BGH Urteil v. - PatAnwZ 1/23

Instanzenzug: Az: PatAnwZ 1/23 Beschlussvorgehend Az: Pat A-Z 5/21

Tatbestand

1Der Kläger war nach einem in Italien abgeschlossenen Physikstudium von September 2014 bis Juni 2017 als Patentanwaltskandidat für die europäische Eignungsprüfung beim Europäischen Patentamt in zwei deutschen Kanzleien beschäftigt. Von Juli 2017 bis Juni 2022 war er bei einer weiteren Patent- und Rechtsanwaltskanzlei in M.            tätig. Von November 2019 bis Januar 2021 absolvierte er den Studiengang "Corso Brevetti Polimi-IP ed. 2019/2020" am Polytechnikum Mailand, der Vorlesungen zum italienischen, europäischen und internationalen Patentrecht, Patentstreitigkeiten sowie Grundzüge des italienischen Design-, Gebrauchsmuster- und Markenrechts umfasste. Im Juli 2019 wurde der Kläger in die Liste der zugelassenen Vertreter vor dem Europäischen Patentamt eingetragen, zum als "Consulente in Brevetti" in Italien zugelassen und zum als niedergelassener europäischer Patentanwalt in die Patentanwaltskammer aufgenommen.

2Der Kläger beantragte beim beklagten Amt die Feststellung der Gleichwertigkeit seiner Berufsqualifikation sowie den teilweisen Erlass von Prüfungsleistungen gemäß § 6 Abs. 2 EuPAG. Am beantragte er, ihm die Prüfung nach § 5 Nr. 1 EuPAG ganz zu erlassen, da er durch die Berufspraxis Kenntnisse im Bereich des deutschen Patentrechts und des deutschen Verfahrensrechts erworben habe.

3Das beklagte Amt erlegte dem Kläger mit Bescheid vom die Ablegung einer Eignungsprüfung auf. Seinen Antrag auf Erlass von Prüfungsleistungen lehnte die Vorsitzende der Prüfungskommission mit Bescheid vom ab. Den Widerspruch des Klägers wies sie mit Bescheid vom zurück.

4Dagegen hat der Kläger Klage mit dem Antrag erhoben, den Bescheid vom sowie den Widerspruchsbescheid vom aufzuheben und das beklagte Amt zu verpflichten, ihm die Eignungsprüfung nach § 5 Nr. 1 EuPAG, soweit diese materielles Patentrecht betrifft, und die Eignungsprüfung nach § 5 Nr. 2 EuPAG, soweit diese materielles Designrecht betrifft, zu erlassen. Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. Soweit für die Berufung noch von Interesse, hat es zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass er durch seine berufliche Ausbildung oder anderweitig, insbesondere durch Berufspraxis oder Weiterbildungsmaßnahmen, in einem Prüfungsgebiet die für die Ausübung des Patentanwaltsberufs in Deutschland erforderlichen materiellrechtlichen Kenntnisse im deutschen Recht erworben habe. Mit den vorgelegten Nachweisen einschließlich der Arbeitszeugnisse der deutschen Kanzleien, in denen er tätig gewesen sei, habe er nicht nachgewiesen, dass er in ausreichendem quantitativen und qualitativen Umfang Fälle im deutschen Patentrecht bearbeitet habe. Es sei nicht schon aufgrund der Ausbildung und Zulassung zum Consulente in Brevetti in Italien davon auszugehen, dass der Kläger über die materiellrechtlichen Kenntnisse im deutschen Patentrecht verfüge. Trotz der Harmonisierung habe das materielle Patentrecht in Deutschland seine spezielle Ausformung in der Rechtsprechung und Rechtspraxis erhalten, deren Kenntnis durch die Ausbildung zum Patentanwalt in Italien nicht nachgewiesen sei. Ferner sei eine Prüfung von verfahrensrechtlichen Kenntnissen losgelöst von materiellrechtlichen Kenntnissen praxisgerecht nicht möglich, weil das Verfahrensrecht gerade der Durchsetzung des materiellen Rechts in der Praxis diene.

