BGH Urteil v. - II ZR 193/22

Instanzenzug: Az: 1 U 59/21vorgehend LG Mannheim Az: 24 O 36/19

Gründe

1Die Kläger sind Aktionäre der Beklagten. Die Beklagte ist eine börsennotierte Aktiengesellschaft mit dem Unternehmensgegenstand Wertpapierhandel. Ihr Grundkapital beträgt 1.732.500 € und ist in die gleiche Anzahl von Stückaktien eingeteilt.

2Die Kläger wenden sich mit ihrer Klage gegen auf der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am zu TOP 3 (Entlastung des Vorstands für das Geschäftsjahr 2017), TOP 4 (Entlastung des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2017) und TOP 6 (Wahl zum Aufsichtsrat) gefasste Beschlüsse.

3Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung hielt der Kläger zu 1 an der Beklagten 20 Aktien, die Klägerin zu 2 hielt 107.300 Aktien (was 6,19 % des Grundkapitals entspricht) und die Klägerin zu 3 hielt 5 Aktien. Die K.                      AG hielt keine Aktien an der Beklagten.

4Zur ordentlichen Hauptversammlung im Vorjahr 2017 waren die Klägerin zu 2 mit 163.846 Aktien (was 9,46 % des Grundkapitals entspricht) und die K.                        AG mit 20.000 Aktien (was 1,15 % des Grundkapitals entspricht) sowie die Kläger zu 1 und zu 3 mit gleicher Aktienanzahl wie im Jahr 2018 (20 bzw. 5 Aktien) angemeldet gewesen.

5Die Kläger gaben weder eine Stimmrechtsmitteilung nach §§ 33, 34 WpHG wegen Überschreitung der 10 %-Schwelle an den Stimmrechten der Beklagten vor der Hauptversammlung 2017 noch eine Mitteilung über die nachfolgende Unterschreitung dieser Schwelle vor der Hauptversammlung 2018 ab.

6Die Kläger haben jeweils gegen die auf der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten im Jahr 2018 unter TOP 3, 4 und 6 gefassten Beschlüsse gestimmt und Widerspruch zu Protokoll erklärt. Sie haben mit der Klage eine Vielzahl an Anfechtungsgründen geltend gemacht und erstreben die Nichtigerklärung, hilfsweise die Feststellung der Nichtigkeit, höchst hilfsweise der Unwirksamkeit der oben genannten Beschlüsse.

7Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist erfolglos geblieben. Zur Begründung hat das Berufungsgericht (OLG Karlsruhe, BeckRS 2022, 56281) ausgeführt, die Kläger seien nicht anfechtungsbefugt, weil sie gegen ihre Mitteilungspflichten aus §§ 33, 34 WpHG seit 2017 verstoßen hätten. Nach § 44 Abs. 1 WpHG hätten ihre Rechte aus den Aktien zum Zeitpunkt der Hauptversammlung und der Erhebung der Anfechtungsklage nicht bestanden. Die Stimmrechte der Kläger und der K.                     AG seien nach § 34 Abs. 2 WpHG infolge eines sogenannten Acting in Concert in den Jahren 2017 bis 2019 wechselseitig zuzurechnen. Dabei hat das Berufungsgerichtoffengelassen, ob die Kläger aufgrund einer Vereinbarung (§ 34 Abs. 2 Satz 1 Fall 1 WpHG) hinsichtlich ihrer Stimmrechtsausübung verbunden gewesen seien, weil sie ihr Verhalten jedenfalls in sonstiger Weise aufeinander abgestimmt hätten, was für die Verwirklichung des § 34 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 WpHG ausreiche.

8Das Berufungsgericht hat die Abstimmung in sonstiger Weise mit einer Vielzahl von Indizien begründet, namentlich damit, dass die Kläger und die K.                     AG unter derselben Anschrift ansässig seien, sie sich auf den Hauptversammlungen der Beklagten durch dieselben Personen bzw. in einer Vielzahl von Gerichtsverfahren jeweils mit denselben Argumenten von derselben Kanzlei hätten vertreten lassen, sie ihr Rederecht auf den Hauptversammlungen der Beklagten untereinander abgestimmt und sie gemeinsame Ziele hinsichtlich der Besetzung von Aufsichtsrat und Vorstand der Beklagten verfolgt sowie schließlich zwischen ihnen erhebliche personelle, institutionelle und wirtschaftliche Verflechtungen bestanden hätten.

