Instanzenzug: Az: 19 U 227/21vorgehend Az: 15 O 125/21
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2Er erwarb am von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten Gebrauchtwagen des Typs Mercedes-Benz GLK 220 CDI mit einem Dieselmotor OM 651 der Schadstoffklasse Euro 5. Das Landgericht hat die auf Schadensersatz nebst Zinsen, auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten, auf Feststellung der Haftung der Beklagten aus unerlaubter Handlung, auf Freistellung von Rechtsanwaltskosten und - hilfsweise - auf Feststellung der Schadensersatzhaftung der Beklagten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er seine Anträge aus dem ersten Rechtszug im Wesentlichen weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Gründe
3Die Revision des Klägers hat Erfolg.
4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
5Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs aus §§ 826, 31 BGB lägen nicht vor. Da die vom Kläger behaupteten Abschalteinrichtungen Thermofenster und Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb grundsätzlich in gleicher Weise funktionierten und der Kläger darüber hinausreichende Umstände nicht dargetan habe, lägen weder die subjektiven Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit noch ein Schädigungsvorsatz der Beklagten vor. Dem Kläger stehe auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu, weil die zuletzt genannten Vorschriften jedenfalls nicht das Interesse des Fahrzeugkäufers schützten, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden. Zudem liege in Bezug auf das Thermofenster ein unvermeidbarer Verbotsirrtum vor. Denn es sei gerichts- und allgemeinbekannt, dass das Kraftfahrt-Bundesamt bei einer Vielzahl eingehender Fahrzeuguntersuchungen Thermofenster der hier in Rede stehenden Art nicht beanstandet habe. Auch sei die rechtliche Bewertung der hier maßgebenden Bestimmungen in Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 mit erheblichen Unsicherheiten behaftet gewesen.
II.
6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
71. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die seitens der Revision erhobenen Einwände greifen nicht durch.
82. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat.
9a) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV mit Blick auf den Schutzzweck der vorgenannten Bestimmungen der EG-FGV verneint.
10Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
11b) Entgegen der Revisionserwiderung sind auch die Erwägungen des Berufungsgerichts zum Vorliegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums in Bezug auf die behauptete Abschalteinrichtung eines Thermofensters mit Rechtsfehlern behaftet.
12 zugrundeliegenden Pflichten
13Das Berufungsgericht hat weder die nach den vorstehenden Ausführungen gebotenen Feststellungen zu einem konkreten Irrtum der nach § 31 BGB Verantwortlichen der Beklagten getroffen, noch hat das Berufungsgericht seinen Ausführungen zur Unvermeidbarkeit eines Irrtums die erläuterten Maßstäbe zugrunde gelegt.
14c) Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch rechtsfehlerhaft einen Anspruch des Klägers nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20) abgelehnt.
III.
15Die Berufungsentscheidung ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Sie stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage insbesondere der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer Krüger Götz
Wille Katzenstein
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:181224UVIAZR174.23.0
Fundstelle(n):
MAAAJ-82730