Leitsatz
Die Bindung an eine Stimmabgabe vor Abschluss des Abstimmungsverfahrens in einer Personengesellschaft richtet sich zunächst nach den im Gesellschaftsvertrag oder für den konkreten Abstimmungsvorgang getroffenen Vereinbarungen der Gesellschafter sowie einem eventuell (ausdrücklich oder schlüssig) geäußerten Bindungswillen. Ergibt sich daraus keine Einschränkung der Bindung, kann ein Gesellschafter seine Stimmabgabe nach deren Wirksamwerden durch Zugang bis zum Abschluss des Abstimmungsverfahrens grundsätzlich nicht mehr frei widerrufen.
Gesetze: § 109 HGB, § 130 BGB, § 145 BGB
Instanzenzug: Az: 7 U 6538/20 Urteilvorgehend LG München I Az: 3 HKO 122/20
Tatbestand
1Die Klägerin ist als Treugeberin mittelbar an der Beklagten, einem geschlossenen Immobilienfonds in der Rechtsform einer Publikumskommanditgesellschaft mit mehr als 12.000 Anlegern, beteiligt. Komplementärin der Beklagten ist die H. GmbH, geschäftsführende Kommanditistin die W. GmbH. (Mit-) Geschäftsführer der Komplementärin und der geschäftsführenden Kommanditistin war der Zeuge S. .
2Der Gesellschaftsvertrag der Beklagten (im Folgenden: GV) enthielt zur schriftlichen Beschlussfassung folgende Regelung:
"§ 17 Beschlussfassung
(1) …2Die Beschlüsse können in Gesellschafterversammlungen oder im Wege der schriftlichen Abstimmung gefasst werden.
...
(8) … 4Die Stimmabgabe der Gesellschafter muss innerhalb der festgelegten Abstimmungsfrist von mindestens vier Wochen nach Absendung der Abstimmungsaufforderung bei der Gesellschaft eingehen (…). 5Die Auszählung der Stimmen erfolgt durch die Gesellschaft; Treuhandkommanditist und Beirat haben das Recht, die Auszählung zu überprüfen. 6Sofern nichts anderes bestimmt ist, wird ein im schriftlichen Verfahren gefasster Beschluss am Beginn des ersten Tages wirksam, der auf den Ablauf der Abstimmungsfrist folgt."
3Die Beklagte war nach Veräußerung von zwei Immobilien noch zu 94 % an der H. GmbH & Co. KG beteiligt, die ihrerseits Eigentümerin eines Büro- und Einkaufszentrums inP. war. Mit Schreiben vom informierte die W. Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH (im Folgenden: KV-GmbH) die Anleger darüber, dass nunmehr vorbehaltlich der Zustimmung der Anleger auch ein Kaufvertrag über die letzte Fondsimmobilie in P. habe abgeschlossen werden können und die Anleger dazu zur Abstimmung im schriftlichen Umlaufverfahren eingeladen würden. Zur Ausübung des Stimmrechts müsse der dem Scheiben beigefügte Stimmzettel bis spätestens unterschrieben zurückgesandt werden. In der dem Schreiben beigefügten Detailinformation wurde eine Rückzahlung von 32,74 % des Anlagebetrags bei Verkauf der Immobilie in Aussicht gestellt. TOP 9 der beigefügten Tagesordnung für die Beschlussfassung lautete:
"Zustimmung zum Verkauf der von der Objektgesellschaft H. GmbH & Co KG gehaltenen Immobilie "B. P. ". Nach § 16 n) i.V.m. § 16 a) und § 13 c) des Gesellschaftsvertrages ist die Gesellschafterversammlung für den Beschluss zum Verkauf des Büro- und Einkaufszentrum [sic]"B. P. " im Rahmen der Ausübung der Stimmrechte an der Objektgesellschaft zuständig. Die Fondsgeschäftsführung schlägt den Verkauf der Fondsimmobilie in …P. an die … zu einem Gesamtpreis in Höhe von 168.700.000 EUR vor. Der Kaufvertrag wurde am unter Vorbehalt der Anlegerzustimmung beurkundet. Bitte beachten Sie, dass dieser Tagesordnungspunkt gemäß § 17 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrages einer Mehrheit von 75 % der abgegebenen Stimmen sowie der Zustimmung eines der geschäftsführenden Gesellschafter bedarf."
4Auf dem anliegenden Stimmzettel wurde um dessen Rücksendung an die dort im Kopf angegebene Anschrift oder Fax-Nummer der KV-GmbH gebeten, die nach Behauptung der Beklagten mit der Durchführung der Abstimmung beauftragt war. Versammlungsleiter der vom 14. November bis stattfindenden Abstimmung war der Zeuge S. .
5Mit Schreiben vom unterbreitete die Klägerin den Anlegern der Beklagten das Angebot, ihre Anteile für 34 % des Nominalwerts anzukaufen und sie von der Nachhaftung freizustellen. Das Angebot war befristet bis zum und stand unter der Bedingung, dass der Anleger bei TOP 9 gegen die Veräußerung der Fondsimmobilie der Objektgesellschaft stimmte.
6Die Treugeberin W. , die über 25 Stimmen verfügte und hinsichtlich TOP 9 am mit an diesem Tag bei der KV-GmbH eingegangenem Stimmzettel zunächst mit "Ja" gestimmt hatte, übersandte daraufhin einen am bei der KV-GmbH eingegangenen weiteren Stimmzettel mit "Nein" zu TOP 9 und den Vermerken "Korrektur vom " sowie "Ich stimme gegen den Verkauf". Außerdem widerriefen weitere Treugeber, die insgesamt über drei Stimmen verfügten, ihre zunächst erteilte Zustimmung und stimmten nunmehr mit "Nein" zu TOP 9.