9Die Kläger seien deshalb zunächst verpflichtet gewesen, vor der ordentlichen Hauptversammlung im Jahre 2017 die Überschreitung der10 %-Schwelle und dann weiter vor der ordentlichen Hauptversammlung im Jahre 2018 ein Unterschreiten der 10 %-Schwelle mitzuteilen, was nicht geschehen sei. Rechtsfolge der Verletzung der Meldepflichten sei der Verlust des Stimmrechts auf der Hauptversammlung 2018 und damit auch der Anfechtungsbefugnis hinsichtlich der gefassten Hauptversammlungsbeschlüsse.

10Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren weiter.

II.

11Die Voraussetzungen für eine Vorlage durch den Senat gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 AEUV sind gegeben (vgl. ECLI:EU:C:2021:799 Rn. 32 ff. - Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi mwN). Im vorliegenden Verfahren stellt sich eine Frage nach der Auslegung des Unionsrechts (dazu 1.). Die Vorlagefrage ist entscheidungserheblich (dazu 2.).

121. Der Rechtsstreit wirft eine Frage nach der Vereinbarkeit von nationalem Recht mit Unionsrecht auf.

13a) Für die Entscheidung über die Revision ist zunächst die Regelung in 34 Abs. 2 WpHG des nationalen Rechts maßgeblich, die wie folgt lautet:

"Dem Meldepflichtigen werden auch Stimmrechte eines Dritten aus Aktien des Emittenten, für den die Bundesrepublik Deutschland der Herkunftsstaat ist, in voller Höhe zugerechnet, mit dem der Meldepflichtige oder sein Tochterunternehmen sein Verhalten in Bezug auf diesen Emittenten auf Grund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise abstimmt; ausgenommen sind Vereinbarungen in Einzelfällen. Ein abgestimmtes Verhalten setzt voraus, dass der Meldepflichtige oder sein Tochterunternehmen und der Dritte sich über die Ausübung von Stimmrechten verständigen oder mit dem Ziel einer dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung des Emittenten in sonstiger Weise zusammenwirken. Für die Berechnung des Stimmrechtsanteils des Dritten gilt Absatz 1 entsprechend."

14der Richtlinie 2004/109/EG

"Dem Bieter werden auch Stimmrechte eines Dritten aus Aktien der Zielgesellschaft in voller Höhe zugerechnet, mit dem der Bieter oder sein Tochterunternehmen sein Verhalten in Bezug auf die Zielgesellschaft auf Grund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise abstimmt; ausgenommen sind Vereinbarungen in Einzelfällen. Ein abgestimmtes Verhalten setzt voraus, dass der Bieter oder sein Tochterunternehmen und der Dritte sich über die Ausübung von Stimmrechten verständigen oder mit dem Ziel einer dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Zielgesellschaft in sonstiger Weise zusammenwirken. Für die Berechnung des Stimmrechtsanteils des Dritten gilt Absatz 1 entsprechend."

17(vgl. Begr. RegE eines Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen, BT-Drucks. 14/7034, S. 70)Hierdurch sollen nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers Irritationen am Kapitalmarkt vermieden werden, die bei unterschiedlichen Zurechnungsmethoden aufträten.

19b) Auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts ist das Berufungsgericht zum Ergebnis gelangt, dass sich zwar keine Vereinbarung über die Stimmrechtsausübung gemäß § 34 Abs. 2 Satz 1 Fall 1 WpHG feststellen lasse, die oben dargestellten Feststellungen zum tatsächlichen Zusammenwirken zwischen den Klägern und der K.                   AG aber in einer Gesamtschau ausreichten, um von einer Abstimmung in sonstiger Weise gemäß § 34 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 WpHG auszugehen.

