Geschäftsgeheimnisse - Geheimnisschutz - Unterlassung
Leitsatz
1. Die Bestimmungen des am in Kraft getretenen Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) finden bzgl. Unterlassungsansprüchen auch dann Anwendung, wenn die Wiederholungsgefahr auf eine rechtsverletzende Handlung gestützt wird, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes begangen wurde. Ein Unterlassungsanspruch besteht nur dann, wenn das beanstandete Verhalten zum Zeitpunkt seiner Vornahme nach dem damals geltenden Recht rechtswidrig war und die Voraussetzungen des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen zum Zeitpunkt der letztinstanzlichen Entscheidung erfüllt sind.
2. Eine formularmäßig vereinbarte Vertragsklausel, die den Arbeitnehmer bezüglich aller internen Vorgänge beim Arbeitgeber über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus zeitlich unbegrenzt zum Stillschweigen verpflichtet (sog. Catch-all-Klausel), benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen und ist deshalb unwirksam.
Instanzenzug: ArbG Aachen Az: 8 Ca 1229/20 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Köln Az: 11 Sa 128/22 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten in der Revision noch über die Untersagung der Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen.
2Die Klägerin ist eine führende Herstellerin von Füllmaschinen für Lebensmittel und Getränke sowie des dazu passenden Verpackungsmaterials. Hierbei handelt es sich um Verpackungsmäntel (sog. Sleeves), die die Klägerin auf automatischen Faltschachtelklebemaschinen (AFK-Maschinen) in einer Menge von zuletzt ca. 34 Milliarden Stück pro Jahr produziert. Konkurrenzunternehmen konnten vergleichbare Produkte bislang nicht in dieser Dimension auf den Markt bringen. Die technologischen Fähigkeiten der Konkurrenzunternehmen und die Qualität ihrer Produkte sind zwischen den Parteien streitig geblieben.
3Der Beklagte war bei der Klägerin von Oktober 1988 bis zum beschäftigt. Er war maßgeblich an der Weiterentwicklung ihrer Produkte beteiligt und stand in engem Austausch mit Mitarbeitern aus dem Bereich Forschung und Entwicklung. Seit dem war er auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags vom als Central Technology Manager tätig. Der Arbeitsvertrag lautet auszugsweise:
4Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis zum . Seit dem ist er als Global Technology Manager bei einem Hauptkunden der Klägerin tätig.
5Die Klägerin erfuhr im Oktober 2018, dass der Beklagte am , und unter einem Pseudonym verschiedene E-Mails mit Anlagen an die Gesellschafter eines damals potentiell konkurrierenden Unternehmens versandt hatte. Die Anlagen zu den E-Mails enthielten spezifische Leistungsdaten und Prozessparameter der AFK-Maschinen sowie Geometrie- und Toleranzdaten der Sleeves der Klägerin. Weiterhin erfolgten qualitätsrelevante Angaben zur Mantelspannung bzw. Aufspringhöhe der Sleeves. Zudem informierte der Beklagte den potentiellen Wettbewerber über Längsnahtgeometrie, Nahtdicke sowie Toleranzen.
6Mit Schreiben vom mahnte die Klägerin den Beklagten ab. Die geforderte strafbewehrte Unterlassungserklärung verweigerte der Beklagte. Ein Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Beklagten auf Untersagung der Weitergabe von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen blieb letztlich erfolglos.
