BGH Beschluss v. - VII ZB 30/23

Leitsatz

Im Klauselerteilungsverfahren nach §§ 724 ff. ZPO können für ein gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 ZVG zu berücksichtigendes Besitzrecht eines Dritten nur solche Umstände Berücksichtigung finden, nach denen dieses Besitzrecht für das Klauselerteilungsorgan ohne jeden vernünftigen Zweifel erkennbar, also evident ist (Fortführung von  IXa ZB 269/03,WM 2004, 754).

Gesetze: § 93 Abs 1 S 2 ZVG, § 724 ZPO, §§ 724ff ZPO, § 771 ZPO

Instanzenzug: Az: 3 T 149/23vorgehend Az: 26 K 39/20

Gründe

I.

1Die Antragsteller wenden sich mit der Rechtsbeschwerde gegen die Versagung der Erteilung einer Vollstreckungsklausel zur Räumungsvollstreckung gegen den Antragsgegner aus einem Zuschlagsbeschluss.

2Die Beteiligten zu 1 und 2 - Geschwister - waren in Erbengemeinschaft nach ihrer Mutter (nachfolgend: Erblasserin) Eigentümer eines Hausgrundstücks in Bremen. In dem auf Antrag des Beteiligten zu 2 durchgeführten Teilungsversteigerungsverfahren erhielten die Antragsteller am den Zuschlag.

3Die Antragsteller haben am die Erteilung einer Ausfertigung des Zuschlagsbeschlusses mit einer Vollstreckungsklausel zur Räumungs- und Herausgabevollstreckung gegen den das Hausgrundstück bewohnenden Antragsgegner, den Ehemann der Beteiligten zu 1, beantragt. Der Antragsgegner hat der Klauselerteilung unter Hinweis auf die von ihm mit Schreiben vom12. August 2022 vorgelegte Fotokopie eines angeblich zwischen ihm und der Erblasserin am geschlossenen Mietvertrags über die Immobilie, der von den Antragstellern nicht wirksam gekündigt worden sei, widersprochen.

4Die Rechtspflegerin des Amtsgerichts hat den Antragstellern die beantragte Klausel unter dem erteilt. Hiergegen hat der Antragsgegner Erinnerung eingelegt, die das Amtsgericht durch richterlichen Beschluss vom zurückgewiesen und zur Begründung auf eine Verfügung der Rechtspflegerin vom Bezug genommen hat, in der ausgeführt ist, es bestehe aufgrund dort näher dargestellter Umstände die realistische Möglichkeit, dass der behauptete Mietvertrag nur mit dem Ziel der Verhinderung der Räumung vorgelegt worden sei. Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners hat das Landgericht die Zwangsvollstreckung aus der erteilten Vollstreckungsklausel mit Beschluss vom für unzulässig erklärt.

5Gegen diesen Beschluss wenden sich die Antragsteller mit der vom Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

6Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2, § 575 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung des Beschwerdegerichts und zur Zurückweisung der sofortigen Beschwerde des Antragsgegners gegen den .

71. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

8Der Antragsgegner könne sich gegen die Erteilung der Vollstreckungsklausel im Wege der Erinnerung gemäß § 732 ZPO unabhängig davon wehren, dass ihm daneben die Möglichkeit der Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO zustehe. Die Vollstreckungsklausel hätte gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 ZVG nicht erteilt werden dürfen und die Zwangsvollstreckung hieraus auf die Erinnerung für unzulässig erklärt werden müssen. Der Antragsgegner habe als Besitzer des Objekts das Bestehen eines Mietvertrages behauptet und zum Nachweis einen auf den datierten unbefristeten schriftlichen Mietvertrag vorgelegt sowie mit eidesstattlicher Versicherung vom die Echtheit der Urkunde und den Fortbestand dieses Vertrages glaubhaft gemacht. Entscheidend sei, ob ernsthafte Anhaltspunkte dafür bestünden, dass zum Zeitpunkt der Versteigerung ein wirksamer, nicht gekündigter oder einvernehmlich aufgehobener Mietvertrag bestanden habe, was zu bejahen sein dürfe.