7Laut Protokoll der Beschlussfassung vom wurden insgesamt 191.956 Stimmen abgegeben. Davon stimmten 143.978 mit "Ja", was 75,01 % der abgegebenen Stimmen entspricht, und 47.978 mit "Nein", was 24,99 % der abgegebenen Stimmen entspricht. Zudem gab es 3.923 Enthaltungen. Abschließend wurde in einem von der Komplementärin, der geschäftsführenden Kommanditistin, der Treuhandkommanditistin sowie dem Zeugen S. unterzeichneten Protokoll festgestellt, dass allen zur Abstimmung gestellten Beschlussgegenständen mit der erforderlichen Mehrheit zugestimmt worden sei.
8Die Klägerin hat gegen den zu TOP 9 gefassten Beschluss Nichtigkeitsfeststellungsklage erhoben, die das Landgericht abgewiesen hat. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Gründe
9Die Revision hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
10I. Das Berufungsgericht (OLG München, NZG 2023, 1407) hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
11Der Beschluss zu TOP 9 sei mit der dafür nach dem Gesellschaftsvertrag notwendigen 3/4 -Mehrheit unter Einbeziehung der von der Treugeberin W. abgegebenen "Ja"-Stimmen gefasst worden. Die Stimmabgabe in einer Abstimmung sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Willenserklärung im Sinne von § 130 Abs. 1 BGB, die hier nach § 17 Abs. 8 Satz 4 und Satz 5 GV mit Zugang bei der Gesellschaft wirksam geworden sei. Abzustellen sei insoweit auf den Zugang bei dem Versammlungsleiter, der die Gesellschaft in der Gesellschafterversammlung vertrete. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass die ursprüngliche Stimmerklärung der Treugeberin W. dem Versammlungsleiter S. bereits am und ihre Widerrufserklärung erst am zugegangen sei. Dieser nachträgliche Widerruf sei unbeachtlich.
12Da die Stimmenthaltungen nach dem Gesellschaftsvertrag hier nicht zu berücksichtigen gewesen seien, seien mit den 25 Stimmen der Treugeberin W. zumindest 143.975 Stimmen (= 75,004 %) auf "Ja" und höchstens 47.981 Stimmen (= 24,996 %) auf "Nein" entfallen, so dass es auf die drei Stimmen der weiteren widerrufenden Treugeber nicht mehr ankomme.
13II. Das Berufungsurteil hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.
141. Die Klägerin wendet sich ohne Erfolg gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, dass die "Ja"-Stimme der Treugeberin W. bereits am15. November 2019 durch Zugang an den Versammlungsleiter S. gemäß § 130 Abs. 1 BGB wirksam geworden ist.
15a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Stimmabgabe eines Gesellschafters im Rahmen der Beschlussfassung einer Personengesellschaft eine empfangsbedürftige Willenserklärung ist, die als solche grundsätzlich den allgemeinen Regeln über Rechtsgeschäfte und damit § 130 Abs. 1 BGB unterliegt (allgemeine Meinung, vgl. , BGHZ 14, 264, 267; Beschluss vom - II ZR 105/66, BGHZ 48, 163, 173; Beschluss vom - II ZB 6/74, BGHZ 65, 93, 97; Beschluss vom - II ZB 6/22, BGHZ 236, 54 Rn. 19 mwN; Oetker/Lieder, HGB, 8. Aufl., § 109 Rn. 22; Oswald in Henssler/Strohn, GesR, 6. Aufl., § 109 Rn. 55; Hopt/Roth, HGB, 43. Aufl., § 109 Rn. 28; Staub/Schäfer, HGB, 6. Aufl., § 109 Rn. 20, 33; Westermann in Westermann/Wertenbruch, HdB Personengesellschaften, Stand 10/2018, § 24 Rn. 483 f.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., § 15 S. 437; Baltzer, Der Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion im Privatrecht, 1965, S. 147 f.; Ulmer, Festschrift Niederländer, 1991, S. 415, 418 f.; ferner , BGHZ 152, 63, 67; Urteil vom - V ZR 254/11, WM 2013, 666 Rn. 5; aA Feltl, Festschrift Aicher, 2012, S. 79, 97 ff., 103: nicht empfangsbedürftige Willenserklärung). Danach wird die Stimmerklärung im Zeitpunkt ihres Zugangs beim Adressaten wirksam, sofern diesem nicht zuvor oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht.
16b) Nicht zu beanstanden ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, dass hier nach § 17 Abs. 8 Satz 4 und 5 GV die Gesellschaft als maßgebliche Adressatin für den Zugang der Stimmerklärung im Sinn von § 130 Abs. 1 BGB anzusehen ist. Gleiches gilt für die Feststellung des Berufungsgerichts, dass es konkret auf den Zugang der Stimmabgabe bei dem Versammlungsleiter S. ankam, der die Gesellschaft bei der Abstimmungsdurchführung gemäß § 18 Abs. 1 GV vertrat. Die Frage, wer ohne vertragliche Regelung bei der Beschlussfassung einer Personengesellschaft im Umlaufverfahren als maßgeblicher Adressat im Sinn von § 130 Abs. 1 BGB anzusehen ist (vgl. dazu etwa Staub/Schäfer, HGB, 6. Aufl., § 109 Rn. 33; Freitag in Ebenroth/Boujong, HGB, 5. Aufl., § 109 Rn. 33 f.; BeckOK HGB/Klimke, Stand , § 109 Rn. 9;jeweils mwN), bedarf damit keiner Entscheidung.
17c) Jedenfalls im Ergebnis zutreffend ist auch die weitere Feststellung des Berufungsgerichts, dass die "Ja"-Stimme der Treugeberin W. dem Versammlungsleiter S. bereits am zugegangen und damit mangels rechtzeitigen Widerrufs wirksam geworden ist.
