BGH Beschluss v. - VI ZR 7/24

Leitsatz

Zur Bestimmung des Streitwerts für einen Unterlassungsanspruch (hier: Scraping-Verfahren).

Gesetze: § 48 GKG, § 68 Abs 1 GKG, § 3 ZPO

Instanzenzug: Az: I-15 U 108/23 Urteilvorgehend Az: 28 O 138/22 Urteil

Gründe

I.

1Der Kläger hat mit seiner Revision Ansprüche auf Schadensersatz, Feststellung, Unterlassung und Auskunft wegen einer Verletzung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) durch die Beklagte im Zusammenhang mit einem Scraping-Vorfall (vgl. hierzu Senat, Urteil vom - VI ZR 10/24, juris) geltend gemacht. Die Klage blieb in zweiter Instanz letztlich erfolglos. Mit seiner Revision hat der Kläger beantragt,

21. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerseite immateriellen Schadensersatz in angemessener Höhe zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 1.000 € nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz;

32. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerseite alle künftigen Schäden zu ersetzen, die der Klägerseite durch den unbefugten Zugriff Dritter auf das Datenarchiv der Beklagten, der nach Aussage der Beklagten im Jahr 2019 erfolgte, entstanden sind und/oder noch entstehen werden;

43. die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise an ihrem gesetzlichen Vertreter (Director) zu vollstreckender Ordnungshaft, oder einer an ihrem gesetzlichen Vertreter (Director) zu vollstreckender Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, zu unterlassen,

5a. personenbezogene Daten der Klägerseite, namentlich Telefonnummer, FacebookID, Familiennamen, Vornamen, Geschlecht, Bundesland, Land, Stadt, Beziehungsstatus unbefugten Dritten über eine Software zum Importieren von Kontakten zugänglich zu machen, ohne die nach dem Stand der Technik möglichen Sicherheitsmaßnahmen vorzusehen, um die Ausnutzung des Systems für andere Zwecke als der Kontaktaufnahme zu verhindern,

6b. die Telefonnummer der Klägerseite auf Grundlage einer Einwilligung zu verarbeiten, die wegen der unübersichtlichen und unvollständigen Informationen durch die Beklagte erlangt wurde, namentlich ohne eindeutige Informationen darüber, dass die Telefonnummer auch bei Einstellung auf "privat" noch durch Verwendung des Kontaktimporttools verwendet werden kann, wenn nicht explizit hierfür die Berechtigung verweigert und, im Falle der Nutzung der Facebook-Messenger App, hier ebenfalls explizit die Berechtigung verweigert wird;

74. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerseite Auskunft über die Klägerseite betreffende personenbezogene Daten, welche die Beklagte verarbeitet, zu erteilen, namentlich welche Daten durch welche Empfänger zu welchem Zeitpunkt bei der Beklagten durch Scraping oder durch Anwendung des Kontaktimporttools erlangt werden konnten;

85. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerseite vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 887,03 € zu zahlen zuzüglich Zinsen seit Rechtshängigkeit in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz.

9Nach Rücknahme der Revision durch den Kläger hat der Senat den Kläger mit Beschluss vom dieses Rechtsmittels für verlustig erklärt und dem Kläger die Kosten der Revision auferlegt (§ 565 ZPO a.F., § 516 Abs. 3 ZPO). Den Streitwert für das Revisionsverfahren hat der Senat auf die Gebührenstufe bis 4.000 € festgesetzt. Hiergegen wendet sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit seiner Gegenvorstellung, mit der er eine Höherfestsetzung auf 7.000 € begehrt.

II.

10Die zulässige Gegenvorstellung des Prozessbevollmächtigten des Klägers ist nicht begründet.

111. Die gemäß § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG aus eigenem Recht des Prozessbevollmächtigten des Klägers eingelegte Gegenvorstellung ist in entsprechender Anwendung von § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG statthaft (vgl. Senat, Beschluss vom - VI ZR 68/21, juris Rn. 3; BGH, Beschlüsse vom - XII ZR 81/16, juris Rn. 1; vom - XI ZR 38/13, juris Rn. 1) und auch im Übrigen zulässig. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat dargelegt, dass seine Vergütung wertabhängig erfolge und die begehrte Höherfestsetzung des Streitwerts zu einer Steigerung seines Gebührenaufkommens um mehr als 200 € (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG) führe (vgl. Toussaint, Kostenrecht, 54. Aufl., § 32 RVG Rn. 55). Die Sechsmonatsfrist für die Einlegung der Gegenvorstellung (§ 68 Abs. 1 Satz 3, § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG analog) ist gewahrt. Der Kläger als Kostenschuldner und die Beklagte hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

