BGH Urteil v. - VIa ZR 1226/22

Instanzenzug: Az: 9 U 1568/21vorgehend LG München I Az: 3 O 9968/20

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Februar 2016 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten neuen Porsche Macan S Diesel, der mit einem von der Audi AG hergestellten Dieselmotor ausgerüstet ist.

2Der Kläger hat den Ersatz des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen begehrt. Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich des Zahlungsantrags überwiegend stattgegeben und antragsgemäß den Annahmeverzug der Beklagten festgestellt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht durch Versäumnisurteil zurückgewiesen. Auf den Einspruch der Beklagten hat das Berufungsgericht das Versäumnisurteil aufgehoben und auf die Berufung der Beklagten das landgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers, mit der er die Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils erstrebt.

Gründe

3Die Revision des Klägers hat Erfolg.

4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

5Die Beklagte habe den streitgegenständlichen Motor nicht entwickelt, sondern lediglich als Zulieferprodukt zugekauft. Auch wenn der Motor eine unzulässige Abschalteinrichtung im Hinblick auf die konkrete Bedatung des Warmlaufmodus des SCR-Katalysators enthalten haben sollte, habe nicht die Beklagte selbst betrogen und getäuscht. Bereits die objektive Sittenwidrigkeit des Herstellens und des Inverkehrbringens von Kraftfahrzeugen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Verhältnis zum Fahrzeugerwerber setze voraus, dass dies in Kenntnis der Abschalteinrichtung und im Bewusstsein ihrer - billigend in Kauf genommenen - Unrechtmäßigkeit geschehe. Ein derartiges Vorstellungsbild habe im Hinblick auf wenigstens eine Person, für deren Verhalten die Beklagte einzustehen habe, nicht festgestellt werden können.

II.

6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

71. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

82. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht erwogen hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, Rn. 29 bis 32).

9Daher besteht zwar kein Anspruch des Klägers auf Gewährung "großen" Schadensersatzes (vgl.  VIa ZR 335/21, Rn. 22 bis 27). Doch kann dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Das Berufungsgericht hätte die Berufung des Klägers bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne ihm Gelegenheit zu geben, den von ihm geltend gemachten Schaden im Sinne des Differenzschadens zu berechnen.

III.

10Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, § 562 ZPO, weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

11Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit ha­ben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

                                

                                         

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:111224UVIAZR1226.22.0

Fundstelle(n):
HAAAJ-82026