BGH Urteil v. - VIa ZR 206/21

Instanzenzug: Az: VIa ZR 206/21 Beschlussvorgehend OLG Bamberg Az: 4 U 7/20vorgehend LG Aschaffenburg Az: 33 O 150/19

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im November 2013 von einem Dritten einen gebrauchten PKW Mercedes GLK 350 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 642 ausgerüstet ist. Im Januar 2020 veräußerte er das Fahrzeug weiter.

2Der Kläger, dessen Klage in den Vorinstanzen erfolglos geblieben ist, hat zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 23.650 € (Kaufpreis abzüglich Erlös aus der Weiterveräußerung) nebst Delikts- und Verzugszinsen zu verurteilen (Berufungsantrag zu 1). Ferner hat er die Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten nebst Prozesszinsen begehrt (Berufungsantrag zu 2). Mit der vom Senat im tenorierten Umfang zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Schlussanträge aus der Berufungsinstanz insoweit weiter.

Gründe

3Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

5Ein Anspruch gemäß §§ 826, 31 BGB scheide aus. Eine objektive Sittenwidrigkeit setze das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung, eine besondere Verwerflichkeit des Handelnden und die Gefahr der Betriebsbeschränkung und -untersagung voraus. Vorliegend fehle es schon an der Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung. Nachdem durch das Kraftfahrt-Bundesamt kein verpflichtender Rückruf angeordnet worden sei, sei davon auszugehen, dass die Motorsteuerungssoftware im gegenständlichen Motortyp keinen Anlass für Beanstandungen gebe. Damit sei nicht erkennbar, weshalb von einer Gefahr der Betriebsbeschränkung oder -untersagung auszugehen sein solle.

6Daneben habe der Kläger nichts vorgetragen, was auf eine besondere Verwerflichkeit im Handeln der Beklagten schließen lasse. Allein das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Gestalt des Thermofensters reiche hierfür nicht aus. Nach der vom Kläger beschriebenen Funktionsweise des Thermofensters unterscheide die in seinem Fahrzeug eingesetzte temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befinde. Sie weise keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviere, sondern arbeite in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Dies reiche für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben.

7Hinsichtlich der weiteren Funktionen der Motorsteuerungssoftware, wie zum Beispiel der Absenkung der Kühlmittelsolltemperatur, würden die gleichen Grundsätze wie beim Thermofenster gelten. Auch diese Funktionen arbeiteten im realen Fahrbetrieb in gleicher Weise wie in der Prüfstandssituation. Weitere Umstände, die auf ein verwerfliches Handeln der verantwortlichen Personen bei der Beklagten schließen ließen, würden vom Kläger nicht vorgetragen. Für eine Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts im Typgenehmigungsverfahren sei nichts vorgetragen.

8Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 scheide aus. Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege offensichtlich nicht im Aufgabenbereich dieser Norm.

II.

9Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

101. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung verneint hat. Zwar kann mit der Begründung des Berufungsgerichts, in Ermangelung eines amtlichen Rückrufs durch das Kraftfahrt-Bundesamt sei nicht erkennbar, weshalb von einer Gefahr der Betriebsbeschränkung oder -untersagung für das Fahrzeug des Klägers auszugehen sein solle, weder ein objektiv sittenwidriges Handeln der Beklagten noch ein Schaden des Klägers verneint werden (vgl. , BGHZ 225, 316 Rn. 19; Rn. 52 ff.; Urteil vom - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 42).

11Die Ablehnung einer Haftung der Beklagten nach § 826 BGB wird jedoch von der weiteren Erwägung getragen, die vom Kläger behaupteten Funktionen der Motorsteuerungssoftware arbeiteten auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb im Grundsatz in gleicher Weise, ohne dass der Kläger weitere Umstände vorgetragen habe, die auf ein verwerfliches Handeln der verantwortlichen Personen bei der Beklagten schließen ließen (vgl. , juris Rn. 12 f.; Urteil vom - VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 10 ff.; Urteil vom - VIa ZR 1012/22, juris Rn. 11). Die darauf bezogenen Verfahrensrügen der Revision hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

122. Die Revision wendet sich indessen mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht erwogen hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

13Daher besteht zwar kein Anspruch des Klägers auf Gewährung "großen" Schadensersatzes (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Doch kann dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Das Berufungsgericht hätte die Berufung des Klägers bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne ihm Gelegenheit zu geben, den von ihm geltend gemachten Schaden im Sinne des Differenzschadens zu berechnen.

III.

14Der angefochtene Beschluss ist

15die erforderlichen

                                          

                                               

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:101224UVIAZR206.21.0

Fundstelle(n):
IAAAJ-81904