BGH Beschluss v. - KVR 8/24

Instanzenzug: Az: KVR 8/24 Beschlussvorgehend Az: VI-Kart 8/22 (V) Beschluss

Gründe

1A.    Die Beigeladene und Rechtsbeschwerde- und Nichtzulassungsbeschwerdeführerin zu 2 (im Folgenden: Condor) ist eine Fluggesellschaft, die unter anderem Langstreckenflüge von den Drehkreuzen Frankfurt, München und Düsseldorf anbietet. Die Antragstellerin und Rechtsbeschwerde- und Nichtzulassungsbeschwerdegegnerin (im Folgenden: Lufthansa) und die mit ihr nach § 36 Abs. 2 GWB verbundenen Unternehmen sind eine weltweit operierende Luftverkehrsunternehmensgruppe, die Kurz-, Mittel- und Langstreckenflüge anbietet. Condor nutzt Kurzstreckenflüge der Lufthansa, um sie in Kombination mit eigenen Langstreckenflügen als indirekte Gesamtverbindungen von den Flughäfen Düsseldorf, Frankfurt und München anzubieten.

2Grundlage für die Kombination der Flüge verschiedener Fluggesellschaften zu indirekten Gesamtverbindungen sind sogenannte Interlining-Abkommen, die auch zwischen Lufthansa und Condor bestehen. Zusätzlich gibt es zwischen Lufthansa und Condor kommerzielle Sondervereinbarungen (sogenannte Special Prorate Agreements, im Folgenden: SPAs), die bis in die 1990er Jahre zurückreichen, als Condor und Lufthansa noch konzernrechtlich verbunden waren.

3Lufthansa erklärte mit Schreiben vom die ordentliche Kündigung des mit Condor bestehenden SPA vom zum . Das zwischen Condor und der zur Lufthansa-Gruppe gehörenden Brussels Airlines bestehende SPA-SN vom sollte nicht über den hinaus verlängert werden. Das Bundeskartellamt hat im Januar 2021 ein Missbrauchsverfahren gegen Lufthansa eingeleitet. Am verlängerten Lufthansa und Condor das SPA und das SPA-SN bis zum .

4Mit Verfügung vom (B9-21/21) hat das Bundeskartellamt festgestellt, dass Lufthansa gegen Kartellrecht verstoßen habe, indem sie das SPA zum gekündigt und das SPA-SN nur bis zum verlängert hat (Tenorziffer I 1). Es hat ferner einen Wettbewerbsverstoß festgestellt, soweit unter den aktuellen SPAs nur die Buchung unter fünf beziehungsweise sieben von insgesamt 17 Buchungsklassen ermöglicht würde (Tenorziffer I 2; "Buchungsklassenumfang"), die Buchung von Flügen unter diesen Verträgen nur dann zugelassen würde, wenn die Passagiere auf dem von Condor durchgeführten Langstreckenflug in bestimmten, korrespondierenden Buchungsklassen von Condor eingebucht seien (Tenorziffer I 3; "Buchungsklassenkombinatorik") sowie Buchungen von Condor auf Flügen teilweise nicht akzeptiert würden, obwohl Kunden der Lufthansa-Gruppe auf demselben Flug in diesen Buchungsklassen einen Sitz buchen könnten (Tenorziffer I 4; "Buchungssteuerung").

5Das Bundeskartellamt hat Lufthansa verpflichtet, mit Condor neue SPAs nach bestimmten Maßgaben zu schließen (Tenorziffer II 1 bis 4). Für den Fall, dass die danach zu führenden Verhandlungen bis zum nicht abgeschlossen sein sollten, hat es Lufthansa verpflichtet, in der Zeit vom bis zum Abschluss der Verhandlungen Buchungen von Condor unter den Bedingungen der bestehenden SPAs weiterhin entgegenzunehmen (Tenorziffer II 5), bis spätestens zum ihre konzerninterne Buchungssteuerung so anzupassen, dass Condor Buchungen in allen Buchungsklassen vornehmen kann, in denen Lufthansa zu diesem Zeitpunkt ihren eigenen Passagieren Buchungen ermöglicht (Tenorziffer II 6 a), sowie bis Fristablauf Buchungen Condors in allen Buchungsklassen entgegenzunehmen, die auf der Grundlage der aktuellen Buchungsklassensteuerung im Zeitpunkt der Buchungsanfrage auf der Grundlage der Vereinbarungen geöffnet und buchbar sind (Tenorziffer II 6 b). Tenorziffer III verpflichtet Lufthansa zur Einhaltung der Anordnungen auch für den Fall, dass Zubringerflüge von anderen mit ihr gemäß § 36 Abs. 2 GWB verbundenen Fluggesellschaften durchgeführt oder über sie gebucht werden.

