BSG Urteil v. - B 1 KR 33/23 R

Instanzenzug: Az: S 86 KR 753/18 Urteilvorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Az: L 16 KR 522/21 Urteil

Tatbestand

1Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung.

2Das nach § 108 SGB V zugelassene Krankenhaus der Klägerin behandelte einen bei der beklagten Krankenkasse (KK) Versicherten im Juni 2017 stationär. Nach den am Aufnahmetag () erfolgten zwei Notfallrevisionen zur Entlastung beidseitiger Schädelhämatome sank der Fibrinogen-Wert des Versicherten von 2,7 g/l auf 1,5 g/l und damit unter den Normbereich von 2,1 bis 4 g/l. Die Klägerin nahm eine Substitution mit 3 g Fibrinogen und vier Einheiten Prothrombinkomplex vor. Der Fibrinogen-Wert lag einen Tag später mit 3,0 g/l wieder im Normbereich. Die Klägerin berechnete der Beklagten für die Behandlung des Versicherten 38 115,67 Euro nach DRG A13B (Beatmung > 95 Stunden mit sehr komplexem Eingriff oder mit komplexer OR-Prozedur und komplizierender Konstellation oder mit best OR-Proz und kompliz Konst, Alter < 16 Jahre oder intensivmedizinische Komplex > -/ 1104 / 1104 Punkte und kompliz Konst) und kodierte hierfür neben der Hauptdiagnose ICD-10-GM S06.4 (epidurale Blutung) ua als Nebendiagnose ICD-10-GM D65.0 (erworbene Afibrinogenämie). Die Beklagte beglich den Rechnungsbetrag und beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit einer Überprüfung der Nebendiagnosen.

3Am übersandte die Beklagte ihre leistungsrechtliche Entscheidung der Klägerin mit folgendem Wortlaut: "Die Abrechnung wird beanstandet. Die Nebendiagnose D65.0 ist zu streichen. Somit ist die DRG A13D abzurechnen. Bitte schreiben Sie uns den Betrag gut und schicken uns eine korrigierte Abrechnung. Erhalten wir diese nicht innerhalb der 4 Wochenfrist nach § 10 PrüfvV, werden wir den Fall gemäß MDK-Gutachten abrechnen. …" Im April 2018 rechnete die Beklagte einen Betrag iHv 8841,71 Euro mit einer anderen unstreitigen Vergütungsforderung der Klägerin auf.

4Das SG hat die Beklagte zur Zahlung von 8841,71 Euro nebst Zinsen verurteilt. Die Klägerin habe die Nebendiagnose ICD-10-GM D65.0 zutreffend kodiert (Urteil vom ). Im Berufungsverfahren hat die Klägerin erstmals geltend gemacht, die Beklagte habe den Erstattungsanspruch entgegen § 8 Satz 1 Prüfverfahrensvereinbarung vom (PrüfvV 2016, im Folgenden nur PrüfvV) nicht mitgeteilt. Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Erstattungsanspruch lasse sich für die Klägerin aus den mitgeteilten wesentlichen Gründen für die Rechnungskürzung gemäß § 8 Satz 2 PrüfvV hinreichend konkretisieren. Eine Afibrinogenämie habe nicht vorgelegen (Urteil vom ).

5Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 17c Abs 2 KHG iVm § 8 Satz 1 und § 10 PrüfvV 2016 sowie § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V, §§ 7 und 9 KHEntgG, § 17b KHG iVm der Fallpauschalenvereinbarung (FPV) 2017.

8Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Gründe

9Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

10Die von der Klägerin erhobene (echte) Leistungsklage ist im hier bestehenden Gleichordnungsverhältnis zulässig (stRspr; vgl KR R - BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13, RdNr 9; - BSGE 133, 24 = SozR 4-2500 § 2 Nr 17, RdNr 7). Der Klägerin stand für die Behandlung des Versicherten nur eine Vergütung nach DRG A13D und der Beklagten damit ein Erstattungsanspruch in der geltend gemachten Höhe zu (dazu 1.). Der Senat kann auf Grundlage der Feststellungen des LSG aber nicht abschließend entscheiden, ob die Beklagte mit diesem Erstattungsanspruch wirksam gegen den streitgegenständlichen Vergütungsanspruch aufgerechnet hat (dazu 2.).

111. Die Klägerin hatte für die Behandlung des Versicherten nur Anspruch auf die niedrigere Vergütung nach DRG A13D, nicht auf die abgerechnete und von der Beklagten gezahlte höhere Vergütung nach DRG A13B. Die Klägerin hätte neben der zutreffend kodierten Hauptdiagnose ICD-10-GM S06.4 nicht auch ICD-10-GM D65.0 als Nebendiagnose kodieren dürfen, die die Ansteuerung der DRG A13B bewirkte. Davon ist das LSG zu Recht ausgegangen.

12a) Rechtsgrundlage des von der Klägerin wegen der stationären Behandlung des Versicherten geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V iVm § 17b KHG und § 7 KHEntgG, der hier durch § 9 Abs 1 KHEntgG iVm FPV 2017 konkretisiert wird (vgl - SozR 4-5562 § 9 Nr 10 RdNr 10 mwN). Die Zahlungsverpflichtung einer KK entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung - abgesehen von einem Notfall - in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und iS von § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (stRspr; vgl - BSGE 130, 73 = SozR 4-2500 § 12 Nr 18, RdNr 11 mwN). Diese Grundvoraussetzungen waren nach dem Gesamtzusammenhang der unangegriffenen, den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) vorliegend erfüllt.

13Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich aus der Eingabe und Verarbeitung von Daten in einem automatischen Datenverarbeitungssystem, das auf einem zertifizierten Programm (Grouper) basiert (vgl § 1 Abs 6 Satz 1 FPV 2017; vgl für die stRspr zum rechtlichen Rahmen der Klassifikationssysteme und des Groupierungsvorgangs - SozR 4-5562 § 9 Nr 10 RdNr 13 und 17 mwN). Dieser Grouper greift auf Daten zurück, die entweder als integrale Bestandteile des Programms mitvereinbart sind oder an anderer Stelle vereinbarte Regelungen wiedergeben. Zu Letzteren gehören die Fallpauschalen selbst, die von den Vertragspartnern auf Bundesebene getroffene Vereinbarung zu den Deutschen Kodierrichtlinien (DKR, hier Version 2017) für das G-DRG-System‎ gemäß § 17b KHG, aber auch die vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) - jetzt Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) - im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit jährlich herausgegebenen Klassifikationen von OPS und ICD-10-GM, der deutschen Fassung der internationalen Klassifikation der Krankheiten (vgl - BSGE 134, 193 = SozR 4-5560 § 19 Nr 1, RdNr 11). Dabei kommt auch den in den DKR enthaltenen Erläuterungen zu den einzelnen Kodierrichtlinien normative Wirkung zu, soweit sie ergänzende Regelungen enthalten (vgl - BSGE 118, 225 = SozR 4-2500 § 109 Nr 45, RdNr 15; - SozR 4-2500 § 109 Nr 58 RdNr 14; vgl zum Ganzen auch - juris RdNr 16 - für SozR 4-2500 § 112 Nr 10 vorgesehen).

14b) Die Diagnose ICD-10-GM D65.0 durfte nicht kodiert werden. Nach Auslegung des Kodes umfasst dieser einen bloßen Fibrinogen-Mangel nicht. Ob der Fibrinogen-Mangel in den Anwendungsbereich von ICD-10-GM D68.4 (Erworbener Mangel an Gerinnungsfaktoren) fällt, kann dahinstehen, da diese Nebendiagnose vorliegend nicht erlösrelevant ist.

15aa) Abrechnungsbestimmungen sind wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und allenfalls unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (stRspr; vgl - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 27; - SozR 4-5562 § 9 Nr 16 RdNr 17, jeweils mwN). Sie dürfen nicht analog angewandt werden (vgl - juris RdNr 12 mwN - für SozR 4-5562 § 9 Nr 26 vorgesehen). Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt (stRspr; vgl die vorgenannten BSG-Urteile, aaO, mwN). Dazu ist zunächst zu prüfen, ob ein normativ-determiniertes Begriffsverständnis besteht. Dieses kann ausdrücklich in den Kodiervorschriften festgelegt sein oder diese können implizit ein an anderer Stelle normativ determiniertes Begriffsverständnis in Bezug nehmen. Fehlt es an einem normativ-definitorischen Begriffsverständnis, sind medizinische Begriffe im Sinne ihres medizinisch-wissenschaftlichen Sprachgebrauchs zu verstehen (vgl zum Stufenverhältnis - SozR 4-2500 § 109 Nr 84 RdNr 24, 25; ferner - juris RdNr 18 - für SozR 4-5562 § 9 Nr 26 vorgesehen).

16bb) Maßgeblich für die Kodierung ist nach DKR D014d das Systematische Verzeichnis des ICD-10-GM, das durch das Alphabetische Verzeichnis lediglich ergänzt wird (vgl hierzu ausführlich - SozR 4-2500 § 112 Nr 10 RdNr 18 f mwN; - SozR 4-5562 § 9 Nr 12 RdNr 15).

17cc) Die Diagnose ICD-10-GM D65.0 erfordert nach den unangegriffenen und den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG zum medizinisch-wissenschaftlichen Sprachgebrauch ein (fast) vollständiges funktionelles und immunologisches Fehlen des Fibrinogens. Ein teilweises Fehlen im Sinne eines verringerten Fibrinogen-Wertes im Blut ist nicht ausreichend. Diese Feststellungen hat das LSG auf den Sprachgebrauch in der medizinischen Literatur (vgl Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch 268. Auflage 2020, S 31 „Afibrinogenämie“) und die Ausführungen des vom SG ernannten Sachverständigen gestützt. Letzterer hat in seinem Gutachten vom auf die medizinische Unterscheidung zwischen einem Fibrinogen-Mangel (Fibrinogenopenie) und einem kompletten Verlust bzw kompletter Abwesenheit von Fibrinogen (Afibrinogenämie) hingewiesen.

18dd) Die binnensystematische Einordnung bestätigt das Ergebnis der Wortlautauslegung. Der ICD-10-GM enthält mit D68.20 einen Kode für den hereditären Faktor-I-Mangel, der nach dem Systematischen Verzeichnis die angeborene Afibrinogenämie, die angeborene Dysfibrinogenämie und den Fibrinogen-Mangel umfasst. Dieser Kode differenziert eindeutig zwischen der (angeborenen) Afibrinogenämie und dem (angeborenen) Fibrinogen-Mangel und schließt beide in die Bezeichnung "Hereditärer Faktor-I-Mangel" ein. Diese Bezeichnung des Kodes ist zum einen deutlich weiter als die Bezeichnung von ICD-10-GM D65.0 mit "Erworbene Afibrinogenämie", der schon nach seiner Wortlaut den bloßen Mangelzustand nicht einschließt. Zum anderen wird ein Einschluss des Fibrinogen-Mangels in der Beschreibung von ICD-10-GM D65.0 nicht genannt. Die Kodierung eines Fibrinogen-Mangels unter D65.0 in Anlehnung an den Einschluss des Mangelzustands bei Kode D68.20 liefe insofern auf eine unzulässige analoge Anwendung hinaus.