122. In der Sache hat die Gegenvorstellung keinen Erfolg.

13Der Senat hat den Streitwert für das Revisionsverfahren auf die Gebührenstufe bis 4.000 € festgesetzt und die Klageanträge dabei - wie zuvor das Berufungsgericht - wie folgt bemessen: 1.000 € (Zahlungsantrag) + 500 € (Feststellungsantrag) + 1.500 € (Unterlassungsanträge) + 500 € (Auskunftsantrag) = 3.500 €. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers wendet sich allein gegen die Wertfestsetzung für die Unterlassungsanträge, die er - wie zuvor das Landgericht - mit insgesamt 5.000 € (2 x 2.500 €) bemessen haben möchte.

14Eine Höherfestsetzung des Streitwerts für die Unterlassungsanträge ist nicht veranlasst. Der Streitwert ist nach allgemeinen Regeln unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien, nach Ermessen zu bestimmen (§ 48 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 GKG, § 3 ZPO). Maßgeblich bei einem Unterlassungsantrag nach - wie im Streitfall geltend gemacht - bereits erfolgter Verletzungshandlung ist das Interesse des Anspruchstellers an der Unterbindung weiterer gleichartiger Verstöße, welches maßgeblich durch die Art des Verstoßes, insbesondere seine Gefährlichkeit und Schädlichkeit für den Inhaber des verletzten Rechts bestimmt wird. Allerdings kann auch anderen, von der bereits erfolgten Verletzungshandlung unabhängigen Faktoren - etwa dem Grad der Wahrscheinlichkeit künftiger Zuwiderhandlungen - Rechnung zu tragen sein (vgl. , NJW 2017, 814 Rn. 33 ff. mwN). Das Gefährdungspotential ist dabei allein mit Blick auf das konkrete Streitverhältnis zu bestimmen. Für generalpräventive Erwägungen ist bei der Bewertung eines zivilrechtlichen Unterlassungsanspruchs ebenso wenig Raum (, NJW 2017, 814 Rn. 42 mwN) wie für eine Orientierung an einem etwaigen (Gesamt-)Schaden unter Einbeziehung anderer Betroffener (vgl. Senat, Beschluss vom - VI ZR 65/04, juris Rn. 2; , juris Rn. 277; OLG Frankfurt/M., K&R 2024, 673). Schließlich darf das Gesamtgefüge der Bewertung nichtvermögensrechtlicher Streitgegenstände nicht aus den Augen verloren werden (, K&R 2021, 127 Rn. 11).

15Nach diesen Grundsätzen ist die erfolgte Festsetzung des Wertes der Unterlassungsanträge auf insgesamt 1.500 € (2 x 750 €) sachgerecht (vgl. zu Parallelfällen auch , juris Rn. 279 ff.; OLG Frankfurt/M., K&R 2024, 673: jeweils insgesamt 1.000 €). Der Kläger selbst hat seinen Zahlungsanspruch auf Ersatz des bereits eingetretenen Schadens auf 1.000 € beziffert. Der Senat hat hierzu in einem weiteren Parallelverfahren näher ausgeführt, dass er auch eine Bemessung in der Größenordnung von 100 € für den bloßen Kontrollverlust von Rechts wegen nicht beanstanden würde (Urteil vom - VI ZR 10/24, juris Rn. 100). Seinen Antrag auf Feststellung hinsichtlich etwaiger zukünftiger Schäden hat auch der Kläger mit 500 € bewertet; dies erscheint angesichts der absehbaren Schwierigkeiten beim Nachweis der Ursächlichkeit künftiger Schäden auch sachgerecht. Die Verletzungshandlung liegt bereits fünf Jahre zurück, ohne dass es bislang jenseits des bloßen Kontrollverlustes zum Eintritt nachweisbarer Schäden oder einer weiteren Verletzungshandlung gekommen wäre; die Beklagte hat die Suchbarkeitsfunktion in der dem Streitfall inmitten stehenden Ausgestaltung vielmehr zwischenzeitlich deaktiviert. Beide Unterlassungsanträge nehmen ihren Ausgangspunkt in derselben Verletzungshandlung und hängen in der Sache eng zusammen.

Seiters                         Oehler                         Müller

                Klein                          Böhm

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:101224BVIZR7.24.0

Fundstelle(n):
RAAAJ-83077