6Lufthansa hat gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt und zudem vorläufigen Rechtsschutz begehrt. Das Beschwerdegericht hat mit Beschluss vom (VI-Kart 8/22 (V), NZKart 2024, 646) die aufschiebende Wirkung der Beschwerde bis zur Entscheidung in der Hauptsache gemäß § 67 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 GWB angeordnet. Die Rechtsbeschwerde hat es nicht zugelassen. Gegen diesen Beschluss wenden sich Condor und das Bundeskartellamt mit der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde und mit der Nichtzulassungsbeschwerde, denen Lufthansa entgegentritt.

7Mit Schreiben vom bot Lufthansa die Fortgeltung einer Übergangsregelung zu geänderten Bedingungen und Preisen an, die Condor mit Schreiben vom ohne Anerkennung einer Rechtspflicht annahm. Auf Antrag von Condor hat der Senat mit Beschluss vom Lufthansa bis zur abschließenden Entscheidung im Nichtzulassungsbeschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahren verpflichtet, Buchungen von Condor im derzeit gemäß dem Schreiben von Lufthansa vom vereinbarten Umfang und zu den dortigen Bedingungen weiterhin zu ermöglichen.

8B.    Die vom Bundeskartellamt und von Condor eingelegten zulassungsfreien Rechtsbeschwerden wie auch ihre Nichtzulassungsbeschwerden bleiben ohne Erfolg.

9I.    Das Beschwerdegericht hat - soweit hier erheblich - angenommen, es bestünden ernstliche Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit der Amtsverfügung, da beachtliche Gründe dafür sprächen, dass gegen die Mitglieder der 9. Beschlussabteilung des Bundeskartellamts im Zusammenhang mit einem Aktenvermerk vom über eine Telefonkonferenz mit Vertretern des Bundeswirtschaftsministeriums (im Folgenden: BMWi) und der weiteren Verfahrensführung die Besorgnis der Befangenheit begründet sei. Der Vermerk erwecke den Eindruck, dass sich die Mitglieder der Beschlussabteilung zu einem Zeitpunkt, als die Zuständigkeit zwischen Europäischer Kommission und Bundeskartellamt noch nicht geklärt gewesen und Lufthansa noch nicht angehört worden sei, unter politischer Einflussnahme des BMWi darauf festgelegt hätten, das Verwaltungsverfahren mit dem Ergebnis zu führen, dass die Kündigung des SPA kartellrechtswidrig gewesen und Lufthansa zur Vereinbarung eines neuen SPA mit Condor verpflichtet sei. Zudem sei Lufthansa zunächst nur Akteneinsicht in eine erheblich abweichende Version des Gesprächsvermerks gewährt worden. Das erwecke den Eindruck, die Endfassung des Vermerks habe bewusst vorenthalten werden sollen. Es bestünden auch ernstliche Zweifel an der materiellen Rechtmäßigkeit der Amtsverfügung.

10II.    Die Rechtsbeschwerden des Bundeskartellamts und der Condor sind unzulässig, weil die geltend gemachte Verletzung rechtlichen Gehörs nicht schlüssig dargelegt worden ist (§ 77 Abs. 4 Nr. 3 GWB, vgl. , WuW 2016, 249 Rn. 15 - Energieversorgung Titisee-Neustadt).

111.    Auf die Verletzung des rechtlichen Gehörs kann sich auch das Bundeskartellamt als Behörde berufen (vgl. , GRUR 1983, 601 - Taxi-Funk-Zentrale Kassel). Es handelt sich um ein Verfahrensgrundrecht, das für jedes gerichtliche Verfahren gilt und jedem zugutekommt, der nach den maßgeblichen Verfahrensnormen parteifähig ist (, BVerfGE 138, 64, Rn. 55, 56).