19ee) Unerheblich ist deshalb, dass das Alphabetische Verzeichnis für den erworbenen Fibrinogen-Mangel auf ICD-10-GM D65.0 verweist. Liegen die Voraussetzungen eines Diagnosekodes des Systematischen Verzeichnisses des ICD-10-GM eindeutig nicht vor, kann dieser selbst dann nicht kodiert werden, wenn das Alphabetische Verzeichnis für eine bestimmte Erkrankung hierauf verweist (vgl - SozR 4-2500 § 112 Nr 10 RdNr 19).

20ff) Die Entscheidung des Schlichtungsausschusses vom , in der die Kodierung eines Fibrinogen-Mangels unter D65.0 befürwortet wird, führt jedenfalls für den vorliegenden Abrechnungsfall aus dem Jahr 2017 zu keinem anderen Ergebnis. Sie gilt zwar als Kodierrichtlinie (§ 19 Abs 6 KHG), jedoch nach § 19 Abs 4 Satz 3 KHG nur für zukünftige Behandlungsfälle und Abrechnungen, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Entscheidung bereits Gegenstand einer Prüfung durch den Medizinischen Dienst "sind". Dazu gehören nicht Prüfverfahren, in denen - wie hier - bereits vor Veröffentlichung der Entscheidung des Schlichtungsausschusses die abschließende Entscheidung durch die KK mitgeteilt wurde (vgl - BSGE 134, 193 = SozR 4-5560 § 19 Nr 1, RdNr 24, 28).

21gg) Eine (nahezu) vollständige Abwesenheit von Fibrinogen lag hier nicht vor. Der nach den bindenden Feststellungen des LSG beim Versicherten gemessene Fibrinogen-Wert von 1,5 g/l stellt kein fast vollständiges Fehlen von Fibrinogen dar.

222. Der Senat kann nicht abschließend über die Wirksamkeit der von der Beklagten erklärten Aufrechnung entscheiden.

23Nach § 10 Satz 1 der auf Grundlage des § 17c Abs 2 KHG geschlossenen und hier anwendbaren PrüfvV kann die KK einen nach Beendigung des Vorverfahrens einvernehmlich als bestehend festgestellten oder nach § 8 (PrüfvV) mitgeteilten Erstattungsanspruch mit einem unstreitigen Leistungsanspruch des Krankenhauses aufrechnen. Die von § 8 Satz 1 PrüfvV geforderte Mitteilung des Erstattungsanspruchs setzt eine Bezifferung voraus, an der es vorliegend fehlte (dazu a). Die nicht fristgerechte Mitteilung des Erstattungsanspruchs schließt nur die Wirksamkeit einer nachfolgenden Aufrechnung grundsätzlich aus, nicht hingegen führt dies zum Erlöschen des Erstattungsanspruchs (dazu b). Es kommt in Betracht, dass hier die mangelnde Bezifferung des Erstattungsanspruchs unbeachtlich ist. Dies ist dann der Fall, wenn die Klägerin sich aus Gründen des Vertrauensschutzes so behandeln lassen muss, als habe die Beklagte den Erstattungsanspruch fristgerecht beziffert. Dies hätte die Wirksamkeit der Aufrechnung zur Folge (dazu c). Hierzu wird das LSG die gebotenen Feststellungen zu treffen haben (dazu d).

24a) Der Erstattungsanspruch ist iS des § 8 Satz 1 PrüfvV nur mitgeteilt, wenn er auch beziffert ist.

25Dies folgt aus der Anwendung der hier maßgeblichen Auslegungsgrundsätze. Die Auslegung der normenvertraglichen Bestimmungen der PrüfvV unterliegt den allgemeinen für Gesetze geltenden Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft. Die für Abrechnungsbestimmungen geltenden Einschränkungen im Sinne einer eng am Wortlaut orientierten, nur durch systematische Erwägungen unterstützten Auslegung gelten nicht (vgl - BSGE 132, 152 = SozR 4-2500 § 301 Nr 10, RdNr 21; - BSGE 132, 143 = SozR 4-2500 § 275 Nr 33, RdNr 20). Bei der Auslegung von Normenverträgen - wie hier - ist nicht auf den subjektiven Willen der an der Normsetzung Beteiligten abzustellen, sondern auf die objektive Erklärungsbedeutung, die umfassend zu ermitteln ist (vgl zur normativen Auslegung - juris RdNr 15; - SozR 4-2500 § 132a Nr 6 RdNr 20 mwN).

26Bei offenem Wortlaut der Norm (dazu aa) folgt die Notwendigkeit der Bezifferung des Erstattungsanspruchs durch die KK aus der Binnensystematik der Vorschrift (dazu bb) und weiteren systematischen Erwägungen (dazu cc). Dies steht im Einklang mit dem Regelungszweck (dazu dd). Eine fristgerechte Bezifferung des Erstattungsanspruchs ist vorliegend nicht erfolgt (dazu ee).