9Zwar genieße die vorgelegte Mietvertragsurkunde nicht bereits die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit, da diese Geltung nur in Bezug auf die ursprünglichen Vertragsparteien beanspruche. Die Behauptung der Antragsteller aber, der Mietvertrag vom sei offensichtlich gefälscht, sei bislang durch nichts belegt, wenngleich an der Redlichkeit des Antragsgegners angesichts der Fragwürdigkeit einer von ihm im Versteigerungstermin vorgelegten Bankbürgschaftsurkunde erhebliche Zweifel bestünden, denen die Staatsanwaltschaft zu gegebener Zeit noch werde nachgehen müssen. Zweifel an der - fortbestehenden - Wirksamkeit des Mietvertrags seien noch am ehesten im Hinblick darauf für berechtigt zu halten, dass die Beteiligte zu 1 und der Antragsgegner offenbar seit langem keine Miete mehr gezahlt hätten und sie im Jahr 2010 unstreitig für längere Zeit anderweit verzogen seien, bevor sie zu einem späteren Zeitpunkt auf das hiesige Grundstück zurückgekehrt seien. Allein daraus, dass der Vertrag insoweit zeitweise "nicht mehr gelebt" worden sei, sei nicht mit genügender Sicherheit zu schließen, dass die Parteien des Mietvertrags - dessen Echtheit unterstellt - diesen einvernehmlich aufgehoben hätten.

10Die Echtheit und Wirksamkeit des Mietvertrages unterstellt, könne es schließlich auch nicht darauf ankommen, ob der Antragsgegner den Mietvertrag lediglich zum Zwecke der Verhinderung der Räumung vorgelegt habe, denn dies sei sein gutes Recht.

112. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der vom Beschwerdegericht gegebenen Begründung kann die Zwangsvollstreckung aus der den Antragstellern erteilten Vollstreckungsklausel nicht wegen eines Rechts des Antragsgegners im Sinne von § 93 Abs. 1 Satz 2 ZVG für unzulässig erklärt werden.

12a) Gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 ZVG findet aus dem Beschluss, durch welchen der Zuschlag erteilt wird, gegen den Besitzer des Grundstücks die Zwangsvollstreckung auf Räumung und Herausgabe statt. Nach § 93 Abs. 1 Satz 2 ZVG soll die Zwangsvollstreckung nicht erfolgen, wenn der Besitzer aufgrund eines Rechts besitzt, das durch den Zuschlag nicht erloschen ist. Ein solches Recht kann dem Mieter nach Maßgabe von § 57 ZVG zustehen. Ist ihm das Grundstück überlassen, findet die Vorschrift des § 566 BGB i.V.m. § 578 Abs. 1 BGB Anwendung. Dies setzt allerdings voraus, dass es noch vor der Versteigerung zur Überlassung des Grundstücks durch den Vermieter in Erfüllung seiner Pflichten aus § 535 Abs. 1 BGB gekommen ist; die Besitzeinräumung muss gerade im Hinblick auf das Mietverhältnis erfolgt sein ( IXa ZB 269/03, WM 2004, 754, juris Rn. 7 m.w.N.).

13b) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts lässt sich ein im Klauselerteilungsverfahren nach § 724 ff. ZPO zu berücksichtigendes Besitzrecht des Antragsgegners im Sinne von § 93 Abs. 1 Satz 2 ZVG i.V.m. § 57 ZVG weder auf die Fotokopie des angeblichen Mietvertrags mit der Erblasserin vom noch auf die diesbezügliche eidesstattliche Versicherung des Antragsgegners vom stützen.