122.    Das Beschwerdegericht hat zu Recht beachtliche Gründe für die Annahme bejaht, dass gegen die Mitglieder der 9. Beschlussabteilung des Bundeskartellamts die Besorgnis der Befangenheit begründet war. Der Anschein einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung von Lufthansa konnte nach der Würdigung des Beschwerdegerichts unter anderem deshalb entstehen, weil das Amt Lufthansa auf ihr Akteneinsichtsgesuch vom hin die Fassung eines Vermerks über ein Gespräch vom zwischen den Mitgliedern der Beschlussabteilung und Vertretern des BMWi überlassen hat, die nicht dem Originalvermerk entspricht und in der Formulierungen weggelassen, verändert oder geschwärzt wurden, die aus Sicht eines vernünftig und besonnen denkenden Beteiligten für eine politische Einflussnahme zum Nachteil von Lufthansa sprechen könnten. Die gegen diese Begründung erhobene Rüge der Rechtsbeschwerden, das Beschwerdegericht habe unter Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht den Vortrag des Amtes berücksichtigt, wonach es sich bei der Zugänglichmachung dieser Vermerkfassung um ein Versehen gehandelt habe, greift nicht durch.

13a)    Nach dem als übergangen gerügten Vortrag des Amtes handelte es sich um eine Vorfassung, die versehentlich übersandt wurde. Im Beschwerdeverfahren hat es dazu ausgeführt, den Vermerk vom gebe es nur in einer Fassung, in der er zu einer - nicht für die Akteneinsicht vorgesehenen - Beiakte genommen worden sei. Er sei ausgehend von einem Entwurf erstellt worden. Lufthansa sei im Zuge der elektronischen Akteneinsicht aufgrund eines Büroversehens eine geschwärzte Fassung des Entwurfs zur Verfügung gestellt worden. Das beruhe darauf, dass aufgrund des von Lufthansa bekundeten Interesses an einer frühzeitigen Akteneinsicht die dafür vorgesehenen Dokumente abweichend von der üblichen Vorgehensweise einzeln herausgesucht, im erforderlichen Umfang geschwärzt und auf den BSCW-Server, eine vom Bund betriebene elektronische Plattform zum sicheren Datenaustausch, hochgeladen wurden.

14b)    Das Beschwerdegericht hat sich mit dem Kern dieses Vorbringens auseinandergesetzt. Es hat angenommen, mit dem Vortrag eines Büroversehens könne der Eindruck eines bewussten Vorenthaltens der Originalfassung des Vermerks nicht ausgeräumt werden. Träfe der Vortrag zu, habe Lufthansa in gar keine Version des Vermerks Einsicht erhalten sollen, was den Eindruck des Vorenthaltens stütze. Bemerkenswert sei in diesem Zusammenhang, dass das Bundeskartellamt noch im Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom - zwei Jahre nach Übersendung der sogenannten Entwurfsversion - aus ebendieser zitiert und damit den Eindruck aufrechterhalten habe, es gebe nur die Lufthansa bereits zugänglich gemachte Fassung. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das Gericht Vorbringen des Amtes oder von Condor nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht in Erwägung gezogen hat. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist damit nicht schlüssig dargelegt.

15c)    Ungeachtet der nicht durchgreifenden Gehörsrüge ist die Beurteilung des Beschwerdegerichts - ausgehend von dem nach § 67 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Satz 3 GWB anzulegenden Maßstab - in diesem Punkt auch in der Sache richtig.

16aa)    Die Anforderungen an eine unparteiische, unvoreingenommene Amtsführung richten sich nach § 54 Abs. 1 Satz 3 GWB i.V.m. §§ 20, 21 VwVfG (Zorn in MüKoEuWettbR, 4. Aufl., § 51 GWB Rn. 17; Klose in Wiedemann KartellR-HdB, 4. Aufl., § 53 Rn. 96). Nach § 21 Abs. 1 VwVfG kann ein Beteiligter geltend machen, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen eine unparteiische Amtsausübung der für eine Behörde tätigen Person zu rechtfertigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Misstrauen tatsächlich gerechtfertigt ist oder sich der Amtsträger für befangen hält. Es genügt der bloße Anschein der Parteilichkeit. Ebenso wie bei § 42 Abs. 2 ZPO ist deshalb allein entscheidend, ob aus der Sicht eines vernünftig und besonnen denkenden Beteiligten unter den gegebenen Umständen des konkreten Falles objektive Gründe bestehen, an der Unvoreingenommenheit des Amtswalters zu zweifeln (vgl. ,BVerwGE 16, 150, 153; vom - 6 C 8/20, BVerwGE 174, 1, Rn. 76; Vorster in BeckOK KartellR, 14. Edition, § 61 GWB Rn. 22.1).