27aa) Der Wortlaut des § 8 Satz 1 PrüfvV eröffnet die Möglichkeit, dass der Erstattungsanspruch aufgrund der mitgeteilten Angaben lediglich bezifferbar sein muss; er kann aber auch dahingehend verstanden werden, dass der Anspruch konkret beziffert sein muss. § 8 Satz 1 PrüfvV regelt: "Die Krankenkasse hat dem Krankenhaus ihre abschließende Entscheidung zur Wirtschaftlichkeit der Leistung oder zur Korrektur der Abrechnung und den daraus folgenden Erstattungsanspruch mitzuteilen."

28Eine ausdrückliche Aufforderung zur Bezifferung enthält die Vorschrift nicht. Ein nicht zwingender Anhaltspunkt dafür ergibt sich lediglich aus der Formulierung "den daraus folgenden Erstattungsanspruch", worin der Bezug zu einer betragsmäßigen Folge der mitgeteilten Korrektur gesehen werden kann. Die Formulierung kann aber auch in dem Sinne verstanden werden, dass die KK nur das "Ob" eines Erstattungsanspruchs mitzuteilen hat, nicht aber dessen Höhe.

29bb) Für einen konkret zu beziffernden Erstattungsanspruch spricht maßgeblich die Binnensystematik. Aus der Aufzählung in § 8 Satz 1 PrüfvV ergibt sich eine Differenzierung zwischen der abschließenden Entscheidung zur Wirtschaftlichkeit oder zur Korrektur der Abrechnung und dem aus dieser Entscheidung resultierenden Erstattungsanspruch der KK. Dieses zweischrittige Vorgehen ergibt nur dann einen Sinn, wenn die PrüfvV nicht allein die Berechenbarkeit der von der KK geltend gemachten Minderung genügen lässt, sondern verlangt, dass die Minderung auch konkret beziffert wird.

30Abgerechnet werden von den DRG-Krankenhäusern - neben weiteren Entgelten sowie Zu- und Abschlägen - insbesondere die Fallpauschalen nach dem Fallpauschalen-Katalog (§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und § 9 Abs 1 Nr 1 KHEntgG; § 1 Abs 1 FPV 2017). In der Rechnung des Krankenhauses sind nach § 1 Abs 8 FPV 2017 dementsprechend der sich nach dem Fallpauschalen-Katalog ergebende Betrag für die Fallpauschale sowie Abschläge, weitere Entgelte und Zuschläge gesondert auszuweisen. Die nach § 301 Abs 1 SGB V zu übermittelnden weiteren Daten, wie Angaben zu den Diagnosen und Prozeduren, dienen ua der Begründung und Nachvollziehbarkeit der Rechnung. Diese Angaben werden im Prüfverfahren zwar geprüft, aber nicht um ihrer bloßen Richtigkeit willen, sondern mit dem Ziel der Bestimmung der zutreffenden Fallpauschale sowie der daraus folgenden Vergütung mit allen Zu- und Abschlägen und weiteren Entgelten. Die von § 8 Satz 1 PrüfvV vorgesehene abschließende Entscheidung zur Wirtschaftlichkeit der Leistung oder zur Korrektur der Abrechnung stellt aus der Sicht der KK damit klar, welche Fallpauschale für den Behandlungsfall unter Beachtung der Kodierregeln und des Wirtschaftlichkeitsgebots (einschließlich qualitätssichernder Vorgaben) für zutreffend gehalten wird und inwiefern Zu- und Abschläge sowie weitere Entgelte anzusetzen sind.

31Soweit eine Korrektur der Abrechnung durch die KK erfolgt, hat sie "den daraus folgenden Erstattungsanspruch" dem Krankenhaus mitzuteilen. Beschränkt sich das Ergebnis der Prüfung auf die Beanstandung einzelner, vom Krankenhaus nach § 301 Abs 1 SGB V übermittelter Diagnosen oder Prozeduren, die mangels Änderung der DRG nicht erlösrelevant sind, kommt es zu keiner Korrektur der Abrechnung. Ein Erstattungsanspruch besteht nicht und kann nicht mitgeteilt werden. Kommt die KK am Schluss der Prüfung zu dem Ergebnis, dass erlöswirksam Diagnosen oder Prozeduren zu ändern sind, die Verweildauer zu kürzen ist oder Zusatzentgelte oder sonstige Entgeltbestandteile aufgrund unwirtschaftlicher Behandlung oder aus rechtlichen Gründen zu entfallen haben, beinhaltet ihre abschließende Entscheidung die Angabe der nach dem Ergebnis der Prüfung zutreffenden DRG und/oder der - anstelle der abgerechneten - abrechenbaren bzw nicht abrechenbaren weiteren Entgelte sowie Zu- und Abschläge. Es liegt dann auf der Hand, dass eine Änderung des Rechnungsbetrags eintritt und ein Erstattungsanspruch der KK besteht. Diesen können die fachkundigen Beteiligten unter Verwendung ihres Abrechnungssystems in der Regel unschwer ermitteln. Der gesondert vereinbarten Mitteilung des Erstattungsanspruchs nach § 8 Satz 1 PrüfvV verbliebe damit ohne Bezifferung regelmäßig kein eigenständiger Erklärungswert. Mit der Mittteilung, welche Diagnosen und Prozeduren als fehlerhaft kodiert anzusehen seien und welche DRG zu Recht durch die Kodierung anzusteuern sei, ergibt sich implizit bereits, dass die KK die Kodierung des Krankenhauses nicht hinnehmen will und vom Krankenhaus eine erneute Rechnung einfordert. Mit der vom Wortlaut des § 8 Satz 1 PrüfvV geforderten Mitteilung des Erstattungsanspruchs kann - entgegen der Ansicht der Beklagten - deshalb auch nicht allein die Angabe der abweichenden DRG gemeint sein. Denn diese ist im Falle einer sachlich-rechnerischen Korrektur - wie hier - bereits Teil der abschließenden Entscheidung zur Korrektur der Abrechnung. Entsprechendes gilt für die Geltendmachung einer unwirtschaftlichen Behandlung. Auch aus dem sich darauf beziehenden Vorhalt der KK kann das Krankenhaus bereits erkennen, in welchem Umfang die KK eine Rechnungskorrektur für geboten hält. Eine ausdrückliche Bezifferung mag nur dann entbehrlich sein, wenn die KK den Abrechnungsbetrag in voller Höhe gezahlt hat und die Erstattung dieses Betrags in voller Höhe fordert. Dies kann hier jedoch offenbleiben.

