verpflichtung zur Zahlung einer Nutzungsentschädigung (vermehrt) unterhaltsbedürftig zu werden.
13Teilweise wird - mit dem Beschwerdegericht - die Ansicht vertreten, dass dem Anspruch des weichenden Ehegatten auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung nach § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB generell keine ungeregelten Unterhaltsansprüche des in der Wohnung verbliebenen Ehegatten entgegengehalten werden könnten (vgl. BeckOGK/Erbarth [Stand: ] § 1361 b BGB Rn. 354).
14Die abweichende Auffassung stellt demgegenüber darauf ab, dass sich das, was der Billigkeit im Sinne von § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB entspreche, in der Regel nicht ohne Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Seite feststellen lasse. Geboten sei eine einheitliche wirtschaftliche Betrachtungsweise, welche in den Blick nehme, ob der in der Ehewohnung verbliebene Ehegatte im Falle der Zahlung einer Nutzungsentschädigung gegen den anderen Ehegatten einen Anspruch auf Trennungsunterhalt hätte, ohne dass es dabei entscheidend auf die tatsächliche Geltendmachung dieses Unterhaltsanspruchs ankäme (vgl. OLG Frankfurt Beschluss vom - 4 UF 14/12 - juris Rn. 31; Staudinger/Voppel BGB [2024] § 1361 b Rn. 71; Grüneberg/Götz BGB 83. Aufl. § 1361 b Rn. 20; jurisPK-BGB/Faber [Stand: ] § 1361 b Rn. 69; Schulz/Hauß Vermögensauseinandersetzung bei Trennung und Scheidung 7. Aufl. 5. Kap. Rn. 73; Cirullies NZFam 2014, 381).
15Eine weitere Ansicht hält fiktive Trennungsunterhaltsansprüche des in der Wohnung verbliebenen Ehegatten im Rahmen der gemäß § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB anzustellenden Billigkeitsabwägung zwar grundsätzlich für beachtlich, will solche Ansprüche aber bei schwierig zu beurteilenden unterhaltsrechtlichen Fragestellungen - wie beispielsweise der Zurechnung fiktiver Einkünfte - außer Betracht lassen (vgl. Wever Vermögensauseinandersetzung der Ehegatten außerhalb des Güterrechts 8. Aufl. Rn. 221; vgl. auch - juris Rn. 17; KG FamRZ 2015, 1191, 1192; Erman/Kroll-Ludwigs BGB 17. Aufl. § 1361 b BGB Rn. 13; Johannsen/Henrich/Althammer/Dürbeck Familienrecht 7. Aufl. § 1361 b BGB Rn. 39).
16d) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts kann die Frage nach der Billigkeit der Nutzungsentschädigung gemäß § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB grundsätzlich nicht unabhängig von den unterhaltsrechtlichen Verhältnissen der Beteiligten beurteilt werden.
17(1) Gerade in Fällen, in denen der eigentlich einkommensschwächere Ehegatte im Hinblick auf den von ihm gezogenen Wohnvorteil auf die Geltendmachung von Trennungsunterhalt verzichtet hat, kann es nicht der Billigkeit entsprechen, ihn zur Zahlung einer Nutzungsentschädigung zu verpflichten, die ihm anschließend als Ergebnis eines gesonderten Trennungsunterhaltsverfahrens wieder zufließen müsste (vgl. KG FamRZ 2015, 1191, 1192). Vielmehr dürfte es in diesen Fällen sachgerecht sein, die Wohnungsüberlassung - auch im wohlverstandenen Interesse der Ehegatten an der Vermeidung von (weiteren) Rechtsstreitigkeiten - als Teil der Unterhaltsgewährung anzusehen und im Hinblick darauf gegebenenfalls von der Festsetzung einer gesonderten Vergütung für die Nutzung der Wohnung abzusehen (vgl. Wever Vermögensauseinandersetzung der Ehegatten außerhalb des Güterrechts 8. Aufl. Rn. 221).
18(2) Im Übrigen trägt der weichende Ehegatte die Feststellungslast für die Billigkeit einer von ihm begehrten Nutzungsentschädigung (vgl. OLG Saarbrücken FamRZ 2014, 1636; OLG Frankfurt FamRZ 2011, 373, 374; Staudinger/Voppel BGB [2024] § 1361 b Rn. 76; BeckOGK/Erbarth [Stand: ] § 1361 b BGB Rn. 331). Würde die nach § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB gebotene Billigkeitsprüfung von vornherein um die Würdigung der unterhaltsrechtlichen Situation der Beteiligten verkürzt, führte dies zu einer Begünstigung des Anspruchstellers, für die es keine sachliche Rechtfertigung gibt. Es bestehen insbesondere keine zwingenden verfahrensrechtlichen Gründe, die der Berücksichtigung eines hypothetischen Trennungsunterhaltsanspruchs des in der Wohnung verbliebenen Ehegatten im Verfahren um das Begehren des weichenden Ehegatten nach Zahlung einer Nutzungsentschädigung entgegenstehen könnten.