17bb)    Auf die Art und Weise der Verfahrensführung kann im Allgemeinen eine Befangenheit nicht gestützt werden. Das Bundeskartellamt entscheidet selbst, wie es das Verfahren führt. Es ist grundsätzlich nicht an bestimmte Formen gebunden (§ 10 VwVfG). Etwas anderes gilt aber dann, wenn sich die Gestaltung des Verfahrens so weit von den anerkannten rechtlichen Grundsätzen entfernt, dass für den davon betroffenen Beteiligten der Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung entstehen kann ( VI-Kart 3/16 (V), WuW 2016, 372 Rn. 48 - Ministererlaubnis Edeka / Tengelmann). Bei der Beurteilung, ob solche Gründe vorliegen, muss der Rechtsrahmen für das Verfahren der Beschlussabteilungen beim Bundeskartellamt berücksichtigt werden.

18(1)    Verfügungen nach § 32 GWB ergehen im allgemeinen Verwaltungsverfahren. Das Verfahren wird gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 GWB von Amts wegen oder auf Antrag eingeleitet. Das Amt entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob es bei dem Verdacht eines Verstoßes gegen kartellrechtliche Bestimmungen tätig wird (BGH, Beschlüsse vom - KVR 1/68, BGHZ 51, 61 - Taxiflug; vom - KVR 8/82, WuW/E BGH 2058 - Internord; Emmerich in Immenga/Mestmäcker, aaO, § 32 GWB Rn. 14; Bornkamm/Tolkmitt in Bunte, aaO, § 32 GWB Rn. 9). Selbst wenn ein Verstoß gegen Kartellrecht naheliegt, ist zum Beispiel denkbar, dass das Amt anstatt der Einleitung eines eigenen Verfahrens Dritte auf die Möglichkeit der zivilrechtlichen Durchsetzung kartellrechtlicher Ansprüche verweist (, ZIP 2001, 807 Rn. 5 - Fachklinik Herzchirurgie).Um von seinem Aufgreifermessen pflichtgemäß Gebrauch machen zu können, führt das Amt - wie auch hier - häufig Vorermittlungen durch (Schneider in Bunte, aaO, § 54 GWB Rn. 2). Es hat den Sachverhalt gemäß § 57 Abs. 1 GWB von Amts wegen zu ermitteln.

19(2)    Sowohl zur Ausübung des Aufgreifermessens als auch zur Sachverhaltsermittlung kann es geboten sein, mit anderen Behörden in Kontakt zu treten und Informationen auszutauschen. Die Kooperation von Wettbewerbsbehörden und insbesondere der Informationsaustausch sind gesetzlich vorgeschrieben (vgl. §  50 f Abs. 1 GWB, § 50 a Abs. 2 GWB, § 50 c GWB). Ebenso kann die Abstimmung mit Behörden ohne Zuständigkeit im Wettbewerbsrecht - etwa im Rahmen der Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit mit den nationalen Aufsichtsbehörden für die Einhaltung der DSGVO - vor der Verfahrenseinleitung geboten sein (vgl. , NZKart 2023, 430 Rn. 54, 56, 60 - Meta Platforms Inc.). Dies kann auch schon vor der Anhörung des Betroffenen geschehen. Nach § 56 Abs. 1 Satz 2 GWB entscheidet die Kartellbehörde über die Form der Anhörung nach pflichtgemäßem Ermessen. In zeitlicher Hinsicht ist das rechtliche Gehör in der Regel erst nach Abschluss der Ermittlungen zu gewähren (Engelsing in MüKoEuWettbR, aaO, § 56 GWB Rn. 8). Insbesondere solange noch unklar ist, ob bestimmte Ermittlungsmaßnahmen zur Beweissicherung ergriffen werden müssen, verbietet sich eine frühzeitige Anhörung. Die Effizienz der kartellrechtlichen Untersuchungen darf durch die Beteiligtenrechte nicht beeinträchtigt werden (vgl. , WuW/E EU-R 2110 Rn. 120 - Elf Aquitaine).

