BGH Urteil v. - II ZR 97/23

Leitsatz

1.    Bei der rechtlichen Prüfung der Billigkeit sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind insbesondere der Umfang der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft gegenüber dem Zeitpunkt der Vereinbarung der Vergütung sowie weiter zu berücksichtigen, in welchem Grad die Verschlechterung dem Vorstandsmitglied zurechenbar ist und ob er sie gegebenenfalls sogar pflichtwidrig herbeigeführt hat (Bestätigung von , BGHZ 207, 190).

2.    Die Zurechenbarkeit der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft an den Vorstand ist keine Voraussetzung für die Herabsetzung seiner Bezüge, sondern ein wesentlicher Umstand bei der gebotenen Abwägung (Ergänzung zu , BGHZ 207, 190).

Gesetze: § 87 Abs 2 S 1 AktG

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 24 U 216/21vorgehend LG Darmstadt Az: 14 O 30/20

Tatbestand

1Der Kläger schloss am mit der e.                 AG (im Folgenden: Schuldnerin) einen Dienstvertrag über die Anstellung als Mitglied des Vorstands. Der Dienstvertrag sah den Dienstantritt am und eine feste jährliche Vergütung von 240.000 € sowie eine ergebnisabhängige Sondervergütung (Tantieme) vor. Im Hinblick auf die schwierige wirtschaftliche Lage der Schuldnerin wurde eine Mindesttantieme für die Geschäftsjahre 2020 und 2021 vereinbart.

2Über das Vermögen der Schuldnerin wurde am das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Beklagte kündigte mit Schreiben vom den Dienstvertrag zum und teilte dem Kläger am mit, dass keine Einsatzmöglichkeit für ihn bestehe. Am teilte der Beklagte dem Kläger weiter mit, seine Vergütung werde unter Ausfall der Tantieme auf 8.000 € monatlich herabgesetzt. Zum wurde der Kläger, dem die herabgesetzte Vergütung ausgezahlt wurde, von der Dienstpflicht freigestellt.

3Der Kläger meint, die Herabsetzung der Vergütung sei nicht gerechtfertigt. Er verlangt vom Beklagten die Zahlung weiterer 75.600 € (36.000 € Festvergütung und 39.600 € Tantieme) nebst Zinsen.

4Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Gründe

5Die Revision des Klägers hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

6I. Das Berufungsgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:

7Der Kläger habe keinen Anspruch auf weitere Vergütung. Dem Beklagten stehe die auf ihn als Insolvenzverwalter übergegangene Befugnis zu, die Bezüge des Klägers entsprechend der desolaten Lage der Gesellschaft nach § 87 Abs. 2 AktG zu kürzen. Die aktienrechtliche Herabsetzungsbefugnis sei nicht durch die dem Insolvenzverwalter nach § 113 InsO eingeräumte Kündigungsmöglichkeit ausgeschlossen.

8Die zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens führende finanzielle Situation der Schuldnerin sei zwar unabhängig von einem Zutun oder einer rechtlichen Verantwortlichkeit des Klägers eingetreten. Die fehlende Verantwortlichkeit des Klägers für die wirtschaftliche Lage der Schuldnerin schließe aber die Anwendung von § 87 Abs. 2 AktG nicht kategorisch aus, sondern sei bei der Prüfung der Unbilligkeit im Rahmen einer Gesamtabwägung zu berücksichtigen. Ein anderes Verständnis würde den Charakter des § 87 Abs. 2 AktG als besonderen Fall einer Störung der Geschäftsgrundlage verändern.

9Die Herabsetzung der Vorstandsvergütung auf 8.000 € monatlich sei im konkreten Fall nicht unbillig. Der Beklagte habe auch den variablen Teil der Vergütung herabsetzen können, da dieser zu den Gesamtbezügen nach § 87 Abs. 1 AktG gehöre. Dies gelte auch im Fall einer vereinbarten Mindesttantieme.

10Die vom Beklagten vorgenommene Herabsetzung stehe in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen des Klägers und der Lage der insolventen Schuldnerin. Es sei in erster Linie zu berücksichtigen, dass der Kläger quasi keine Tätigkeiten für die Schuldnerin entfaltet habe, sondern diese durch die Insolvenz der Schuldnerin gleichsam im Vorfeld beendet worden seien. Der Kläger habe seine Leistungen hinreichend angeboten, es habe aber kein objektives Bedürfnis mehr für diese bestanden und der Betrag von 8.000 € erfasse auch hinreichend die rechtliche Verantwortlichkeit und eine etwaige Haftung des Klägers. Dabei sei auch zu beachten, dass der Kläger mangels erwirtschafteten Gewinns keine variable Vergütung erhalten und bereits hierdurch eine Gehaltseinbuße erlitten habe. Anders als es bei einer langjährigen Vorstandstätigkeit der Fall sein könne, seien vorliegend keine greifbaren Anhaltpunkte dafür gegeben, Treuegesichtspunkte in die Bemessung der angemessenen Vergütung einfließen zu lassen. Es erschiene unbillig, den Kläger an einer erfolgsabhängigen Vergütung teilhaben zu lassen, zu der er nichts beigetragen habe.

