Instanzenzug: Az: S 6 KR 5440/16 Urteilvorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg Az: L 4 KR 35/21 Urteil
Tatbestand
1Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.
2Die Klägerin behandelte einen Versicherten der beklagten Krankenkasse vom 11. bis vollstationär in ihrem Krankenhaus wegen einer chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung (COPD) im Schweregrad 3 nach GOLD (Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease). Sie führte ua eine Bronchoskopie über den gesicherten Atemweg unter tiefer Analgosedierung mit Propofol und Ultiva durch und verwendete hierzu einen sogenannten Bronchoflex Tubus, durch den sie ein flexibles Bronchoskop führte. Sie stellte der Beklagten 4761,93 Euro nach der Fallpauschale (DRG - Diagnosis Related Group) E65A in Rechnung. Hierzu kodierte sie ua OPS (Operationen- und Prozedurenschlüssel) 1-620.10 (Diagnostische Tracheobronchoskopie: Mit starrem Instrument: Ohne weitere Maßnahmen). Die Beklagte beglich den Rechnungsbetrag zunächst, rechnete dann aber - gestützt auf die Auffassung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) - 2279,96 Euro mit unstreitigen Forderungen der Klägerin auf. Wegen des verwendeten flexiblen Bronchoskops hätte OPS 1-620.00 (Diagnostische Tracheobronchoskopie: Mit flexiblem Instrument: Ohne weitere Maßnahmen) kodiert werden müssen.
3Das SG hat die Beklagte zur Zahlung des strittigen Betrags verurteilt (Urteil vom ). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Bei der Bronchoskopie sei eine kombiniert starr-flexible Technik angewandt worden. Zu Recht habe die Klägerin OPS 1-620.10 kodiert. Der verwendete Bronchoflex Tubus führe zu starr-ähnlichen Bedingungen mit einem gesicherten Atemweg. Es handele sich um eine Weiterentwicklung des starren Stahlrohrs mit starrem Bronchoskop hin zu einem Tubus (Schlauch), dessen Wände durch Metallspiralen verstärkt seien, wodurch das Lumen (die lichte Weite des Schlauchs) durch äußeren Druck nicht eingeengt werden könne. Mit ihrem erstmals im SG-Verfahren erhobenen Einwand, der Einsatz eines starren Instruments sei unwirtschaftlich gewesen, sei die Beklagte nach § 8 Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfvV) 2014 präkludiert. Zudem sei die Verwendung des Bronchoflex Tubus medizinisch indiziert gewesen. Schließlich scheitere der Vergütungsanspruch nicht an einer unzureichenden Aufklärung des Versicherten (Urteil vom ).
4Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V, § 17b Abs 1 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG), § 7 Abs 1 Nr 1, § 8 Abs 2 Satz 1 iVm § 9 Abs 1 Nr 1 und 3 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) sowie Anlage 1 Teil a der Fallpauschalenvereinbarung (FPV) 2015 iVm OPS (2015) 1-620.10 sowie § 17c KHG iVm § 8 PrüfvV 2014. Sie ist der Auffassung, mit dem im OPS genannten "starren Instrument" könne nur das Bronchoskop selbst gemeint sein. Zudem handele es sich bei dem verwendeten Bronchoflex Tubus nicht um ein starres, sondern um ein flexibles Instrument. Schließlich wäre eine Bronchoskopie mit starrem Instrument unwirtschaftlich gewesen und sie sei mit diesem Einwand nicht präkludiert.
7Sie hält die vorinstanzlichen Urteile für zutreffend.
