Tatbestand
1Das Verfahren betrifft die Verpflichtung zur Duldung einer COVID-19-Impfung.
2Der ... geborene Antragsteller trat 1987 in die Bundeswehr ein und war Soldat auf Zeit. Nach Ablauf seiner Dienstzeit am wurde er in die Reserve versetzt und dort zuletzt im Jahre 2021 zum Major der Reserve ernannt. Der Antragsteller leistete letztmalig Reservistendienst in der Zeit vom bis beim ... der Bundeswehr. Bei dieser Stelle war er bis zum beordert. Die Beorderung des Antragstellers wurde am mit Wirkung vom aufgehoben.
3Mit Wirkung vom trat im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung nach Beteiligung des Gesamtvertrauenspersonenausschusses, des Hauptpersonalrates und der Hauptschwerbehindertenvertretung eine Änderung der Allgemeinen Regelung (AR) A1-840/8-4000 "Impf- und ausgewählte Prophylaxemaßnahmen - Fachlicher Teil" in Kraft. Dadurch wurde die Impfung gegen den COVID-19-Erreger in die Liste der Basisimpfungen in Nr. 2001 AR A1-840/8-4000 aufgenommen. Nach Nr. 1080 AR A1-840/8-4000 erfordern die COVID-19-Impfstoffe eine oder zwei Teilimpfungen sowie Auffrischimpfungen gemäß den aktuellen nationalen Empfehlungen. Nach Nr. 2023 und 2024 AR A1-840/8-4000 ist für alle Kräfte (Einheiten und Einzelpersonen), die für Hilfs- und Unterstützungsleistungen im Inland eingesetzt werden - die sogenannten "Hilfs- und Katastrophenkräfte Inland" - die Basisimmunisierung erforderlich. Nr. 210 der Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) A-840/8 "Impf- und weitere ausgewählte Prophylaxemaßnahmen" sieht vor, dass alle Soldaten die angewiesenen Impf- und Prophylaxemaßnahmen und Impfungen der "Hilfs- und Katastrophenkräfte Inland" zu dulden haben. Nach Nr. 406 ZDv A-840/8 sind damit alle aktiven Soldaten duldungspflichtig zu impfen, sofern in der Person des Soldaten keine individuelle medizinische Kontraindikation vorliegt.
4Gegen die Änderungen der AR A1-840/8-4000 hat der Antragsteller am beim Bundesministerium der Verteidigung einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Das Bundesministerium der Verteidigung hat diesen Antrag mit einer Stellungnahme am dem Senat vorgelegt.
5Mit Schreiben vom teilte das Bundesministerium der Verteidigung mit, dass der Wehrmedizinische Beirat unter dem für eine Herabstufung der bisherigen Duldungspflicht für alle Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr hin zu einer bloßen Empfehlung einer Impfung gegen COVID-19 votiert habe. Daraufhin habe das Kommando des Sanitätsdienstes der Bundeswehr eine Neubewertung vorgenommen und im Anschluss an das Votum des Wehrmedizinischen Beirats vorgeschlagen, die AR A1-840/8-4000 entsprechend zu ändern. Diesem Vorschlag sei der Bundesminister der Verteidigung am gefolgt und habe dessen Umsetzung eingeleitet.
6Der Antragsteller macht geltend, wegen der geänderten gesundheitspolitischen Risiko- und Erkenntnislage verstoße die fortgesetzte Impfduldungspflicht gegen die Grundrechte der Soldatinnen und Soldaten gemäß Art. 1 bis 3 und 15 der Charta der Europäischen Union sowie Art. 1 bis 4 und 12 GG. Die neue Erkenntnislage zum Infektionsselbst- und -fremdschutz und zu den (auch letalen) Nebenwirkungen der Impfung sowie die fehlende Datenlage im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung führten zur gegenwärtigen Rechtswidrigkeit der vorgenannten Vorschrift. Weiter wirke die Duldungspflicht wie ein Berufsverbot. Für seinen hilfsweise gestellten Fortsetzungsfeststellungsantrag verfüge er über ein entsprechendes Interesse. Es ergebe sich aus einer Wiederholungsgefahr, seinem Rehabilitierungsinteresse, der präjudiziellen Wirkung und aus dem fortgesetzten schwerwiegenden Grundrechtseingriff, den die angefochtene Entscheidung mit sich gebracht habe. Für seine Anträge seien die Ereignisse und die Entscheidungen des Bundesministeriums der Verteidigung nach Antragstellung am bedeutungslos. Das gelte insbesondere für die Entscheidung des Bundesministers der Verteidigung vom .
7Der Antragsteller beantragt,
die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts darüber, ob die Entscheidung des Bundesministeriums der Verteidigung, an der COVID-Impfduldungspflicht für Soldaten festzuhalten,
1. rechtmäßig,
2. verhältnismäßig und ermessensgerecht ist.
8Hilfsweise hat er einen Fortsetzungsfeststellungsantrag gestellt.
9Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
10Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten verwiesen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung und die Personalgrundakte haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
Gründe
11Der Antrag ist bereits unzulässig.
