BSG Beschluss v. - B 1 KR 53/24 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Beiordnung eines Rechtsanwalts - Aufhebung

Gesetze: § 73a Abs 1 S 1 SGG, § 121 ZPO

Instanzenzug: Az: S 8 KR 134/11 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Az: L 16 KR 511/20 ZVW Urteil

Gründe

1I. Der Kläger ist mit seinen Begehren auf Übernahme bzw Erstattung der Kosten der Mitgliedschaft bzw für verschiedene Trainingsmaßnahmen im Rahmen der Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio sowie der Kosten für eine Rezeptur wegen Neurodermitiserkrankung und für ein Magnesiumpräparat, der Benennung wohnortnaher Rehabilitationssachverständiger, der Bescheidung von Anträgen im Hinblick auf sequenzielles Gerätetraining und Leistungen zur medizinischen Rehabilitation bzw Teilhabe sowie von Anträgen in Bezug auf individuelles Gerätesequenztraining in Intensitätseigenregie bei der Beklagten und in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben.

2Das LSG hat - nach vorangegangener Zurückverweisung durch das BSG wegen eines Verfahrensfehlers - zur Begründung ausgeführt: Es sei trotz der diversen weiteren Ausführungen des Klägers nicht an einer Entscheidung in der Sache gehindert und habe die weiteren Anträge auch nicht prozessual selbstständig bescheiden müssen, da diese offensichtlich unzulässig seien. Der Kläger verfolge damit verfahrensfremde Zwecke, indem er in massiver Weise Obstruktion betreibe und das Gericht im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang des Verhandlungstermins mit einer fast unüberschaubaren Menge von (minimal veränderten) Schriftsatzdoppeln und inhaltsgleichen Konvoluten von Unterlagen und Anlagen überschwemme - verbunden mit der expliziten Erwartung der Terminsaufhebung. Dieses Vorgehen entspreche der analogen Begehungsform einer Denial-of-Service (DoS)-Attacke, die auf den Ausfall der gerichtlichen Spruchtätigkeit gerichtet sei. Aus den konkret gegebenen Umständen des prozessualen Verhaltens des Klägers und der Aktenlage ergebe sich spätestens aus dem Ablauf des Zurückverweisungsverfahrens die Absicht des Klägers, durch sein Vorbringen auf eine Verschleppung des Verfahrens hinzuwirken. Auch ohne Ansehung des Verfahrensalters und des Aktenumfanges werde durch das Verhalten des Klägers eindrucksvoll ersichtlich, dass es ihm nicht um eine Sachentscheidung, sondern um die möglichst lange Verhinderung derselben gehe. In der Sache habe die Berufung keinen Erfolg. Das LSG hat insoweit gemäß § 153 Abs 2 SGG vollumfänglich auf die Gründe des angefochtenen Gerichtsbescheids verwiesen und sich diese zu eigen gemacht. Dem sei auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens nichts hinzuzufügen (Urteil vom ).

3Mit Beschluss vom hat der Senat dem Kläger für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Prozesskostenhilfe (PKH) bewilligt und Rechtsanwalt B. beigeordnet (im Folgenden: der beigeordnete Rechtsanwalt).

4Am hat der beigeordnete Rechtsanwalt im Namen des Klägers gegen das Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und hinsichtlich der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Die Frist zur Begründung der Beschwerde wurde vom Vorsitzenden antragsgemäß bis zum verlängert.

5Mit Beschluss vom hat der Senat - nach vorheriger Anhörung des Klägers - die Beiordnung des Rechtsanwalts auf dessen Antrag aufgehoben und den Antrag des Klägers, ihm einen anderen Rechtsanwalt beizuordnen, abgelehnt.