Gründe
8Die Revision der Beklagten ist zulässig. Die Revisionsbegründung entspricht den gesetzlichen Anforderungen des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG. Danach muss die Begründung der Revision einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Bei Sachrügen müssen neben dem Antrag und der verletzten Rechtsnorm die Gründe aufgezeigt werden, die nach Auffassung des Revisionsklägers aufgrund einer rechtlichen Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung diese als unrichtig erscheinen lassen (vgl zB - BSGE 127, 133 = SozR 4-1500 § 164 Nr 9). Diesen Anforderungen genügt die auf Sachrügen gestützte Revision der Beklagten. Sie enthält einen Antrag, bezeichnet die verletzten Rechtsnormen und setzt sich mit den Gründen der LSG-Entscheidung inhaltlich auseinander. Dass die Beklagte zusätzlich zur Erfüllung dieser Voraussetzungen noch auf vorinstanzlichen Schriftverkehr verweist, macht die Revision nicht unzulässig.
9Die Revision der Beklagten ist auch begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Die angegriffenen und des sind aufzuheben und die Klage ist abzuweisen.
101. Die von der Klägerin erhobene (echte) Leistungsklage ist im hier bestehenden Gleichordnungsverhältnis zwar zulässig (stRspr; vgl zB KR R - BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13, RdNr 9 mwN; - BSGE 133, 24 = SozR 4-2500 § 2 Nr 17, RdNr 7), aber unbegründet. Der mit der Klage geltend gemachte - unstreitige - Vergütungsanspruch ist durch Aufrechnung mit dem aus der Behandlung des Versicherten resultierenden Erstattungsanspruch erloschen (vgl zur Zugrundelegung von Vergütungsansprüchen bei unstrittiger Berechnungsweise - juris RdNr 11 mwN; stRspr; vgl zur Aufrechnung - SozR 4-5562 § 11 Nr 2 RdNr 10 ff und - B 1 KR 7/16 R - SozR 4-7610 § 366 Nr 1 RdNr 11). Der beklagten Krankenkasse stand ein Erstattungsanspruch in der geltend gemachten Höhe zu.
112. Die Entscheidung des LSG, die Abrechnung der Klägerin nach DRG E65A sei korrekt, weil sie für die Bronchoskopie unter Einsatz eines Bronchoflex Tubus zu Recht OPS 1-620.10 ("… mit starrem Instrument …") kodiert habe, hält einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand. Die Subsumtion des Bronchoflex Tubus unter das Tatbestandsmerkmal des "starren Instruments" iS des OPS 1-620.10 wird von den nicht mit durchgreifenden Revisionsrügen angegriffenen, den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG nicht getragen.
12Die Klägerin hatte in dem streitigen Abrechnungsfall nur Anspruch auf die niedrigere Vergütung nach DRG E65C, nicht auf die abgerechnete und von der Beklagten gezahlte höhere Vergütung nach DRG E65A. Die Differenz hat die Beklagte zu Recht im Wege der Aufrechnung als Erstattungsanspruch geltend gemacht.
13a) Rechtsgrundlage des von der Klägerin wegen der stationären Behandlung des Versicherten geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V iVm § 17b KHG und § 7 KHEntgG, der hier durch § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 - 3 KHEntgG iVm FPV 2015 konkretisiert wird (vgl - SozR 4-5562 § 9 Nr 10 RdNr 10 mwN). Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung - abgesehen von einem Notfall - in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und iS von § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (stRspr; vgl - BSGE 130, 73 = SozR 4-2500 § 12 Nr 18, RdNr 11 mwN). Diese Grundvoraussetzungen waren nach den unangegriffenen, den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) vorliegend erfüllt.
14Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich aus der Eingabe und Verarbeitung von Daten in einem automatischen Datenverarbeitungssystem, das auf einem zertifizierten Programm (Grouper) basiert (vgl § 1 Abs 6 Satz 1 FPV 2015; vgl für die stRspr zum rechtlichen Rahmen der Klassifikationssysteme und des Groupierungsvorgangs - SozR 4-5562 § 9 Nr 10 RdNr 13 und 17 mwN). Dieser Grouper greift auf Daten zurück, die entweder als integrale Bestandteile des Programms mitvereinbart sind oder an anderer Stelle vereinbarte Regelungen wiedergeben. Dazu gehören die Fallpauschalen selbst, die von den Vertragspartnern auf Bundesebene vereinbarten Deutschen Kodierrichtlinien (DKR - hier Version 2015) für das DRG-System gemäß § 17b KHG, aber auch die vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) - jetzt Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) - im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit jährlich herausgegebenen OPS (vgl - BSGE 134, 193 = SozR 4-5560 § 19 Nr 1, RdNr 11).