11Dem Kläger sei die kritische Lage der Gesellschaft bekannt gewesen. Die aufrechterhaltenen Bezüge entgälten die marginalen Tätigkeiten des Klägers, wie die Beauftragung eines weiteren Rechtsanwalts. Dass der Kläger im Hinblick auf die wirtschaftliche Lage als Sanierungsberater habe tätig werden sollen, stehe der Herabsetzung nicht entgegen, nachdem die tatsächliche Grundlage für die Tätigkeit schon vor ihrem Beginn entfallen und inhaltlich gegenstandslos geblieben sei.

12II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.

131. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass das Herabsetzungsrecht gemäß § 87 Abs. 2 AktG nicht durch das Sonderkündigungsrecht des Insolvenzverwalters nach § 113 InsO verdrängt wird. Der Anwendungsbereich des § 87 Abs. 2 AktG erfasst vielmehr trotz der durch § 113 InsO eingeräumten Möglichkeit der Kündigung des Anstellungsvertrags auch die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (, BGHZ 207, 190 Rn. 23 f.).

142. Zutreffend ist auch die weitere Annahme des Berufungsgerichts, dass das Recht aus § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Insolvenzverwalter ausgeübt wird (KK-AktG/Cahn, 4. Aufl., § 87 Rn. 124; BeckOGK AktG/Fleischer, Stand , § 87 Rn. 68; Koch, AktG, 18. Aufl., § 87 Rn. 61; Kort in GroßKomm. AktG, 5. Aufl., § 87 Rn. 434; MünchKommAktG/Spindler, 5. Aufl., § 87 Rn. 229; Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 5. Aufl., § 87 Rn. 41; Seyfahrt, Vorstandsrecht, 2. Aufl., § 5 Rn. 209;Göcke/Greubel, ZIP 2009, 2086, 2087 f.; Kort, AG 2016, 209, 210; Olic, AnwZert InsR 8/2023 Anm. 3; Spindler, DB 2015, 908; Undritz/Röger, InsVZ 2010, 123, 125; offenlassend noch , BGHZ 207, 190 Rn. 26). Der hiervon abweichenden Ansicht, wonach das Herabsetzungsrecht über die Verfahrenseröffnung hinaus dem Aufsichtsrat zustehe bzw. der Insolvenzverwalter für dessen Ausübung seiner Zustimmung bedürfe (Noack in Kübler/Prütting, Gesellschaftsrecht, 1999, Rn. 366; Haarmeyer/Mock, Vergütung in Krise, Sanierung und Insolvenz, 7. Aufl., § 87, 87a AktG Rn. 26;Uhlenbruck/Hirte, Insolvenzordnung, 15. Aufl., § 11 Rn. 185; Grigoleit/Schwennicke, AktG, 2. Aufl., § 87 Rn. 39; Hauptmann/Müller-Dott, BB 2003, 2521, 2523), vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

15a) Das Recht zur Herabsetzung der Bezüge gemäß § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG ist ein einseitiges Gestaltungsrecht der Aktiengesellschaft, das durch eine Gestaltungserklärung ausgeübt wird, die der Aufsichtsrat in Vertretung der Gesellschaft (§ 112 AktG) gegenüber dem Vorstandsmitglied abgibt (, BGHZ 207, 190 Rn. 20).Die wirksam abgegebene und den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Gestaltungserklärung genügt, um die Gestaltungswirkung und damit die Änderung der Vergütungsvereinbarung eintreten zu lassen (, BGHZ 207, 190 Rn. 31; MünchKommAktG/Spindler, 5. Aufl., § 87 Rn. 209).

16b) der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht die Befugnis der Gesellschaft, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO). Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat auf die Struktur der betroffenen Gesellschaft keinen Einfluss. Auch die Organe einer juristischen Person behalten ihre Stellung nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, nehmen aber nur noch Aufgaben wahr, die nicht die Insolvenzmasse betreffen (, BGHZ 224, 72 Rn. 37).

17Da die Vergütung des Vorstands für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus der Insolvenzmasse zu leisten ist, betrifft die Befugnis zur Ausübung des Rechts zur Herabsetzung der Vorstandsvergütung unmittelbar die Insolvenzmasse (Spindler, DB 2015, 908; Kort, AG 2016, 209, 210). Die Wahrnehmung der Befugnis ist auch nicht dem der Befugnis des Insolvenzverwalters entzogenen innergesellschaftlichen Bereich zuzuordnen (vgl. , BGHZ 224, 72 Rn. 37, 38), sondern sie betrifft das Vertragsverhältnis zwischen der Gesellschaft und dem Vorstandsmitglied. Entsprechend steht auch das Recht zur Kündigung des Dienstvertrags gemäß § 113 InsO nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens dem Insolvenzverwalter zu (hierzu Göcke/Greubel, ZIP 2009, 2086, 2088; Undritz/Röger, InsVZ 2010, 123, 125).

183. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass sich die Lage der Schuldnerin im Zeitraum zwischen dem Abschluss des Dienstvertrags am und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am23. Dezember 2019 verschlechtert hat. Die Revision wendet sich weder gegen die dieser Feststellung zu Grunde liegende tatsächliche Annahme, dass eine Verschlechterung der Lage durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens belegt wird, noch macht sie geltend, dass das Berufungsgericht seiner Beurteilung ein rechtsfehlerhaftes Verständnis vom Begriff der "Lage der Gesellschaft" nach § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG zu Grunde gelegt hätte.

194. Einer rechtlichen Prüfung nicht stand hält die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Weitergewährung der Vorstandsbezüge unbillig für die Schuldnerin gewesen wäre. Das Berufungsgericht legt nicht den richtigen Prüfungsansatz zu Grunde.

20a) Bei der rechtlichen Prüfung der Billigkeit im Sinne des § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind insbesondere der Umfang der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft gegenüber dem Zeitpunkt der Vereinbarung der Vergütung und weiter zu berücksichtigen, in welchem Grad die Verschlechterung dem Vorstandsmitglied zurechenbar ist und ob er sie gegebenenfalls sogar pflichtwidrig herbeigeführt hat (, BGHZ 207, 190 Rn. 47). Die Feststellung der Unbilligkeit für die Gesellschaft gemäß § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG unterliegt nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfung, die den tatrichterlichen Beurteilungsspielraum zu respektieren hat und darauf zu beschränken ist, ob der rechtliche Rahmen verkannt, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt und abgewogen worden sind (vgl. , WM 1964, 1208, 1209 f.; Urteil vom - III ZR 72/20, BGHZ 230, 14 Rn. 20).

21b) Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Unbilligkeit der Weitergewährung der Bezüge nach § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG könne nicht allein deswegen verneint werden, weil die Verschlechterung der Lage der Gesellschaft ohne Zutun des Klägers eingetreten sei.

22aa) Die Frage, ob eine Herabsetzung der Vergütung ausgeschlossen ist, wenn dem Vorstand die Verschlechterung der Lage der Gesellschaft nicht zugerechnet werden kann, ist umstritten.

23(1) Nach einer Ansicht ist von einer Unbilligkeit im Sinne von § 87 Abs. 2 AktG nur auszugehen, wenn der Vorstand einen qualifizierten, ihm individuell zurechenbaren Beitrag zur Verschlechterung der Gesellschaftslage geleistet hat (Bürgers in Bürgers/Körber/Lieder, AktG, 5. Aufl., § 87 Rn. 14; Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 5. Aufl. § 87 Rn. 40; Krämer, Die Herabsetzung der Vergütung des Vorstands nach § 87 Abs. 2 AktG vor dem Hintergrund der Vergütungsproblematik, der besonderen Rolle des Vorstands und seiner Rechtsbeziehung zur Aktiengesellschaft, 2021, S. 182; Hoffmann-Becking/Krieger, NZG 2009, Beil. zu Heft 26, 5 Rn. 35; Klöhn, ZGR 2012, 1, 21, 24; Raitzsch, NZG 2019, 495, 499; Spindler, DB 2015, 908, 909; Weppner, NZG 2010, 1056, 1057; wohl auch Heidel/Lochner/Beneke, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl., § 87 AktG Rn. 14; Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 726; Rahlmayer/von Eiff, NZG 2021, 397 Seibert, WM 2009, 1489, 1491).

24Dabei wird teilweise hervorgehoben, an eine solche Zurechnung seien nur geringe Anforderungen zu stellen (Haarmeyer/Mock, Vergütung in Krise, Sanierung und Insolvenz, 7. Aufl., §§ 87, 87a AktG Rn. 7). Teilweise wird auch ein bloßer zeitlicher Zusammenhang mit der Tätigkeit des Vorstandsmitglieds für ausreichend und erforderlich gehalten (Backhaus/Tielmann/Melotin de Beauregard/Arden, Der Aufsichtsrat, 2. Aufl., AktG, § 87 Rn. 106 f.; Koch, AktG, 18. Aufl., § 87 Rn. 53; Koch, WM 2010, 49, 54; Seyfahrt, Vorstandsrecht, 2. Aufl., § 5 Rn. 215; Bosse, BB 2009, 1650, 1651; Redenius-Hövermann/Siemens, ZIP 2020, 1585, 1586; Seibert, WM 2009, 1489, 1491; wohl auch Weber in Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl., § 87 Rn. 49 ff.; Weber, DB 2016, 815, 816).