18aa) Eine unter Abwesenden abgegebene Willenserklärung ist nach ständiger Rechtsprechung gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zugegangen, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen (vgl. , BGHZ 67, 271, 275; Urteil vom - VIII ZR 5/79, NJW 1980, 990; Urteil vom - XII ZR 214/00, NJW 2004, 1320; Beschluss vom - II ZB 15/10, ZIP 2011, 1562 Rn. 15; Urteil vom - IV ZR 206/13, NJW 2014, 1010 Rn. 8; Urteil vom - IX ZR 181/17, ZIP 2019, 713 Rn. 11; Urteil vom - XI ZR 280/17, BGHZ 221, 282 Rn. 21; Urteil vom - VII ZR 895/21, BGHZ 234, 316 Rn. 16, 19).
19bb) Nach dem festgestellten Ablauf der Stimmerfassung bei der KV-GmbH ist von einem Zugang der Stimmerklärung der Treugeberin W. bei dem Zeugen S. mit Eingang ihres Stimmzettels bei der KV-GmbH am auszugehen.
20(1) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wurden die postalisch oder per Telefax an die KV-GmbH übersandten Stimmerklärungen bei der KV-GmbH taggenau in einer elektronischen Abstimmungsliste (Excel-Datei) eingepflegt, auf die der Zeuge S. unbeschränkten Lesezugriff hatte, und die Stimmzettel in Papier in einem Ordner abgeheftet, in den der Zeuge jederzeit Einsicht nehmen konnte. Diese tatgerichtlichen Feststellungen des Berufungsgerichts lassen keinen Rechtsfehler erkennen und werden von der Revision auch nicht angegriffen.
21(2) Mit dieser Erfassung waren die Stimmerklärungen so in den(Macht-)Bereich des Zeugen S. gelangt, dass er unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit einer Kenntnisnahme hatte. Dass er diese Zugriffs-/Einsichtsmöglichkeit nach den Feststellungen des Berufungsgerichts tatsächlich zu keinem Zeitpunkt genutzt hat, sondern sich immer nur mündlich durch den Zeugen L. über den Stand der Abstimmung hat informieren lassen, ist insoweit, anders als vom Berufungsgericht angenommen, unbeachtlich, da es nach den oben dargelegten Grundsätzen nicht auf seine tatsächliche Kenntnisnahme, sondern (nur) auf die tatsächliche Möglichkeit seiner Kenntnisnahme ankommt (vgl. , BGHZ 234, 316 Rn. 19; siehe auch Anmerkung Beckmann/Hoffmannbeck, EWiR 2024, 77, 78 unter 3.2 zur Entscheidung des Berufungsgerichts).
22(3) Dagegen macht die Klägerin ohne Erfolg geltend, mit der Erfassung in der Excel-Datei und dem Papierordner seien die Stimmerklärungen noch nicht in einen eigenen, hinreichend individualisierten (Macht-) Bereich des Zeugen S. im Sinn von § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB gelangt, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine Vielzahl von Personen ein Zugriffsrecht auf die Excel-Datei gehabt habe und auch auf den Papierordner ein nicht näher eingrenzbarer Personenkreis faktisch habe zugreifen können.
23Der dem Empfänger zuzuordnende Machtbereich im Sinn von § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB setzt, wie die Klägerin selbst einräumt, nicht unbedingt die exklusive Kontrolle/Zugriffsmöglichkeit des Empfängers voraus; vielmehr kann auch die Bestimmung der Empfangseinrichtung zur Mitbenutzung durch den Empfänger ausreichen (vgl. BeckOGK BGB/Gomille, Stand , § 130 Rn. 52). Eine solche bestimmungsgemäße Mitbenutzung durch den Zeugen S. ist hier gegeben, da ihm die Zugriffs-/Einsichtsmöglichkeit nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in seiner Eigenschaft als Versammlungsleiter eröffnet worden ist. Entgegen der Ansicht der Klägerin handelt es sich damit gerade nicht um eine ihm lediglich faktisch vermittelte Zugriffsmöglichkeit, sondern um eine ihm konkret zum Zweck des Empfangs der Stimmabgaben eingeräumte Möglichkeit der Kenntnisnahme.
24(4) Danach war auch die von der Klägerin beantragte nochmalige Vernehmung des Zeugen S. entgegen der Ansicht der Revision nicht geboten. Das von ihr unter Beweis gestellte Vorbringen bezog sich darauf, dass der Zeuge S. seine Aufgaben als Versammlungsleiter nicht ansatzweise wahrgenommen habe, seine einzige aktive Handlung die Unterschrift des Protokolls der Abstimmung gewesen und angesichts seiner "Untätigkeiten" belegt sei, dass ihm die Stimmzettel tatsächlich niemals, jedenfalls aber nicht vor dem und damit nicht vor den zwischenzeitlich eingegangenen Widerrufen zugegangen seien. Der damit unter Beweis gestellte Zeitpunkt der (frühesten) tatsächlichen Kenntnisnahme des Zeugen S. von den eingegangenen Stimmerklärungen ist, wie oben ausgeführt, für die Frage ihres Zugangs im Sinn von § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB ohne Belang.
25dd) Da die "Nein"-Stimme der Treugeberin W. vom dem Zeugen S. demnach erst mehrere Tage nach ihrer "Ja"-Stimme zugegangen ist, ist diese mangels rechtzeitigen Widerrufs im Sinne des § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB mit ihrem Zugang am wirksam geworden.
262. Ebenfalls im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht weiter angenommen, dass die Treugeberin W. an ihre wirksame Stimmabgabe vom gebunden war und diese nicht mehr widerrufen konnte.
27Die Bindung an eine Stimmabgabe vor Abschluss des Abstimmungsverfahrens in einer Personengesellschaft richtet sich zunächst nach den im Gesellschaftsvertrag oder für den konkreten Abstimmungsvorgang getroffenen Vereinbarungen der Gesellschafter (vgl. Wiedemann, GesR II § 4 S. 309; Feltl, Festschrift Aicher 2012, S. 79, 102) sowie einem eventuell (ausdrücklich oder schlüssig) geäußerten Bindungswillen. Ergibt sich daraus keine Einschränkung der Bindungswirkung, kann ein Gesellschafter seine Stimmabgabe nach deren Wirksamwerden durch Zugang bis zum Abschluss des Abstimmungsverfahrens grundsätzlich nicht mehr frei widerrufen.