32cc) Auch weitere systematische Erwägungen sprechen für eine notwendige Bezifferung des Erstattungsanspruchs. Aus ihnen folgt die Binnenrationalität der in § 8 Satz 1 PrüfvV geforderten zweischrittigen Vorgehensweise der Geltendmachung von Abrechnungsmängeln mit nachfolgender Geltendmachung des Erstattungsanspruchs.

33Die Aufrechnung nach § 10 Satz 1 PrüfvV setzt einen nach § 8 PrüfvV mitgeteilten Erstattungsanspruch voraus. Die Aufrechnung folgt im Rechtssinne der Mitteilung des Erstattungsanspruchs und damit jener regelhaft tatsächlich auch zeitlich nach. Der unstreitige Leistungsanspruch und der mit ihm aufzurechnende Erstattungsanspruch müssen dabei genau benannt werden (§ 10 Satz 2 PrüfvV). Dies betrifft die von der Mitteilung des Erstattungsanspruchs zu trennende Aufrechnungserklärung (§ 388 BGB).

34Die Aufrechnungserklärung erfordert spezifische Angaben, die Höhe und Identität der betroffenen Forderungen klären. Für die Wirksamkeit der Aufrechnung ist es aber ausreichend, dass der Aufrechnende die in Betracht kommenden Aktiv- und Passivforderungen (Hauptforderungen) nach Höhe und Identität individualisiert, was auch durch Einstellung der Forderung in ein Zahlungs- oder Sammelavis (Kontokorrent iS des § 355 HGB) erfolgen kann, indem der zunächst überwiesene höhere Betrag abgezogen und der nunmehr für zutreffend erachtete Betrag eingestellt wird, ohne den Erstattungsbetrag selbst zu beziffern. Dies dient der Vereinfachung und Beschleunigung (§ 1 PrüfvV). Ist eine nur konkludente Aufrechnungserklärung durch Einstellung der bezifferbaren Erstattungsforderung in ein Kontokorrent möglich, erleichtert es den Abrechnungsvorgang, wenn zwischen den Beteiligten bereits vorab Klarheit über die wechselseitig geltend gemachten Forderungen besteht und diese leicht identifizierbar sind. Zugleich wird trotz des bezogen auf den Kontokorrentvorgang nur bezifferbaren Erstattungsanspruchs die Aufrechnungserklärung der Forderung des § 10 Satz 2 PrüfvV noch gerecht, dass der Leistungsanspruch und der Erstattungsanspruch genau zu benennen sind. Dem dient die vorangehende Mitteilung des bezifferten Erstattungsanspruchs nach § 8 Satz 1 PrüfvV zum Abschluss des Prüfverfahrens.

35Der Senat hat bereits diese vom System der PrüfvV mit umschlossene Vorgehensweise gebilligt (vgl - BSGE 129, 1 = SozR 4-7610 § 366 Nr 2, RdNr 19), ohne dass er dort zur vorliegenden Fallgestaltung Stellung nehmen musste. Denn die KK hatte dort den Erstattungsbetrag dem Krankenhaus (mit Schreiben vom , im Urteil nicht datumsmäßig genannt, BSG, aaO, RdNr 1 und 18) beziffert genannt und später ausdrücklich mitgeteilt, sie werde diese Forderung aufrechnen, und hierzu auf das übermittelte Avis verwiesen, durch das im Kontokorrentverfahren mittels der oben geschilderten "indirekte" Vorgehensweise aufgerechnet worden war.