6Am hat der Kläger beantragt, ihm zur weiteren Durchführung der Nichtzulassungsbeschwerde einen Rechtsanwalt nach Auswahl des Gerichts beizuordnen. Er habe trotz umfangreicher Bemühungen selbst keinen vertretungsbereiten Rechtsanwalt finden können. Die Voraussetzungen für einen Anwaltswechsel im Rahmen der PKH lägen vor. Er habe das Vertrauensverhältnis zu dem beigeordneten Rechtsanwalt nicht mutwillig zerstört; dieser habe zur Begründung seines Entpflichtungsantrages unwahre und unvollständige Angaben gemacht. Einer Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde habe nicht sein (des Klägers) mahnungswidriges Verhalten entgegengestanden, sondern der Unwille und/oder die zumindest subjektiv so empfundene Unfähigkeit des beigeordneten Rechtsanwalts, seine Anwaltspflichten aus Beiordnung und Anwaltsvertrag zu erfüllen.

7Die Nichtzulassungsbeschwerde ist bis jetzt nicht durch einen Prozessbevollmächtigten iS des § 73 Abs 4 SGG begründet worden. Der Kläger verfügt nach seinen Angaben bereits seit über keine Anwaltszulassung mehr.

8II. 1. Der Antrag des Klägers, ihm einen Rechtsanwalt nach Auswahl des Gerichts beizuordnen, wird abgelehnt.

9a) Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO kann nach Aufhebung einer Beiordnung die Pflicht zur Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts bestehen, wenn die Aufhebung von dem Beteiligten unverschuldet ist oder ein triftiger Grund vorlag. Dies ist von dem Beteiligten vorzutragen (vgl Schultzky in Zöller, ZPO, 35. Aufl 2024, § 121 RdNr 39 mwN). Eine solche Beiordnung eines weiteren Anwalts findet nur statt, wenn ein Grund vorliegt, der auch einen auf eigene Kosten prozessierenden Beteiligten zu einem Anwaltswechsel veranlasst hätte. Sie scheidet dagegen aus, wenn ein sachlich nicht gerechtfertigtes und mutwilliges Verhalten der Partei das Vertrauensverhältnis zu dem zuerst beigeordneten Anwalt zerstört und die Entpflichtung dieses Anwalts verursacht hat (vgl - juris RdNr 9 mwN; zu demselben Maßstab bei Wechsel eines Notanwalts vgl - juris RdNr 6). Dabei ist wegen der dem Beteiligten drohenden rechtlichen Nachteile, die mit der Aufhebung einer Beiordnung verbunden sind, ein strenger Maßstab geboten (vgl - juris RdNr 4).

10Das Vertrauensverhältnis kann etwa gestört sein, wenn der Mandant mutwillig auf bestimmtem Sachvortrag des Rechtsanwalts besteht oder seinerseits den Entzug des Vertrauens gegenüber dem Gericht äußert. Insbesondere kann das Verlangen des Mandanten, die Rechtsmittelbegründung nach eigenen Vorgaben zu verfassen, eine Störung des Vertrauensverhältnisses bewirken (vgl - juris RdNr 10 mwN zur Rechtsprechung des BGH). Eine Entpflichtung des Rechtsanwalts kann jedenfalls dann gerechtfertigt sein, wenn die Aufnahme evident unerheblicher Ausführungen in den Schriftsatz zur Begründung eines Rechtsmittels verlangt wird (vgl - juris RdNr 5). Entsprechendes gilt aber auch dann, wenn der Vertretene den ihm beigeordneten Rechtsanwalt zeitlich unablässig, inhaltlich umfangreich und unstrukturiert mit seinen Vorstellungen über die weitere Vorgehensweise und die Begründung des Rechtsmittels konfrontiert, um auf diese Weise die dem beigeordneten Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege zugewiesenen Aufgaben zumindest teilweise an sich zu ziehen, also den Rechtsanwalt insoweit zu seinem bloßen Sprachrohr zu machen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Vertretene von dem ihm beigeordneten Rechtsanwalt deutlich und unmissverständlich auf die Konsequenzen der Beibehaltung dieses Verhaltens in Gestalt eines Antrages auf Aufhebung der Beiordnung hingewiesen worden ist.

11b) So liegt es hier. Das Verhalten des Klägers gegenüber dem ihm beigeordneten Rechtsanwalt war nicht nur objektiv ungerechtfertigt, sondern es war durch grobe Uneinsichtigkeit geprägt und daher mutwillig.