7Die Klägerin hat mit der vorliegenden Klage weiterhin die Auffassung vertreten, sie habe einen solchen Unterlassungsanspruch. Der Kläger habe durch den Versand der E-Mails im Jahr 2015 in gravierendem Maß gegen seine arbeitsvertragliche Geheimhaltungsverpflichtung verstoßen und sich damit des Verrats von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen iSv. § 17 Abs. 1 UWG in der bis einschließlich geltenden Fassung (aF) schuldig gemacht. Hieraus folge in Verbindung mit §§ 3, 8 Abs. 1 UWG aF bzw. §§ 823, 1004 Abs. 1 BGB ein Unterlassungsanspruch. Das erst am in Kraft getretene Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) sei nicht maßgeblich, weil dessen Anforderungen an den Schutz von Geschäftsgeheimnissen nicht rückwirkend erfüllbar seien. Dessen ungeachtet bestehe auch nach § 6 GeschGehG ein Unterlassungsanspruch gegenüber dem Beklagten, denn es handle sich bei den fraglichen technischen Daten um Geschäftsgeheimnisse iSv. § 2 Nr. 1 GeschGehG. Die Informationen über den Fertigungsprozess der Sleeves seien nicht allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich, sondern würden nach dem sog. „need-to-know-Prinzip“ ausschließlich denjenigen Arbeitnehmern zur Verfügung gestellt, die dem Forschungs- und Entwicklungsteam angehören oder die Informationen zum Bedienen der AFK-Maschinen benötigen. Zudem würden alle Arbeitnehmer auf den wirtschaftlichen Wert der Informationen und deren Vertraulichkeit hingewiesen. Es seien ferner technische Sicherheitsmaßnahmen ergriffen und eine angemessene IT-Sicherheit etabliert worden. Der Zugang zum Betriebsgelände und den Geschäftsräumen unterliege einer Kontrolle.
8Die Klägerin hat - soweit für die Revision von Bedeutung - beantragt:
9Der Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt.
10Das Arbeitsgericht hat die Klage im noch rechtshängigen Umfang abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageziele weiter. Der Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.
Gründe
11Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat ihre Berufung gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Die zulässige Klage ist unbegründet.
12I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist der Klageantrag zu 1. hinreichend bestimmt.
131. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO sind Anträge, mit denen die Unterlassung von Handlungen verlangt wird, so genau zu bezeichnen, dass der Inanspruchgenommene im Fall einer dem Antrag entsprechenden gerichtlichen Entscheidung eindeutig erkennen kann, unter welchen Voraussetzungen was von ihm verlangt wird. Für ihn muss - bereits aus rechtsstaatlichen Gründen - aufgrund des Unterlassungstitels erkennbar sein, welche Handlungen er künftig zu unterlassen hat, um sich rechtmäßig verhalten zu können. Die Prüfung, welche Verhaltensweisen der Schuldner unterlassen soll, darf nicht durch eine ungenaue Antragsformulierung und einen dementsprechenden gerichtlichen Titel aus dem Erkenntnis- in das Zwangsvollstreckungsverfahren verlagert werden. Allerdings dürfen die Anforderungen insoweit auch nicht überspannt werden, weil andernfalls effektiver Rechtsschutz vereitelt würde. Dementsprechend sind die Gerichte auch verpflichtet, Anträge nach Möglichkeit so auszulegen, dass eine Sachentscheidung ergehen kann. Zukunftsgerichtete Verbote lassen sich häufig nur generalisierend formulieren. Die Notwendigkeit gewisser Subsumtionsprozesse im Rahmen einer etwa erforderlich werdenden Zwangsvollstreckung steht daher der Verwendung ausfüllungsbedürftiger Begriffe in einem Unterlassungstitel und dem darauf gerichteten Antrag nicht generell entgegen ( - Rn. 19 mwN).
142. Der Arbeitgeber, der gegen einen Arbeitnehmer nachvertragliche Ansprüche auf Wahrung von Geschäftsgeheimnissen im Wege einer Unterlassungsklage durchsetzen will, muss das zu wahrende Geschäftsgeheimnis hinreichend genau bezeichnen. Der Inhalt des Verbots kann in Worte gefasst werden. Er kann sich aber auch aus den dem Klageantrag beigefügten Fotografien, technischen Zeichnungen usw. ergeben (vgl. - zu I 1 der Gründe). Der Bestimmtheitsgrundsatz darf allerdings nicht dazu führen, dass der Kläger unter Hintanstellung seiner berechtigten Geheimhaltungsinteressen gezwungen ist, im Klageantrag Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse zu offenbaren ( - Rn. 19).
153. Demnach ist der Klageantrag zu 1. hinreichend bestimmt. Durch die Verwendung der technischen Begriffe und die Bezugnahme auf die den Parteien bekannten E-Mails ergibt sich zweifelsfrei, welche Geheimnisse geschützt werden sollen. Die Einschränkung (… es sei denn, …) dient vor dem Hintergrund eines fehlenden nachvertraglichen Wettbewerbsverbots erkennbar der Vermeidung eines Globalantrags (vgl. - Rn. 46). Die damit verbundene Unsicherheit bei einer etwaigen Zwangsvollstreckung ist im Sinne einer Gewährung effektiven Rechtsschutzes hinzunehmen, denn der Antrag kann insoweit nicht alle denkbaren Konstellationen erfassen.