20c) Im nationalen Schrifttum ist die Richtlinienkonformität des § 34 Abs. 2 WpHG umstritten, vor allem, soweit er eine Stimmrechtszurechnung auch ohne Vereinbarung nach § 34 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 WpHG aufgrund einer Abstimmung in sonstiger Weise über die Vorgaben in Art. 10 Buchst. a der Richtlinie 2004/109/EG hinaus vorsieht. Im Kern betrifft der Streit die Frage, ob die überschießende nationale Regelung unter den in Art. 3 Abs. 1a Unterabs. 4 Ziffer iii Richtlinie 2004/109/EG vorgesehenen Vorbehalt fällt, wonach strengere nationale Vorschriften zulässig sind, sofern sie im Zusammenhang mit Übernahmeangeboten, Zusammenschlüssen und anderen Transaktionen stehen, die die Eigentumsverhältnisse oder die Kontrolle von Unternehmen betreffen, und von den Behörden, die gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom betreffend Übernahmeangebote von den Mitgliedstaaten benannt wurden, beaufsichtigt werden.

21aa) Teilweise wird die Ansicht vertreten, § 34 Abs. 2 WpHG sei, soweit er Art. 10 Buchst. a Richtlinie 2004/109/EGüberschießend umsetze, richtlinienwidrig, ohne dass der Ausnahmetatbestand zur Anwendung komme (so Kraack in Seibt/Buck-Heeb/Harnos, Wertpapierhandelsrecht, 2024, § 34 WpHG Rn. 42 ff., 121, 140; Brellochs, AG 2019, 28, 32 f.; Burgard/Heimann, Festschrift Dauses, 2014, S. 47, 54 ff.; Burgard/Heimann, WM 2015, 1445, 1449;Hitzer/Hauser, NZG 2016, 1365, 1366 f.; Kocher/Mattig, BB 2018, 1667, 1668; Kraack, AG 2017, 677, 679 f.; Kraack, EWiR 2022, 69, 70 f.; Stephan, Der Konzern 2016, 53, 54; Söhner, ZIP 2015, 2451; wohl auch MünchKommAktG/Bayer, 6. Aufl., § 34 WpHG Rn. 35; Casper, Festschrift 25 Jahre WpHG 2019, S. 801, 811 f.).

22Zur Begründung wird auf das dem europäischen Beteiligungspublizitätsregimeseit 2013 zugrunde liegende Konzept der Vollharmonisierung verwiesen, wonach strengere nationale Transparenzvorschriften grundsätzlich unzulässig sind. Der Ausnahmetatbestand des Art. 3 Abs. 1a Unterabs. 4 Ziffer iii der Richtlinie 2004/109/EGgreife hier schon deswegen nicht, weil § 34 Abs. 2 WpHG keine Vorschrift sei, die im Zusammenhang mit Übernahmeangeboten stehe

23bb) Nach einer anderen Ansicht ist § 34 Abs. 2 WpHG demgegenüber richtlinienkonform (von Hein in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 5. Aufl., § 34 WpHG Rn. 29, 38; Schilha in Bürgers/Körber/Lieder, AktG, 5. Aufl., Anh. § 22/§ 44 WpHG Rn. 1; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 8. Aufl., § 34 WpHG Rn. 142; Veil in K. Schmidt/Lutter, AktG, 5. Aufl., § 34 WpHG Rn. 6; Zimmermann in Fuchs/Zimmermann, WpHG, 3. Aufl., § 34 Rn. 74; Parmentier, AG 2014, 15, 19; Seibt/Wollenschläger, ZIP 2014, 545, 549; Segna, ZGR 2015, 84, 113; Veil, ZHR 2013, 327, 434; Veil, ZGR 2014, 544, 573; siehe auch Emittentenleitfaden der BaFin, Stand , Modul B, S. 26 mit Fn. 60; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 10. Aufl., § 34 WpHG Rn. 4). Es liege eine zulässige Ausnahme vom Grundsatz der Vollharmonisierung vor. Die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 1a Unterabs. 4 Ziffer iii der Richtlinie 2004/109/EG seien gegeben.