15b) Die Klägerin kodierte fehlerhaft den DRG E65A ansteuernden OPS 1-620.10. Statt OPS 1-620.10 ("… mit starrem Instrument…") hätte sie OPS 1-620.00 ("… mit flexiblem Instrument …") kodieren müssen. Bei dem zur diagnostischen Bronchoskopie verwendeten Bronchoflex Tubus handelt es sich nicht um ein "starres Instrument" iS des OPS 1-620.10. Vielmehr ist der Bronchoflex Tubus ein schlauchartiges Instrument, durch den ein flexibles Bronchoskop durch die Luftröhre in die Lunge geführt wird. Offenbleiben kann, ob die Abrechnung des OPS 1-620.10 (mit "starrem Instrument") nur irgendein starres Hilfsmittel voraussetzt oder ob gerade das Bronchoskop selbst starr sein muss. Die Klägerin setzte auch dann kein starres Instrument ein, wenn es allein auf die Qualifizierung des Bronchoflex Tubus ankommen sollte.
16Dies folgt aus einer eng am Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang orientierten Auslegung des genannten OPS-Kodes; eine analoge Anwendung ist ausgeschlossen.
17aa) Abrechnungsbestimmungen - einschließlich des OPS - sind wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und allenfalls unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht. Sie dürfen nicht analog angewandt werden (vgl - juris RdNr 12 mwN; - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 27). Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt (stRspr; vgl KR R - SozR 4-5565 § 14 Nr 5 RdNr 26; - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 27; - SozR 4-2500 § 109 Nr 84 RdNr 21; - SozR 4-5562 § 9 Nr 21 RdNr 16 zur Nichtberücksichtigung entstehungsgeschichtlicher Umstände; Wahl in jurisPK-SGB V, § 109 RdNr 195 mwN, Stand ). Da das DRG-basierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiterzuentwickelndes (§ 17b Abs 2 Satz 1 KHG) und damit "lernendes" System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (vgl - SozR 4-2500 § 301 Nr 1 RdNr 12 ff; - SozR 4-2500 § 112 Nr 10 - RdNr 16 mwN).
18bb) Der in OPS 1-620.10 verwendete Begriff des starren Instruments ist weder dort noch an anderer Stelle normativ definiert, noch lassen sich aus sonstigen Regelungen Rückschlüsse auf ein normativ determiniertes Begriffsverständnis ziehen. Ohne normative Vorgaben sind medizinische Begriffe vorrangig nach einem einheitlichen wissenschaftlich-medizinischen Sprachgebrauch zu verstehen und erst wenn sich auch daraus keine eindeutigen Erkenntnisse ergeben, ist der allgemeinsprachliche Begriffskern maßgeblich (vgl zum Stufenverhältnis - SozR 4-2500 § 109 Nr 84 RdNr 24 ff mwN; ferner - juris RdNr 18).
19cc) Die auf dieser Grundlage vorzunehmende enge Wortlautauslegung des OPS 1-620.10 ergibt, dass unter einem bei der Bronchoskopie eingesetzten "starren Instrument" ein nicht verformbares und nicht biegsames Instrument verstanden wird.