12Der beigeordnete Rechtsanwalt hat gegenüber dem Gericht schlüssig und glaubhaft dargelegt, der Kläger habe in einer unvorstellbaren Art und Weise seine Arbeitskraft gebunden, indem er unablässig Dutzende umfangreiche E-Mails mit einer Vielzahl von Punkten, die angeblich in der Nichtzulassungsbeschwerde zu berücksichtigen wären, übersandt habe und viele Punkte mehr, die massiv Zeit gekostet hätten. Telefonate mit dem Kläger hätten kaum unterbrochen werden können und bänden massiv Arbeitskraft und Zeit. Ein strukturiertes Arbeiten sei so unmöglich.

13Der Rechtsanwalt hat damit - wie bereits in dem Beschluss des Senats über die Aufhebung der Beiordnung vom ausgeführt - hinreichend glaubhaft gemacht, dass der Kläger ihn durch sein - mit Blick auf die Streitgegenstände - jeden Rahmen sprengendes Kommunikationsverhalten nachhaltig davon abgehalten hat, das vorliegende Verfahren (und auch seine weiteren Mandate) sachgerecht zu bearbeiten.

14Der beigeordnete Rechtsanwalt hat den Kläger (mit Schreiben vom und E-Mail vom ) zwei Mal schriftlich mit sehr deutlichen Worten gemahnt und die Beantragung der Aufhebung der Beiordnung angekündigt, wenn dieser sein Verhalten nicht ändere. Der Kläger hat sich dabei in hohem Maße uneinsichtig gezeigt und sein Verhalten trotz zweimaliger Mahnung jeweils fortgesetzt.

15Das hiergegen gerichtete - umfangreiche - Vorbringen des Klägers rechtfertigt nach wie vor keine andere Bewertung und lässt nicht erwarten, dass der Kläger sein Kommunikationsverhalten im Falle der Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts ändern würde. Der Kläger hat dem Gericht allein seit der Aufhebung der Beiordnung weitere Schreiben und Anlagen im Umfang von mehreren hundert Seiten übersandt, darunter eine Vielzahl von Doppeln mit zum Teil nur geringfügigen Ergänzungen und immer wieder mit der Ankündigung weiteren Vorbringens. Es ist - trotz seiner anderslautenden Bekundung - davon auszugehen, dass er dieses Kommunikationsverhalten auch gegenüber einem anderen Rechtsanwalt fortsetzen und dessen sachgerechte Bearbeitung des Verfahrens dadurch ebenfalls massiv behindern würde.

16Sofern der Kläger dem bisher beigeordneten Rechtsanwalt anwaltliches Fehlverhalten vorwirft und damit versucht, einen Anwaltswechsel zu rechtfertigen, ist für ein solches Fehlverhalten nichts ersichtlich.

17Anhaltspunkte für unzutreffendes tatsächliches Vorbringen des beigeordneten Rechtsanwalts im Rahmen der Begründung des Antrages auf Aufhebung der Beiordnung lassen sich dem Vortrag des Klägers ebenso wenig entnehmen, wie für eine Verletzung der in § 11 BORA geregelten Unterrichtungspflicht des Anwalts. Der Antrag auf Aufhebung der Beiordnung betrifft das Fortbestehen des Mandatsverhältnisses und nicht das Mandat selbst (vgl auch Zuck in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl 2020, § 11 BORA RdNr 11). Dass der Rechtsanwalt die zweite Mahnung vom über sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) an den Kläger übersandt hat und nicht per E-Mail oder mit einem begleitenden Hinweis per E-Mail, ist schon deshalb unerheblich, weil der Kläger mit seinem Mein-Justizpostfach-Konto am elektronischen Rechtsverkehr teilnimmt und selbst nicht behauptet, die Mahnung nicht erhalten oder erst verspätet zur Kenntnis genommen zu haben. Unerheblich ist auch, dass der beigeordnete Rechtsanwalt den Kläger - auch noch nach der ersten Mahnung - selbst noch um Darlegung der aus seiner Sicht vom LSG begangenen Verfahrensfehler gebeten hat. Dies rechtfertigte aus Sicht des Klägers jedenfalls nicht eine Fortführung der extensiven Kommunikation mit einer Vielzahl von Schreiben und Anrufen.

