BGH Beschluss v. - VII ZR 191/23

Leitsatz

Eine Partei ist grundsätzlich nicht gehindert, ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern und insbesondere zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen. Dabei entstehende Widersprüchlichkeiten im Parteivortrag können allenfalls im Rahmen der Beweiswürdigung gemäß § 286 ZPO Beachtung finden. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots wegen vermeintlicher Widersprüche im Vortrag der beweisbelasteten Partei läuft auf eine prozessual unzulässige vorweggenommene tatrichterliche Beweiswürdigung hinaus und verstößt damit zugleich gegen Art. 103 Abs. 1 GG.

Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 286 ZPO, § 544 Abs 9 ZPO

Instanzenzug: Az: 27 U 6/22vorgehend Az: 32 O 252/18

Gründe

I.

1Die Klägerin fordert Restwerklohn aus einem gekündigten Einheitspreisvertrag über Bauleistungen.

2Mit einem Teil der Leistungen hatte die Klägerin die V.             GmbH (im Folgenden: die Nachunternehmerin) beauftragt. Nach Kündigung des Vertrags durch den Beklagten legte die Klägerin eine erste Schlussrechnung, in der sie vom Gesamtbetrag - neben Teilzahlungen - einen Bruttobetrag von 32.757,58 € mit dem Vermerk "abzgl. Restleistungen in Teilbereichen der Fa. V.                     GmbH" abzog. Die Klägerin hat zunächst nur den verbleibenden Betrag eingeklagt und in der Klageschrift vorgetragen, die bei der Bautenstandsfeststellung erkennbaren Minderleistungen wegen vorzeitiger Beendigung des Vertragsverhältnisses seien berücksichtigt worden.

3Auf den Hinweis des Landgerichts in der mündlichen Verhandlung, die Prüffähigkeit der Schlussrechnung begegne Bedenken, weil sich die abgezogenen "Restleistungen in Teilbereichen" von 32.757,58 € aus der Abrechnung und dem Aufmaß nicht erschlössen, hat die Klägerin erklärt, die abgezogenen nicht erbrachten Leistungen näher aufschlüsseln zu können.

4Daraufhin legte die Klägerin eine zweite Schlussrechnung, welche den Abzug von 32.757,58 € nicht enthält, einen um diesen Betrag erhöhten Endbetrag ausweist und im Übrigen vollständig mit der ersten Schlussrechnung übereinstimmt. Die Klägerin hat die Klage um diesen Betrag erweitert und behauptet, die zweite Schlussrechnung entspreche nunmehr genau den vorgelegten Aufmaßprotokollen und den erbrachten Leistungen. Hierfür hat sie Beweis durch Sachverständigengutachten angeboten. Der Abzugsbetrag sei ein Nachlass der Nachunternehmerin an die Klägerin wegen der bestrittenen vollständigen Fertigstellung gewesen für den Fall, dass der Beklagte sofort auf die Schlussrechnung der Klägerin zahle. Diesen Nachlass habe die Klägerin unter der mündlichen Abrede der sofortigen Zahlung an den Beklagten weitergereicht. Nachdem dieser nicht gezahlt habe, habe sie den Nachlass aus der Schlussrechnung genommen.

5Das Landgericht hat die Klage mangels prüffähiger Schlussrechnung als derzeit unbegründet abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht mit Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde und verfolgt ihren Klageantrag weiter.

II.

6Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1.    Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:

7Es fehle an einer prüffähigen Schlussrechnung. Nach dem Vortrag der Klägerin in der Klageschrift habe es sich bei dem fraglichen Abzug in der ersten Schlussrechnung um einen Abzug für nicht erbrachte Leistungen gehandelt; die Klägerin hätte deshalb deutlich machen müssen, welche der in der ersten Schlussrechnung aufgeführten Leistungen nicht erbracht worden seien.

