BGH Beschluss v. - 3 StR 301/24

Instanzenzug: Az: 1 KLs 2040 Js 46212/23 (2)

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung, Körperverletzung, räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung (Fall II.3. der Urteilsgründe), versuchten Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung, Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige (Fall II.5. der Urteilsgründe), versuchter Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung und Nötigung (Fall II.6. der Urteilsgründe) sowie wegen Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt. Der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. In den Fällen II.3., 5. und 6. der Urteilsgründe hat das Landgericht die insgesamt von ihm rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen rechtlich unzutreffend gewürdigt. Insoweit ist jeweils der Schuldspruch zu ändern. Der Strafausspruch wird davon (nur) in Fall II.5. der Urteilsgründe berührt. Dies bringt auch die Gesamtstrafe zu Fall. Im Einzelnen:

3a) aa) Nach den Feststellungen im Fall II.3. der Urteilsgründe schlug der physisch deutlich überlegene Angeklagte einen Geschädigten mit Fäusten und forderte grundlos „200 bis 300 €“ von ihm. Weil das Opfer kein Bargeld mit sich führte, zwang der Angeklagte es unter Androhung weiterer Gewalt, zu einem Geldautomaten zu gehen. Dort musste der Geschädigte seine Karte nebst PIN eingeben. Der Angeklagte, der schräg hinter ihm stand, drückte auf den am Bildschirm angezeigten höchsten verfügbaren Auszahlungsbetrag von 1.000 €. Der Automat gab davon mangels weiterer Kontodeckung 140 € aus, die der Angeklagte unter Aufrechterhaltung der Drohkulisse einsteckte.

4bb) Dieses Geschehen stellt entgegen der rechtlichen Würdigung des Landgerichts keine räuberische Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung, sondern einen Raub in Tateinheit mit Körperverletzung dar. Denn wer unberechtigt Geldscheine ergreift und einsteckt, die im Ausgabefach eines Geldautomaten bereitliegen, nachdem der Berechtigte zuvor Bankkarte und PIN eingegeben hat, bricht den Gewahrsam des Geldinstituts an den Geldscheinen und nimmt fremde Sachen weg (, BGHR StGB § 242 Abs. 1 Wegnahme 17 mwN).

5(1) Die Frage, ob der Gewahrsam der Bank an Bargeld, das ein Geldautomat nach technisch ordnungsgemäßer Bedienung ausgibt, lediglich gelockert oder bereits aufgegeben ist, wird in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet. Nachdem der 2. Strafsenat einen Fall, in dem der Täter den Berechtigten nach PIN-Eingabe gewaltsam weggestoßen hatte, als räuberische Erpressung bewertet hatte, weil der Gewahrsam durch das Geldinstitut mit der Geldausgabe bereits preisgegeben und nicht gebrochen worden sei (, NJW 2018, 245 Rn. 12), wollte der 3. Strafsenat Revisionen von Angeklagten verwerfen, die durch Ablenkung des Berechtigten an die Geldscheine gelangt und wegen Diebstahls u.a. verurteilt worden waren. Im deshalb eingeleiteten Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 GVG, das sich später wegen Rechtsmittelrücknahme erledigte, hat der Senat einen Gewahrsamsbruch gegenüber der Bank angenommen. Die Frage, ob gleichfalls der Gewahrsam desjenigen gebrochen wird, der den Vorgang durch Eingabe von Bankkarte und PIN in Gang gesetzt hat, hat er offengelassen (, BGHR StGB § 242 Abs. 1 Wegnahme 17 Rn. 22). Im Nachgang hat der 4. Strafsenat dies für die „Ablenkungsfälle“ entschieden; er hat ausgeführt, dass jedenfalls der Täter, der trickreich die Aufmerksamkeit des Bankkunden ablenke und so an das im Ausgabefach des Automaten bereitliegende Geld gelange, (auch) dessen Gewahrsam breche (, BGHSt 66, 55 Rn. 7 ff.).

6(2) Der Senat hält an seiner Rechtsauffassung fest. Ein Täter bricht den Gewahrsam an einer dem Zugriff Dritter preisgegebenen Sache, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass der bisherige Gewahrsamsinhaber die Wegnahme nur bestimmten Personen gestatten will, der Täter aber nicht zu diesem Personenkreis gehört (, BGHSt 35, 152, 159 f.). So liegt es hier: Der Wille des Geldinstituts auf die Übertragung des Gewahrsams ist erkennbar nicht an jedermann gerichtet, sondern auf die Person beschränkt, die sich durch Eingabe von Karte und PIN legitimiert hat. Greift ein anderer zu, bricht er den Gewahrsam der ausgebenden Bank.