18Darauf, ob der Kläger - wie er behauptet - "erkrankungsbedingt" nur eingeschränkt in der Lage ist, Stellungnahmen "aus einem Guss" oder vollständig zu übersenden, kommt es insofern nicht an. Entscheidend ist - wie bereits in dem Beschluss über die Aufhebung der Beiordnung vom dargelegt wurde -, dass der Rechtsanwalt ausreichend glaubhaft gemacht hat, dass ihm durch das Verhalten des Klägers eine ordnungsgemäße Bearbeitung des Verfahrens unmöglich gemacht wird. Anhaltspunkte für eine Prozessunfähigkeit des Klägers sieht der Senat nach wie vor nicht.

19Soweit der Kläger behauptet, er habe sich nicht mahnungswidrig verhalten und dabei geltend macht, die erste Mahnung des Rechtsanwalts (vom ) sei nur darauf gerichtet gewesen, weitere - mit ihm nicht abgestimmte - Korrespondenz mit dem BSG oder anderen Gerichten zu unterlassen, setzt er sich mit dem Inhalt der Mahnung nur unvollständig auseinander. Denn vor der von dem Kläger zitierten Passage hatte sich der Anwalt bereits über die ausschweifenden E-Mails des Klägers, sein Begehren auf Aktenanforderungen beim BSG sowie dessen ständige Einmischung in den Vorgang und/oder die Belehrung, was er zu tun oder zu unterlassen habe, beklagt und ihn deswegen abgemahnt.

20c) Die Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts kommt im Übrigen auch deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger erst am , und damit nur gut eine Woche vor Ablauf der bereits verlängerten Begründungsfrist, Nachweise für seine erfolglose Suche nach einem vertretungsbereiten Rechtsanwalt übersandt und einen Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts nach Auswahl des Gerichts gestellt hat.

21Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Beschwerdebegründungsfrist wäre nach einem Anwaltswechsel nicht in Betracht gekommen. Sie wird nach § 67 Abs 1 SGG demjenigen gewährt, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Ein Grund für die Wiedereinsetzung ist insofern nicht ersichtlich. Anders als bei der Einhaltung der Beschwerdefrist, stand die Bedürftigkeit des Klägers der Fristwahrung nicht mehr entgegen, denn der Senat hatte ihm bereits mit Beschluss vom PKH unter Beiordnung des Rechtsanwalts bewilligt. Die durch das Verhalten des Klägers gerechtfertigte Aufhebung der Beiordnung stellt für sich genommen keinen Grund dar, der das Verschulden des Klägers ausschließen würde (vgl zur Mandatsniederlegung - juris RdNr 2 mwN).

22Den Senat trifft keine Mitverantwortung für das Fristversäumnis. Er hat den Kläger bereits mit der Übersendung des Antrages des Rechtsanwalts (Schreiben vom ) darauf hingewiesen, dass nach dem von diesem vorgetragenen Sachverhalt ein die Aufhebung der Beiordnung rechtfertigender Grund vorliegen dürfte und deshalb beabsichtigt sei, die Beiordnung aufzuheben. Der Kläger hat sich dann offenbar erst nach der erfolgten Aufhebung der Beiordnung bemüht, einen anderen vertretungsbereiten Rechtsanwalt zu finden.

232. Die Beschwerde ist unzulässig. Sie ist durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der am abgelaufenen Frist - und im Übrigen bis jetzt noch nicht - durch einen vor dem BSG zugelassenen Bevollmächtigten begründet worden ist (§ 67 Abs 2, § 73 Abs 4, § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).

243. Gründe für eine Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde bestehen ungeachtet dessen, dass sie noch nicht nachgeholt ist (§ 67 Abs 2 Satz 3 SGG), schon deswegen nicht, weil der Kläger das Versäumnis der fristgerechten Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde aus den bereits dargelegten Gründen selbst verschuldet hat (siehe oben 1.).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2024:021224BB1KR5324B0

Fundstelle(n):
LAAAJ-82820