8Der in der Folgezeit mit Vorlage der zweiten Schlussrechnung geänderte Vortrag der Klägerin, der Abzug sei ein skontogleicher Verzicht bei schneller Zahlung gewesen, sei nicht zugrunde zu legen. Denn er stehe im diametralen Widerspruch zur Schlussrechnung der Nachunternehmerin, auf der sich der Hinweis befinde: "Abzüglich 10 % der hier angesprochenen Positionen für Restleistungen in Teilbereiche. 27.572,38 €" (Nettobetrag). Die Nachunternehmerin habe den Abzug also ausweislich ihrer Rechnung für nicht ausgeführte Leistungen vorgenommen, wie die Klägerin auch zunächst vorgetragen habe. Zwar sei es einer Partei nicht grundsätzlich verwehrt, im Laufe des Rechtsstreits ihren Vortrag zu ändern oder entgegen dem Inhalt von Urkunden vorzutragen. Jedoch sei die Klägerin für ihren bestrittenen geänderten Vortrag, der Abzug betreffe nicht fehlende Leistungen, sondern stelle ein Angebot auf Einigung bei schneller Zahlung dar, und dazu, wie es letztlich fälschlicherweise zum unberechtigten Abzug gekommen sei, beweisfällig geblieben. Bereits aus diesem Grund könne der geänderte Vortrag nicht berücksichtigt werden. Die Klägerin hätte nicht nur eine neue Schlussrechnung mit einem unter Sachverständigenbeweis gestellten Aufmaß in den Prozess einführen, sondern Beweis für ihre Behauptung führen müssen, der Abzug in der ersten Schlussrechnung sei wegen eines weitergereichten skontogleichen Nachlasses der Nachunternehmerin erfolgt, der mangels Zahlung nun wegfalle, und die abgerechneten Leistungen seien alle erbracht. Die Klägerin hätte die Nachunternehmerin beziehungsweise deren Mitarbeiter als Zeugen für die behauptete falsche Ausweisung des Abzugsbetrages in deren Schlussrechnung und daraus folgend in der ersten klägerischen Schlussrechnung anbieten können. Im Rahmen dieser Beweisaufnahme hätte geklärt werden können, ob die Nachunternehmerin alle Arbeiten ausgeführt habe oder nicht. Die streitige Frage der Ausführung der Arbeiten könne allein durch ein Aufmaß nicht geklärt werden, weshalb dieser Beweisantritt unzureichend gewesen sei.

92. Mit dieser Begründung verletzt das Berufungsgericht in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.

10a) Das Berufungsgericht verletzt den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs, indem es, wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht rügt, wegen Widerspruchs zu früherem Vortrag den bestrittenen Vortrag zur zweiten Schlussrechnung, es seien nur erbrachte Leistungen enthalten, für unbeachtlich hält, einen Beweis für den behaupteten Grund des Vortragswechsels fordert und das Beweisangebot der Klägerin zum neuen Vortrag übergeht.

11aa) Eine Partei ist grundsätzlich nicht gehindert, ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern und insbesondere zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen. Dabei entstehende Widersprüchlichkeiten im Parteivortrag können allenfalls im Rahmen der Beweiswürdigung gemäß § 286 ZPO Beachtung finden. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots wegen vermeintlicher Widersprüche im Vortrag der beweisbelasteten Partei läuft auf eine prozessual unzulässige vorweggenommene tatrichterliche Beweiswürdigung hinaus und verstößt damit zugleich gegen Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. Rn. 7, TranspR 2024, 77; Beschluss vom - V ZR 25/22 Rn. 9, juris; Urteil vom - I ZR 243/16 Rn. 17, NJW-RR 2018, 1003 = WRP 2018, 824 - Gewohnt gute Qualität; Beschluss vom - I ZR 235/15 Rn. 15, WuM 2017, 48; Urteil vom - I ZR 66/12 Rn. 41, VersR 2015, 210).

12bb) Hieran gemessen hat das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, indem es für den von seinem Rechtsstandpunkt aus entscheidungserheblichen bestrittenen Vortrag der Klägerin, die zweite Schlussrechnung umfasse nur erbrachte Leistungen, den angebotenen Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens übergangen hat. Das Gericht muss aber, auch wenn es in einem solchen Vortrag einen Widerspruch zu früherem Vortrag sieht, dem angebotenen Beweis nachgehen und kann den Widerspruch sowie den Vortragswechsel erst im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigen. Es darf demgegenüber nicht zunächst eine Beweisführung für die behaupteten Gründe des Vortragswechsels verlangen und den angebotenen Beweis für den neuen Vortrag - mangels Beweisangebots für die behaupteten Gründe des Vortragswechsels - übergehen.

13Soweit das Berufungsgericht den Beweisantritt für unzureichend gehalten hat, weil die streitige Frage der Ausführung der Arbeiten allein durch ein Aufmaß nicht geklärt werden könne, übersieht es, dass der Beweisantritt der Klägerin neben dem Aufmaß ein Sachverständigengutachten umfasst.

14b) Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht die Prüffähigkeit der zweiten Schlussrechnung und möglicherweise auch deren Berechtigung bejaht hätte, wenn es den zur zweiten Schlussrechnung gehaltenen Vortrag nicht für unbeachtlich gehalten und den - jedenfalls für die Frage der Berechtigung der Schlussrechnung erheblichen - angebotenen Beweis, es seien nur erbrachte Leistungen abgerechnet, nicht übergangen hätte.

153. Für die neue Verhandlung weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin: Für die Prüffähigkeit einer Schlussrechnung sind ihre Richtigkeit und Abweichungen von vorherigen Schlussrechnungen unerheblich (vgl. , BauR 2002, 1695 = NZBau 2002, 613, juris Rn. 14; Urteil vom - VII ZR 164/01, BauR 2002, 1403 = NJW 1999, 3261, juris Rn. 16; Urteil vom - VII ZR 237/98, BauR 1999, 1294; Kniffka in Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl., 4. Teil Rn. 550).

Pamp                         Jurgeleit                         Graßnack

             Brenneisen                    Hannamann

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:201124BVIIZR191.23.0

Fundstelle(n):
BAAAJ-81792