16II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die nach dem Klageantrag zu 1. begehrte Unterlassung. Folglich fehlt es an einer Grundlage für die Androhung von Ordnungsmitteln entsprechend dem Klageantrag zu 2.
171. Die Voraussetzungen eines Unterlassungsanspruchs nach § 6 GeschGehG liegen nicht vor.
18a) Entgegen der Auffassung der Revision beurteilt sich das Bestehen eines Unterlassungsanspruchs nach § 6 GeschGehG und nicht nach § 17 Abs. 1 UWG aF iVm. § 823 Abs. 2, § 1004 Abs. 1 BGB analog.
19aa) Das am in Kraft getretene Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (vgl. Art. 6 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung vom , BGBl. I S. 466) dient der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/943 und hat ohne eine Übergangsregelung die §§ 17 bis 19 UWG aF abgelöst. Der Gesetzgeber hat den bisherigen Schutz von Geschäftsgeheimnissen als nicht ausreichend erachtet (BT-Drs. 19/4724 S. 19) und das Inkrafttreten des Gesetzes auf den Tag nach der am erfolgten Verkündung bestimmt. Dabei hat er keine gesonderte Regelung für sog. Altfälle getroffen, bei denen die rechtsverletzende Handlung noch vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen erfolgte. Seit dem ist demnach bezogen auf Unterlassungsansprüche nur noch § 6 GeschGehG anzuwenden (vgl. - zu II 2 f aa der Gründe).
20bb) Daraus kann aber nicht gefolgert werden, dass unter Geltung von §§ 17 bis 19 UWG aF begangenen Rechtsverletzungen keine Bedeutung mehr zukommen soll. Ein nach § 6 Satz 1 GeschGehG auf Wiederholungsgefahr gestützter Unterlassungsanspruch besteht, wenn das beanstandete Verhalten sowohl zum Zeitpunkt seiner Vornahme rechtswidrig war als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung in der Revisionsinstanz rechtswidrig ist ( - Rn. 22; I-15 U 6/20 - zu B I 1 der Gründe; Keller/Schönknecht/Glinke/Keller 1. Aufl. GeschGehG Einleitung Rn. 18; Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus/Ohly 2. Aufl. GeschGehG § 6 Rn. 14). Bei Altfällen reicht es für einen Unterlassungsanspruch daher aus, dass vor dem Inkrafttreten des GeschGehG ein Verstoß gegen §§ 17 ff. UWG aF vorlag und danach zum Entscheidungszeitpunkt die weiteren Voraussetzungen des § 6 Satz 1 GeschGehG erfüllt sind (vgl. Hoppe/Oldekop GRUR-Prax 2019, 324, 325; MüKoUWG/Hauck 3. Aufl. GeschGehG vor § 1 Rn. 23). Diese „Doppelprüfung“ verhindert einerseits eine verfassungsrechtlich problematische Rückwirkung, weil ein vor dem abgeschlossener Sachverhalt hinsichtlich seiner Rechtmäßigkeit nur nach den Voraussetzungen der damals geltenden §§ 17 ff. UWG aF zu beurteilen ist. Andererseits wird die Maßgeblichkeit des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen bezogen auf den Zeitpunkt der (letztinstanzlichen) gerichtlichen Entscheidung dem Umstand gerecht, dass der Unterlassungsanspruch zukunftsgerichtet ist.
21b) Im vorliegenden Fall besteht kein Unterlassungsanspruch wegen Wiederholungsgefahr nach § 6 Satz 1 GeschGehG.
22aa) Dabei kann zu Gunsten der Klägerin unterstellt werden, dass der Beklagte durch den noch während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses im Jahr 2015 unter falschem Namen vorgenommenen Versand der E-Mails an die potentielle Wettbewerberin gegen § 17 Abs. 1 UWG aF verstoßen und die Klägerin deshalb wegen indizierter Wiederholungsgefahr den begehrten Unterlassungsanspruch hatte (vgl. hierzu - zu C II der Gründe).