28a) Der Gesellschaftsvertrag der Beklagten enthält keine Regelung über die Bindung an eine Stimmabgabe bei Beschlussfassung im schriftlichen Abstimmungsverfahren. Anders als die Beklagte meint, ist § 17 Abs. 8 Satz 6 GV bei gebotener objektiver Auslegung, die der Senat selbst vornehmen kann (vgl. , ZIP 2012, 2291 Rn. 18; Urteil vom - II ZR 73/11, ZIP 2013, 1222 Rn. 13 f.; Urteil vom - II ZR 348/14, ZIP 2016, 518 Rn. 12 f. mwN), kein (stillschweigender) Ausschluss des Widerrufs einer abgegebenen Stimme vor Ablauf der Abstimmungsfrist zu entnehmen.
29Nach § 17 Abs. 8 Satz 6 GV wird ein im schriftlichen Verfahren gefasster Beschluss grundsätzlich am Beginn des ersten Tages wirksam, der auf den Ablauf der Abstimmungsfrist folgt. Die Bindung an eine einmal abgegebene Stimme oder die Möglichkeit ihrer Abänderung wird damit nicht angesprochen. Auch aus dem Zusammenhang mit den übrigen Regelungen in § 17 Abs. 8 GV ergibt sich kein Anhalt dafür, dass damit implizit auch die Bindung an eine einmal abgegebene Stimme vereinbart sein sollte. Dies lässt sich entgegen der Ansicht der Beklagten nicht damit begründen, dass bei freier Widerruflichkeit der Stimmabgabe bis zum Ablauf der Abstimmungsfrist das in § 17 Abs. 8 Satz 6 GV bestimmte Inkrafttreten des Beschlusses am Tag nach Fristablauf bei über 12.000 Stimmberechtigten "schlicht nicht umsetzbar" wäre und damit das der Vereinbarungeiner Abstimmungsfrist daher zugrundeliegende Ziel unterlaufen würde, die praktische Durchführung der vorgesehenen Beschlussfassung durch Streckung des Auszählungsvorgangs zu ermöglichen. Die Vereinbarung einer Abstimmungsfrist in § 17 Abs. 8 Satz 4 GV dient aus Sicht eines verständigen Publikumspersonengesellschafters nicht dem Ziel, das in § 17 Abs. 8 Satz 6 GV geregelte Inkrafttreten des Beschlusses am Tag nach Fristablauf durch zeitliche Streckung des Auszählungsvorgangs zu ermöglichen, sondern soll die gebotene Informations- und Überlegungsfrist für die Anleger sicherstellen. Die nach Ansicht der Klägerin intendierte Streckung des Auszählungsvorgangs wird mit der Vereinbarung einer Abstimmungsfrist auch nicht erreicht, weil es jedem Anleger unbenommen ist, seine Stimme erst am letzten Tag vor Fristablauf abzugeben.
30b) Ohne Erfolg macht die Beklagte weiter geltend, aufgrund der besonderen Umstände, insbesondere der Regelung in § 17 Abs. 8 Satz 6 GV, sei der Stimmerklärung der Treugeberin W. vom bei gebotener Auslegung jedenfalls ein (zumindest konkludent erklärter) Bindungswille unter Ausschluss eines Widerrufs bis zum Ablauf der Abstimmungsfrist zu entnehmen.
31Das von der Beklagten insoweit herangezogene Urteil des Senats vom (II ZR 42/89, ZIP 1990, 505, 508) ist auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Nach dieser Entscheidung sind bei einem Gesellschafterbeschluss, bei dem zunächst nur ein Teil der Gesellschafter zustimmt und die übrigen sich später - außerhalb der Gesellschafterversammlung - erklären können, die Zustimmenden jedenfalls dann bis zur letzten Stimmabgabe an ihre Zustimmung gebunden, wenn ein solcher Bindungswille ausdrücklich oder stillschweigend erklärt worden ist. Letzteres hat der Senat im dortigen Fall einer Gesellschaft mit verhältnismäßig großer Gesellschafterzahl und einem Beschluss betreffend die Zustimmung zu einem bis in die Einzelheiten vorbereiteten komplizierten Verschmelzungsvertrag bejaht, wobei das Ergebnis der Präsenzbeschlussfassung nicht nur im Protokoll festgehalten wurde, sondern die Gesellschafter, die die Verträge billigten, ihre Unterschriften darunter setzten und im Protokoll die Erwartung geäußert wurde, dass eine weitere namentlich benannte Gesellschafterin in Kürze zustimmen werde. Vor diesem Hintergrund hat der Senat einen Bindungswillen noch bis zur letzten Zustimmung 2 1/2 Jahre nach der "Präsenzbeschlussfassung" bejaht.
32Damit ist das hier vorliegende standardisierte Abstimmungsverfahren in einer Publikumsgesellschaft mit einheitlicher Abstimmungsfrist für über 12.000 Anleger betreffend die Beschlussfassung über das Stimmverhalten der KG in einer Objektgesellschaft nicht vergleichbar. Besondere Ansatzpunkte für ein Verhalten der Treugeberin W. , das den Schluss auf ihren Bindungswillen unter Ausschluss einer Widerrufsmöglichkeit zulassen könnte, liegen nicht vor und werden von der Beklagten nicht geltend gemacht, die allein auf die vertragliche Regelung in § 17 Abs. 8 Satz 6 GV verweist. Die bloße Tatsache der Stimmabgabe auf der Grundlage dieser gesellschaftsvertraglichen Regelung lässt aber, zumal in Anbetracht ihres oben dargelegten Regelungsinhalts und -zwecks, ebenso wenig wie die von der Beklagten angeführten Schwierigkeiten bei der Umsetzung von § 17 Abs. 8 Satz 6 GV bei freier Widerruflichkeit der abgegebenen Stimmen einen Anhalt für die Annahme eines besonderen Bindungswillens erkennen.