24Diese Ansicht stützt sich vor allem auf die Entstehungsgeschichte der Richtlinie. Der Ausnahmebestimmung in Art. 3 Abs. 1a Unterabs. 4 Ziffer iii der Richtlinie 2004/109/EG liege ein Kompromissvorschlag des Rats der Europäischen Union zugrunde und sei gerade auf den Einwand einiger Mitgliedstaaten (auch Deutschlands), das von der Europäischen Kommission zunächst vorgesehene Konzept der ausnahmslosen Vollharmonisierung nehme nicht hinreichend Rücksicht auf etablierte mitgliedstaatliche Acting in Concert Regelungen, eingefügt worden. Daher sei die Ausnahme dafür konzipiert, bestehende nationale Acting in Concert Konzepte zu erhalten. Dieses Ziel habe in den Verhandlungen großes Gewicht gehabt, da es sich bei der fortbestehenden Zulässigkeit der bewährten Strukturen im Bereich des Acting in Concert um ein zentrales Anliegen vieler Mitgliedstaaten gehandelt habe.

25Neben entstehungsgeschichtlichen Erwägungen werden auch teleologische Aspekte angeführt. So lasse sich § 34 Abs. 2 WpHG materiell durchaus auch als übernahmerechtliche Vorschrift iSv Art. 3 Abs. 1a Unterabs. 4 Ziffer iii der Richtlinie 2004/109/EG auffassen. Vor allem beruhe die wortlautidentische Ausgestaltung von § 34 Abs. 2 WpHG und § 30 Abs. 2 WpÜG auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers. Die unionsrechtliche Anerkennung der mitgliedstaatlichen Regelung könne nicht von dem formalistischen Umstand abhängen, ob das Wertpapierhandelsgesetz auf den übernahmerechtlichen Zurechnungstatbestand verweise oder diesen absichtsvoll nachbilde.

262. Die Vorlagefrage ist für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich. An der Entscheidungserheblichkeit fehlt es nur dann, wenn die Antwort auf die Frage, wie auch immer sie ausfällt, keinerlei Einfluss auf die Entscheidung des Rechtsstreits haben kann (ECLI:EU:C:2021:799 Rn. 34 - Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi mwN). Dies ist hier nicht der Fall.

27Der Erfolg der Revision der Kläger hängt von der unionsrechtlichen Auslegung von Art. 3 Abs. 1a Unterabs. 4 Ziffer iii der Richtlinie 2004/109/EG ab. Das Berufungsgericht hat im vorliegenden Rechtsstreit das klageabweisende Urteil mit der Begründung bestätigt, die Kläger müssten sich ihre Stimmrechte untereinander aufgrund einer Verständigung in sonstiger Weise im Sinne von § 34 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 WpHG zurechnen lassen, ohne dass sich die Revision der Kläger gegen die dieser Beurteilung zugrunde liegenden Feststellungen des Berufungsgerichts wendet. Würde das Unionsrecht der Anwendung von § 34 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 WpHG jedoch entgegenstehen, müsste der Senat das Berufungsurteil aufheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverweisen, damit es weitere Feststellungen zum Vorliegen einer Vereinbarung i.S.v. § 34 Abs. 2 Satz 1 Fall 1 WpHG treffen kann. Wäre § 34 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 WpHG demgegenüber unionrechtskonform, wäre die Revision zurückzuweisen, weil die Kläger infolge eines Verstoßes gegen ihre Mitteilungspflichten nach § 44 Abs. 1 Satz 1 WpHG einem Rechtsverlust unterlagen und daher nicht zur Anfechtung der auf der Hauptversammlung der Beklagten vom gefassten Beschlüsse befugt gewesen wären. Auf das alternative Vorliegen einer Vereinbarung gemäß § 34 Abs. 2 Satz 1 Fall 1 WpHG käme es dann nicht an.

28Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Kläger - eine Stimmrechtszurechnung nach § 34 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 WpHG für das Vorlageverfahren unterstellt - aufgrund der unterlassenen Mitteilung des Überschreitens der 10 %-Schwelle vor der Hauptversammlung 2017 und des Unterschreitens der 10 %-Schwelle vor der Hauptversammlung 2018 einem aus dem Verstoß gegen ihre Mitteilungspflichten folgenden Rechtsverlust nach § 44 Abs. 1 Satz 1 WpHG unterlägen und daher nicht zur Anfechtung der auf der Hauptversammlung der Beklagten vom gefassten Beschlüsse befugt wären.