7Das bedeutet für den vorliegenden Fall, dass der Angeklagte einen Raub gemäß § 249 Abs. 1 StGB beging. Dass er nicht Mitarbeitern des Geldinstituts, sondern dem Geschädigten mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben drohte, steht der Erfüllung des Tatbestands nicht entgegen. Denn das Nötigungsmittel muss sich nicht gegen den Gewahrsamsinhaber richten. Es genügt die Bedrohung einer Person, die nach Meinung des Täters den (fremden) Gewahrsam an der Sache wahren will (st. Rspr.; s. etwa , BGHSt 41, 123, 126).

8Der Schuldspruch ist deshalb aus Klarstellungsgründen zu ändern. § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, da der Angeklagte sich nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

9(3) Einer erneuten Anfrage beim 2. Strafsenat bedarf es für die Schuldspruchänderung nicht. Denn der Angeklagte brach hier zusätzlich den (Mit-)Gewahrsam des Geschädigten (zu den Maßstäben s. etwa , NStZ 2020, 483 Rn. 5 mwN) und beging deshalb ohnehin einen Raub. Dieser stand, nachdem er den Zahlungsvorgang mittels seiner Bankkarte und PIN in Gang gesetzt hatte, weiterhin direkt vor dem Automaten mit dem Angeklagten im Rücken. Schon durch die unmittelbare körperliche Nähe konnte er ohne Weiteres auf die ausgeworfenen Geldscheine einwirken und hatte damit die tatsächliche Sachherrschaft. Das wollte er an sich auch. Denn wer mit der eigenen Karte und PIN Geld „zieht“, und sei es als Nötigungsopfer, hat in der Regel einen Herrschaftswillen über den Inhalt des Ausgabefachs. Nach den Regeln der sozialen Anschauung ist dieser ihm zuzuordnen, es ist „sein“ Geld (s. insgesamt , BGHSt 66, 55 Rn. 8 ff. mwN). In diese tatsächliche von einem natürlichen Willen getragene Sachherrschaft des Geschädigten brach der Angeklagte ein. Unter dem Eindruck der Bedrohung duldete der Geschädigte die Wegnahme - das äußere Erscheinungsbild ist insoweit eindeutig (vgl. , juris Rn. 4 mwN) - und ist damit Raubopfer. Wie es im Fall der Gewaltausübung (s. , NStZ 2019, 726: zur Seite zerren/schubsen) liegt, bedarf hier weiterhin keiner Entscheidung.

10cc) Die vom Landgericht in Fall II.3. der Urteilsgründe verhängte Einzelfreiheitsstrafe von sechs Jahren hat Bestand. Denn ein Raub ist das speziellere Delikt im Vergleich zu der allgemeineren räuberischen Erpressung nach § 253 Abs. 1, § 255 StGB (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 612/17, NStZ-RR 2018, 140 f.; vom - 3 StR 63/21, NStZ-RR 2022, 14, 15 mwN). Beide Tatbestände weisen grundsätzlich den gleichen Unrechts- und Schuldgehalt auf (vgl. , juris Rn. 7).

11b) In Fall II.5. der Urteilsgründe ist der Schuldspruch dahin zu ändern, dass anstelle der Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige ein Handeltreiben mit Cannabis vorliegt. In diesem Fall verkaufte und übergab der 23-jährige Angeklagte einem 15-Jährigen, dessen Alter er kannte, zwei Gramm Marihuana. Insofern ist der nach Urteilsverkündung durch das Cannabisgesetz vom (BGBl. 2024 I Nr. 109) mit Wirkung vom geschaffene Straftatbestand des § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG selbst unter Berücksichtigung des Regelbeispiels für einen besonders schweren Fall nach § 34 Abs. 3 Satz 1 und 2 Nr. 3 Buchst. a KCanG gegenüber dem vom Landgericht angewendeten § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG günstiger und daher gemäß § 2 Abs. 3 StGB, § 354a StPO maßgeblich (vgl. etwa , juris Rn. 5 f.).

12Danach ist die diesen Fall betreffende Einzelstrafe von einem Jahr und drei Monaten aufzuheben. Angesichts des niedrigeren Strafrahmens ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht unter Anwendung des neuen Rechts eine geringere Strafe bestimmt hätte. Der Wegfall der Einzelstrafe bringt - entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts - die Gesamtstrafe zu Fall. Die zugrundeliegenden Feststellungen sind davon nicht betroffen (§ 353 Abs. 2 StPO).

13c) aa) In Fall II.6. der Urteilsgründe hat das Landgericht festgestellt, dass sich der Angeklagte zu einem späteren Zeitpunkt dicht vor dem 15-Jährigen aufbaute, 50 € für das Marihuana einforderte und den Jugendlichen schmerzhaft ins Gesicht sowie aufs Ohr schlug, weil dieser kein Geld hatte. Aus Angst vor weiteren Übergriffen übergab der 15-Jährige auf Aufforderung sein Handy als Pfand. Nunmehr wollte der Angeklagte auch noch gewaltsam dessen Sperrcode erlangen. In dieser Situation erlitt der Jugendliche eine Panikattacke mit Atemnot, woraufhin der Angeklagte von ihm abließ, mit dem Handy davonging und dem Geschädigten zu verstehen gab, er bekomme es zurück, wenn er zahle. Daraufhin übergab der 15-Jährige dem Angeklagten am nächsten Tag 10 €.