36dd) Die bezifferte Mitteilung des Erstattungsanspruchs entspricht auch dem sich aus der Entstehungsgeschichte der PrüfvV ergebenden Sinn und Zweck der PrüfvV, die Zusammenarbeit der Krankenhäuser und KKn bundeseinheitlich effektiver und konsensorientierter zu gestalten (§ 1 Satz 1 PrüfvV; vgl - SozR 4-2500 § 275 Nr 34 RdNr 25). Sie vermeidet Missverständnisse und Doppelarbeit durch getrennte Berechnungen und verschafft dem Krankenhaus unmittelbar Kenntnis von der Höhe des von der KK geforderten Erstattungsbetrags. Sie gibt damit eine klare, eindeutig bestimmte und nicht nur bestimmbare Obergrenze des noch streitigen Betrags vor. Es ist nicht auszuschließen, dass es bei einer eigenständigen Ermittlung des Erstattungsbetrags durch das Krankenhaus zu Unklarheiten bzgl anderer Entgeltbestandteile als der DRG-Vergütung oder zu Unstimmigkeiten bezüglich der Höhe des Erstattungsanspruchs kommt. Dies würde in der Folge die Frage aufwerfen, in welcher Höhe die KK den Erstattungsanspruch fristgemäß mitgeteilt hat und demgemäß zur Aufrechnung nach § 10 PrüfvV berechtigt ist. So aber kann das Krankenhaus mit der Bezifferung des Erstattungsanspruchs leicht feststellen, ob der Aufrechnungsbetrag dem geltend gemachten Erstattungsbetrag entspricht. Dies ist insofern von erheblicher Relevanz, wenn die Aufrechnung erst nach Ablauf der Ausschlussfrist des § 8 Satz 3 PrüfvV erfolgt. Insoweit hat das Krankenhaus auch ein berechtigtes Interesse an der eindeutigen Festlegung der KK, welcher konkrete Betrag - ungeachtet der Rechtmäßigkeit der Erstattungsforderung - für eine Aufrechnung überhaupt eingesetzt werden kann.

37ee) Nach den unangegriffenen und für den Senat bindenden Feststellungen des LSG hat die Beklagte der Klägerin die Höhe des Erstattungsanspruchs nicht konkret mitgeteilt, sodass die formalen Anforderungen nach § 10 Satz 1 Alt 2 PrüfvV bei der Aufrechnung des Erstattungsanspruchs mit unstreitigen Forderungen nicht vorlagen. Die für die Mitteilung nach § 8 Satz 1 PrüfvV erforderliche Bezifferung des Erstattungsanspruchs ist auch nicht im Rahmen der Aufrechnung durch Übersendung der Zahlungsmitteilung vom erfolgt, aus der sich anhand der Fall- und Rechnungsnummer die für den Behandlungsfall zurückgeforderte Vergütung iH von 8841,71 Euro als Negativposten ergibt.

38b) Die nicht fristgerechte Bezifferung des Erstattungsanspruchs führt nicht zu dessen Erlöschen sondern schließt (lediglich) die Aufrechnung der nicht einvernehmlich als bestehend festgestellten Erstattungsforderung mit einer unstreitigen Vergütungsforderung des Krankenhauses aus. Hiernach kann offenbleiben, ob die wirksame Geltendmachung einer unzulässigen Rechtsausübung durch die Beklagte (dazu c und d) an dem Untergang des Erstattungsanspruchs der Beklagten scheitern könnte.

39Die elfmonatige Frist zur Mitteilung des Erstattungsanspruchs wirkt zwar nach § 8 Satz 4 PrüfvV als Ausschlussfrist. Wie das LSG aber bereits zutreffend entschieden hat, handelt es sich hierbei nicht um eine den Verlust des Erstattungsanspruchs bewirkende materiell-rechtliche Ausschlussfrist (ebenso KH - juris RdNr 37; aA Bayerisches ER - juris RdNr 26; SG Duisburg vom - S 60 KR 1558/18 - juris RdNr 30 mwN, RdNr 34; SG Rostock vom - S 11 KR 151/21 - juris RdNr 31; - juris RdNr 34; zu Begriff und Wirkung materiell-rechtlicher Ausschlussfristen vgl - SozR 4-2500 § 275 Nr 37 RdNr 19 mwN). Die Wirkung der Ausschlussfrist erschöpft sich darin, dass die KK die Bezifferung des Erstattungsanspruchs nach Ablauf der Frist nicht mehr nachholen kann, auch dann nicht, wenn sie den Fristablauf im Sinne einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht verschuldet hat.

40Für die weitreichende Folge einer materiell-rechtlichen Ausschlussfrist bedürfte es einer klaren, zweifelsfreien normativen Regelung (vgl - BSGE 132, 152 = SozR 4-2500 § 301 Nr 10 RdNr 24 mwN). An dieser fehlt es hier. Die Systematik der §§ 8 und 10 PrüfvV schließt vielmehr eine Auslegung aus, dass die PrüfvV die lediglich nicht fristgemäß erfolgte Mitteilung des bezifferten Erstattungsanspruchs mit einem vollständigen Ausschluss des Anspruchs sanktionieren will.

41§ 8 Satz 3 und 4 PrüfvV 2016 bestimmen: "Die Mitteilungen nach Satz 1 und 2 haben innerhalb von 11 Monaten nach Übermittlung der Prüfanzeige nach § 6 Absatz 3 zu erfolgen. Die Regelung des Satzes 3 wirkt als Ausschlussfrist."

42Die bloße Verwendung des Begriffs "Ausschlussfrist" in einer Norm genügt bei der möglichen Deutung als verfahrensrechtliche oder als materiell-rechtliche Ausschlussfrist ohne Berücksichtigung des Kontextes regelmäßig nicht, um zweifelsfrei von einem durch die Norm angeordneten Verlust des Anspruchs auszugehen. Die Ausschlussfrist bezieht sich hier auf "Mitteilungen nach Satz 1 und 2" des § 8 PrüfvV und gerade nicht ausdrücklich auf den Erstattungsanspruch. Nach § 8 Satz 1 PrüfvV hat die KK den (bezifferten) Erstattungsanspruch dem Krankenhaus mitzuteilen, nach § 10 Satz 1 PrüfvV kann die KK einen nach § 8 PrüfvV mitgeteilten Erstattungsanspruch mit einem unstreitigen Leistungsanspruch des Krankenhauses aufrechnen. Die Mitteilung des Erstattungsanspruchs stellt sich damit als eine Voraussetzung der Aufrechnung dar, welche die PrüfvV zusätzlich zu den von § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm §§ 387 ff BGB vorgesehenen Voraussetzungen einer Aufrechnung den KKn vorgibt. Die KK verliert mit Verstreichen der Frist die Möglichkeit der erleichterten Realisierung ihrer Forderung mittels Aufrechnung nach § 10 Satz 1 PrüfvV, weil der Erstattungsanspruch weder unstreitig noch nach § 8 PrüfvV mitgeteilt ist.