19(a) Richtig ist zwar, dass das Verfahren betreffend die Zuerkennung einer Nutzungsentschädigung nach § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB eine Ehewohnungssache (§§ 111 Nr. 5, 200 Abs. 1 Nr. 1 FamFG) und damit eine Familiensache der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist, für die uneingeschränkt die Verfahrensvorschriften des Familienverfahrensgesetzes gelten, wohingegen es sich bei einer Unterhaltssache nach §§ 112 Nr. 1 Alt. 1, 231 Abs. 1 Nr. 2 FamFG um eine Familienstreitsache handeln würde, auf die wegen der Verweisung in § 113 Abs. 1 FamFG weitestgehend die Vorschriften der Zivilprozessordnung Anwendung finden. Aus den unterschiedlichen Verfahrensgrundsätzen folgt nach allgemeiner und zutreffender Ansicht, dass in einem Ehewohnungsverfahren, welches den Anspruch auf Zahlung von Nutzungsentschädigung nach § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB zum Gegenstand hat, grundsätzlich weder ein Widerantrag auf Trennungsunterhalt gestellt noch über eine Aufrechnung mit Gegenforderungen auf Trennungsunterhalt entschieden werden kann (vgl. OLG Koblenz FamRZ 2020, 239, 240; - juris Rn. 63 f.; Borth in Musielak/Borth/Frank FamFG 7. Aufl. § 111 Rn. 10; Jauernig/Budzikiewicz BGB 19. Aufl. § 1361 b Rn. 8; Grandke in Scholz/Kleffmann Praxishandbuch Familienrecht [Stand: Mai 2024] Teil D Ehewohnung, Haushaltsgegenstände und Gewaltschutz Rn. 12; Wever FamRZ 2020, 885, 886; Splitt FF 2020, 92, 97; vgl. auch OLG Frankfurt FamRZ 2016, 57, 58).
20(b) Es ist allerdings sowohl materiell-rechtlich als auch verfahrensrechtlich ein Unterschied, ob entstandene Unterhaltsansprüche selbständig - sei es im Wege des Widerantrages, sei es im Wege der Aufrechnung - verfolgt werden oder ob (lediglich) Betrachtungen zu hypothetischen Unterhaltsansprüchen im Rahmen einer Billigkeitsabwägung anzustellen sind. Das Erfordernis, auf gerichtlichen Ermittlungen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Verfahrensbeteiligten beruhende Billigkeitsentscheidungen zu treffen, kann sich auch in anderen Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit in vielfältiger Hinsicht ergeben, beispielsweise im Zusammenhang mit der Anwendung der Härteklausel des § 27 VersAusglG in Versorgungsausgleichssachen. Dem Verfahren in den Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit und dessen maßgeblichen Verfahrensgrundsätzen sind deshalb (auch) die Aufklärung und rechtliche Beurteilung von unterhaltsrechtlich relevanten Sachverhalten nicht von vornherein fremd.
21(3) Damit ist allerdings noch nicht gesagt, dass rechtlich und tatsächlich besonders schwierig zu beurteilende Fragen des Unterhaltsrechts im Ehewohnungsverfahren in allen Einzelheiten und abschließend geklärt werden müssten. Denn als (bloßes) Kriterium für die im Rahmen des § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB vorzunehmende Billigkeitsabwägung genügt auch eine anhand der gewonnenen Erkenntnisse über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Ehegatten überschlägig vorgenommene Prüfung, ob und gegebenenfalls in welcher Größenordnung dem in der Wohnung verbliebenen Ehegatten im Falle der Verpflichtung zur Zahlung von Nutzungsentschädigung (hypothetische) Ansprüche auf Trennungsunterhalt gegen den weichenden Ehegatten zustehen würden.
22e) Den dargestellten Anforderungen genügt die angefochtene Entscheidung nicht. Die Ehefrau hat im instanzgerichtlichen Verfahren unter Vorlage einer Unterhaltsberechnung behauptet, dass sie selbst bei Zurechnung des vollen Mietwerts der Ehewohnung schon ohne Zahlung der von dem Ehemann verlangten Nutzungsentschädigung unterhaltsbedürftig gewesen sei. Es ist dem Gericht auch in einem Ehewohnungsverfahren anzusinnen, die gebotenen Ermittlungen zu den Einkünften der Beteiligten und den berücksichtigungsfähigen Abzugspositionen durchzuführen und zumindest summarisch die damit zusammenhängenden unterhaltsrechtlichen Beurteilungen anzustellen. Das gilt unter den hier obwaltenden Umständen auch für die Beurteilung der zwischen den Beteiligten offensichtlich streitigen Frage, ob die Ehefrau mit ihrer Teilzeitbeschäftigung als Flugbegleiterin und ihrer Nebentätigkeit als Erzieherin im Kindergarten ihrer Erwerbsobliegenheit vollständig genügt.
233. Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Sie ist nach § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben und die Sache ist gemäß § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
24Die Sache ist nicht in dem Sinne entscheidungsreif (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG), dass der Zahlungsantrag des Ehemanns auf der Grundlage der vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen zu den Einkommensverhältnissen der Ehefrau allein wegen ihres wirtschaftlichen Unvermögens zur Zahlung einer Nutzungsentschädigung zurückzuweisen wäre, auch wenn sich zu ihren Gunsten kein (hypothetischer) Trennungsunterhaltsanspruch errechnen ließe. Die fehlende Leistungsfähigkeit des in der Wohnung verbliebenen Ehegatten kann es für sich genommen nicht dauerhaft rechtfertigen, dass dieser unentgeltlich in der Ehewohnung verbleibt (vgl. Johannsen/Henrich/Althammer/Dürbeck Familienrecht 7. Aufl. § 1361 b BGB Rn. 36; Billhardt jurisPR-FamR 19/2023 Anm. 2). Insoweit müsste im vorliegenden Fall insbesondere berücksichtigt werden, dass der Anspruch auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung erstmals ein Jahr nach dem Auszug des Ehemanns aus der gemeinsamen Wohnung geltend gemacht wurde, Wohnbelange des gemeinsamen Kindes nach dem Umzug des Sohnes zum Ehemann insoweit nicht mehr zu berücksichtigen sind und die Ehewohnung jedenfalls für die Deckung angemessener Wohnbedürfnisse der alleinlebenden Ehefrau ersichtlich zu groß ist.
254. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Pernice Recknagel
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:271124BXIIZB28.23.0
Fundstelle(n):
NJW 2025 S. 8 Nr. 7
PAAAJ-83591