23bb) Die Klägerin kann die streitgegenständliche Unterlassung jedoch nicht nach § 6 Satz 1 GeschGehG verlangen. Nach dieser Vorschrift kann der „Inhaber des Geschäftsgeheimnisses“ den Rechtsverletzer bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch nehmen. Die Klägerin ist keine Inhaberin eines Geschäftsgeheimnisses in diesem Sinne, denn bei den fraglichen technischen Daten handelt es sich nicht um Geschäftsgeheimnisse nach § 2 Nr. 1 GeschGehG.
24(1) Dabei kann dahinstehen, ob diese Daten als Informationen iSv. § 2 Nr. 1 Buchst. a GeschGehG anzusehen sind. Die hierauf bezogene Verfahrensrüge ist deshalb nicht entscheidungserheblich. Das Landesarbeitsgericht hat unter Bezugnahme auf die ausführlich begründete erstinstanzliche Entscheidung ohne revisiblen Rechtsfehler angenommen, dass es ausgehend vom Vortrag der Klägerin jedenfalls an „angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen“ iSv. § 2 Nr. 1 Buchst. b GeschGehG fehlt.
25(a) Die zu ergreifenden Geheimhaltungsmaßnahmen hängen von der Art des Geschäftsgeheimnisses im Einzelnen und den konkreten Umständen der Nutzung ab. In Betracht kommen sowohl Zugangsbeschränkungen als auch vertragliche Sicherungsmechanismen (vgl. BT-Drs. 19/4724 S. 24; - zu B I 1 c der Gründe; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Alexander 42. Aufl. GeschGehG § 2 Rn. 48 ff.). Im Streitfall muss derjenige, der sich auf den Schutz eines ihm zustehenden Geschäftsgeheimnisses beruft, sowohl darlegen, dass und welche Geheimhaltungsmaßnahmen er getroffen hat, als auch deren Angemessenheit im konkreten Einzelfall (BeckOK GeschGehG/Fuhlrott Stand GeschGehG § 2 Rn. 66 mwN).
26(b) Ob im Einzelfall angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen im Sinne des § 2 Nr. 1 Buchst. b GeschGehG ergriffen wurden, unterliegt als Tatsachenfrage der revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Würdigung der Tatsachengerichte. Sie ist in der Revisionsinstanz nur darauf überprüfbar, ob der unbestimmte Rechtsbegriff der „angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen“ verkannt, gegen Denkgesetze, anerkannte Auslegungsgrundsätze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen wurde oder wesentliche Umstände außer Acht gelassen wurden (vgl. zu § 22 Abs. 2 BDSG - Rn. 72).
27(c) Dies ist hier nicht der Fall. Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, dass die von der darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin vorgetragenen Sicherungsmaßnahmen mit Blick auf den behaupteten wirtschaftlichen Wert der technischen Daten keinen angemessenen Geheimnisschutz gewährleisten. Es fehle an arbeitsvertraglichen Verschwiegenheitsklauseln hinsichtlich konkreter Informationen und der Einrichtung eines Kontrollsystems. Der Vortrag der Klägerin bzgl. technischer Sicherheitsmaßnahmen und einer angemessenen IT-Sicherheit beschränke sich auf pauschale Behauptungen, die einer Beurteilung der Angemessenheit des Geheimnisschutzes nicht zugänglich seien. Diese Würdigung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Revision erhebt insoweit auch keine Rügen.
28(2) Es kann daher unentschieden bleiben, ob bei Altfällen im oben beschriebenen Sinne (vgl. Rn. 19), die nunmehr nach § 2 Nr. 1 Buchst. b GeschGehG vorzunehmenden Geheimhaltungsmaßnahmen bereits bei Inkrafttreten des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen getroffen sein mussten (so - zu D I 6 a der Gründe; Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus/Ohly 2. Aufl. GeschGehG § 6 Rn. 14) oder ob erst auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist. Die Klägerin konnte „angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen“ iSv. § 2 Nr. 1 Buchst. b GeschGehG zu keinem Zeitpunkt belegen.
29c) Mangels Vorliegens eines Geschäftsgeheimnisses droht auch keine erstmalige Rechtsverletzung iSv. § 6 Satz 2 GeschGehG.
302. Ein Anspruch auf Unterlassung kann nicht auf § 11 des Arbeitsvertrags vom gestützt werden. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass die über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus uneingeschränkte Geheimhaltungsverpflichtung unwirksam ist.