20(1) Den Feststellungen des LSG lässt sich entnehmen, dass kein eindeutiger medizinisch-wissenschaftlicher Sprachgebrauch für starre oder flexible Instrumente existiert. Das LSG hat auf der Grundlage der vorliegenden Gutachten und der Einvernahme des Chefarztes des klägerischen Krankenhauses H. ua festgestellt, dass der hier eingesetzte Bronchoflex Tubus eine Weiterentwicklung des starren Stahlrohrs ist, das bei dem historisch älteren Verfahren der starren Bronchoskopie verwendet wurde. Der Bronchoflex Tubus weist danach eine vergleichbare Funktionalität wie ein starres Bronchoskop auf, ist aber biegsam. Das eingesetzte Verfahren wird auch als "starr-flexible" Bronchoskopie bezeichnet. Daraus wird deutlich, dass der medizinisch-wissenschaftliche Sprachgebrauch jedenfalls keine eindeutige Zuordnung des Bronchoflex Tubus und vergleichbarer Instrumente zu starr oder flexibel erlaubt. Die Auffassung des LSG, es handele sich um ein starres Instrument, basiert nicht auf der Feststellung eines entsprechenden medizinisch-wissenschaftlichen Sprachgebrauchs. Vielmehr schließt sich das LSG der Wertung der Gutachter an, der Bronchoflex Tubus weise eine dem starren Bronchoskop vergleichbare Funktionalität auf. Die Bewertung der Bedingungen oder der Funktionalität findet aber bei der Auslegung von Abrechnungsbestimmungen nur Berücksichtigung, wenn es nach ihrem Wortlaut auf diese Bedingungen ankommt. Das ist hier nicht der Fall.
21(2) Maßgeblich ist hier deshalb der allgemeinsprachliche Begriffskern. Als schlauchartiges Instrument ist der Bronchoflex Tubus hiernach nicht den starren, sondern den flexiblen Instrumenten zuzuordnen.
22Synonyme für flexibel sind biegsam, elastisch, anpassungsfähig, während starr gerade das Gegenteil davon ist, nämlich nicht beweglich, nicht elastisch (vgl auch die Bezeichnung der Synonyme im Duden). Nach diesem Begriffskern ist ein sich Mund, Luftröhre und Bronchus anpassendes, biegsames Instrument flexibel und gerade nicht starr. Der mit dieser Eigenschaft hier verwendete Bronchoflex Tubus ist kein starres Rohr, sondern ein der Länge nach biegsamer Schlauch. Allein die den Durchmesser des Rohres sichernde Spiralfeder, die die Lumenstarre bewirkt, macht den Bronchoflex Tubus noch nicht zu einem starren Instrument. Unterstützt wird diese Auslegung auch durch den Namen des Instruments: Bronchoflex Tubus. Damit verweist bereits der Hersteller auf die Flexibilität des Tubus. Das darin eingeführte Bronchoskop war hier ebenfalls flexibel.
23(3) Unerheblich ist auch, dass es sich nach den Feststellungen des LSG um eine innovative Weiterentwicklung der früheren starren Bronchoskope handelt, mit der sich verschiedene Vorteile beider Techniken vereinen lassen: die Freihaltung des Atemwegs sowie die Beatmung einerseits und die geringere Eingriffsintensität andererseits. Den Bronchoflex Tubus mit dieser Begründung unter den Begriff des "starren Instruments" zu fassen, käme einer analogen Anwendung des OPS 1-620.10 gleich, die aber - wie dargelegt - nicht zulässig ist. Sollte der bei dieser Technik anfallende Aufwand durch OPS 1-620.00 nicht adäquat abgebildet sein, wäre es Aufgabe der Vertragsparteien, die Vergütungsregelungen entsprechend anzupassen.
243. Auf die Frage der Unwirtschaftlichkeit einer starren Bronchoskopie sowie die Frage, ob die Beklagte mit diesem Einwand präkludiert wäre, kommt es daher ebenso wenig an, wie auf die Frage der hinreichenden Patientenaufklärung.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2024:141124UB1KR2923R0
Fundstelle(n):
VAAAJ-83093