25(2) Nach anderer Ansicht ist ein Zurechnungszusammenhang zwischen der Verschlechterung der Gesellschaftslage und der Vorstandstätigkeit demgegenüber keine zwingende Voraussetzung für die Herabsetzung der Vorstandsbezüge, sondern vielmehr ein nach dem Gewicht des Beitrags zu berücksichtigender Aspekt im Rahmen der Gesamtabwägung (KK-AktG/Cahn, 4. Aufl., § 87 Rn. 120; Dauner-Lieb in Henssler/Strohn, GesR, 6. Aufl., § 87 Rn. 35; BeckOGK AktG/Fleischer, Stand , § 87 Rn. 73 f.; Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 87 Rn. 408a; MünchKommAktG/Spindler, 6. Aufl., § 87 Rn. 206; Hoegen, Reform der Vorstandsvergütung, 2018, 280; Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, 2. Aufl., § 12 Rn. 258; BeckHdb AG/Liebscher, 3. Aufl., § 6 Rn. 73 b; Annuß/Theusinger, BB 2009, 2434, 2438; Dauner-Lieb, Der Konzern 2009, 583, 589; Dauner-Lieb/Friedrich, NZG 2010, 688, 690; Gaul/Janz, NZA 2009, 809, 812; Hohenstatt, ZIP 2009, 1349, 1353; Jaeger/Balke, ZIP 2010, 1471, 1475; van Kann/Keiluweit, DStR 2009, 1587, 1590; Krieger, LiberAmicorum Winter, 2011, S. 370, 371; Kruse/Busold, DStR 2017, 1608, 1609; Olic, AnwZert InsR 8/2023 Anm. 3; Redenius-Hövermann/Siemens, ZIP 2020, 1585, 1586; Thüsing/Jänsch, Festschrift E. Vetter, 2019, S. 803, 808, 813 ff.;Waldenberger/Kaufmann, BB 2010, 2257, 2260; Weller, NZG 2010, 7, 12;Wittuhn/Hamann, ZGR 2009, 847, 862; wohl auch Grigoleit/Schwennicke, AktG, 2. Aufl., § 87 Rn. 37 f., sowie Koch, AktG, 18. Aufl., § 87 Rn. 53; gegen das Kriterium der Zurechnung an sich Backhaus/Tielmann/Melot inde Beauregard/Arden, Der Aufsichtsrat, 2. Aufl., AktG, § 87 Rn. 106 f.; Berger, Vorstandsvergütung, 2013, S. 137; siehe auch OLG Karlsruhe, NZG 2022, 750 Rn. 93).

26bb) Das Urteil des erkennenden Senats vom (II ZR 296/14, BGHZ 207, 190 Rn. 39, 45) wird teilweise dahin verstanden, dass die Zurechenbarkeit der Vermögensverschlechterung ein wesentlicher Aspekt der gebotenen Abwägung sei (OLG Karlsruhe, NZG 2022, 750 Rn. 93, 100;KK-AktG/Cahn, 4. Aufl., § 87 Rn. 120; Thüsing/Jänsch, Festschrift E. Vetter, 2019, S. 803, 814), teilweise wird auch angenommen, die persönliche Zurechenbarkeit der Lageverschlechterung sei Voraussetzung für die Annahme der Unbilligkeit (Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 5. Aufl. § 87 Rn. 40; Weber, DB 2016, 815, 816). Das Berufungsgericht ist zutreffend von der zuerst genannten Ansicht ausgegangen. Die Zurechenbarkeit der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft an den Vorstand ist keine Voraussetzung für die Herabsetzung seiner Bezüge, sondern ein wesentlicher Umstand bei der gebotenen Abwägung.

27(1) Aus dem Wortlaut des § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG ergibt sich das Erfordernis eines Zurechnungszusammenhangs nicht, der Begriff der Unbilligkeit deutet nach dem allgemeinen juristischen Sprachverständnis auf das Erforderniseiner Gesamtabwägung hin. Nach § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG setzt die Herabsetzung der Vergütung voraus, dass sich die Lage der Gesellschaft nach deren Festsetzung so verschlechtert, dass die Weitergewährung für die Gesellschaft unbillig wäre. Die sprachliche Verknüpfung der Merkmale "Verschlechterung" und "Unbilligkeit" durch die Worte "so, dass" besagt nicht, dass die Unbilligkeit nur bei einer dem Vorstandsmitglied zurechenbar verursachten Verschlechterung gegeben wäre (Dauner-Lieb, Der Konzern 2009, 583, 589; Dauner-Lieb/Friedrich, NZG 2010, 688, 690; Thüsing/Jänsch, Festschrift E. Vetter, 2019, S. 803, 814; siehe aber auch Raitzsch, NZG 2019, 495, 498).

28Dass § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG von der "Weitergewährung" der Bezüge spricht, könnte allerdings auf die Notwendigkeit eines zeitlichen Zusammenhangs der Lageverschlechterung und der Vorstandstätigkeit hindeuten, weil im Fall des Dienstantritts nach Verschlechterung der Gesellschaftslage die Bezüge typischerweise von Anfang an ungekürzt gewährt werden. Diese Lesart ist aber nicht zwingend, zumal der Begriff "Weitergewährung" sprachlich an die Festsetzung der Vergütung nach § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG anknüpft und sich aus dem Wortlaut entsprechend nicht deutlich erschließt, ob die Lageverschlechterunglediglich nach der Festsetzung der Bezüge eintreten oder das Vorstandsmitglied auch bereits eine vergütungspflichtige Tätigkeit verrichtet haben bzw. schon Vergütung gewährt worden sein muss.

