Instanzenzug: Az: I-22 U 94/20vorgehend Az: 14e O 153/19
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im April 2017 von einem Händler - teilweise darlehensfinanziert - einen gebrauchten Mercedes-Benz V-Klasse AVANTGARDE EDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.
2Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 44.290,72 € (Kaufpreis zuzüglich Finanzierungskosten) nebst Delikts- und Verzugszinsen abzüglich einer bezifferten Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu verurteilen (Berufungsantrag zu 1). Ferner hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 2) sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten nebst Verzugszinsen (Berufungsantrag zu 3) begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat im tenorierten Umfang zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Schlussanträge aus der Berufungsinstanz insoweit weiter.
Gründe
3Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
5Die Ausführungen des Klägers zu einem in seinem Fahrzeug verbauten Thermofenster begründeten keinen Anspruch gegen die Beklagte. Es könne offenbleiben, ob es sich dabei um eine unzulässige Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 handele. Der Umstand, dass die Abgasrückführung im klägerischen Fahrzeug durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei einstelligen Positivtemperaturen reduziert und schließlich ganz abgeschaltet werde, reiche für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Es sei nicht ersichtlich, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung des Thermofensters in dem Bewusstsein gehandelt hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hätten.
6Die weiteren von dem Kläger in erster Instanz vorgetragenen Abschalteinrichtungen begründeten ebenfalls keine Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB. Der Vortrag dazu sei teilweise nicht genau genug, zum Teil erfolge er ins Blaue hinein und sei danach unbeachtlich.
7Ein Anspruch lasse sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV herleiten, weil das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Aufgabenbereich dieser Vorschriften liege.
II.
8Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
91. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB abgelehnt hat. Die darauf bezogene Verfahrensrüge der Revision, der Kläger habe zu seiner Behauptung, das Fahrzeug verfüge in Form der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung über eine Prüfstandserkennung, die bei erkanntem Prüfstand die Schadstoffausstöße erheblich reduziere, über beide Instanzen hinweg ausführlich und nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinreichend vorgetragen, hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
102. Die Revision wendet sich indessen mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
12Das Berufungsurteil ist
13die erforderlichen
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:101224UVIAZR176.21.0
Fundstelle(n):
YAAAJ-81903