14aa) Durch das vereinfachte Klauselerteilungsverfahren darf dann nicht in ein bestehendes Recht zum Besitz eingegriffen werden, wenn dieses nach § 57 ZVG schützenswert ist. Wird ein Recht im Sinne dieser Vorschrift angemeldet, ist nach § 93 Abs. 1 Satz 2 ZVG zu prüfen, ob es einer Klauselerteilung entgegensteht. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Besitzer nicht den vollen (materiellen) Beweis für sein Besitzrecht erbringen, es genügt aber auch nicht, dass er sich lediglich auf ein solches Recht beruft. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass der Missbrauch der Schutzvorschriften des Zwangsversteigerungsgesetzes - insbesondere des § 57 ZVG - zum Nachteil des Gläubigers gefördert und das vereinfachte Klauselerteilungsverfahren dadurch entwertet würde ( IXa ZB 269/03, WM 2004, 754, juris Rn. 9; Beschluss vom - V ZB 108/07 Rn. 8, DGVZ 2008, 170; Beschluss vom - VII ZB 48/10 Rn. 15, MDR 2012, 997).

15bb) Ausgehend hiervon können im Klauselerteilungsverfahren nach §§ 724 ff. ZPO für ein gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 ZVG zu berücksichtigendes Besitzrecht eines Dritten nur solche Umstände Berücksichtigung finden, nach denen dieses Besitzrecht für das Klauselerteilungsorgan ohne jeden vernünftigen Zweifel erkennbar, also evident ist. Das entspricht dem Grundgedanken des Klauselerteilungsverfahrens nach §§ 724 ff. ZPO, in dem nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung der Vollstreckungsschuldner grundsätzlich nur solche Einwendungen gegen eine dem Gläubiger erteilte Klausel erheben kann, die Fehler formeller Art zum Gegenstand haben (vgl.  IXa ZB 326/03, NJW-RR 2004, 1718 juris Rn. 6; Beschluss vom - VII ZB 27/05, WM 2005, 1997, juris Rn. 10; Beschluss vom4. Oktober 2005 - VII ZB 54/05, NJW-RR 2006, 567, juris Rn. 15; Beschluss vom - VII ZB 62/08 Rn. 12, NJW 2009, 1887; Beschluss vom7. Oktober 2020 - VII ZB 56/18 Rn. 13, BGHZ 227, 154). Angesichts dieser Beschränkung kommt die Berücksichtigung eines Besitzrechts gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 ZVG nur in Betracht, wenn sein (Fort-)Bestand zum Zuschlagszeitpunkt der Entscheidung über die Erteilung der beantragten Klausel als evident zugrunde gelegt werden kann. Eine abschließende Klärung der zum Besitzrecht vorgetragenen Umstände sowie eine umfassende diesbezügliche materielle Rechtsprüfung ist nicht Aufgabe des Klauselerteilungsorgans, sondern muss gegebenenfalls einem Zivilprozess der Beteiligten untereinander vorbehalten bleiben (siehe zur vergleichbaren Beschränkung des Prüfungsmaßstabs auf eine Evidenzkontrolle Rn. 24 m.w.N., NJW-RR 2023, 1478). Die Beschränkung auf Umstände, nach denen ein Besitzrecht des Dritten für das Klauselerteilungsorgan evident ist, benachteiligt den Dritten nicht unangemessen, weil ihm die Möglichkeit der Erhebung der Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO eröffnet ist (§ 93 Abs. 1 Satz 3 ZVG). Soweit sich aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein abweichender Prüfungsmaßstab ergibt, hält der erkennende Senat hieran nicht fest.

16Der Prüfungsumfang im Klauselerinnerungsverfahren nach § 732 ZPO entspricht demjenigen im Klauselerteilungsverfahren, auf dessen Überprüfung es ausgerichtet ist. Was vom Klauselerteilungsorgan aufgrund des eingeschränkten Prüfungsprogramms im Klauselerteilungsverfahren nicht zu prüfen ist, kann im Erinnerungsverfahren - auch in der Rechtsmittelinstanz - nicht zur Überprüfung gestellt werden ( Rn. 21, BGHZ 227, 154).