20(3)    Es ist deshalb - entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts - grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn eine Beschlussabteilung schon vor Verfahrenseinleitung und vor Anhörung des Betroffenen Gespräche mit dem BMWi führt, soweit sie dem Informationsaustausch und der Sachverhaltsermittlung dienen. Ein begründetes Misstrauen in die Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit der Mitglieder der Beschlussabteilung kann daraus nicht abgeleitet werden. Zu den Grundlagen einer fehlerfreien Verfahrensführung gehört es allerdings, dass Gespräche mit Vertretern des politischen Raums vor Abschluss des Verfahrens lückenlos dokumentiert und für die Verfahrensbeteiligten transparent gemacht werden (ebenso Franck, WuW 2024, 639, 642). Das ist auch zur Sicherstellung und Kontrolle der nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie (EU) 2019/1 vorgeschriebenen funktionellen Unabhängigkeit der nationalen Wettbewerbsbehörden gegenüber Weisungen der Regierung oder anderer öffentlicher oder privater Stellen geboten.

21cc)    Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben hat das Beschwerdegericht zu Recht beachtliche Gründe für die Annahme bejaht, dass die Übermittlung der nicht dem Original entsprechenden Fassung des Gesprächsvermerks vom auf das Akteneinsichtsgesuch von Lufthansa einen schwerwiegenden Verfahrensfehler darstellt, der geeignet ist, Misstrauen in die Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit der Mitglieder der Beschlussabteilung zu begründen.

22(1)    Bei der ungekürzten Fassung des Gesprächsvermerks handelt es sich nach den Angaben des Bundeskartellamts um die Endfassung. Sie wurde nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts zu einer Beiakte genommen. Der Vermerk fasst eine Telefonkonferenz vom zwischen den Mitgliedern der Beschlussabteilung und Vertretern des BMWi zusammen. Danach informierte die Beschlussabteilung über den Stand des Verfahrens. Falls dieses auf das Amt zulaufe, sei ein kartellrechtlich relevanter Vorgang nicht von vornherein zu verneinen. Es gehe um eine mögliche Abschottung der Condor von Zubringerflügen der Lufthansa und dadurch eine mögliche Verdrängung von Condor von der Langstrecke. Der Sachverhalt müsse noch weiter aufgeklärt werden. Vom Ministerium sei mitgeteilt worden, dass Gespräche mit Lufthansa geführt würden und dass man in Bezug auf die SPA-Kündigung Erklärungsbedarf sehe. Es gebe die Problematik, dass der Bund Lufthansa und Condor jeweils mit Corona-Beihilfen unterstütze. Der Bund habe ein Interesse daran, dass sich die unterstützten Unternehmen nicht gegenseitig kannibalisierten. Etwaige Ermittlungen des Bundeskartellamts seien vor diesem Hintergrund im Interesse von Staatssekretär N. Die Vorsitzende der Beschlussabteilung habe vorgeschlagen, gegenüber Lufthansa "eine zweigleisige Strategie zu fahren". Dieser Vorschlag sei von Dr. K vom Ministerium aufgegriffen worden; er wolle ihn an Staatssekretär N herantragen.

23(2)    Einige Formulierungen dieses Originalvermerks könnten so verstanden werden, dass die Beschlussabteilung bemüht war, ihre Verfahrensweise mit den politischen Interessen des BMWi in Einklang zu bringen. Darauf deutet insbesondere der Vorschlag hin, eine zweigleisige Strategie zu fahren. Das lässt sich - auch unter Berücksichtigung des weiteren Inhalts des Vermerks - dahingehend auslegen, dass sowohl mit kartellbehördlichen als auch mit politischen Mitteln versucht werden sollte, die Situation für Condor zu verbessern. Diese Formulierung ist in der Lufthansa übermittelten Fassung nicht enthalten. Vielmehr heißt es dort nur: "Abschließend wurde vereinbart, sich gegenseitig über die weiteren Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten." Weitere Äußerungen, die nach dem Originalvermerk während des Gesprächs gefallen sind, finden sich in der Lufthansa übermittelten Fassung in abgeschwächter Form wieder. Während nach dem Originalvermerk die Vorsitzende der Beschlusskammer geäußert hat, das mögliche Argument der Lufthansa, sie benötige die von Condor genutzten Kapazitäten selbst, sei "wohl nicht tragfähig", lautet die übermittelte Fassung, das Argument sei "zu überprüfen". Im Original heißt es ferner, die Beschlusskammer müsse nach einem Telefonat mit der EU-Kommission, bei dem Zuständigkeitsfragen geklärt werden sollten, schnell entscheiden, denn seit der Kündigung seien Condor-Flüge im Sommer 2021 nicht mehr gemeinsam mit Zubringerflügen von Lufthansa buchbar und das Ziel müsse sein, den Zustand rasch zu beenden. Der im Original enthaltene Satzteil, "das Ziel müsse sein, diesen Zustand rasch zu beenden" fehlt. Auch der Satz, eine einstweilige Anordnung könne "nur auf Grundlage des derzeit geltenden Rechts erfolgen" wurde abgeändert. Stattdessen heißt es: "Sollten die Voraussetzungen für eine einstweilige Anordnung des Amtes tatsächlich vorliegen, könne diese nur auf Grundlage des derzeit geltenden Rechts erfolgen".