121. Das mit dem Hauptantrag verfolgte - bei rechtsschutzfreundlicher Auslegung auf eine Aufhebung der Anweisung der Bundesverteidigungsministerin vom zur Aufnahme der COVID-19-Impfung in das Basisimpfschema der Bundeswehr Allgemeine Regelung "Impf- und ausgewählte Prophylaxemaßnahmen - Fachlicher Teil" A 1-840/8-4000 gerichtete - Anfechtungsbegehren hat sich - ungeachtet der in § 15 WBO enthaltenen Regelung - erledigt, weil der Antragsteller mit dem Ablauf seiner Verpflichtungszeit bzw. nach Beendigung seiner letzten Reservedienstleistung am nicht mehr der angefochtenen Anweisung unterliegt.
13Der Antragsteller gehört nicht zum impfpflichtigen Personenkreis (vgl. auch zum Nachfolgenden 1 WB 11.22 - juris Rn. 17). Die in § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG geregelte Pflicht, ärztliche Maßnahmen, die zur Verhütung oder Bekämpfung übertragbarer Krankheiten dienen, dulden zu müssen, trifft nur aktive Soldaten. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 SG ist Soldat, wer aufgrund der Wehrpflicht oder freiwilliger Verpflichtung in einem Wehrdienstverhältnis steht. Mit dem Ablauf seiner Verpflichtungszeit endete das Wehrdienstverhältnis als Zeitsoldat. Auch nach der Regelungstechnik des Erlasses A 1-840/8-4000 richtet sich die Pflicht zur Duldung der COVID-19-Impfung nach deren Aufnahme in das Basisimpfschema der Bundeswehr lediglich an aktive Soldaten. Die Basisimpfungen sind danach für alle militärischen Kräfte vorgeschrieben, die im Inland im Rahmen der Hilfs- und Katastrophenschutzaufgaben der Bundeswehr (Art. 35 GG) zum Einsatz kommen (Nr. 2023 und 2024 AR A1-840/8-4000). Zum "Hilfs- und Katastrophenschutz Inland" zählen nach Nr. 406 Satz 3 der Zentralen Dienstvorschrift A-840/8 "Impf- und weitere ausgewählte Prophylaxemaßnahmen" alle aktiven Soldatinnen und Soldaten (s. dazu 1 WB 2.22 - BVerwGE 176, 138 Rn. 26).
14Als Reservist unterliegt der Antragsteller der Pflicht nach § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG ebenfalls nicht, weil er in keinem Wehrdienstverhältnis steht. Ein solches Dienstverhältnis setzt eine Heranziehung zur Dienstleistung voraus (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 59 Abs. 2 SG; dazu s. 1 WB 11.22 - juris Rn. 18), die hier seit seiner letzten Reservedienstleistung nicht mehr erfolgt und wegen der Aufhebung der Beorderung auch nicht mehr zu erwarten ist.
152. Der im Falle der Erledigung grundsätzlich statthafte Fortsetzungsfeststellungsantrag (§ 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 19 Abs. 1 Satz 3 WBO) ist hier unzulässig, weil dem Antragsteller kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zur Seite steht.
16a) Hat sich eine truppendienstliche Maßnahme, die - wie hier - keinen Befehl im Sinne von § 2 Nr. 2 WStG darstellt, vor der gerichtlichen Entscheidung erledigt, so entscheidet das Wehrdienstgericht gemäß § 19 Abs. 1 Satz 3 WBO, ob die Maßnahme rechtswidrig gewesen ist, wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Diese Bestimmung verlangt zwar von dem jeweiligen Antragsteller nicht mehr die förmliche Stellung eines Feststellungsantrages. Dieser muss aber das Feststellungsinteresse substantiiert geltend machen (stRspr, 1 WB 42.09 - NZWehrr 2010, 161 <161> m. w. N.). Daran fehlt es hier.
17Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann sich das berechtigte Interesse an der Feststellung aus einem Rehabilitierungsinteresse, aus einer Wiederholungsgefahr oder aus der Absicht ergeben, einen Schadensersatzanspruch geltend zu machen, sofern dieser nicht von vornherein als aussichtslos erscheint. Ein Feststellungsinteresse kommt zudem in Betracht, wenn die erledigte Maßnahme eine fortdauernde faktische Grundrechtsbeeinträchtigung nach sich zieht (stRspr, 1 WB 21.23 - juris Rn. 20 m. w. N.).
18b) Dem Antragsvorbringen des Antragstellers lässt sich kein Anhaltspunkt für ein mögliches Feststellungsinteresse entnehmen.
19aa) Eine konkrete Wiederholungsgefahr besteht nicht.
20(1) Ein Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten dienstlichen Maßnahme setzt unter dem hier geltend gemachten Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr die hinreichend bestimmte und nicht nur abstrakte Gefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen erneut eine gleichartige dienstliche Maßnahme ergehen wird (vgl. zum Verwaltungsprozessrecht 8 C 3.19 - BVerwGE 167, 189 Rn. 15 und vom - 6 C 2.22 - NVwZ 2024, 1027 Rn. 17). Ist dagegen ungewiss, ob in Zukunft noch einmal die gleichen tatsächlichen Verhältnisse eintreten wie im Zeitpunkt des Erlasses der erledigten dienstlichen Maßnahme, kann das Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht aus einer Wiederholungsgefahr hergeleitet werden (vgl. 4 C 12.04 - juris Rn. 8 m. w. N.).