33c) Obwohl eine gesellschaftsvertragliche Bindung fehlt und auch sonst keine Einschränkung des Bindungswillens der Treugeberin W. festgestellt werden konnte, war sie jedoch an einem freien Widerruf ihrer Stimmerklärung nach Zugang beim Versammlungsleiter gehindert.
34aa) Die Bindung eines Gesellschafters an seine Stimmabgabe bei der Beschlussfassung in einer Personengesellschaft nach deren Zugang bis zum Abschluss des Abstimmungsverfahrens ist umstritten und höchstrichterlich noch nicht abschließend entschieden.
35(1) Nach der oben genannten Entscheidung des Senats (Urteil vom - II ZR 42/89, ZIP 1990, 505, 508) sind die Gesellschafter, die einem Gesellschafterbeschluss bereits zugestimmt haben, jedenfalls dann bis zur letzten Stimmabgabe der übrigen Gesellschafter an ihre Zustimmung gebunden, wenn sie einen solchen Bindungswillen ausdrücklich oder stillschweigend erklärt haben. Ob andernfalls allgemein der Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGZ 128, 172, 177; einschränkend RGZ 163, 385, 392 f.) folgend anzunehmen ist, dass ein Gesellschafter an seine Stimmabgabe bis zum Zustandekommen des Beschlusses nicht gebunden und jederzeit zum freien Widerruf berechtigt ist, hat der Senat ausdrücklich dahingestellt sein lassen.
36Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in der vom Berufungsgericht herangezogenen Entscheidung vom (V ZR 254/11, WM 2013, 666 Rn. 6 ff.) für einen in einer Präsenzversammlung mit Stimmzetteln gefassten Beschluss einer Wohnungseigentümergemeinschaft unter Verweis auf § 145 Abs. 1 BGB entschieden, dass die mit ihrem Zugang beim Versammlungsleiter entsprechend § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam gewordene Stimmabgabe den Erklärenden binde, weshalb ein Widerruf nach § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB ab diesem Zeitpunkt ausscheide.
37(2) Im Schrifttum ist die Widerruflichkeit einer Stimmabgabe bei Personengesellschaften vor Abschluss des Abstimmungsverfahrens umstritten.
38(a) Nach einer der Rechtsprechung des Reichsgerichts folgenden Auffassung besteht vor Wirksamwerden des Beschlusses keine Bindung an die Stimmabgabe, die mithin bis zum Ablauf einer Abstimmungsfrist grundsätzlich freiwiderruflich ist; eine Grenze sei nur ausnahmsweise durch die gesellschafterliche Treuepflicht gezogen (Freitag in Ebenroth/Boujong, HGB, 5. Aufl., § 109 Rn. 34; Heymann/Hoffmann/Barlitz, HGB, 3. Aufl., § 119 Rn. 6; ebenso Oswald in Henssler/Strohn, GesR, 6. Aufl., § 109 HGB Rn. 57). §§ 130, 145 ff. BGB könnten für die verbandsrechtliche Betrachtung kein Ansatz sein, weil sie nicht für die Teilnahme an einer kollektiven Willensbildung bzw. eine mehrseitige Beschlussfassung konzipiert seien.
39(b) Die überwiegende Gegenansicht lehnt jedenfalls die Möglichkeit eines freien Widerrufs nach Zugang der Stimmabgabe bis zum Abschluss des Abstimmungsverfahrens ab.
40(aa) Ein Teil der Literatur hält den Widerruf einer Stimmabgabe nach deren Wirksamwerden durch Zugang generell für ausgeschlossen (Baltzer, Der Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion im Privatrecht, 1965, S. 150 ff.; Messer, Festschrift Fleck, 1988, 221, 223 ff., 227, 228; siehe auch Werner, NZG 2023, 1402, 1406). Begründet wird dies damit, dass sich die Widerruflichkeit nicht mit der prinzipiellen Anlage des Beschlusses als Kollektiventscheidung vereinbaren lasse (Baltzer, Der Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion im Privatrecht, 1965, S. 150 ff.) oder die Unwiderruflichkeit der Stimmabgabe bereits aus dem Rechtsbegriff der rechtsgeschäftlichen Willenserklärung folge (so Messer, Festschrift Fleck, 1988, 221, 223 ff., 227, 228). Habe die Stimmerklärung den von ihr bezweckten rechtlichen Erfolg, einen Beitrag zum Zustandekommen des Beschlusses durch Beeinflussung des Erfolgswerts der übrigen Stimmabgaben zu liefern, mit ihrem Wirksamwerden durch Zugang bewirkt, bedürfe es für die Beseitigung dieses Erfolgs durch nachträglichen Widerruf einer gesetzlichen Legitimation, die es nicht gebe. Daher könnten auch die Besonderheiten des Verbandsrechts, insbesondere die gesellschafterliche Treupflicht, selbst eine ausnahmsweise Widerrufsmöglichkeit bei Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht rechtfertigen.
