BGH Urteil v. - VIa ZR 188/22

Instanzenzug: Az: 16a U 158/19 Urteilvorgehend Az: 29 O 104/19

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger kaufte am von einem Dritten zum Preis von 37.200 € einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4-Matic BE, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" bei einer Temperatur jedenfalls unter 14 °C reduziert. Das Fahrzeug verfügt über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR). Mit Bescheid vom hat das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) die KSR als unzulässige Abschalteinrichtung beanstandet.

3Der Kläger hat in erster Instanz zuletzt die Zahlung von 28.901,92 € nebst Deliktszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs (Klageantrag zu 1), die Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits in Höhe von 1.030,15 € (Klageantrag zu 4), die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Klageantrag zu 2) sowie die Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen und die Freistellung von weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Klageantrag zu 3) begehrt.

4Das Landgericht hat unter Abweisung der weitergehenden Klage dem Klageantrag zu 1 nur in Höhe eines Betrags von 27.051,42 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, dem Klageantrag zu 3 hinsichtlich der zu erstattenden Rechtsanwaltskosten sowie den Klageanträgen zu 2 und zu 4 stattgegeben.

5Die Beklagte hat mit ihrer Berufung die vollumfängliche Abweisung der Klage begehrt. Der Kläger hat mit seiner Anschlussberufung geltend gemacht, die im Rahmen des Antrags zu 1 anzurechnende Nutzungsentschädigung sei auf der Grundlage einer höheren Gesamtlaufleistung als vom Landgericht angenommen zu berechnen. Mit dieser Maßgabe hat er zuletzt die Zahlung von 26.230,40 € nebst Verzugszinsen seit dem Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verlangt und den Antrag zu 1 in Höhe eines darüberhinausgehenden Betrags von 3.701,67 € für erledigt erklärt (Anschlussberufungsantrag zu 1). Ferner hat er den Klageantrag zu 3 hinsichtlich der Freistellung von weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten weiterverfolgt (Anschlussberufungsantrag zu 2). Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das landgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Die Anschlussberufung des Klägers hat es zurückgewiesen.

6Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Zurückweisung der Berufung der Beklagten sowie seine Anschlussberufungsanträge in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang weiter.

Gründe

7Die Revision des Klägers hat Erfolg.

8Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

9Der Kläger habe einen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB nicht schlüssig dargetan. Er habe tatsächliche Anhaltspunkte weder für eine prüfstandsbezogene Funktionsweise des Thermofensters oder der KSR noch für sonstige Umstände vorgebracht, aus denen sich eine wissentliche Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung und eine damit einhergehende Täuschung des KBA über die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung ergäbe. Eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV scheitere daran, dass die Vorschriften der EG-FGV nicht dem Schutz der Vermögensinteressen einzelner Fahrzeugerwerber dienten.

II.

10Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

111. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.

122. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

13Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

14Das angefochtene Urteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

15die erforderlichen

                                        

                                             

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:101224UVIAZR188.22.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-81798