14bb) Dieses Geschehen hat das Landgericht als versuchte Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung und Nötigung gewertet. Tatsächlich verwirklichte der Angeklagte jedoch eine (vollendete) räuberische Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung gemäß § 253 Abs. 1, §§ 255, 223 Abs. 1 StGB. Denn er erreichte mittels qualifizierter Drohung, dass der Jugendliche ihm sein Handy gab. Dadurch fügte er dessen Vermögen einen Nachteil zu und bereicherte sich selbst. Wer die Herausgabe eines Pfandgegenstands für eine nicht bestehende Forderung erzwingt, verschafft sich im Verhältnis zum Ursprungsgegenstand einen stoffgleichen Vermögensvorteil und vollendet den Tatbestand (st. Rspr.; s. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 70/11, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 19; vom - 2 StR 512/16, NStZ 2017, 642 f.; vom - 3 StR 148/18, NStZ 2018, 712, 713).

15In der vollendeten räuberischen Erpressung gehen bis auf die Körperverletzung alle weiteren Delikte auf. Im Einzelnen:

16Das gesamte Geschehen bildet zunächst, wie das Landgericht zutreffend erkannt hat, wegen des engen inhaltlichen sowie räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs eine Tat, § 52 Abs. 1 StGB. Für den Straftatbestand der Erpressung ist anerkannt, dass mehrere Angriffe auf die Willensentschließung des Opfers als eine Tat im Rechtssinne zu werten sind, wenn dabei die anfängliche Drohung lediglich den Umständen angepasst und aktualisiert wird, im Übrigen aber nach wie vor dieselbe Leistung gefordert wird. Dabei stellen ein Wechsel des Angriffsmittels, räumliche Trennungen oder zeitliche Intervalle zwischen den jeweiligen Einzelakten die Annahme einer rechtlichen Bewertungseinheit nicht grundsätzlich in Frage (vgl. , NStZ 2023, 679 Rn. 4 mwN). Der Anwendung dieser Maßgaben steht nicht entgegen, dass der Angeklagte mangels sofortiger Realisierbarkeit der Zahlungsforderung vorläufig auf einen Pfandgegenstand auswich und diesen herausverlangte.

17Die versuchte Abpressung der 50 € und des Handy-Sperrcodes treten hinter die vollendete räuberische Erpressung zurück. Neben einer vollendeten räuberischen Erpressung kommt eine Verurteilung wegen eines auf höhere Zahlungen oder weitere Leistungen desselben Opfers gerichteten räuberischen Erpressungsversuchs nicht in Betracht. Dass der Angeklagte über das Handy hinaus noch weitere, vom selben Schutzgut erfasste Taterfolge erstrebte, gibt der Tat in rechtlicher Hinsicht kein anderes Gepräge und ist deshalb für den Schuldspruch ohne Belang (vgl. , NStZ 2024, 87 Rn. 6 f. mwN).

18Die erfolgreiche (einfache) Erpressung gemäß § 253 Abs. 1 StGB im Hinblick auf die am Folgetag übergebenen 10 € bildet ebenfalls kein eigenständiges Unrecht, das eine Aufnahme in den Schuldspruch erfordert. Denn der Jugendliche leistete in der Hoffnung, sein Handy auszulösen. Dieser tatbestandsmäßige Erfolg ist Teil der vollendeten räuberischen Erpressung vom Vortag.

19Die vom Landgericht tateinheitlich angenommene Nötigung war hier Erpressungsmittel; sie ist dem Tatbestand der räuberischen Erpressung immanent und deshalb nicht zusätzlich auszuurteilen.

20Das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 StPO erstreckt sich auf eine Schuldspruchänderung zum Nachteil des Angeklagten nicht (vgl. , juris Rn. 11 mwN). Auch § 265 Abs. 1 StPO steht ihr nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

21cc) Die Einzelstrafe von einem Jahr und zwei Monaten Freiheitsstrafe, die das Landgericht dem Strafrahmen des § 223 Abs. 1 StGB entnommen hat, hat Bestand. Der Angeklagte ist durch sie nicht beschwert; es ist auszuschließen, dass die Strafkammer bei Anwendung des zutreffenden Strafrahmens aus § 249 Abs. 1 StGB, der als Mindeststrafe ein Jahr Freiheitsstrafe vorsieht, zu einer niedrigeren Einzelstrafe gekommen wäre.

222. Die weitere Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat aus den vom Generalbundesanwalt näher dargelegten Gründen, auch unter Beachtung der Gegenerklärung, keinen sonstigen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:121124B3STR301.24.0

Fundstelle(n):
DAAAJ-82104