29§ 44 WpHG lautet wie folgt:

    § 34 § 33 Absatz 1 oder 2 § 58 Abs. 4 § 271 § 33

    § 38 Absatz 1 § 39 Absatz 1

30Allerdings ist umstritten, ob der Rechtsverlust nach § 44 Abs. 1 Satz 1 WpHG, der auch die Anfechtungsbefugnis nach § 245 Nr. 1 AktG erfasst (, ZIP 2020, 2183 Rn. 12; Urteil vom - II ZR 190/17, ZIP 2018, 2214 Rn. 10 [jeweils zu § 28 WpHG aF]; Zimmermann in Fuchs/Zimmermann, WpHG, 3. Aufl., § 44 Rn. 39), mit Wirkung für die Zukunft auch ohne Nachholung der Mitteilung endet, wenn die erforderliche Mitteilung des Überschreitens oder Unterschreitens eines Schwellenwertes unterblieben ist und das Überschreiten oder Unterschreiten nachfolgend rückgängig gemacht wird.

31a) Nach einer Ansicht (Schabel/Korff, ZBB 2007, 179, 184 [zu § 28 WpHG aF]) entfällt in einem solchen Fall der mit einem Stimmrechtsverlust zu sanktionierende Verstoß gegen Mitteilungspflichten. Da der Kapitalmarkt nur ein Transparenzinteresse an den aktuellen Gegebenheiten des Emittenten habe, sei eine Mitteilung mit dem korrigierenden Rückfall in das Ausgangsintervall nicht nur entbehrlich, sondern wäre vielmehr irreführend. Danach wäre der zunächst mit dem Überschreiten der 10 %-Schwelle vor der Hauptversammlung 2017 eingetretene Stimmrechtsverlust ex nunc mit dem Unterschreiten der10 %-Schwelle vor der Hauptversammlung 2018 wieder entfallen, weshalb die Kläger hinsichtlich der auf der Hauptversammlung 2018 gefassten Beschlüsse anfechtungsbefugt wären.

32b) Nach nahezu einhelliger anderer Ansicht endet der Rechtsverlust nach § 44 Abs. 1 WpHG nicht automatisch im Fall des erneuten Über- und Unterschreitens der Schwelle, sondern nur durch Erfüllung der Mitteilungspflicht (OLG Hamm AG 2009, 876, 880 MünchKommAktG/Bayer, 6. Aufl., § 44 WpHG Rn. 52, § 34 WpHG Rn. 53; Becker in Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG, 2015, § 28 aF Rn. 22; Dieckmann in Seibt/Buck-Heeb/Harnos, Wertpapierhandelsrecht, 2024, § 44 WpHG Rn. 65 ff.; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 10. Aufl., § 44 WpHG Rn. 19; von Hein in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 5. Aufl., § 44 WpHG Rn. 19;KK-WpHG/Kremer/Oesterhaus, 2. Aufl., § 28 aF Rn. 83; Opitz in Schäfer/Hamann, Kapitalmarktgesetze, 2. Aufl., § 28 WpHG aF Rn. 39; BeckOGK AktG/Petersen, Stand , § 22 Rn. 211; Poelzig in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 4. Aufl., § 44 WpHG Rn. 8; Schilha in Bürgers/ Körber/Lieder, AktG, 5. Aufl., Anh. § 22/§ 44 WpHG Rn. 7; Veil in K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl., § 44 WpHG Rn. 14; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 8. Aufl., § 44 WpHG Rn. 57 f.; Zimmermann in Fuchs/Zimmermann, WpHG, 3. Aufl., § 44 Rn. 20; Nartowska, Rechtsverlust nach § 28 WpHG, 2013, S. 214 ff.;Heinrich/Kiesewetter, Konzern 2009, 137, 145; Riegger, Festschrift Westermann, 2008, S. 1331, 1339; Sven H. Schneider/Uwe H. Schneider, ZIP 2006, 493, 496 f.; vgl. OLG Frankfurt ZIP 2007, 864, 867).