24(3)    Die Überlassung des so veränderten Vermerks kann aus der Sicht eines vernünftigen und besonnenen Beteiligten die Befürchtung auslösen, die Mitglieder der Beschlussabteilung versuchten, den Originalvermerk zu unterdrücken, um Inhalte des Gesprächs zu verschleiern oder zu verfälschen. Der Originalvermerk wurde Lufthansa erst im Beschwerdeverfahren nach Anforderung der Vorermittlungsakten durch das Beschwerdegericht zugänglich gemacht. Eine hinreichend plausible Erklärung hierfür hat das Amt nach Bekanntwerden der Originalversion nicht mitgeteilt. Es hat auch keine dienstlichen Erklärungen der Mitglieder der Beschlussabteilung und der an der Zurverfügungstellung des Vermerks beteiligten Mitarbeiter vorgelegt. Soweit es im Beschwerdeverfahren ausgeführt hat, der Vermerk vom sei ausgehend von einem Entwurf erstellt worden, der Lufthansa im Zuge der elektronischen Akteneinsicht aufgrund eines Büroversehens zur Verfügung gestellt worden sei, erscheint das aus der maßgeblichen Sicht eines vernünftigen und besonnenen Beteiligten nicht überzeugend. Vergleicht ein solcher Beteiligter beide Fassungen, kann vielmehr der Eindruck entstehen, dass die Lufthansa übersandte nachträglich erstellt wurde, um bestimmte Gesprächsinhalte zu unterdrücken. Gegen ein bloßes Versehen kann nach den zutreffenden Ausführungen des Beschwerdegerichts außerdem der Umstand sprechen, dass das Bundeskartellamt noch im Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom aus der Lufthansa übersandten Fassung zitiert hat, um das Fehlen einer Vorfestlegung zu begründen, ohne auf die Existenz des Originalvermerks mit seinem abweichenden Inhalt hinzuweisen.

25dd)    Die Besorgnis einer möglichen Befangenheit konnte - wie das Beschwerdegericht zu Recht ausführt - auch durch den Verfahrensablauf im Zusammenhang mit der Akteneinsicht entstehen.

26(1)    Bereits mit Schreiben vom beantragten die Bevollmächtigten von Lufthansa ausweislich der vom Beschwerdegericht in Bezug genommenen Verfahrensakten des Amtes umfassende Akteneinsicht in das Verfahren mit dem Aktenzeichen B-9-21/21, "einschließlich aller sonstiger Akten, die mit dem Gegenstand des Verfahrens im Zusammenhang stehen". Daraufhin erhielt Lufthansa am Akteneinsicht unter anderem auch in zahlreiche Dokumente aus der Beiakte, die mit deren Aktenzeichen B 9-1/20-53 bezeichnet waren. Mit E-Mail vom teilte der Berichterstatter der Beschlussabteilung den Bevollmächtigten von Lufthansa mit, die Beschlussabteilung habe Dokumente der Verfahrensakte auf den "Ihnen zugänglichen Bereich des BSCW-Server" hochgeladen. Die Akteneinsicht umfasse die Aktenbestandteile, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung der rechtlichen Interessen der Verfahrensbeteiligten erforderlich sei. Es handele sich dabei unter anderem um die "Dokumentation des Austauschs mit dem BMWi". Darunter befand sich der nicht dem Original entsprechende Gesprächsvermerk vom .

