BGH Urteil v. - I ZR 135/23

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Leitsatz

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Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. L 167 vom , S. 10), von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums (ABl. L 376 vom , S. 28) sowie von Art. 11 Abs. 4 und Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen für Rechte an Musikwerken für die Online-Nutzung im Binnenmarkt (ABl. L 84 vom , S. 72) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.    Ist es mit Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG, mit Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG sowie mit Art. 11 Abs. 4 und Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/26/EU vereinbar, wenn nach einer Vorschrift des nationalen Rechts eine Verwertungsgesellschaft kulturell bedeutende Werke fördern soll und dies zur Folge hat, dass auch Empfänger in den Genuss der Förderung gelangen, die (jedenfalls noch) nicht zum Kreis der Rechtsinhaber zählen?

2.    Für den Fall, dass die Erbringung sozialer, kultureller oder bildungsbezogener Leistungen gemäß Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/26/EU nur an Rechtsinhaber zulässig ist: Ist die Zulässigkeit der Erbringung solcher Leistungen davon abhängig, dass der Empfänger dieser Leistungen einen gegenwärtigen Vergütungsanspruch innehat, oder reicht die Inhaberschaft eines gegenwärtig nicht zu vergütenden Urheberrechts oder verwandten Schutzrechts aus? Setzt die Zulässigkeit solcher Leistungen das Bestehen eines Wahrnehmungsvertrags mit der Verwertungsgesellschaft voraus?

Gesetze: Art 5 Abs 2 Buchst b EGRL 29/2001, Art 6 Abs 1 S 1 EGRL 115/2006, Art 11 Abs 4 EURL 26/2014, Art 12 Abs 4 EURL 26/2014

Instanzenzug: Az: 29 U 7919/21 Urteilvorgehend LG München I Az: 42 O 13841/19 Teilurteil

Gründe

1A. Der Kläger ist Autor wissenschaftlicher Werke. Er macht neben eigenen Ansprüchen auch Ansprüche aus abgetretenem Recht des Autors F.        K.    (im Folgenden: Zedent) geltend, der überwiegend Reiseführer verfasst.

2Die Beklagte ist ein rechtsfähiger Verein kraft staatlicher Verleihung, in dem sich Wortautoren und deren Verleger zur gemeinsamen Verwertung von Urheberrechten zusammengeschlossen haben. Sie nimmt als einzige Verwertungsgesellschaft in Deutschland die ihr vertraglich anvertrauten urheberrechtlichen Befugnisse von Wortautoren und deren Verlegern wahr.

3Der Kläger schloss mit der Beklagten am / einen Wahrnehmungsvertrag (nachfolgend abgekürzt als WV K), der Zedent am 20. November/ (nachfolgend abgekürzt als WV Z). Beide sind auch Mitglieder der Beklagten. Der Kläger und der Zedent meldeten der Beklagten im Klagezeitraum ( bis ) diverse Werke und erhielten jeweils Ausschüttungen vom Aufkommen der Beklagten in der Sparte "Vervielfältigung von stehendem Text".

4In beiden Wahrnehmungsverträgen ist bestimmt, dass sich die Abrechnung und Auszahlung des Anteils des Klägers und des Zedenten am Aufkommen der Beklagten nach deren Satzung und Verteilungsplan richten (§ 6 WV K; § 4 Ziff. 1 WV Z). Diese Bestimmungen sind nach dem Wortlaut der beiden Wahrnehmungsverträge auch insoweit Vertragsbestandteil, als sie künftig geändert werden (§ 3 Satz 1 WV K; § 5 Satz 1 WV Z). Auch Änderungen der von der Beklagten verwendeten Wahrnehmungsverträge werden nach dem Wortlaut der Wahrnehmungsverträge Vertragsbestandteil (§ 3 Satz 2 WV K), wobei der Wahrnehmungsvertrag des Zedenten ein Zustimmungserfordernis vorsieht und die Zustimmung unter bestimmten Voraussetzungen fingiert wird (§ 5 Satz 2 und 3 WV Z).

5Die Satzung der Beklagten regelte in ihren während des streitgegenständlichen Zeitraums geltenden Fassungen auch die Förderungsausschüttung an den Förderungsfonds Wissenschaft der VG Wort GmbH (nachfolgend abgekürzt als FFW), einer eigenständigen GmbH, deren einzige Gesellschafterin die Beklagte ist.