17cc) Gemessen hieran ist die Annahme des Beschwerdegerichts, der Erteilung der Vollstreckungsklausel stünde ein nach § 93 Abs. 1 Satz 2 ZVG zu berücksichtigendes Besitzrecht des Antragsgegners aus dem angeblichen Mietvertrag mit der Erblasserin vom entgegen, rechtsfehlerhaft.

18Dass der Antragsgegner, wie von ihm behauptet, am einen bei Zuschlag fortbestehenden Mietvertrag mit der Erblasserin wirksam abgeschlossen hat, ist weder unstreitig noch evident.

19Allein die Vorlage eines Mietvertrags reicht für die Annahme eines evidenten Besitzrechts nicht aus. Vielmehr hat der Mieter weiter darzutun und mit geeigneten Unterlagen, beispielsweise durch Vorlage von Kontoauszügen über Mietzahlungen, zu belegen, dass der Vermieter ihm in Erfüllung der hierdurch übernommenen Verpflichtung gemäß § 535 Abs. 1 BGB vor Zuschlag den Gebrauch überlassen hat und dieses Mietverhältnis fortbesteht.

20Dem ist der Antragsgegner nicht nachgekommen. Hier bestehen bereits am Abschluss eines Mietverhältnisses zum erhebliche Zweifel. So sind ausweislich des - überdies nur in Fotokopie vorgelegten - Mietvertrags als Mietzins lediglich ein symbolischer Betrag vereinbart worden sowie Hilfs- und Unterstützungsleistungen zugunsten der Erblasserin, die zusammengenommen weit hinter dem objektiven Mietwert der sich über zwei Etagen erstreckenden Mieträumlichkeiten zurückbleiben. Der Antragsgegner hat zudem Mietzahlungen an die Erblasserin und die Erbringung der vereinbarten Hilfsleistungen sowie - nach Ableben der Erblasserin - Mietzahlungen zugunsten der Erbengemeinschaft weder konkret dargelegt noch durch geeignete Unterlagen belegt. Die eidesstattliche Versicherung des Antragsgegners vom , wenn ihr überhaupt inhaltlich zu folgen wäre, enthält hierzu ebenfalls keine konkreten Angaben. Zudem genügt die bloße Glaubhaftmachung eines behaupteten Besitzrechts für die Annahme von Evidenz nicht.

21Sind bereits der Abschluss eines Mietvertrages des Antragsgegners mit der Erblasserin am sowie dessen Fortbestand zum Zuschlagszeitpunkt nicht evident, kommt es auf die weitere Frage, ob dem Antragsgegner der Besitz gerade im Hinblick auf dieses - angebliche - Mietverhältnis eingeräumt worden ist, nicht entscheidungserheblich an. Die vom Beschwerdegericht aufgeworfene Frage, ob die Wirksamkeit einer nach dem Zuschlag erfolgten Kündigung im Rahmen des Klauselerteilungsverfahrens zu prüfen ist, stellt sich danach ebenfalls nicht.

223. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (vgl. § 577 Abs. 3 ZPO). Weitere Umstände, nach denen ein durch den Zuschlag nicht erloschenes Besitzrecht des Antragsgegners zumindest evident ist, sind nicht festgestellt.

234. Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Sie ist aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und die Sache nach dem festgestellten Sachverhalt zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO). Der Antragsgegner ist zur Geltendmachung seines vermeintlichen Besitzrechts gemäß § 93 Abs. 1 Satz 3 ZVG auf die Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO zu verweisen. Dort ist zu klären, ob der angebliche Mietvertrag mit der Erblasserin wirksam zustande gekommen ist und zum Zeitpunkt des Zuschlags an die Ersteher noch fortbestand (vgl. IXa ZB 269/03, WM 2004, 754, juris Rn. 11).

III.

24Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:181224BVIIZB30.23.0

Fundstelle(n):
HAAAJ-83076