41(bb) Die wohl herrschende Meinung im Schrifttum lehnt eine freie Widerruflichkeit der abgegebenen Stimme bei Personengesellschaften ebenfalls grundsätzlich ab, hält aber ausnahmsweise einen Widerruf bei Vorliegen eines wichtigen Grundes für zulässig (MünchKommHGB/Enzinger, 5. Aufl., § 119 Rn. 15; Oetker/Lieder, HGB, 8. Aufl., § 109 Rn. 23; Staudinger/Habermeier, BGB, Neubearbeitung 2003, § 709 Rn. 19; Kindler in Koller/Kindler/Drüen, 10. Aufl., § 119 Rn. 13; Westermann in Westermann/Wertenbruch, HdB Personengesellschaften, Stand 10/2018, § 24 Rn. 485 ff.; MünchHdbGesR II/Harf/Pflüger, 6. Aufl., § 86 Rn. 3; differenzierend Staub/Schäfer, HGB, 6. Aufl., § 109 Rn. 36; ebenso in MünchHdbGesR I/Schäfer, 6. Aufl., § 21 Rn. 8; MünchAnwHdBPersonengesellschaftsrecht/Plückelmann, 4. Aufl., Teil D. § 8 Rn. 5; Ulmer, Festschrift Niederländer, 1991, S. 415, 422 f., 433; siehe auch Hopt/Roth, HGB, 43. Aufl., § 109 Rn. 47; BeckOK HGB/Klimke, Stand , § 109 Rn. 12 ff.).
42Dogmatisch begründet wird dies mit unmittelbarer, entsprechender oder sinngemäßer Anwendung von §§ 145 ff. BGB (differenzierend nach Beschlüssen über Vertragsänderungen/Grundlagengeschäften und Geschäftsführungsmaßnahmen: MünchAnwHdb Personengesellschaftsrecht/Plückelmann, 4. Aufl., Teil D. § 8 Rn. 5; Staub/Schäfer, HGB, 6. Aufl., § 109 Rn. 36; ebenso in MünchHdbGesR I/Schäfer, 6. Aufl., § 21 Rn. 8; Westermann in Westermann/Wertenbruch, HdB Personengesellschaften, Stand 10/2018, § 24 Rn. 485; Ulmer, Festschrift Niederländer, 1991, S. 415, 426 ff., 433; wohl auch Staudinger/Habermeier, BGB, Neubearbeitung 2003, § 709 Rn. 19; generell für sinngemäße Anwendung: Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/ Wöstmann, HGB, 6. Aufl., § 109 Rn. 10; Oetker/Lieder, HGB, 8. Aufl., § 109 Rn. 23), mit allgemeinen Grundsätzen zu Willenserklärungen, namentlich § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB (Kindler in Koller/Kindler/Drüen, 10. Aufl., § 119 Rn. 13; Staub/Schäfer, HGB, 6. Aufl., § 109 Rn. 36 bei Geschäftsführungsmaßnahmen) oder mit gesellschaftsrechtlichen Erwägungen, insbesondere der gesellschaftsrechtlichen Treupflicht (MünchKommHGB/Enzinger, 5. Aufl., § 119 Rn. 15;Oetker/Lieder, HGB, 8. Aufl., § 109 Rn. 23; BeckOK HGB/Klimke, Stand , § 109 Rn. 12, 12.1).
43bb) Der Senat schließt sich der überwiegenden Ansicht dahingehend an, dass die Stimmabgabe in einer Personengesellschaft nach ihrem Wirksamwerden durch Zugang bis zum Abschluss des Abstimmungsverfahrens vorbehaltlich einer anderen vertraglichen Regelung oder Bindungserklärung des Abstimmenden grundsätzlich bindend und jedenfalls nicht mehr frei widerruflich ist. Ob ausnahmsweise ein Widerrufsrecht aus wichtigem Grund anzuerkennen ist, bedarf hier keiner Entscheidung.
44(1) Die Klägerin macht allerdings zu Recht geltend, dass sich die grundsätzliche Bindung eines Gesellschafters an seine Stimmabgabe ab deren Zugang nicht, wie vom Berufungsgericht angenommen, allein mit der (sinngemäßen) Anwendung von § 130 Abs. 1 BGB begründen lässt. Aus § 130 Abs. 1 BGB folgt zwar, dass die als rechtsgeschäftliche Erklärung anzusehende Stimmabgabe mit ihrem Zugang bei dem zuständigen Adressaten wirksam und damit für den abstimmenden Gesellschafter verbindlich wird, sofern nicht vorher oder gleichzeitig sein Widerruf eingeht. Die Vorschrift besagt aber nichts dazu, wie lange diese Verbindlichkeit für den Erklärenden andauert und ob sowie ggf. unter welchen Voraussetzungen er sie durch einen Widerruf wieder beseitigen kann.
45(2) Auch der in der Literatur vertretenen Begründung, die Bindung an die abgegebene Stimme nach deren Zugang ergebe sich aus einer unmittelbaren oder analogen Anwendung der für Vertragsangebote geltenden Regelungen der §§ 145 ff. BGB, vermag der Senat nicht zu folgen.
46(a) Der Gesellschafterbeschluss einer Personengesellschaft ist als Akt verbandsinterner Willensbildung kein Vertrag im Sinn von §§ 145 ff. BGB, sondernein mehrseitiges Rechtsgeschäft eigener Art, das auf der Zusammenfassung der einzelnen Stimmabgaben der Gesellschafter beruht und auf eine kollektive, rechtsverbindliche Willensbildung gerichtet ist (vgl. , BGHZ 65, 93, 97; Beschluss vom - II ZR 185/10, ZIP 2013, 366 Rn. 3). Die Stimmabgabe ist Bestandteil dieses mehrseitigen Rechtsgeschäfts und geht mit Zustandekommen des Beschlusses in ihm auf (Staudinger/Habermeier, BGB, Neubearbeitung 2003, § 709 Rn. 19; MünchKommHGB/Enzinger, 5. Aufl., § 119 Rn. 15; Heymann/Hoffmann/Barlitz, HGB, 3. Aufl., § 119 Rn. 3; Wiedemann, GesR II § 4 S. 308; Baltzer, Der Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion im Privatrecht, 1965, S. 141 f.).