6Gemäß § 2 Abs. 1 der Satzung des FFW vom ist der Zweck der Gesellschaft die Förderung von Wissenschaft und Forschung. Diese Förderung erfolgt nach § 9 der Satzung des FFW durch die Vergabe von Druckkostenzuschüssen für das Erscheinen wissenschaftlicher Werke und Fachwerke, die Vergabe von Zuschüssen für Forschungen, aus denen wissenschaftliche Werke oder Fachwerke hervorgehen sollen, sowie durch Vergabe von Zuschüssen für sonstige Maßnahmen zur Förderung des wissenschaftlichen Schrifttums und des Fachschrifttums. Die Zuschüsse können von Urhebern und Verlagen beantragt werden, die mit der Beklagten einen Wahrnehmungsvertrag abgeschlossen haben.

7Der Kläger wendet sich aus eigenem und aus abgetretenem Recht des Zedenten dagegen, dass die Beklagte im Zeitraum vom bis den FFW an ihren Einnahmen beteiligte und dadurch seinen Anteil und den des Zedenten hieran schmälerte.

8Der Kläger hat - soweit für das Vorlageverfahren von Bedeutung - beantragt festzustellen,

dass die Beklagte nicht berechtigt war und nicht berechtigt ist, die Ausschüttungen der auf die Werke des Klägers sowie auf Fach- und Sachbücher des [Zedenten] entfallenden Anteile an den Erlösen aus der Wahrnehmung der gesetzlichen Vergütungsansprüche gemäß den §§ 27, 54 ff. UrhG, die auf den Wahrnehmungszeitraum vom bis zum entfallen, durch Zahlungen aus diesen Erlösen für folgende Zwecke zu vermindern: (…)

Zuwendungen an den Förderungsfonds Wissenschaft der VG Wort GmbH.

9Ferner hat der Kläger Auskunft über die Höhe der an den FFW gezahlten Zuwendungen verlangt.

10Das Landgericht hat dem Feststellungsantrag vollständig, dem Auskunftsantrag zugunsten des Zedenten vollständig und zugunsten des Klägers nur teilweise stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Verurteilung zugunsten des Zedenten aufrechterhalten und die Klage hinsichtlich des Klägers vollständig abgewiesen.

11Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiter. Mit seiner Anschlussrevision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

12B. Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung von Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG, von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG sowie von Art. 11 Abs. 4 und Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/26/EU ab. Vor einer Entscheidung über die Revision ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.

13I. Das Berufungsgericht hat die Klage hinsichtlich der Ansprüche des Zedenten als zulässig und begründet und hinsichtlich der Ansprüche des Klägers als zulässig, aber unbegründet angesehen. Hierzu hat es ausgeführt:

14Die aus abgetretenem Recht des Zedenten geltend gemachten Ansprüche auf Feststellung und Auskunft seien begründet, weil die Bestimmungen in den Verteilungsplänen der Jahre 2015 bis 2018 über die Ausschüttungen an den FFW als Allgemeine Geschäftsbedingungen gegen wesentliche Grundgedanken des Gesetzes über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten durch Verwertungsgesellschaften (VGG) verstießen und daher unwirksam seien, indem danach Nichtberechtigte an den Ausschüttungen beteiligt würden. Weil Ausschüttungen des Zedenten durch die Ausschüttungen an den FFW gemindert worden seien, seien dessen Feststellungs- und Auskunftsansprüche begründet. Hinsichtlich des Klägers könne allerdings nicht festgestellt werden, dass Ausschüttungen vermindert worden seien, so dass die auf eigene Ansprüche des Klägers gestützte Klage ohne Erfolg bleibe.

15II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision der Beklagten hat Erfolg, wenn das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen hat, dass die Bestimmungen in den Verteilungsplänen über die Ausschüttungen an den FFW unwirksam sind, weil sie Auszahlungen an einen Nichtberechtigten vorsehen. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Bestimmungen in den Verteilungsplänen als Allgemeine Geschäftsbedingungen unwirksam sind, sofern sie gegen den Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung verstoßen (dazu nachfolgend B II 1). Im Zusammenhang mit der Frage, ob ein solcher Verstoß im Streitfall gegeben ist, besteht Bedarf an unionsrechtlicher Klärung (dazu B II 2), von deren Ergebnis auch der Erfolg der Anschlussrevision des Klägers abhängt.

161. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei den Verteilungsplänen der Beklagten, soweit in den Wahrnehmungsvertrag einbezogen, um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt, deren Bestimmungen nach § 307 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB im Zweifel als unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners unwirksam sind, wenn sie von den Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung abweichen (vgl. , BGHZ 210, 77 [juris Rn. 25 bis 27] - Verlegeranteil).