5    Der Kläger hat mit einem Antrag auf Zulassung der Berufung seine erstinstanzlichen Klageanträge weiterverfolgt. Mit der insoweit vom Senat zugelassenen Berufung beantragt der Kläger,

6den Bescheid des Beklagten vom sowie den Widerspruchsbescheid vom insoweit aufzuheben, als dass dem Kläger die Eignungsprüfung nach § 5 Nr.1 EuPAG nicht erlassen wird, soweit diese materielles Patentrecht betrifft,

7und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger die Eignungsprüfung nach § 5 Nr. 1 EuPAG zu erlassen, soweit diese materielles Patentrecht betrifft.

8Das beklagte Amt und die Beigeladene beantragen die Zurückweisung der Berufung.

Gründe

9Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet.

10I. Der Kläger hat nach § 6 Abs. 2 Satz 1 EuPAG einen Anspruch auf Erlass der schriftlichen und mündlichen Prüfungsleistungen der Eignungsprüfung, soweit diese materielles Patentrecht betreffen. In der schriftlichen Leistung, die nach § 6 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 5 Nr. 1 EuPAG den Schwerpunkt im Patentrecht haben könnte, sowie in der mündlichen Prüfung ist das materielle Patentrecht von der Prüfung auszunehmen.

111. Der Kläger hat im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 1 EuPAG nachgewiesen, durch seine berufliche Ausbildung als Patentanwalt in Italien im Prüfungsgebiet des Patentrechts die erforderlichen materiellrechtlichen Kenntnisse im deutschen Recht erworben zu haben.

12a) Der Gesetzgeber ging bei Erlass der Vorgängerregelung zum Katalog der Prüfungsfächer in § 5 des Gesetzes über die Eignungsprüfung für die Zulassung zur Patentanwaltschaft (im Folgenden: PAZEigPrG) in der Fassung der Bekanntmachung vom (BGBl. I S. 1349) aufgrund der weitgehenden Harmonisierung des Patentrechts in der Europäischen Union davon aus, dass die Prüflinge aus Mitgliedstaaten, in denen der Beruf des Patentanwalts ebenfalls reglementiert ist, bereits über die erforderlichen materiellrechtlichen Kenntnisse verfügen; dazu gehörte auch Italien gemäß der Anlage zu § 1 PAZEigPrG. Auf die Prüfung von Rechtsgebieten, die bereits harmonisiert sind oder in den Mitgliedstaaten kaum Unterschiede aufweisen, wurde verzichtet (vgl. BT-Drucks. 11/6154, S. 21). Das materielle Patentrecht war durch internationale Übereinkommen so weit vereinheitlicht, dass die ausländische Ausbildung die erforderlichen Kenntnisse weitgehend vermittelt (vgl. BT-Drucks. aaO). An dieser Feststellung einer bereits bestehenden Parallelität zwischen deutschem und europäischem Patentrecht hat der Gesetzgeber später festgehalten (vgl. BT-Drucks. 18/9521, S. 186). Dem steht nicht entgegen, dass die nationale Rechtsprechung das harmonisierte Patentrecht weiter ausformt. Die Bewahrung der Rechtseinheitlichkeit bei der Anwendung der harmonisierten Rechtsvorschriften des deutschen Patentgesetzes wird grundsätzlich von der Rechtsprechung bei der Auslegung des deutschen Patentgesetzes berücksichtigt (vgl. , BGHZ 88, 209, 225 [juris Rn. 25]). Auch die höchstrichterliche Rechtsprechung sieht das materielle Patentrecht als auf europäischer Ebene weitgehend vereinheitlicht an (vgl. , BGHZ 225, 155 Rn. 42; siehe auch , juris Rn. 54; , BGHZ 115, 23, 30 [juris Rn. 18]). Die Harmonisierung des nationalen und internationalen Patentrechts erfolgte insbesondere auf der Grundlage des internationalen Übereinkommens zur Vereinheitlichung gewisser Begriffe des nationalen Rechts der Erfindungspatente (Straßburger Patentübereinkommen) vom (BGBl. 1976 II S. 658) und im Zusammenhang mit dem Europäischen Patentübereinkommen vom (BGBl. 1976 II S. 826) (vgl. , BGHZ 100, 67, 70 [juris Rn. 23]).