29(2) Die Gesetzesmaterialien sprechen dafür, dass die "Zurechenbarkeit" der Verschlechterung der Vermögenslage der Gesellschaft Bestandteil der Billigkeitsprüfung und eine Herabsetzung bei fehlender "Zurechenbarkeit" zumindest für bereits ausgeschiedene Vorstandmitglieder ausgeschlossen sein soll. Die Weiterzahlung der Bezüge ist nach der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung "unbillig im Sinne des § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG, wenn der Vorstand pflichtwidrig gehandelt habe oder ihm zwar kein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen sei, die Verschlechterung der Lage der Gesellschaft jedoch in die Zeit seiner Vorstandsverantwortung falle und ihm zurechenbar sei" (Entwurf eines Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung, BT-Drucks. 16/12278, S. 6). Dass eine Herabsetzung der Bezüge ohne Zurechnung der Gesellschaftslage ausgeschlossen wäre, folgt aus der Formulierung nicht. Diese kann auch dahin aufgefasst werden, dass lediglich für die Abwägung im Einzelfall wesentliche Aspekte hervorgehoben werden sollten, zumal die Gesetzesbegründung in dem betreffenden Absatz im Übrigen eine beispielhafte Erläuterung der Merkmale des Herabsetzungstatbestands enthält. Weitergehend weisen die Beschlussempfehlung und der Bericht des Rechtsausschusses aber darauf hin, dass eine Kürzung von Ruhegehältern nur in Betracht kommen solle, wenn die Verschlechterung der Lage der Gesellschaft dem ausgeschiedenen Vorstand im Rahmen der Billigkeitsprüfung zugerechnet werden könne (BT-Drucks. 16/13433, S. 10 f.).

30(3) Der systematische Zusammenhang des § 87 Abs. 2 AktG zu dessen ersten Absatz spricht nicht dafür, das Herabsetzungsrecht im Rahmen der Billigkeitsprüfung durch zwingende Voraussetzungen zu beschränken, sondern eher für die Berücksichtigung in einer Gesamtabwägung.

31(a) Nach § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG hat der Aufsichtsrat die Vergütung auch an der Lage der Gesellschaft zu orientieren, während § 87 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 AktG börsennotierte Aktiengesellschaften verpflichtet, variable Vergütungsbestandteile an einer mehrjährigen Bemessungsgrundlage auszurichten. Da die Vergütung bei Unternehmenskrisen bereits unabhängig von Maßnahmen nach § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG sinkt, wird zum Teil geltend gemacht, eine darüber hinausgehende Herabsetzung bedürfe einer besonderen Legitimation, um eine Doppelbestrafung des Vorstands zu vermeiden (Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 726; Klöhn, ZGR 2012, 1, 18; vgl. auch Raitzsch, NZG 2019, 495, 499).Allerdings kann dem Umstand, dass der variable Teil der Vorstandsvergütung bei Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft mangels erwirtschafteten Gewinns unter Umständen wegfällt und das Vorstandsmitglied auch schon deshalb eine Gehaltseinbuße erleidet, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, in einer Gesamtabwägung nach § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG Rechnung getragen werden (, BGHZ 207, 190 Rn. 54).

32(b) Soweit der Charakter des Herabsetzungsrechts als Sonderfall einer Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB (KK-AktG/Cahn, 4. Aufl., § 87 Rn. 119; Diller, NZG 2009, 1006; Fleischer, NZG 2009, 801, 804; Thüsing, AG 2009, 517, 523; Thüsing/Jänsch, Festschrift E. Vetter, 2019, S. 803, 815; Weller, NZG 2010, 7, 8; Wittuhn/Hamann, ZGR 2009, 847, 852; einschränkend Dauner-Lieb/Friedrich, NZG 2010, 688, 690; Martens, Festschrift Hüffer, 2010, S. 647, 651) gegen ein striktes Ausschlusskriterium angeführt wird, weil nach diesem Rechtsinstitut eine Vertragsanpassung auch bei beiderseits nicht zurechenbarem Wegfall der Geschäftsgrundlage möglich sei (Thüsing/Jänsch, Festschrift E. Vetter, 2019, S. 803, 815; Wittuhn/Hamann, ZGR 2009, 847, 862; Weller, NZG 2010, 7, 12), vermag der Senat dem allerdings nur teilweise zu folgen. Für eine Vertragsanpassung nach den Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage ist, abgesehen von der abweichenden Regelungstechnik (Wittuhn/Hamann, ZGR 2009, 847, 853; Weller, NZG 2010, 7, 8; BeckOGK AktG/Fleischer, Stand , § 87 Rn. 67), grundsätzlich insoweit kein Raum, als es um Erwartungen und um Umstände geht, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fallen sollen. Eine solche ausdrückliche vertragliche Risikoverteilung bzw. Risikoübernahme schließt für die Vertragspartei regelmäßig die Möglichkeit aus, sich bei Verwirklichung des Risikos auf eine Störung der Geschäftsgrundlage zu berufen (, BGHZ 232, 178 Rn. 49; Urteil vom - XII ZR 7/23, ZIP 2024, 1671 Rn. 25). Da nach allgemeinen Grundsätzen des Dienstvertragsrechts die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in den Risikobereich der Gesellschaft fällt, rechtfertigt sich die hiervon abweichende Risikoverteilung bei § 87 Abs. 2 AktG vor allem durch die Gesichtspunkte der eigenverantwortlichen Leitung (§ 76 Abs. 1 AktG) und der Treuebindung des Vorstands (vgl. , BGHZ 207, 190 Rn. 24 f.; KK-AktG/Cahn, 4. Aufl., § 87 Rn. 119; Witthuhn/Hamann, ZGR 2009, 847, 853; Weller, NZG 2010, 7, 8 ff.). Der Gesichtspunkt der Gesamtverantwortung des Vorstands für die Entwicklung der Gesellschaft schließt dabei einen am Erfordernis der Zurechnung orientierten Äquivalenzausgleich im Verhältnis zum einzelnen Vorstandsmitglied bei einem entsprechenden Regelungskonzept des Gesetzgebers nicht aus (aA Witthuhn/Hamann, ZGR 2009, 847, 862; Weller, NZG 2010, 7, 12). Richtig ist aber, dass auch das Rechtsinstitut der Störung der Geschäftsgrundlage ungeachtet der gesetzlichen oder vertraglichen Risikoverteilung nach § 313 Abs. 1 BGB Raum für die Beurteilung des Einzelfalls lässt und keine zwingende Anwendungsschranken enthält.