21(2) Ausgehend hiervon ist weder nach dem Vorbringen des Antragstellers noch sonst erkennbar, dass es in absehbarer Zeit zu einer Situation kommen könnte, die zur Aufnahme der COVID-19-Impfung in den Katalog der Basisimpfungen führen würde. Das gilt bereits deshalb, weil bei den Soldaten der Bundeswehr gegenwärtig ein sehr hoher Impfschutz im Sinne einer Basisimmunität in Kombination mit einer durch vergangene Erkrankungswellen entstandenen hohen Quote einer so genannten hybriden Immunität vorliegt. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass die Bevölkerung infolge der bisherigen Zirkulation des SARS-CoV-2-Virus eine latente Durchseuchung mit der Folge erfahren hat, dass die COVID-19-Erkrankung ihr hohes Bedrohungspotential verloren und sich zu einer "normalen" Infektionskrankheit entwickelt hat. Wie sich die Krankheit und das SARS-CoV-2-Virus weiterentwickeln werden, lässt sich nicht näher bestimmen. Derzeit fehlt es an belastbaren Anhaltspunkten dafür, dass das von dem Virus ausgehende Bedrohungspotential ein Niveau erreichen wird, das erneut zur Einführung einer Duldungspflicht führen könnte.
22bb) Ein Rehabilitierungsinteresse ist ebenfalls zu verneinen.
23(1) Dieses Interesse setzt voraus, dass der angefochtenen Maßnahme oder Entscheidung selbst eine diskriminierende Wirkung zuzuschreiben ist oder dass der jeweilige Antragsteller Umstände vorträgt, die entweder objektiv gesehen im Zusammenhang mit der angefochtenen Entscheidung auf eine Diskriminierungsabsicht oder auf eine tatsächlich durch die angegriffene Entscheidung eingetretene Diskriminierung schließen lassen ( 1 WB 59.13 - NZWehrr 2014, 255 <256 f.> m. w. N.).
24(2) Diese Bedingungen sind hier nicht erfüllt. Eine unmittelbare oder beabsichtigte Diskriminierung des Antragstellers lässt sich aus dem Inhalt des Erlasses über die Aufnahme der COVID-19-Impfung in die Liste der grundsätzlich verpflichtenden Basisimpfungen nicht ansatzweise erkennen. Eine Stigmatisierung des Antragstellers, die geeignet sein könnte, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder in seinem sozialen Umfeld herabzusetzen, ist mit dem auf eine Gesunderhaltung der Soldatinnen und Soldaten zur Aufrechterhaltung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr gerichteten Erlass nicht bezweckt; von dieser in seinen für alle Soldatinnen und Soldaten geltenden Rechtswirkungen und faktischen Wirkungen neutralen dienstlichen Maßnahme kann keine Stigmatisierung ausgehen.
25cc) Die angefochtene dienstliche Maßnahme zieht auch keine fortdauernde faktische Grundrechtsbeeinträchtigung für den Antragsteller nach sich. Wie bereits erörtert, unterliegt er der Duldungspflicht nicht mehr. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Antragsteller in der Zeit seiner Reservedienstleistung auf der Grundlage der geänderten Erlasslage eine COVID-19-Schutzimpfung hat erdulden müssen.
26dd) Schließlich kann sich der Antragsteller auch nicht auf ein Präjudizinteresse berufen. Seinen Darlegungen lässt sich schon nicht entnehmen, worin dieses Interesse konkret bestehen soll. Das gilt auch für die etwaige Absicht, einen Schadensersatzprozess führen zu wollen. Denn abgesehen davon, dass hier nicht ansatzweise zu erkennen ist, ob dem Antragsteller überhaupt ein Schaden entstanden ist, gilt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats für ein solchermaßen begründetes Fortsetzungsfeststellungsinteresse einschränkend, dass die Erledigung des ursprünglichen Antragsbegehrens erst nach Rechtshängigkeit des Antrags auf gerichtliche Entscheidung eingetreten sein darf; (nur) in einem solchen Fall entspricht es dem Gedanken der Prozessökonomie, das ursprünglich anhängige Anfechtungs- oder Verpflichtungsbegehren mit dem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme oder der Entscheidung bzw. der Unterlassung fortzusetzen, um die im Verfahren vor dem Wehrdienstgericht gewonnenen Erkenntnisse für den nachfolgenden Schadensersatzprozess zu erhalten ( 1 WB 47.22 - juris Rn. 21 m. w. N.). Eine solche Situation liegt hier nicht vor, weil die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache bereits lange vor Rechtshängigkeit des Antrags auf gerichtliche Entscheidung am eingetreten ist.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:301024B1WB42.24.0
Fundstelle(n):
KAAAJ-81669