43c) Ausnahmsweise kann unter Berücksichtigung des höherrangigen Rechts nach § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm § 242 BGB die Berufung auf die Ausschlussfrist des § 8 Satz 4 PrüfvV unbeachtlich sein. Unbeachtlich wäre ebenso ein Berufen auf die Unwirksamkeit der Aufrechnung, weil die von § 10 Satz 1 PrüfvV geforderte Mitteilung eines nach § 8 PrüfvV beziffert mitgeteilten Erstattungsanspruchs unterblieben ist.

44Eine Modifikation des Grundsatzes strikter Maßgeblichkeit der materiellen Rechtslage ist aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht ausgeschlossen. Wie der Senats bereits entschieden hat, kann der Grundsatz strikter Maßgeblichkeit der (materiellen) Rechtslage in Ausnahmefällen durch Grundsätze des Vertrauensschutzes modifiziert werden. Die Rechtsordnung sanktioniert widersprüchliches Verhalten eines Beteiligten nicht grundsätzlich mit einem automatischen Rechtsverlust. Widersprüchliches Verhalten ist erst dann rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (vgl - SozR 4-2500 § 109 Nr 84 RdNr 37; - BSGE 121, 101 = SozR 4-2500 § 109 Nr 57, RdNr 20 mwN). Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen der Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung (vgl - BSGE 112, 141 = SozR 4-2500 § 275 Nr 8, RdNr 37 mwN) kann sich Vertrauensschutz bei Anwendung der PrüfvV daraus ergeben, dass ein Beteiligter auf eine durch den anderen Beteiligten nicht widersprochene Verfahrensweise vertraut, deshalb von weiteren rechtswahrenden Handlungen innerhalb der hierfür maßgeblichen Frist Abstand nimmt (dazu bb) und der durch das Unterlassen der rechtswahrenden Handlung Begünstigte aufgrund besonderer Umstände seinerseits gehalten gewesen wäre, den anderen Beteiligten rechtzeitig in Kenntnis zu setzen, dass er an der bisherigen Praxis nicht festhalten wolle (dazu aa).

45aa) Ein solcher besonderer Umstand kann sich im Verhältnis von Krankenhausträgern und KKn aus dem Zusammenarbeitsgebot des § 4 Abs 3 SGB V, der gemeinsamen Gewährleistungsverantwortung des § 70 Abs 1 SGB V und besonders durch den dauerhaften Vertragsrahmen des Leistungserbringungssystems ergeben. Hieraus resultiert für beide Seiten in der Grundsituation vertrauensvoller Zusammenarbeit und gegenseitiger Rücksichtnahme im Interesse der zu versorgenden GKV-Versicherten eine Verpflichtung zu einer engen professionellen Kooperation (vgl aaO, mwN). Diese Verpflichtung zur Zusammenarbeit umfasst ein Gebot zur Rücksichtnahme auf widerstreitende Interessen der jeweils anderen Seite (so zur verpflichtenden Zusammenarbeit der Sozialleistungsträger nach § 86 SGB X - BSGE 57, 146, 150 = SozR 1300 § 103 Nr 2 S 5; zu ungeschriebenen Rücksichtnahmepflichten aus dem öffentlich-rechtlichen, durch Normenverträge geprägten Rechtsverhältnis zwischen Leistungserbringern und KKn vgl - SozR 4-2500 § 69 Nr 14 RdNr 20 f - für BSGE vorgesehen). Das Rücksichtnahmegebot steht dem Ausnutzen einer formalen Rechtsposition unter Ausblendung eines geschaffenen Vertrauenstatbestandes entgegen.

46Krankenhäuser und KKn sind im Rahmen ihrer professionellen Kooperation rechtlich verpflichtet und auch faktisch gezwungen, sich bei der konkretisierenden Umsetzung gesetzlicher und untergesetzlicher Normen einschließlich der Normenverträge miteinander abzustimmen. Sie müssen zunächst vorangehen und deren praktische Rechtsanwendung als Erste bewältigen. Hierbei handelt es sich nicht um eine eigenständige Rechtsquelle. Der rechtserhaltende Schutz des Vertrauens von KKn und Krankenhäusern in von ihnen eingeübte Verfahrensweisen ist umso stärker, je länger und einvernehmlicher die Verfahrensweisen praktiziert werden, je bedeutsamer sie sind, und wenn sie zugleich bereits über längere Zeit eine höchstrichterliche Billigung erfahren haben (vgl - BSGE 130, 299 = SozR 4-2500 § 275 Nr 32, RdNr 21; - SozR 4-2500 § 109 Nr 84 RdNr 37) oder zwischen KKn und Krankenhäusern auch auf Bundes- oder Landesebene nicht erkennbar streitig war. Dies ist insbesondere dem Umstand geschuldet, dass die Beteiligten in einer von ihnen bisher nicht als klärungsbedürftig angesehenen Rechtslage in dauerhafter Zusammenarbeit eine Vielzahl gleichartiger Verfahrensabläufe innerhalb kurzer Zeit zu bewältigen haben. Stünde es einer Seite offen, im Nachhinein aus einer beiderseitigen oder einer jedenfalls unwidersprochenen Fehlvorstellung von den rechtlichen Anforderungen Vorteil zu schlagen, würde dies der gesetzgeberischen Vorstellung vertrauensvoller Zusammenarbeit zuwiderlaufen.

