Umsatzsteuer | Direktanspruch bei verjährtem Rückforderungsanspruch und nach Löschung des Leistenden wegen Vermögenslosigkeit (FG)
Der Empfänger von Lieferungen hat
gegen den Fiskus einen Anspruch auf Erstattung (Direktanspruch) der zu Unrecht
in Rechnung gestellten und abgeführten Umsatzsteuer, wenn die liefernde GmbH
zwischenzeitlich wegen Vermögenslosigkeit gelöscht worden ist. Ein solcher
Direktanspruch besteht auch dann, wenn der Anspruch des Leistungsempfängers
gegen den Leistenden aufgrund einer zivilrechtlichen Verjährung dieses
Anspruchs nicht mehr durchgesetzt werden könnte. Der Fiskus kann sich nicht
(akzessorisch) auf die Einrede der Verjährung berufen (; Revision anhängig,
BFH-Az. XI R 27/24).
Hintergrund: Nach dem aus dem Unionsrecht hergeleiteten „Reetsma-Anspruch“ kann ein Leistungsempfänger die zu Unrecht vom Leistenden in Rechnung gestellte Umsatzsteuer direkt vom Fiskus (zurück-)verlangen, wenn die Geltendmachung der Erstattung vom Leistenden unmöglich oder übermäßig erschwert ist. Der Direktanspruch geht zurück auf das Reemtsma Cigarettenfabriken). Nach der Rechtsprechung des BFH kann der Anspruch im Wege einer Billigkeitsmaßnahme nach §§ 163 und 227 AO geltend gemacht werden (, BFHE 250, 34). Die Finanzverwaltung erkennt die Existenz des Direktanspruchs grundsätzlich an und hat in einem , BStBl I 2022, 652 Kriterien für seine Gewährung aufgestellt.
Sachverhalt: Der Kläger bezog in den Streitjahren 2014 und 2016 für seinen Sanitär- und Heizungsbaubetrieb auf der Grundlage von Nettopreisvereinbarungen Bauleistungen von der F GmbH (F). Die in den Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer zahlte der Kläger an die F und zog sie als Vorsteuern im Rahmen seiner Umsatzsteuererklärungen ab.
F führte die vereinnahmte Umsatzsteuer ihrerseits an die Finanzbehörde ab. In der Folgezeit wurde F im Januar 2019 wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen gem. § 394 Abs. 1 FamFG gelöscht.
Im Rahmen einer Außenprüfung kam die Prüferin zu der Auffassung, es habe sich bei den von F bezogenen Leistungen um Bauleistungen im Sinne von § 13b Abs. 2 Nr. 4 S. 1 UStG gehandelt, für die der Kläger die Umsatzsteuer schulde. Die abgezogenen Vorsteuern seien für das Jahr 2014 und für das Jahr 2016 rückgängig zu machen, weil es sich insoweit bei den von F in Rechnung gestellten Beträgen nicht um die gesetzlich geschuldete Steuer im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG gehandelt habe. Daneben sei die vom Kläger geschuldete Umsatzsteuer auf Grundlage der in den Rechnungen ausgewiesenen Brutto-Beträge zu erhöhen und ihm der Vorsteuerabzug in gleicher Höhe nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UStG zu gewähren.
Bereits während der laufenden Außenprüfung beantragte der Kläger unter Bezugnahme auf die und „Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH/Ministero delle Finanze“, die Steuer um die gekürzten Vorsteuerbeträge gemäß § 163 AO niedriger festzusetzen. Das FA lehnte eine Herabsetzung der Steuer ab. Voraussetzung für den begehrten Direktanspruch der Klägerin sei u.a., dass die Leistungserbringerin die ausgewiesene Umsatzsteuer tatsächlich abgeführt habe und die Durchsetzung des Erstattungsanspruchs des Klägers gegen die Leistungserbringerin unmöglich oder übermäßig erschwert sei. Beides sei vorliegend nicht hinreichend dargelegt.
Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg:
Im Streitfall sind die vom EuGH aufgestellten Voraussetzungen für das Vorliegen eines Direktanspruchs erfüllt.
Der Kläger hat als Empfänger von tatsächlich erbrachten Bauleistungen die - wegen § 13b Abs. 5 Satz 2 UStG - durch die leistende F zu Unrecht in Rechnung gestellte Umsatzsteuer an F gezahlt und diese wiederum hat die Umsatzsteuer an den Fiskus abgeführt.
F wurde zwischenzeitlich wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen gemäß § 394 Abs. 1 FamFG gelöscht und ist damit gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 7 GmbHG aufgelöst.
Eine zivilrechtliche Rückforderung der wegen der Nettopreisabrede zwischen dem Kläger und F nicht geschuldeten Umsatzsteuerbeträge erscheint zwar wegen der durch § 66 Abs. 5 GmbHG eingeräumten Möglichkeit einer Nachtragsliquidation nicht gänzlich unmöglich, aber jedenfalls durch die hierdurch entstehenden zusätzlichen Kosten und besonderen Voraussetzungen übermäßig erschwert im Sinne der EuGH-Rechtsprechung.
Denn nach dieser Rechtsprechung gebietet es der Grundsatz der Effektivität insbesondere im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Leistenden (dort Abgabepflichtigen), dass der Abnehmer seinen Antrag auf Erstattung unmittelbar an die Steuerbehörden richten kann ().
Im Fall der Löschung wegen Vermögenslosigkeit streitet der Grundsatz der Effektivität daher für die Einräumung eines Direktanspruchs.
Das FA kann sich nicht mit Erfolg auf die Einrede der Verjährung berufen, etwa, weil der Direktanspruch gegenüber dem Fiskus in der Weise akzessorisch zu dem Anspruch des Klägers gegen die F wäre, dass ein Direktanspruch gegenüber dem Fiskus ausscheidet, wenn der Anspruch des Leistungsempfängers gegen den Leistenden aufgrund einer zivilrechtlichen Verjährung dieses Anspruchs nicht mehr durchgesetzt werden kann.
Denn nach Rechtsprechung des EuGH ( „Michael Schütte/FA Brilon“) entsteht der Direktanspruch u. a. erst dann, wenn der Anspruch gegen den Leistenden aufgrund der im nationalen Recht vorgesehenen Verjährung nicht mehr durchgesetzt werden kann.
Es wäre widersprüchlich, könnte sich die Finanzverwaltung erfolgreich (akzessorisch) auf die Einrede der Verjährung berufen, wenn diese Verjährung den Direktanspruch gegen die Finanzverwaltung erst zum Entstehen bringt.
Die Revision gegen das Urteil ist beim BFH unter dem Az. XI R 27/24 anhängig.
Der Volltext der Entscheidung ist in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes Niedersachsen veröffentlicht.
Quelle: ; NWB
Fundstelle(n):
KAAAJ-81883