31a) Dies folgt allerdings nicht aus dem GeschGehG. Der Gesetzgeber wollte mit dem GeschGehG die Anforderungen an vertragliche Verschwiegenheitsverpflichtungen und nachvertragliche Wettbewerbsverbote nicht ändern (vgl. BT-Drs. 19/4724 S. 27). Nach § 1 Abs. 3 Nr. 4 GeschGehG bleiben die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis vielmehr unberührt. Unionsrechtliche Vorgaben stehen dem nicht entgegen (vgl. EuArbRK/Schubert 5. Aufl. RL (EU) 2016/943 Art. 1 Rn. 17). Es ist daher möglich, den Geheimnisschutz über das GeschGehG hinaus vertraglich zu erweitern (Naber/Peukert/Seeger NZA 2019, 583, 585). Dies betrifft insbesondere den Schutz von Informationen, die keine Geschäftsgeheimnisse iSv. § 2 Nr. 1 GeschGehG sind (vgl. Preis/Seiwerth RdA 2019, 351, 357).
32b) Die hier vereinbarte Geheimhaltungsverpflichtung ist jedoch unwirksam. Es handelt sich um eine sog. Catch-all-Klausel, die uneingeschränkt und unendlich zur Verschwiegenheit verpflichten soll. Damit benachteiligt sie unangemessen iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB (ebenso -; Fuhlrott/Fischer NZA 2022, 809, 812; Thüsing in Henssler/Willemsen/Kalb Arbeitsrecht Kommentar 11. Aufl. § 611a BGB Rn. 504; Kuß/Lorbach/Thönißen DB 2024, 864, 866).
33aa) Unabhängig davon, ob die Klausel in § 11 des Arbeitsvertrags vom für eine Vielzahl von Verträgen iSv. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB vorformuliert worden ist, oder ob es sich jedenfalls um eine sog. Einmalbedingung iSv. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB handelt, unterliegt sie den Auslegungsmaßstäben für Allgemeine Geschäftsbedingungen (vgl. hierzu - Rn. 24) und einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB. Dies stellt die Revision nicht in Abrede.
34bb) Die Klausel ist ihrem klaren Wortlaut nach als eine umfassende Stillschweigensverpflichtung bzgl. aller internen Vorgänge zu verstehen. Sie bezieht sich sowohl auf „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“ als auch auf „alle sonstigen … im Rahmen der Tätigkeit zur Kenntnis gelangenden Angelegenheiten und Vorgänge der Gesellschaft“ und sieht in Satz 3 eine zeitlich unbegrenzte Erstreckung der Geheimhaltungspflicht auch über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus vor.
35cc) Dies benachteiligt den betroffenen Arbeitnehmer unangemessen iSv. § 307 Abs. 3 Satz 1 iVm. Abs. 1 Satz 1 BGB.
36(1) Nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Unangemessen ist jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses des Arbeitnehmers, die nicht durch begründete und billigenswerte Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt ist oder durch gleichwertige Vorteile ausgeglichen wird. Die Feststellung einer unangemessenen Benachteiligung setzt eine wechselseitige Berücksichtigung und Bewertung rechtlich anzuerkennender Interessen der Vertragspartner voraus. Dabei bedarf es einer umfassenden Würdigung der beiderseitigen Positionen unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben. Bei der Beurteilung der Unangemessenheit ist ein genereller, typisierender, vom Einzelfall losgelöster Maßstab anzulegen. Abzuwägen sind die Interessen des Verwenders gegenüber den Interessen der typischerweise beteiligten Vertragspartner. Im Rahmen der Inhaltskontrolle sind Art und Gegenstand, Zweck und besondere Eigenart des jeweiligen Geschäfts zu berücksichtigen ( - Rn. 37).
37(2) Eine nachvertragliche Verschwiegenheitspflicht kann sich bei überwiegendem Interesse des Arbeitgebers am Schweigen des Arbeitnehmers allenfalls auf einzelne, konkret bestimmte Geschäftsgeheimnisse beziehen (vgl. Clemenz/Kreft/Krause/Klumpp 3. Aufl. BGB § 307 Rn. 292). Eine umfassende Stillschweigensverpflichtung, wie sie hier vorliegt, schränkt demgegenüber die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsfreiheit des betroffenen Arbeitnehmers übermäßig ein und steht in Widerspruch zum gesetzlichen Konzept des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots nach §§ 74 ff. HGB (vgl. ErfK/Preis/Greiner 24. Aufl. BGB § 611a Rn. 817).