33(c) Es erscheint zudem zweifelhaft, ob eine zwingende Anwendungsschranke ihrer Funktion sinnvoll gerecht werden, insbesondere ob das Merkmal der Zurechnung rechtssicher und sachgerecht ausgeformt werden könnte (vgl. Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 87 Rn. 408a; Klöhn, ZGR 2012, 1, 21; Koch, AktG, 18. Aufl., § 87 Rn. 53).

34Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum hat sich ein klares und als Abgrenzungsmerkmal taugliches Verständnis vom Merkmal der Zurechnung bislang nicht herausgebildet (vgl. Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 87 Rn. 408). Während teilweise jedenfalls mehr als ein zeitlicher Zusammenhang gefordert (Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 5. Aufl. § 87 Rn. 40) bzw. das Herabsetzungsrecht unter Zurechnungsaspekten bei externer Krisenverursachung verneint wird (Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 726), verlangen andere eine individuelle Zurechenbarkeit (Hoffmann-Becking/Krieger, NZG 2009, Beil. zu Heft 26, 5 Rn. 35) oder unter dem Gesichtspunkt der Verhaltenssteuerung die Realisierung einer vom Vorstand geschaffenen Gefahr (Klöhn, ZGR 2012, 1, 21, 24). Wieder andere lassen einen kausalen Beitrag genügen (Raitzsch, NZG 2019, 495, 499; Spindler, DB 2015, 908, 909; Weppner, NZG 2010, 1056, 1057), wohingegen teilweise wegen des Prinzips der Gesamtverantwortung auf eine individuelle Zurechenbarkeit gänzlich verzichtet wird (Weber in Hölter/Weber, AktG, 4. Aufl., § 87 Rn. 49 ff.; Weber, DB 2016, 815, 816; Redenius-Hövermann/Siemens, ZIP 2020, 1585, 1586) bzw. die Anforderungen als niedrig eingestuft werden (Haarmeyer/Mock, Vergütung in Krise, Sanierung und Insolvenz, 7. Aufl., §§ 87, 87a AktG Rn. 7).

35Ein auf die individuelle Zurechnung der Vermögensverschlechterung abstellendes Verständnis liefe Gefahr, das Herabsetzungsrecht als Sanktionsinstrument im Vorfeld der Vorstandshaftung zu etablieren, das auf diese Weise seinen Charakter als Sonderregelung einer Störung der Geschäftsgrundlage einbüßen würde (vgl. OLG Karlsruhe, NZG 2022, 750 Rn. 93; Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 726; Dauner-Lieb, Der Konzern 2009, 583, 591; Diller, NZG 2009, 1006, 1007; Koch, WM 2010, 49, 55; Redenius-Hövermann/Siemens, ZIP 2020, 1585, 1586; BeckOGK AktG/Fleischer, Stand , § 87 Rn. 73; Koch, AktG, 18. Aufl., § 87 Rn. 53; Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 87 Rn. 408a; Thüsing/Jänsch, Festschrift E. Vetter, 2019, S. 803, 815). Ein solches Verständnis widerspräche auch dem in der Änderung des § 87 Abs. 2 AktG durch das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung zum Ausdruck kommenden Ziel, die Voraussetzungen des Herabsetzungsrechts schärfer zu fassen (Entwurf eines Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung, BT-Drucks. 16/12278, S. 6; Koch, AktG, 18. Aufl., § 87 Rn. 53). Demgegenüber würde ein Verständnis von der Zurechenbarkeit der Vermögensverschlechterung, das allein einen zeitlichen Zusammenhang mit der Tätigkeit als Vorstandsmitglied genügen lässt, außerhalb einer Gesamtabwägung konturlos bleiben und aus diesem Grund seine Funktion als eingrenzendes Merkmal weitgehend verlieren.