47(b) Damit unterscheidet sich die verbandsinterne Willensbildung von einem Vertragsschluss im Sinn von §§ 145 ff. BGB zum einen dadurch, dass sie nicht auf einem Austausch von aufeinander bezogenen Willenserklärungen beruht, sondern auf der Zusammenfassung gleichgerichteter Willenserklärungen zur Bildung eines Organwillens (vgl. Wiedemann, GesR I, § 3 S. 179). Anders als bei einem Vertragsschluss sollen die abgegebenen Willenserklärungen dabei auch nicht unmittelbar selbst bereits eine Wirkung für das Rechtsverhältnis der Beteiligten entfalten, sondern erst der durch sie gebildete Organwille. Zum anderen beruht der Vertragsschluss nach §§ 145 ff. BGB auf dem Prinzip der Willenseinigung der an dem Rechtsgeschäft Beteiligten, wohingegen eine Beschlussfassung bei Geltung des Mehrheitsprinzips auch die überstimmten oder sich der Stimme enthaltenden Gesellschafter bindet (vgl. Grüneberg/Ellenberger, BGB, 83. Aufl. Überblick vor § 104 Rn. 12, Einführung vor § 145 Rn. 3). Aufgrund dieser Besonderheiten sind die §§ 145 ff. BGB auch dann nicht unmittelbar anwendbar, wenn dem Beschluss wegen seines Beschlussgegenstands ein vertragsähnlicher Charakter zukommt, wie bei Beschlüssen über Änderungen des Gesellschaftsvertrags oder über sonstige grundlegende, das Verhältnis der Gesellschafter untereinander gestaltende Gegenstände, sogenannte Grundlagenbeschlüsse (aA Staub/Schäfer, HGB, 6. Aufl., § 109 Rn. 35, 36; MünchKommBGB/Schäfer, 9. Aufl., § 714 Rn 9, 35; Westermann in Westermann/Wertenbruch, HdB Personengesellschaften, Stand Oktober 2018, I § 24 Rn. 482, 484, 485 f.; Staudinger/Habermeier, BGB, Neubearbeitung 2003, § 709 Rn. 19; Ulmer, Festschrift Niederländer, 1991, S. 415, 422 f., 426 ff.).
48Auch die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung der §§ 145 ff. BGB auf die Beschlussfassung liegen damit nicht vor.
49(3) Die Stimmabgabe kann auch nicht selbst als einseitiges, grundsätzlich unwiderrufliches Rechtsgeschäft (vgl. dazu Grüneberg/Ellenberger, BGB, 83. Aufl., Überblick vor § 104, Rn. 11, 17) angesehen werden, da sie die mit ihr intendierte Rechtswirkung in einer Personengesellschaft nicht allein, sondern nur zusammen mit anderen Willenserklärungen herbeiführen kann (vgl. Oetker/Lieder, HGB, 8. Aufl., § 109 Rn. 22; Ulmer, Festschrift Niederländer, 1991, S. 415, 420 f.; Baltzer, Der Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion im Privatrecht, 1965, S. 147; Fleck, Festschrift Aicher, 2012, S. 79, 95; aA offenbar Messer, Festschrift Fleck, 1988, S. 221, 226).
50(4) Auch im Übrigen enthalten die allgemeinen Regeln des bürgerlichen Rechts, abgesehen von der Anfechtung nach §§ 119 ff. BGB, keine Vorschriften, die für die Frage der Dauer der Bindung an eine wirksam gewordene Stimmabgabe und deren Widerruflichkeit herangezogen werden könnten. Das gilt auch für die Regelung der Widerruflichkeit der Einwilligung nach § 183 BGB, da die Einwilligung nach §§ 182, 183 BGB die Rechtsmacht eines Dritten zum Handeln mit Wirkung für den Einwilligenden begründet und daher ebenso wie die Vollmacht nach § 168 Satz 2 BGB frei widerruflich sein soll (vgl. Ulmer, Festschrift Niederländer, 1991, S. 415, 422; Staub/Schäfer, HGB, 6. Aufl., § 109 Rn. 36; jeweils mwN). Anders als für verschiedene andere Schuldverhältnisse (siehe etwa Verbraucherverträge [§ 355, § 312g, § 485, § 495, § 510 Abs. 2 BGB], Auslobung [§ 658 BGB], Auftrag [§ 671 BGB], Zahlungsauftrag [§ 675p BGB] oder Anweisung [§ 790 BGB]) existieren für den Bereich des Personengesellschaftsrechts auch keine gesonderten gesetzlichen Widerrufsregelungen.
51(5) Der grundsätzliche Ausschluss einer freien Widerruflichkeit der abgegebenen Stimme vor Abschluss des Abstimmungsverfahrens in einer Personengesellschaft folgt aus der Funktion der Stimmabgabe als Bestandteil der kollektiven Willensbildung und dem gemeinsamen Verbandsinteresse an einer möglichst raschen und rechtssicheren Bildung des Organwillens.
52(a) Eine freie Widerruflichkeit der abgegebenen Stimme wäre mit dem grundsätzlichen Zweck des Abstimmungsverfahrens einer nicht nur einfachen, raschen und zielgerichteten, sondern vor allem auch möglichst rechtssicheren kollektiven Willensbildung nicht zu vereinbaren (vgl. Wiedemann, GesR II § 4 S. 310; Feltl, Festschrift Aicher, 2012, S. 79, 103) und widerspräche damit letztlich dem gemeinsamen Verbandsinteresse der Gesellschafter. Wie ausgeführt ist die Stimmabgabe Bestandteil der kollektiven Willensbildung, indem sie zusammen mit den anderen Stimmabgaben den rechtsverbindlichen Organwillen erzeugt. Diese Funktion als Entstehungselement des Beschlusses erfordert grundsätzlich Gewissheit über den Bestand jeder abgegebenen Stimme, weil allein dann eine abschließende Stimmauswertung und Feststellung des Beschlussergebnisses möglich ist, an das als rechtlich verbindlichen Organwillen gegebenenfalls Rechtswirkungen anknüpfen können. Dem widerspräche jedenfalls eine freie Widerruflichkeit der Stimmabgabe bis zum Abschluss des Abstimmungsverfahrens, da bei ungewisser Existenz nur einer Stimmabgabe über das Ende der Abstimmung hinaus (jedenfalls bei deren Relevanz für das erforderliche Quorum) auch die Wirkung der übrigen Einzelstimmen und damit der Beschluss selbst zunächst ungewiss wäre (vgl. Baltzer, Der Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion im Privatrecht, 1965, S. 150 ff.; Feltl, Festschrift Aicher, 2012, S. 79, 93, 103).