13Die mit der Verabschiedung des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Patentanwälte in Deutschland erfolgte Erweiterung der Prüfungsfächer um das materielle Patentrecht wurde nur deswegen für erforderlich gehalten, weil inzwischen auch Patentanwälte aus Mitgliedstaaten, in denen dieser Beruf nicht reglementiert ist, Zugang zur Eignungsprüfung hatten, sowie Patentanwälte, deren Beruf sich in ihrem Heimatstaat auf die Vertretung in Markensachen beschränkte, die vollständige Zulassung als Patentanwalt in Deutschland anstrebten (vgl. BT-Drucks. 18/9521, S. 186). Italien gehört jedoch zu den Ländern, in denen der Beruf des Patentanwalts reglementiert ist (vgl. Anlage zu § 1 PaZEigPrG). Zwar gehören zu den dortigen "Consulente in Proprieta Industriale" auch die "Consulente in Marchi", die Markenrechtsanwälte, aber der Kläger als "Consulente in Brevetti" ist Anwalt in Patentsachen. Er hat daher die erforderlichen materiellrechtlichen Kenntnisse im deutschen Recht für den Bereich des Patentrechts bereits durch seine berufliche Ausbildung in Italien erworben.

14b) Der Erlass der Prüfungsleistungen zum materiellen Patentrecht setzt nicht voraus, dass der Kläger auch Kenntnisse im Patentverfahrensrecht nachweisen kann.

15Zwar heißt es in § 6 Abs. 2 Satz 1 EuPAG, dass Prüfungsleistungen ganz oder teilweise zu erlassen sind, wenn der Prüfling in einem Prüfungsgebiet die erforderlichen materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Kenntnisse im deutschen Recht erworben hat. Damit soll aber nicht unabhängig vom beantragten Umfang des Erlasses stets ein Nachweis von Kenntnissen in beiden Rechtsbereichen verlangt werden. Die Vorgängerregelung zum Erlass von Prüfungsleistungen in § 6 Abs. 2 Satz 1 PAZEigPrG enthielt dieselbe Formulierung, obwohl zu dieser Zeit § 5 Abs.2 Nr. 1 PAZEigPrG für das Patentrecht nur eine verfahrensrechtliche Prüfung vorsah. Der Erlass der Prüfungsleistungen in diesem Prüfungsgebiet sollte daher erkennbar auch ohne Nachweis materiellrechtlicher Kenntnisse im Patentrecht möglich sein.

16Die Regelung zum Erlass von Prüfungsleistungen in § 6 Abs. 2 Satz 1 PAZEigPrG diente der Umsetzung von Art. 4 Abs. 1 Buchstabe b Unterabs. 2 der Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen (ABl. L 19 S. 16 - Hochschuldiplomanerkennungs-Richtlinie) in der seit dem geltenden Fassung (vgl. BT-Drucks. 15/1072, S. 12) und ist daher - wie auch der heute geltende § 6 Abs. 2 Satz 1 EuPAG - im Lichte der Richtlinienbestimmung auszulegen. Diese sah vor, dass nach der Auferlegung einer Eignungsprüfung weiter zu prüfen ist, ob die Kenntnisse des Antragstellers die Unterschiede zwischen der Ausbildung im Herkunfts- und im Aufnahmestaat, die eine Eignungsprüfung rechtfertigten, ganz oder teilweise abdecken. Die Umsetzungsregelung soll daher festschreiben, wie in der Praxis Vorkenntnisse des Antragstellers konkret zu berücksichtigen sind (vgl. aaO S. 14). Aufgrund dieses Ziels, eine auf die Kenntnisse des einzelnen Prüflings zugeschnittene Prüfung zu ermöglichen, kann § 6 Abs. 2 Satz 1 EuPAG nur so verstanden werden, dass ein beantragter Teilerlass von Prüfungsleistungen im materiellen oder verfahrensrechtlichen Teil eines Prüfungsgebiets auch nur den Nachweis von Kenntnissen in diesem Teilbereich voraussetzt. Dies steht, auch nachdem die Hochschuldiplomanerkennungs-Richtlinie aufgehoben worden ist, im Einklang mit dem Unionsrecht, da der seither geltende Art. 14 Abs. 5 Satz 2 der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. L 255, S. 22) eine entsprechende Regelung enthält.