33Innerhalb dieser Ansicht ist wiederum umstritten, ob bei einem wiederholten Verstoß gegen Mitteilungspflichten für einen Wegfall des Rechtsverlusts die Erfüllung der letzten Mitteilungspflicht ausreicht (so MünchKommAktG/Bayer, 6. Aufl., § 44 WpHG Rn. 51; KK-WpHG/Kremer/Oesterhaus, 2. Aufl., § 28 a.F. Rn. 83; Poelzig in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 4. Aufl., § 44 WpHG Rn. 8; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider/ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 8. Aufl., § 44 WpHG Rn. 59; BeckOGK AktG/Petersen, Stand , § 22 Rn. 209; Zimmermann in Fuchs/Zimmermann, WpHG, 3. Aufl., § 44 Rn. 20; Nartowska, Rechtsverlust nach § 28 WpHG, 2013, S. 207 ff.; Heinrich/Kiesewetter, Konzern 2009, 137, 145;Sven H. Schneider/Uwe H. Schneider, ZIP 2006, 493, 496) oder ob der Stimmrechtsverlust erst dann endet, wenn sämtliche Mitteilungspflichten nachgeholt wurden (so Dieckmann in Seibt/Buck-Heeb/Harnos, Wertpapierhandelsrecht, 2024, § 44 WpHG Rn. 66; Opitz in Schäfer/Hamann, Kapitalmarktgesetze, 2. Aufl., § 28 WpHG aF Rn. 41; Riegger, Festschrift Westermann, 2008, S. 1331, 1339), was für den vorliegenden Fall insoweit unerheblich ist, als jedwede Mitteilung unterlassen wurde. Daher wären die Kläger hinsichtlich der auf der Hauptversammlung 2018 gefassten Beschlüsse nach beiden Ansichten nicht anfechtungsbefugt.

34c) Richtig ist die zuletzt genannte Ansicht. Der Rechtsverlust nach § 44 Abs. 1 Satz 1 WpHG endet nicht automatisch im Fall des korrigierenden Über- oder Unterschreitens der Schwelle, sondern nur durch Erfüllung jedenfalls der letzten Mitteilungspflicht.

35aa) Bereits der Wortlaut des § 44 Abs. 1 Satz 1 WpHG spricht dagegen, dass das Ende des Rechtsverlustes unabhängig von der Nachholung der Meldepflicht eintritt. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 WpHG besteht der Rechtsverlust für die Zeit, für welche die Mitteilungspflichten nach § 33 Abs. 1 oder 2 WpHG nicht erfüllt werden. Daraus ergibt sich, dass die Mitteilungspflichten ohne Erfüllung derselben fortdauern und nicht deswegen entfallen, weil der Meldepflichtige durch Verkäufe den überschrittenen meldepflichtigen Schwellenwert später wieder unterschreitet bzw. durch Zukäufe den unterschrittenen wieder überschreitet.

36Dass eine rechtsverlustbeendende Nachholung ohne Mitteilung im gesetzlichen Konzept des Stimmrechtsverlusts grundsätzlich nicht vorgesehen ist, ergibt sich gleichermaßen aus dem Wortlaut des § 44 Abs. 1 Satz 2 WpHG, der den rückwirkenden Wegfall des Rechtsverlusts für bestimmte, hier nicht einschlägige Aktionärsrechte von einer Nachholung der Mitteilung abhängig macht.