36(4) Die Berücksichtigung der "Zurechenbarkeit" der Lageverschlechterung als wesentliches Kriterium in einer Gesamtabwägung entspricht auch dem Sinn und Zweck der Norm. Das Herabsetzungsrecht nach § 87 Abs. 2 AktG unter Abweichung von dem Grundsatz "pacta sunt servanda" eröffnet im Rahmen der Treuepflicht des Vorstands die Möglichkeit, diesen am Schicksal der Gesellschaft teilhaben zu lassen (vgl. , BGHZ 207, 190 Rn. 24; OLG Düsseldorf, ZIP 2004, 1850, 1854; MünchKommAktG/Spindler, 5. Aufl., § 87 Rn. 163; Weller, NZG 2010, 7, 10 f.). Die eigenverantwortliche Leitung der Gesellschaft durch den Vorstand ist in diesem Zusammenhang zwar ein maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Rechtfertigung einer Herabsetzung und kommt in dem Merkmal der Zurechenbarkeit der Lageverschlechterung zum Ausdruck (vgl. , BGHZ 207, 190 Rn. 25). Auch unter Berücksichtigung des Gebots einer restriktiven Auslegung von Art. 87 Abs. 2 AktG im Lichte der Art. 2 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG, die das Vertrauen des Vorstandsmitglieds berücksichtigt, die vertraglich vereinbarte Vergütung bis zum Ablauf seines Anstellungsvertrags in voller Höhe zu erhalten (, BGHZ 207, 190 Rn. 24), erscheint es aber vorzugswürdig, den insoweit gebotenen Grundrechtsschutz unter Berücksichtigung gegenläufiger Interessen im Rahmen der Gesamtabwägung des offenen Tatbestandsmerkmals der "Unbilligkeit" zu berücksichtigen.

37c) Die vom Berufungsgericht danach im Ausgangspunkt zutreffend vorgenommene Gesamtabwägung zu der Frage, ob die Weitergewährung der Vorstandbezüge unbillig für die Gesellschaft gewesen wäre, hält einer rechtlichen Prüfung allerdings nicht stand.

38aa) Die Würdigung des Berufungsgerichts legt nicht den richtigen Prüfungsansatz zu Grunde, denn sie stellt entscheidend darauf ab, ob die vorgenommene Herabsetzung der Vorstandsvergütung unbillig ist. Für die Abwägung kommt es aber maßgeblich darauf an, ob die Beibehaltung der ursprünglichen Vorstandsvergütung unter dem Gesichtspunkt des Unternehmensinteresses für die Gesellschaft unbillig ist (, BGHZ 207, 190 Rn. 46 f.).

39bb) Es kann unter Berücksichtigung der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung auch nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass das Berufungsgericht der Sache nach von einem zutreffenden Maßstab ausgegangen ist. Mit dem weiteren Nutzen der Tätigkeit des Klägers für die Gesellschaft ist zwar ein für die Würdigung wesentlicher Gesichtspunkt angesprochen. Letztlich betrachtet das Berufungsgerichts aber nicht die Folgen der Weitergewährung der zugesagten Vergütung für die Gesellschaft, sondern es würdigt lediglich, ob die herabgesetzte Vergütung in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen des Klägers sowie zur Lage der insolventen Schuldnerin steht.

405. Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen teilweise als abweisungsreif (§ 561 ZPO).

41a) Das Berufungsgericht hat dahinstehen lassen, ob die vom Kläger geltend gemachte Mindesttantieme nach § 2 Abs. 3c des Dienstvertrags auch ohne die Fertigstellung des Jahresabschlusses der Schuldnerin als fällig angesehen werden kann. Für das Revisionsverfahren ist daher zu Gunsten des Klägers von der Fälligkeit auszugehen.

42b) Es kann auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen auch nicht angenommen werden, dass der Anspruch auf Zahlung der zugesagten Mindesttantieme nach § 2 Abs. 7 des Dienstvertrags ganz oder teilweise entfallen ist. Nach dieser Bestimmung hat der Aufsichtsrat die Möglichkeit, die variable Vergütung auf Beträge unterhalb der vorhergesehenen Maximalbeträge zu beschränken oder gänzlich entfallen zu lassen, wenn außergewöhnliche Entwicklungen gemäß § 87 Abs. 1 Satz 3 AktG eintreten. Das Berufungsgericht hat aus der Vertragsbestimmung lediglich abgeleitet, dass die zugesagte Mindesttantieme in gleicher Weise der Herabsetzungsbefugnis nach § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG unterliegt, wie die vereinbarten Festbezüge. Die Möglichkeit der Begrenzung der Vorstandsbezüge für den Fall außerordentlicher Entwicklungen im Sinne des § 87 Abs. 1 Satz 3 AktG bezieht sich nach der gesetzlichen Regelung auf variable Vergütungsbestandteile und soll gewährleisten, dass das Vorstandsmitglied von einer außerordentlichen Entwicklung der maßgeblichen Parameter nicht ohne Begrenzungsmöglichkeit profitiert (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum Entwurf eines Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung, BT-Drucks. 16/13433, S. 10). Dass die Vertragsparteien dem Begriff der außerordentlichen Entwicklung in Bezug auf die hier zugesagte Mindesttantieme eine hiervon abweichende Bedeutung beigemessen haben, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.