27(2)    Vor diesem Hintergrund erscheint die Begründung des Amtes in seinen Schriftsätzen vom und vom im Beschwerdeverfahren nur schwer nachvollziehbar. Danach lag das Büroversehen nicht nur in der Auswahl der falschen Fassung, sondern überhaupt in der Zugänglichmachung des Gesprächsvermerks. Dieser gehöre nicht zur Verfahrensakte, sondern zu den unter dem Aktenzeichen B9-1/20-53 geführten Vorgängen vor Verfahrenseröffnung, die als Beiakte zur Hauptakte genommen wurden und in die bislang kein Beteiligter Einsicht erhalten habe. Ein bloßer Übersendungsfehler eines für die Akteneinsicht nicht vorgesehenen Dokuments lässt sich mit der E-Mail des Berichterstatters vom aber nur schwer in Einklang bringen. Es kommt daher auch nicht darauf an, ob überhaupt ein Akteneinsichtsrecht der Lufthansa in die Beiakten bestand und ob bei der Beurteilung des hierfür nach § 56 Abs. 3 Satz 1 GWB erforderlichen rechtlichen Interesses eine Divergenz zur Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Frankfurt besteht (OLG Frankfurt, Beschluss vom - 11 W 3/14, WuW/E DE-R 4505, nachfolgend: , WuW/E DE-R 4883 - Trinkwasserpreise).

28ee)    Zu Recht hat das Beschwerdegericht vor diesem Hintergrund angenommen, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung bestehen. Die Mitwirkung eines Amtsträgers an einem Verwaltungsverfahren trotz bestehender Besorgnis der Befangenheit macht die hiervon erfasste Amtshandlung fehlerhaft und damit rechtswidrig (Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, 10. Aufl., § 21 VwVfG Rn. 26; Schuler-Harms in Schoch/Schneider, 4. EL November 2023, § 21 VwVfG Rn. 41; Heßhaus in BeckOK VwVfG, 64. Ed. , § 21 Rn. 15). Soweit die Rechtsbeschwerde von Condor der Auffassung ist, der Verstoß sei jedenfalls dadurch geheilt worden, dass sich Lufthansa umfassend zur Sach- und Rechtslage äußern und im Beschwerdeverfahren auch den Aktenvermerk in seiner Originalversion einsehen konnte, zeigt sie keine entscheidungserhebliche Gehörsverletzung auf. Nach § 46 VwVfG setzt die Heilung eines Verfahrensfehlers voraus, dass offensichtlich ist, dass der Fehler die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Das kann bei Ermessensentscheidungen wie der vorliegenden nicht angenommen werden, wenn beachtliche Gründe für die Besorgnis einer Befangenheit bestehen.

293.    Die weiteren Gehörsrügen, die sich gegen die vom Beschwerdegericht angenommene Besorgnis der Befangenheit richten, können schon deshalb nicht durchgreifen, weil etwaige - hier unterstellte - Gehörsverstöße jedenfalls nicht entscheidungserheblich sind. Die Rechtsbeschwerden wenden sich unter anderem gegen die Beurteilung des Beschwerdegerichts, wonach der Inhalt des Originalvermerks bereits für sich genommen die Besorgnis einer Vorfestlegung begründet. Das Amt rügt in diesem Zusammenhang, das Beschwerdegericht habe zentrales Verteidigungsvorbringen übergangen. Es habe sämtliche Vorbehalte in dem Gesprächsvermerk vom unberücksichtigt gelassen, die auf die Vorläufigkeit der Äußerungen zur Sach- und Rechtslage hindeuten. Condor rügt außerdem, das Beschwerdegericht habe entscheidungserheblichen Vortrag des Amtes übergangen, indem es eine Befangenheit auch aus dem Umstand abgeleitet habe, dass auf die umfassenden Akteneinsichtsgesuche von Lufthansa die Existenz der Beiakte nicht offengelegt worden sei. Darauf kommt es nicht an. Das Beschwerdegericht hat in der Überlassung einer vom Original abweichenden Vermerkfassung an Lufthansa einen selbständig tragenden Grund für die Besorgnis der Befangenheit gesehen. Es hat angenommen, dies begründe "erst Recht" die Besorgnis der Befangenheit. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde von Condor handelt es sich dabei nicht nur um einen Einzelaspekt der Gesamtwürdigung des Beschwerdegerichts. Vielmehr hat das Beschwerdegericht deutlich gemacht, dass der entstandene Eindruck, die Originalversion des Vermerks sei Lufthansa bewusst vorenthalten worden, schon für sich allein die Besorgnis der Befangenheit begründet.

304.    Die Gehörsrügen, die das Amt und Condor im Zusammenhang mit der vom Beschwerdegericht angezweifelten Normadressateneigenschaft von Lufthansa und im Hinblick auf die vom Amt festgestellten und vom Beschwerdegericht angezweifelten Verstöße gegen das Missbrauchs- und Diskriminierungsverbot erhoben haben, sind danach im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ebenfalls nicht entscheidungserheblich.