172. Die Prüfung im materiellen Patentrecht kann sowohl tatsächlich als auch rechtlich von der im Patentverfahrensrecht getrennt werden.

18a) Das Patentverfahrensrecht wurde früher ohne das materielle Patentrecht geprüft. Die bis zum geltende Vorschrift für die Eignungsprüfung (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 PAZEigPrG) beschränkte die Prüfung im Patentrecht auf "das Verfahren zur Erlangung, Aufrechterhaltung, Verteidigung und Anfechtung eines Patents oder einer eingetragenen Marke vor den nach deutschem Recht zuständigen Behörden und Gerichten". Eine (im Wesentlichen) verfahrensrechtliche Prüfung war damals also möglich; dies ist daher auch weiterhin anzunehmen.

19b) Auch rechtlich schließen es die Vorschriften zum Erlass von Prüfungsleistungen nicht aus, ein zum Prüfungsstoff gehörendes Rechtsgebiet wie das materielle Patentrecht herauszunehmen und die Prüfung insoweit zu erlassen. § 6 Abs. 2 Satz 1 EuPAG sieht vor, dass "einzelne Prüfungsleistungen ganz oder teilweise" erlassen werden können. Die Prüfung besteht nach § 6 Abs. 1 EuPAG aus einem schriftlichen und einem mündlichen Teil; der schriftliche Teil umfasst nach § 6 Abs. 3 EuPAG vier Klausuren. Damit ist sowohl die mündliche Prüfung als auch jede Klausur eine "einzelne Prüfungsleistung", die nach diesen Vorschriften daher auch teilweise erlassen werden kann. Auch die in § 6 Abs. 4 Satz 2 EuPAG vorgesehene Regelung, die gilt, "sofern dem Prüfling Klausuren nach Abs. 2 vollständig erlassen wurden", zeigt im Umkehrschluss, dass eine Klausur auch teilweise erlassen werden kann. Die Vorschrift entspricht daher in diesem Punkt nicht mehr der Vorgängerregelung in § 6 Abs. 2 Satz 1 PAZEigPrG, nach der (nur) "ganz oder teilweise Prüfungsleistungen" erlassen werden konnten. Die dazu vertretene Ansicht, dass eine Prüfungsleistung wie z.B. eine Klausur nur insgesamt erlassen werden, aber nicht inhaltlich beschränkt werden könne (vgl. zum entsprechenden § 17 EuRAG a.F. OVG Münster NJW 2013, 3530, 3531), ist auf die neue Rechtslage daher nicht mehr anwendbar. Die heutige Regelung erlaubt sowohl den Ausschluss eines der in § 5 EuPAG genannten Rechtsgebiete als auch des materiellen Teils eines Rechtsgebiets. Das Gesetz beschränkt den teilweisen Erlass auch nicht auf die schriftliche Prüfung, so dass die mündliche Prüfung ebenfalls teilweise erlassen werden kann. Dem kann durch eine nach § 70 Abs. 2 der Verordnung über die Ausbildung und Prüfung der Patentanwälte (Patentanwaltsausbildungs- und -prüfungsverordnung - PatAnwAPrV) vom (BGBl. I S. 3437) mögliche Einzelprüfung Rechnung getragen werden.

20II. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 23 EuPAG, § 94b Abs. 1 Satz 1 PAO, § 155 Abs. 1 Satz 1, § 159 Satz 1, § 162 Abs. 3 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO. Der Beigeladenen sind neben dem beklagten Amt anteilig die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, soweit sie in der Sache unterlegen ist und sich am Verfahren beteiligt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO). Es entspricht daher auch billigem Ermessen, eine Erstattung ihrer außergerichtlichen Kosten durch den Kläger anzuordnen, soweit sie erfolgreich Anträge gestellt hat (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Wertfestsetzung beruht auf § 23 EuPAG, § 147 Abs. 1 PAO, § 52 Abs. 2 GKG.

Schoppmeyer                    Graßnack                    Bußmann

                            Frese                        Thielmann

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:300924UPATANWZ1.23.0

Fundstelle(n):
OAAAJ-83308