53Dass der Abstimmungsleiter ohnehin den Eingang jeder Stimme zeitgenau erfassen muss, um die Wahrung der Abstimmungsfrist zu dokumentieren und zu kontrollieren, und diese zeitgenaue Erfassung bei Stimmerklärungen per Faxoder E-Mail bereits technisch automatisch erfolgen mag, gibt entgegen der Ansicht der Klägerin keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung. Auch dann würde die Möglichkeit eines jederzeitigen freien Stimmenwiderrufs nicht nur in praktischer Hinsicht zu einem zusätzlichen, die Durchführung des Abstimmungsverfahrens komplizierenden tatsächlichen Aufwand führen, sondern vor allem auch zu einer zusätzlichen Beeinträchtigung der Rechtssicherheit in Form der Gefahr von Auseinandersetzungen über die Rechtzeitigkeit eines Widerrufs. Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass gerade bei einer, wie hier, großen Publikumsgesellschaft im Extremfall bei einer unüberschaubar großen Anzahl von Stimmen die Prüfung der Rechtzeitigkeit von Widerrufen das schutzwürdige gemeinsame Interesse an einer zeitnahen Feststellung des rechtsverbindlichen Abstimmungsergebnisses beeinträchtigen würde.
54(b) Gegenüber diesem gemeinsamen Verbandsinteresse hat das Interesse des einzelnen Gesellschafters an einer Änderung seiner Stimmabgabe, etwa wegen im Laufe des Abstimmungsverfahrens bekanntwerdenden neuen Gesichtspunkten, grundsätzlich zurückzustehen.
55Jedem Gesellschafter ist es unbenommen, die allen Gesellschaftern eingeräumte Abstimmungsfrist auszuschöpfen, um sich auf einer möglichst umfassenden Informationsgrundlage entscheiden zu können. Gibt er seine Stimme zu einem früheren Zeitpunkt ab, nimmt er das Risiko möglicherweise nachträglich bekanntwerdender oder neu auftretender entscheidungsrelevanter Gesichtspunkte bewusst in Kauf. Aufgrund dessen stellt seine Bindung an die von ihm bereits abgegebene Stimme entgegen der Ansicht der Klägerin auch keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung mit Gesellschaftern dar, die ihre Stimme in einem zeitlich gestreckten Abstimmungsverfahren zu einem späteren Zeitpunkt mit eventuell umfassenderer Informationsgrundlage abgeben, sondern ist durch seine bewusste Risikoübernahme sachlich gerechtfertigt. Dem schutzwürdigen Interesse eines Gesellschafters, bei Bekanntwerden neuer Gesichtspunkte oder Eintreten neuer Umstände nicht mehr an seine Stimmerklärung gebunden zu sein, wird, anders als die Klägerin meint, durch die Möglichkeit der Anfechtung der Stimmabgabe unter den Voraussetzungen der §§ 119 ff. BGB und der Möglichkeit, auf eine Änderung der Beschlussfassung hinzuwirken, hinreichend Rechnung getragen. Im Übrigen ist es, wie eingangs ausgeführt, den Gesellschaftern unbenommen, die Möglichkeit eines Widerrufs bereits abgegebener Stimmen bis zum Abschluss des Abstimmungsverfahrens vertraglich zu regeln.
56Ob dies bei Vorliegen eines wichtigen Grundes ausnahmsweise anders zu beurteilen sein könnte, sei es, weil der Widerruf im Interesse des betroffenen Gesellschafters geboten und den übrigen Gesellschaftern zumutbar ist, sei es, weil die gesellschafterliche Treuepflicht dem Gesellschafter eine Korrektur seiner Stimme aufgrund geänderter Umstände oder neuer Erkenntnisse im Interesse der Gesellschaft sogar gebietet (vgl. Westermann in Westermann/Wertenbruch, HdB Personengesellschaften, Stand Oktober 2018, I § 24 Rn. 486; Staub/Schäfer, HGB, 6. Aufl., § 109 Rn. 36; MünchKommHGB/Enzinger, 5. Aufl., § 119 Rn. 15), bedarf hier keiner Entscheidung. Nach den rechtsfehlerfreien und von der Klägerin insoweit auch nicht angegriffenen Feststellungen liegt ein wichtiger Grund, der einen Widerruf evtl. rechtfertigen könnte, hier nicht vor und ergibt sich insbesondere nicht aus dem Angebot der Klägerin, den Treugebern ihre Gesellschaftsanteile unter der Bedingung einer "Nein"-Stimme zu TOP 9 abzukaufen.
573. Mit der "Ja"-Stimme der Treugeberin W. ist, unabhängig von den drei Stimmen der anderen widerrufenden Gesellschafter, die nach Feststellung des Berufungsgerichts erforderliche Mehrheit von mehr als Dreivierteln der abgebebenen Stimmen mit zumindest 143.975 "Ja"-Stimmen gegenüber höchstens 47.981 "Nein"-Stimmen mit 75,004 % (knapp) erreicht, da die Stimmenthaltungen nach der vertraglichen Regelung nicht mitzuzählen sind. Auf die (Un-)Wirksamkeit der übrigen Widerrufserklärungen kommt es damit nicht mehr an.
58Andere Beschlussmängel werden von der Klägerin nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich.
Born B. Grüneberg Sander
von Selle Adams
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:221024UIIZR64.23.0
Fundstelle(n):
YAAAJ-82094