31III.    Die gemäß § 78 Abs. 1 GWB statthaften und auch sonst zulässigen Nichtzulassungsbeschwerden des Bundeskartellamts und von Condor sind nicht begründet.

321.    Ist der Beschluss des Beschwerdegerichts auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, setzt eine Zulassung voraus, dass hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Zulassungsgrund gegeben ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom - IX ZR 33/05, juris Rn. 3; vom - IX ZR 147/05, juris Rn. 2; vom - KVR 34/11, juris Rn. 14). Soweit das Bundeskartellamt und Condor die Zulassung der Rechtsbeschwerde deshalb begehren, weil das Beschwerdegericht bei der Annahme von Gründen, die i.S.v. § 21 Abs. 1 Satz 1 VwVfG geeignet sind, Misstrauen gegen eine unparteiische Amtsführung einer Beschlusskammer des Bundeskartellamts zu rechtfertigen, von einem falschen Prüfungsmaßstab ausgegangen sei, greifen sie indes die selbständig tragende Begründung des Beschwerdegerichts (siehe oben Rn. 21, 29) nicht an.

33a)    Das Beschwerdegericht hat angenommen, von unvoreingenommenen und unparteiischen Mitgliedern einer Beschlussabteilung wäre zu erwarten gewesen, dass sie zu einem derartig frühen Verfahrenszeitpunkt vor Klärung der eigenen Zuständigkeit, der Verfahrenseinleitung, der Anhörung der Betroffenen und dem Beginn eigener Ermittlungen von einer Telefonkonferenz mit Vertretern des BMWi absehen oder sich auf eine kurze Mitteilung beschränken, wonach das Ergebnis der im Falle der Zuständigkeit durchzuführenden Ermittlungen und der Prüfung der Rechtslage derzeit offen seien.

34b)    Dagegen wenden sich das Amt und Condor und machen - teilweise übereinstimmend - unter anderem grundsätzliche Bedeutung gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 GWB im Hinblick auf die Rechtsfragen geltend, ob die Beschlussabteilungen des Amtes unabhängig gegenüber Einzelweisungen des BMWi sind, sowie, ob ein Austausch zwischen Bundeskartellamt und BMWi und die Besprechung eines parallelen Vorgehens gegen ein möglicherweise kartellrechtswidriges Verhalten überhaupt die Besorgnis der Befangenheit gegenüber den Mitgliedern der Beschlussabteilung begründen könne. Aus diesen Gründen bestehe auch das Erfordernis einer Fortbildung des Rechts gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 GWB. Condor rügt wegen der die Inhalte des Gesprächs vom betreffenden Beurteilung des Beschwerdegerichts zudem einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot. Condor meint ferner, den Ausführungen des Beschwerdegerichts zu den Gesprächsinhalten liege ein grundlegendes Missverständnis der Anforderungen an eine aus der Verfahrensweise hergeleiteten Befangenheit einer Kartellbehörde zugrunde. Es gehe unzutreffend davon aus, dass auch einfache Verfahrensverstöße die Besorgnis der Befangenheit begründen. Die Abweichung erfordere die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 GWB.

35c)    Damit wird die selbständig tragende Begründung des Beschwerdegerichts, dass sich die ernstliche Besorgnis der Befangenheit (bereits) aus der Übersendung der abweichenden Gesprächsfassung habe ergeben können, nicht angegriffen.

362.    Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde kommt aus dem gleichen Grund auch nicht in Betracht, soweit das Beschwerdegericht ernstliche Zweifel an der materiell-rechtlichen Beurteilung der angefochtenen Verfügung im Hinblick auf die Normadressateneigenschaft von Lufthansa und die festgestellten Verstöße gegen das Missbrauchs- und Diskriminierungsverbot bejaht hat.

37IV.    Der Senat entscheidet über die Rechtsbeschwerde (vgl. , WRP 2010, 658, 662 - Kosmetikartikel) sowie über die Nichtzulassungsbeschwerde (§ 78 Abs. 2 Satz 2 GWB) ohne mündliche Verhandlung.

38V.    Die Kostenentscheidung folgt aus § 71 Satz 2 GWB. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 50 Abs. 1 Nr. 1 GKG, § 3 ZPO.

Kirchhoff                         Roloff                         Tolkmitt

                  Holzinger                   Kochendörfer

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:031224BKVR8.24.0

Fundstelle(n):
RAAAJ-82108