37bb) Auch aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ergibt sich nichts Gegenteiliges. Der Regierungsentwurf zum Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie verhält sich zu der hier aufgeworfenen Frage nicht. Soweit es dort heißt, die Pflichtverletzung ende in dem Moment, in dem der Meldepflichtige entweder eine ordnungsgemäße Mitteilung mache oder die fraglichen Instrumente nicht mehr im Bestand habe, was bei Verkauf, Verfall oder Ausübung der Fall sei (RegE zum Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie, BT-Drucks. 18/5010, S. 48 zu § 28 Abs. 2 aF, der § 44 Abs. 2 WpHG entspricht), bezieht sich diese Aussage nur auf die neu angefügte Vorschrift des § 44 Abs. 2 WpHG, die den Rechtsverlust des Meldepflichtigen auf die Nichterfüllung der Mitteilungspflichten hinsichtlich der von § 38 Abs. 1 WpHG erfassten Instrumente und in Bezug auf die nach § 39 WpHG vorgeschriebene Zusammenrechnung ausgedehnt hat (vgl. Dieckmann in Seibt/Buck-Heeb/Harnos, Wertpapierhandelsrecht, 2024, § 44 WpHG Rn. 99 f.; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 10. Aufl., § 44 WpHG Rn. 19; BeckOGK AktG/Petersen, Stand , § 22 Rn. 212; von Hein in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 5. Aufl., § 44 WpHG Rn. 24; vgl. auch Emittentenleitfaden der BaFin, Stand , Modul B, S. 48; aA Poelzig in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 4. Aufl., § 44 WpHG Rn. 8 mit Fn. 28). Ein solches Verständnis der Gesetzesbegründung erscheint auch deswegen geboten, weil Aktien, anders als Instrumente, nicht der "Ausübung" oder dem "Verfall" unterliegen, die für ein alternatives Ende des Rechtsverlusts in der Gesetzesbegründung erwähnten Beispiele im unmittelbaren Anwendungsbereich von § 44 Abs. 1 WpHG - mit Ausnahme des Verkaufs - also keine Rolle spielen. Dass der Gesetzgeber mit seiner auf Instrumente bezogenen Formulierung in der Gesetzesbegründung gleichzeitig im hier aufgeworfenen Meinungsstreit Position beziehen und sich implizit gegen die bereits im Jahr 2015 ganz herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur stellen wollte, erscheint fernliegend.

38cc) Auch teleologische Aspekte stützen die Annahme, der Stimmrechtsverlust nach § 44 Abs. 1 Satz 1 WpHG ende nicht ohne Meldung aufgrund faktischer Erledigung. Ein solches Verständnis der Beteiligungstransparenz sichert die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts(so aber Schabel/Korff, ZBB 2007, 179, 184) Denn zum wesentlichen Inhalt einer Stimmrechtsmitteilung gehört gemäß Nr. 5 und Nr. 6 der Anlage zu § 12 Abs. 1 der Verordnung zur Konkretisierung von Anzeige-, Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten nach dem Wertpapierhandelsgesetz (die Angabe des Datums der meldepflichtigen Veränderung sowie der Höhe des Stimmrechtsanteils nach der letzten meldepflichtigen Veränderung. Bei einem Verzicht auf eine Mitteilung im Fall der faktischen Erledigung würden die zuletzt genannten Angaben jedoch nicht den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen.

39Hinzu kommt, dass der Kapitalmarkt oder der Emittent von der meldepflichtigen Veränderung auf andere Weise als durch eine ordnungsgemäße Mitteilung des Meldepflichtigen Kenntnis erlangt haben kann. In einem solchen Fall kann bei einem nachträglichen Wegfall der ursprünglichen Schwellenüberschreitung oder Schwellenunterschreitung Beteiligungstransparenz nur durch eine ordnungsgemäße Meldung erreicht werden (vgl. auch Koch, AktG, 18. Aufl., § 20 Rn. 7).

40Soweit die Gegenansicht geltend macht, das Erfordernis der Nachholung der Meldung konterkariere den Transparenzgedanken, weil eine den Inhalt der ursprünglichen Mitteilung wiederholende Mitteilung und eine daraufhin erfolgende Veröffentlichung das Anlegerpublikum irritieren würde (Schabel/Korff, ZBB 2007, 179, 184), trifft dies nicht zu. Eine Irritation ist schon deswegen ausgeschlossen, weil die Angabe des Datums der neuerlichen Schwellenüberschreitung oder -unterschreitung in der aktuellen Meldung ausreichend Transparenz schafft.