38(a) Wurde - wie vorliegend - kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot iSd. §§ 74 ff. HGB vereinbart, ist der Arbeitnehmer nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich nicht mehr verpflichtet, dem Arbeitgeber keinen Wettbewerb zu machen ( - Rn. 28). Im Rahmen einer neuen Tätigkeit darf er sein im vorherigen Arbeitsverhältnis erworbenes Erfahrungswissen einschließlich der Kenntnis von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen einsetzen und in den Kundenkreis des Arbeitgebers eindringen ( - zu C I der Gründe; - 9 AZR 558/91 - zu I 2 b aa der Gründe, BAGE 73, 229; zur Beschränkung auf Gedächtniswissen - Rn. 46).
39(b) Die hier zu beurteilende Klausel ist außerordentlich weit gefasst und würde bei ihrer Wirksamkeit einem ehemaligen Arbeitnehmer die Nutzung seines Wissens bei einem neuen Arbeitgeber in adäquater Position faktisch untersagen. Gleiches gölte bei Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit. Die Klausel käme damit ohne jede zeitliche Beschränkung einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot gleich (zu sog. Kundenschutzabreden: - zu B I 1 der Gründe; - 3 AZR 474/86 - zu B I 1 b der Gründe, BAGE 57, 159). Dies berücksichtigt die Interessen des Arbeitnehmers in keiner Weise. Hätte die Klägerin eine Verwertung von Wissen (zeitlich befristet) verhindern wollen, hätte sie ein wirksames nachvertragliches Wettbewerbsverbot nach §§ 74 ff. HGB vereinbaren und eine Karenzentschädigung zahlen müssen (vgl. Kuß/Lorbach/Thönißen DB 2024, 864, 869; Schaub ArbR-HdB/Linck 20. Aufl. § 53 Rn. 48; Staudinger/Fischinger [2022] BGB § 611a Rn. 1265). Damit wären die wechselseitigen Interessen gesetzeskonform zu wahren gewesen. Die streitbefangene Klausel dient hingegen ausschließlich dem Interesse der Klägerin.
403. Ein Unterlassungsanspruch kann auch nicht aus § 241 Abs. 2 BGB abgeleitet werden.
41a) Nach § 241 Abs. 2 BGB kann das Schuldverhältnis nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten. Der Inhalt der Rücksichtnahmepflichten kann nicht in einem abschließenden Katalog benannt werden, sondern ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. § 241 Abs. 2 BGB zwingt nicht zu einer Verleugnung der eigenen Interessen, sondern zu einer angemessenen Berücksichtigung der Interessen der Gegenseite ( - Rn. 33, BAGE 165, 315).
42b) Grundsätzlich kann § 241 Abs. 2 BGB die Pflicht zur Wahrung von Geschäftsgeheimnissen begründen (vgl. - Rn. 26; - 2 ABR 59/07 - Rn. 23; vgl. bereits - zu B I 2 a der Gründe, BAGE 57, 159). Unabhängig von der Frage, ob sich eine solche Pflicht nunmehr auf Geschäftsgeheimnisse iSv. § 2 Nr. 1 GeschGehG bezieht (vgl. hierzu Schmitt NZA-Beilage 2020, 50, 53), ist bei der Prüfung einer nachvertraglichen Verschwiegenheitsverpflichtung das durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Interesse des Arbeitnehmers an der Verwertung seines Wissens zu berücksichtigen (vgl. BeckOK GeschGehG/Fuhlrott Stand GeschGehG § 1 Rn. 38; Preis/Seiwerth RdA 2019, 351, 358). Dieses Interesse des Beklagten überwiegt aus den oben angeführten Gründen das Geheimhaltungsinteresse der Klägerin.
434. Nach alledem kommt auch eine deliktische Anspruchsgrundlage für einen Unterlassungsanspruch nicht in Betracht.
44III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:171024.U.8AZR172.23.0
Fundstelle(n):
XAAAJ-82722