17In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat das Berufungsgericht den Grundgedanken des § 7 Satz 1 WahrnG und des § 27 Abs. 1 VGG, nach denen die Verwertungsgesellschaft feste Regeln aufstellt, die ein willkürliches Vorgehen bei der Verteilung der Einnahmen aus den Rechten ausschließen (Verteilungsplan), darin gesehen, dass die Verwertungsgesellschaft die Einnahmen aus ihrer Tätigkeit ausschließlich an die Berechtigten zu verteilen hat, und zwar in dem Verhältnis, in dem diese Einnahmen auf einer Verwertung der Rechte und Geltendmachung von Ansprüchen der jeweiligen Berechtigten beruhen. Mit diesem Grundgedanken ist es unvereinbar, Nichtberechtigte an diesen Einnahmen zu beteiligen (zu § 7 Satz 1 WahrnG vgl. BGHZ 210, 77 [juris Rn. 30 bis 32] - Verlegeranteil).

182. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kommt allerdings in Betracht, dass die Ausschüttung zugunsten des FFW der Vorschrift des § 32 Abs. 1 VGG entspricht und daher nicht als gesetzeswidrige Beteiligung eines Nichtberechtigten anzusehen ist. In diesem Zusammenhang besteht unionsrechtlicher Klärungsbedarf.

19a) Nach § 32 Abs. 1 VGG soll die Verwertungsgesellschaft kulturell bedeutende Werke und Leistungen fördern. Diese Vorschrift beschränkt den Kreis der Empfänger von Förderung nicht auf Rechtsinhaber, sondern ermöglicht auch die Förderung zukünftigen Schaffens von Werken und Erbringens von Leistungen.

20b) Damit ist die unionsrechtlich klärungsbedürftige Frage aufgeworfen, ob es mit Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG, mit Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG sowie mit Art. 11 Abs. 4 und Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/26/EU vereinbar ist, wenn nach einer Vorschrift des nationalen Rechts - hier: § 32 Abs. 1 VGG - eine Verwertungsgesellschaft kulturell bedeutende Werke fördern soll und dies zur Folge hat, dass auch Empfänger in den Genuss der Förderung gelangen, die (jedenfalls noch) nicht zum Kreis der Rechtsinhaber zählen (Vorlagefrage 1).

21c) Im Ausgangspunkt gilt das unionsrechtliche Gebot, dass die Anspruchsberechtigten des im Rahmen der Ausnahmen gemäß Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29/EG geschuldeten gerechten Ausgleichs (Urheber und Leistungsschutzberechtigte) und der nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG geschuldeten Vergütung (die Urheber) diese Mittel unbedingt erhalten müssen (vgl. , GRUR 2012, 489 [juris Rn. 100 und 108] = WRP 2012, 806 - Luksan/van der Let; BGHZ 210, 77 [juris Rn. 46] - Verlegeranteil). Hierbei ist es zulässig, dass die Rechtsinhaber die Zahlung des gerechten Ausgleichs nicht unmittelbar erhalten, sondern ihnen ein Teil der dem gerechten Ausgleich dienenden Erlöse mittelbar über zu ihren Gunsten geschaffene soziale und kulturelle Einrichtungen ausbezahlt wird (vgl. , GRUR 2013, 1025 [juris Rn. 46 bis 55] = WRP 2013, 1169 - Amazon/Austro-Mechana).

22Vor diesem Hintergrund wird § 32 Abs. 1 VGG teilweise so verstanden, dass diese Vorschrift bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung keine Begünstigung von anderen Personen als Inhabern von Urheber- oder Leistungsschutzrechten gestattet, soweit letztere dem nicht zugestimmt haben (vgl. Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 9. Aufl., § 38 Rn. 1373).

23d) Es bedarf der Klärung, ob dieses strikte Verständnis im Lichte der später ergangenen Richtlinie 2014/26/EU zugunsten der Zulässigkeit der auf einer Beschlussfassung der Mitgliederversammlung beruhenden Förderung sozialer, kultureller oder bildungsbezogener Zwecke zugunsten von Empfängern, die (jedenfalls noch) nicht zum Kreis der Rechtsinhaber zählen, zu erweitern ist.

24aa) Nach der Definition des Art. 3 Buchst. c der Richtlinie 2014/26/EU ist "Rechtsinhaber" jede natürliche oder juristische Person mit Ausnahme von Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung, die Inhaber eines Urheber- oder eines verwandten Schutzrechts ist oder die aufgrund eines Rechteverwertungsvertrags oder gesetzlich Anspruch auf einen Anteil an den Einnahmen aus den Rechten hat.