41dd) Auch der Umstand, dass bei einem wiederholten Verstoß gegen Meldepflichten die Nachholung der letzten Meldepflicht als ausreichend angesehen wird (MünchKommAktG/Bayer, 6. Aufl., § 44 WpHG Rn. 51;KK-WpHG/Kremer/Oesterhaus, 2. Aufl., § 28 a.F. Rn. 83; Poelzig in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 4. Aufl., § 44 WpHG Rn. 8;Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 8. Aufl., § 44 WpHG Rn. 59; BeckOGK AktG/Petersen, Stand , § 22 Rn. 209; Zimmermann in Fuchs/Zimmermann, WpHG, 3. Aufl., § 44 Rn. 20; Nartowska, Rechtsverlust nach § 28 WpHG, 2013, S. 207 ff.; Heinrich/Kiesewetter, Konzern 2009, 137, 145;Sven H. Schneider/ Uwe H. Schneider, ZIP 2006, 493, 496; aA Dieckmann in Seibt/Buck-Heeb/Harnos, Wertpapierhandelsrecht, 2024, § 44 WpHG Rn. 66; Opitz in Schäfer/Hamann, Kapitalmarktgesetze, 2. Aufl., § 28 WpHG aF Rn. 41;Riegger, Festschrift Westermann, 2008, S. 1331, 1339) spricht nicht dafür, dass bei nachträglichem Wegfall des mitteilungspflichtigen Tatbestands der Rechtsverlust automatisch ohne Meldung endet.

42Die Frage, ob sämtliche Mitteilungspflichten bei wiederholten Verstößen zu erfüllen sind, ist von der Frage zu unterscheiden, ob es bei einer faktischen Korrektur des meldepflichtigen Zustands einer Erfüllung zumindest der letzten Mitteilungspflicht bedarf. Auch die Stimmen im Schrifttum, die bei mehreren Meldepflichtverletzungen für das Ende des Stimmrechtsverlustes die Erfüllung der letzten Meldepflicht genügen lassen (MünchKommAktG/Bayer, 6. Aufl., § 44 WpHG Rn. 51; Poelzig in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 4. Aufl., § 44 WpHG Rn. 8; Sven H. Schneider/Uwe H. Schneider, ZIP 2006, 493, 496), nehmen bei einer gänzlich unterlassenen Mitteilung einen Stimmrechtsverlust an.

43ee) Des Weiteren geht die überwiegende Meinung bei den hier wegen des Vorrangs der kapitalmarktrechtlichen Publizitätspflichten (§ 20 Abs. 8 AktG i.V.m. § 33 Abs. 4 WpHG) nicht anwendbaren aktienrechtlichen Mitteilungspflichten nach § 20 Abs. 5 AktG ebenfalls davon aus, der schwellenunterschreitende Wegfall eines Aktienbesitzes sei auch dann mitzuteilen, wenn bereits die ursprüngliche Mitteilung unterlassen wurde (MünchKommAktG/Bayer, 6. Aufl., § 20 Rn. 27; Koch, AktG, 18. Aufl., § 20 Rn. 7; BeckOGK AktG/Petersen,Stand , § 20 Rn. 51; Grigoleit/Rachlitz, AktG, 2. Aufl., § 20 Rn. 21; Schilha in Bürgers/Körber/Lieder, AktG, 5. Aufl., § 20 Rn. 19; Veil inK. Schmidt/Lutter, AktG, 5. Aufl., § 20 Rn. 31; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 10. Aufl., § 20 AktG Rn. 29; MünchHdbGesR II/Krieger, 5. Aufl., § 69 Rn. 126; Arends, Die Offenlegung von Aktienbesitz nach deutschem Recht, 2000, S. 16; Burgard, Die Offenlegung von Beteiligungen, Abhängigkeits- und Konzernlagen bei der Aktiengesellschaft, 1990, S. 53; offenlassend Windbichler in GroßkommAktG, 5. Aufl., § 20 Rn. 38 [aA noch 4. Aufl.]). Die zu § 20 Abs. 5 AktG vereinzelt vertretene Gegenansicht Keßler in Henssler/Strohn, GesR, 6. Aufl., § 20 AktG Rn. 7; KK-AktG/Koppensteiner, 3. Aufl., § 20 Rn. 21 und 50; Diekmann, DZWiR 1994, 13, 14) ist hingegen nicht überzeugend, weil sie aus den oben angeführten Argumenten dem Interesse der Beteiligungstransparenz widerspricht.

Born                         Wöstmann                         Bernau

             Sander                              Adams

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:221024BIIZR193.22.0

Fundstelle(n):
KAAAJ-81789