47bb) Eine KK darf danach von Rechts wegen darauf vertrauen, dass die fristgebundene Mitteilung nach § 8 Satz 1 PrüfvV keiner Bezifferung des Erstattungsanspruchs bedarf, wenn sie einem Krankenhaus wiederholt lediglich mitteilt, dass sie unter Angabe der Gründe eine Minderung der Rechnung geltend macht, das Krankenhaus eine Bezifferung nicht einfordert und einer Aufrechnung des Erstattungsanspruchs jedenfalls nicht mit der Begründung widerspricht, die von § 10 Satz 1 PrüfvV vorausgesetzte Mitteilung eines bezifferten Erstattungsanspruchs fehle. Denn in dieser Situation besteht für die KK keinerlei Anlass, innerhalb der Ausschlussfrist die Bezifferung nachzuholen oder verjährungshemmende Schritte in Bezug auf ihren Erstattungsanspruch - etwa durch Erhebung einer Widerklage gegen die vom Krankenhaus geltend gemachte Vergütungsforderung - zu ergreifen. Aufgrund ablaufender Verjährungsfrist käme dies einem Verlust des Erstattungsanspruchs gleich.

48Hat ein Krankenhaus in der Vergangenheit jedenfalls wiederholt Aufrechnungen einer KK ohne Bezifferung des Erstattungsanspruchs akzeptiert, kann es sich deshalb nicht ohne vorherige Ankündigung erstmals auf die von § 8 Satz 1 PrüfvV geforderte Bezifferung des Erstattungsanspruchs nach Ablauf der Ausschlussfrist nach § 8 Satz 4 PrüfvV berufen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn im maßgeblichen Zeitraum die Rechtslage auch nicht auf Landes- oder Bundesebene zwischen Krankenhaus- und Krankenkassenseite erkennbar streitig war. Im Verhältnis zwischen Krankenhaus und KK erfordert das Berufenkönnen auf die fehlende Mitteilung eines bezifferten Erstattungsanspruchs als Aufrechnungsvoraussetzung eine klar artikulierte Aufkündigung dieser bislang bestehenden Verfahrensweise. Die Erklärung muss ausdrücklich oder konkludent erkennen lassen, dass eine Beanstandung nicht nur in einem Einzelfall erfolgte, sondern für die Zukunft alle Abrechnungsfälle betreffen sollte.

49d) Vorliegend könnte die Beklagte - ihren Vortrag als zutreffend unterstellt - aufgrund einer zwischen ihr und der Klägerin eingeübten Verfahrensweise auf die Wirksamkeit der Aufrechnung vertraut haben. Läge diese Voraussetzung vor, wäre ihr Vertrauen bei einer Abwägung der gegenseitigen Interessen auch schutzwürdig und der Klägerin das Berufen auf die Unwirksamkeit der Aufrechnung als unzulässige Rechtsausübung verwehrt. Die Beklagte hat hierzu vorgetragen, seitens der Klägerin sei zu keinem Zeitpunkt beanstandet worden, dass der Erstattungsanspruch nicht beziffert worden sei. Erst seit das Prüfverfahren im Jahre 2022 neu geregelt worden sei, beanstande die Klägerin dies in jedem Verfahren. Sollte dieser Vortrag zutreffen, läge vor dem Hintergrund der Verpflichtung der Krankenhäuser und KKn zur engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit ein widersprüchliches Verhalten der Klägerin im Hinblick auf die konkrete Aufrechnung vor.

50Zu einem etwaigen widersprüchlichen Verhalten der Klägerin und einem hieraus folgenden Verbot unzulässiger Rechtsausübung hat das LSG - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - keine Feststellungen getroffen. Das LSG wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren daher Feststellungen dazu zu treffen haben, ob die Beklagte der Klägerin in von dieser nicht beanstandeter Übung Erstattungsansprüche aus einem durchgeführten Prüfverfahren entgegen § 8 Satz 1 PrüfvV (auch) unbeziffert mitgeteilt hat. Bei Bestehen einer solchen Übung ist ein schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten dahingehend anzunehmen, dass die Klägerin einem Erstattungsanspruch dessen nicht fristgerechte Bezifferung nicht als Wirksamkeitshindernis der Aufrechnung nach § 10 Satz 1 PrüfvV entgegenhalten wird. Dieses schutzwürdige Vertrauen kann von der Klägerin allein dann erschüttert worden sein, wenn sie die Beklagte auf die diesbezügliche Nichteinhaltung der Anforderungen aus § 8 Satz 1 PrüfvV hingewiesen und unmissverständlich klargestellt hat, dass sie die Aufrechnung unbezifferter Erstattungsansprüche künftig nicht mehr akzeptieren wird. Auch dies wird vom LSG festzustellen sein.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2024:280824UB1KR3323R0

Fundstelle(n):
FAAAJ-83512