Gründe
1I. Die Beteiligten streiten in der Hauptsache darüber, ob die Klägerin nach Vollendung ihres 18. Lebensjahrs weiterhin Anspruch auf den Nachteilsausgleich H (Hilflosigkeit) hat.
2Die 2001 geborene Klägerin leidet an einer angeborenen hirnorganischen Erkrankung und einer Lernbehinderung. Sie hat einen Grad der Behinderung von 70. Zudem waren ihr die Merkzeichen B, G und H zuerkannt. Nach Vollendung des 18. Lebensjahrs entzog der Beklagte ihr das Merkzeichen H.
3Das SG hat die hiergegen gerichtete Klage nach Einholung eines Pflegegutachtens zur Prüfung des Hilfebedarfs der Klägerin abgewiesen. Nach der Rechtsprechung des BSG sei nicht hilflos, wer, wie die Klägerin, nur in relativ geringem Umfang, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen sei (Gerichtsbescheid vom ).
4Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG den Gerichtsbescheid und die angefochtenen Bescheide insoweit aufgehoben, als darin das Merkzeichen H nicht mehr zuerkannt worden ist. Sie benötige Hilfe in Form von Aufforderung, Kontrolle und Motivation zu verschiedenen Tageszeiten, weshalb der Hilfeleistung ein besonderer wirtschaftlicher Wert zukomme (Urteil vom ).
5Mit der Beschwerde macht der Beklagte die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Divergenz und Verfahrensmängel geltend.
6II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil weder ein Verfahrensmangel noch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache oder eine Divergenz ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
71. Der Beklagte hat die gerügte Verletzung der Sachaufklärungspflicht des LSG (§ 103 SGG) nicht hinreichend bezeichnet.
8Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist. Dafür ist nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch darzulegen, über welche im Einzelnen bezeichnete Tatsachenbehauptung Beweis erhoben werden sollte und was die Beweisaufnahme ergeben hätte (vgl stRspr; zB - juris RdNr 6; - juris RdNr 6, jeweils mwN).
9Der Beklagte gibt insoweit an, er habe mit Schriftsatz vom "gemäß § 103 SGG" um ein - näher beschriebenes - Protokoll mit einer Aufstellung zu den bei der Klägerin erforderlichen Hilfeleistungen "gebeten". Diesen Antrag habe das LSG übergangen und lediglich eine Betreuerin der Klägerin als Zeugin vernommen.
10Unabhängig von der Frage, ob der genannte Antrag überhaupt die Anforderungen an einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG erfüllt (vgl hierzu - juris RdNr 9 mwN), hat der Beklagte jedenfalls nicht aufgezeigt, diesen Antrag bis zuletzt vor dem LSG aufrechterhalten zu haben. Um das Berufungsgericht ausreichend vor einer Verletzung seiner Amtsermittlungspflicht zu warnen, muss ein Beteiligter sein zuvor geäußertes Beweisbegehren in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG als prozessordnungsgemäßen Beweisantrag wiederholen und protokollieren lassen (§ 122 SGG iVm § 160 Abs 4 Satz 1 ZPO; vgl stRspr; zB - juris RdNr 8; - juris RdNr 8). Dass der Beklagte einen solchen Beweisantrag in der vom LSG durchgeführten mündlichen Verhandlung vom zu Protokoll aufrechterhalten hat, trägt er nicht vor. Er legt in der Beschwerdebegründung auch nicht dar, hieran gehindert gewesen zu sein. Ebenso wenig behauptet der Beklagte, dass das LSG einen Beweisantrag in dem angefochtenen Urteil wiedergegeben habe (vgl - juris RdNr 8 mwN).
112. Auch eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG hat der Beklagte nicht dargelegt. Sie liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG aufgestellt hat. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass die angefochtene Entscheidung auf der Abweichung beruht (stRspr; zB - juris RdNr 4).
12Um eine solche Divergenz darzulegen, muss die Beschwerdebegründung erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in der in Bezug genommenen höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht. Ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das BSG die höchstrichterliche Rechtsprechung im Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (vgl stRspr; zB - juris RdNr 8 mwN).
13Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht. Indem der Beklagte ein Abweichen der Entscheidung des LSG vom BH - juris) behauptet und sich dafür ausschließlich auf einen bei juris zu diesem Beschluss veröffentlichten und dort redaktionell formulierten Orientierungssatz (vgl https://www.juris.de/jportal/portal/page/fshelp.psml?cmsuri=/hilfe/de/ep/weitere_suchfunktionen/dokumentenausgabe.jsp) beruft, versäumt er es, der Entscheidung nachvollziehbar einen tragenden abstrakten Rechtssatz zu entnehmen. Für die Frage, ob ein Gericht einen Rechtssatz im Sinne der Divergenz aufgestellt hat, kommt es nur auf die Entscheidungsgründe selbst an ( - juris RdNr 4; - juris RdNr 10). Der von der Beschwerde zitierte Orientierungssatz aus juris zu dieser Entscheidung erfüllt daher nicht die Kriterien eines nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG zu benennenden abstrakten Rechtssatzes (vgl - juris RdNr 12). Die Beschwerde legt nicht dar, ob und an welcher Stelle die Entscheidungsgründe des angegebenen BSG-Beschlusses den behaupteten Rechtssatz tragend enthalten.
143. Ebenso wenig hat der Beklagte schließlich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG dargelegt.
15Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sowie ggf des Schrifttums angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB - juris RdNr 7; - juris RdNr 14).
16Der Beklagte hält folgende Frage für grundsätzlich bedeutsam:"Kommt unter Zugrundelegung des seit dem bestehenden einheitlichen Pflegebegriffs die Zuerkennung des Merkzeichens H unterhalb eines Pflegegrades 3 in Betracht oder ist das Vorliegen einer Hilflosigkeit in diesen Fällen ausgeschlossen?"
17Indes hat der Beklagte bereits nicht dargelegt, warum sich diese Frage in einem Revisionsverfahren auf der Grundlage der für den Senat nach § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG überhaupt entscheidungserheblich stellen würde. Es fehlt schon an der Darstellung, ob und - wenn ja - welche Feststellungen das LSG im Einzelnen zur Pflegebedürftigkeit der Klägerin iS des § 14 SGB XI und insbesondere zu dem bei ihr deshalb nach § 15 SGB XI anzunehmenden Pflegegrad getroffen hat.
18Ebenso wenig hat der Beklagte dargelegt, warum sich die aufgeworfene Frage nicht auf der Grundlage des - von ihm zitierten - Beschlusses des BSG und der darin aufgeführten Rechtsprechung beantworten lässt, obwohl er auch die Ansicht vertritt, die Entscheidung des LSG weiche von dieser Rechtsprechung ab.
19Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
204. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2024:021224BB9SB124B0
Fundstelle(n):
VAAAJ-82886