43III. Das Urteil des Berufungsgerichts ist gemäß § 563 Abs. 1 ZPO aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil die Sache nach den Feststellungen des Berufungsgerichts noch nicht zur Entscheidung reif ist. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass in dem hier vorliegenden Fall, in dem das Vorstandsmitglied zu der Zeit, in der sich die Lage der Gesellschaft verschlechtert hat, noch nicht Mitglied des Vorstands der Aktiengesellschaft war, die Annahme der Unbilligkeit für die Gesellschaft, über deren Verfahren das Insolvenzverfahren eröffnet ist, unter Berücksichtigung des Gebots der restriktiven Auslegung von § 87 Abs. 2 AktG (, BGHZ 207, 190 Rn. 24) in der Regel ausgeschlossen ist.

441. Das Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters nach § 113 InsO schließt wie schon dargelegt eine Herabsetzung der Bezüge, die während der dreimonatigen Kündigungsfrist des § 113 Satz 2 InsO als Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO) anfallen, nicht aus (, BGHZ 207, 190 Rn. 24). Die nach dem Abschluss des Anstellungsvertrags eingetretene Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin wirkt im Hinblick auf den Entzug der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach § 80 Abs. 1 InsO maßgeblich auf den Aufgabenbereich des Vorstandsmitglieds mit der Folge ein, dass die zugesagte Vergütung nicht mehr in einem adäquaten Verhältnis zu den verbleibenden Aufgaben und der in diesem Zusammenhang wahrzunehmenden Verantwortung des Vorstandsmitglieds stehen kann und unter diesem Gesichtspunkt die Annahme einer Unbilligkeit für die Gesellschaft unter Berücksichtigung aller weiterer für die Abwägung relevanter Gesichtspunkte in Betracht kommt (Noack in Kübler/Prütting, Gesellschaftsrecht, 1999, Rn. 366; Hauptmann/Müller-Dott, BB 2003, 2521, 2523).

452. Zu beachten ist allerdings, dass § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG der Durchsetzung des Unternehmensinteresses dient. Dieses schließt insbesondere nach der durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bedingten Auflösung der Gesellschaft (§ 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG) zwar auch die Interessen der Gesellschaftsgläubiger ein (Spindler, DB 2015, 908). Die maßgeblichen Wertungen zum Schutz der Gläubigerinteressen im eröffneten Insolvenzverfahren enthalten aber die Regelungen des Insolvenzrechts, hier § 113 InsO und § 87 Abs. 3 AktG (vgl. Kort, AG 2016, 209, 213). Das Interesse der Gläubiger, dass nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO begründete Masseverbindlichkeiten nur in der Höhe entstehen, in der der Masse eine adäquate Gegenleistung zu Gute kommt, rechtfertigt daher für sich genommen die Herabsetzung der Vorstandsvergütung jedenfalls dann nicht, wenn eine Indienstnahme des Vorstandsmitglieds für die Lageverschlechterung der Gesellschaft weder unter dem Gesichtspunkt seiner Leitungsverantwortung noch unter dem Gesichtspunkt der organschaftlichen Treuepflicht in Betracht kommt.

46Hiervon ist auszugehen, wenn die Verschlechterung der Lage der Gesellschaft, wie im Streitfall, zwar nach dem Abschluss des Dienstvertrags, aber vor der Organbestellung und dem Beginn des Dienstverhältnisses eintritt. Der Geltungsgrund der Treuepflichtbindung des Vorstands ist in erster Linie seineorganschaftliche Stellung in der Gesellschaft (, BGHZ 15, 71, 78; Urteil vom - II ZR 57/55, BGHZ 20, 239, 246; Koch, AktG, 18. Aufl., § 84 Rn. 10; Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 21; Fleischer, WM 2003, 1045, 1046). Die Organstellung wird erst durch Bestellung des Vorstandsmitglieds gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 AktG begründet. Insbesondere bei Abschluss des Anstellungsvertrags vor der Entstehung der Organstellung ist das Vorstandsmitglied grundsätzlich nicht gehalten, seine eigenen wirtschaftlichen Interessen hinter diejenigen der Gesellschaft zu stellen (Hopt, ZGR 1993, 534, 541; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 243; Fleischer, WM 2003, 1045, 1047). Entsprechend kann die Gewährung der einem Vorstandsmitglied in Kenntnis der wirtschaftlichen Krise zugesagten Bezüge unter dem Gesichtspunkt einer vor dem Wirksamwerden der Bestellung und dem Dienstantritt eingetretenen Lageverschlechterung regelmäßig nicht als unbillig für die Gesellschaft angesehen werden (vgl. Wilsing/Kleißl, BB 2008, 2422, 2423 zu § 87 Abs. 2 aF; Göcke/Greubel, ZIP 2009, 2086, 2089).

Born                         B. Grüneberg                         Sander

               von Selle                                 Adams

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:221024UIIZR97.23.0

Fundstelle(n):
IAAAJ-82095