25Nach Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2014/26/EU dürfen die Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung die Einnahmen aus den Rechten und die Erträge aus den Anlagen dieser Einnahmen nicht für andere Zwecke als zur Verteilung an die Rechtsinhaber verwenden, außer in Fällen, in denen sie gemäß einem nach Art. 8 Abs. 5 Buchst. d gefassten Beschluss die Verwaltungskosten einbehalten oder verrechnen oder die Einnahmen aus den Rechten und die Erträge aus den Anlagen dieser Einnahmen gemäß einem nach Art. 8 Abs. 5 gefassten Beschluss verwenden dürfen. Nach Art. 8 Abs. 5 Buchst. d der Richtlinie 2014/26/EU beschließt die Mitgliederhauptversammlung über die allgemeinen Grundsätze für die Abzüge von den Einnahmen aus den Rechten und von den Erträgen aus der Anlage von Einnahmen aus den Rechten. Aus Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/26/EU ergibt sich, dass durch solche Abzüge von der Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung erbrachte soziale, kulturelle oder Bildungsleistungen finanziert werden dürfen und dass solche Leistungen auf der Grundlage fairer Kriterien, insbesondere im Hinblick auf den Zugang zu solchen Leistungen und deren Umfang, bereitgestellt werden müssen.

26Nach Erwägungsgrund 3 Satz 2 der Richtlinie 2014/26/EU erbringen Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung im Interesse der Rechtsinhaber und der Öffentlichkeit soziale, kulturelle oder Bildungsleistungen. Erwägungsgrund 28 der Richtlinie 2014/26/EU erwähnt mögliche Abzüge von Kosten für soziale, kulturelle oder Bildungszwecke, die in der Entscheidungsbefugnis der Mitglieder der Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung liegen sollen (Satz 1) und verlangt die Offenlegung der Regeln, nach denen Abzüge (Satz 2) und die Verwendung der Einnahmen aus den Rechten erfolgen, wobei hier Stipendien ausdrücklich erwähnt werden (Satz 3). Nach Erwägungsgrund 28 Satz 4 der Richtlinie 2014/26/EU sollten Rechtsinhaber diskriminierungsfrei Zugang zu den damit finanzierten sozialen, kulturellen oder Bildungsleistungen erhalten.

27Bezogen auf nicht verteilbare Beträge sieht Art. 13 Abs. 6 der Richtlinie 2014/26/EU ("Verteilung an die Rechtsinhaber") vor, dass die Mitgliedstaaten die zulässigen Verwendungen durch Regelungen festlegen können, denen zufolge diese Beträge gesondert und unabhängig zur Finanzierung von sozialen, kulturellen oder Bildungsleistungen zugunsten von Rechtsinhabern verwendet werden müssen.

28bb) Die Regelungen in Art. 11 Abs. 4, Art. 8 Abs. 5 Buchst. d und Art. 12 Abs. 4 sowie Erwägungsgrund 3 und 28 der Richtlinie 2014/26/EU lassen ein Verständnis dahingehend zu, dass den Verwertungsgesellschaften die Erbringung sozialer, kultureller oder bildungsbezogener Leistungen nach Maßgabe der Beschlussfassung durch die Mitgliederversammlung auch zugunsten anderer Empfänger als der Rechtsinhaber möglich sein soll. Die Begünstigung von Schöpfern zukünftiger Werke oder von Erbringern zukünftiger Leistungen, die (noch) keine Rechtsinhaber sind, durch Druckkostenzuschüsse, Forschungszuschüsse oder Stipendien könnte als zulässige Verwendung für "andere Zwecke" im Sinne des Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2014/26/EU anzusehen sein, sofern die Beschlussfassung der Mitgliederversammlung dies vorsieht. Die in Art. 13 Abs. 6 der Richtlinie 2014/26/EU vorgesehene Ermächtigung zugunsten der Mitgliedstaaten, die Verwendung von nicht verteilbaren Beträgen zur Finanzierung von sozialen, kulturellen oder Bildungsleistungen zugunsten der Rechtsinhaber zu regeln, zwingt nicht zu einem anderweitigen Verständnis, weil es hier nicht um "Abzüge", sondern die Verteilung von "Einnahmen aus den Rechten" geht, die auch nach Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2014/26/EU zugunsten der Rechtsinhaber zu erfolgen hat.

29Mit Blick darauf, dass die Gewährleistung des gemäß Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29/EG vorzusehenden gerechten Ausgleichs (Urheber und Leistungsschutzberechtigte) und der nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG geschuldeten Vergütung (Urheber) als Ausprägung des Schutzes des geistigen Eigentums gemäß Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta angesehen werden kann, könnte die in der Kompetenz der Mitgliederversammlung liegende Mittelverwendung zugunsten anderer Empfänger als der Rechtsinhaber als gesetzliche Regelung der Eigentumsnutzung im Sinne des Art. 17 Abs. 1 Satz 3 EU-Grundrechtecharta angesehen werden. Der Gebrauch des Eigentums kann Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese Beschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der das Eigentum in seinem Wesensgehalt antastet (vgl. , Slg. 1998, I-7967 = PharmaR 1999, 45 [juris Rn. 79] - Generics [UK] u.a., mwN). Nach Erwägungsgrund 3 Satz 2 der Richtlinie 2014/26/EU erbringen Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung soziale, kulturelle oder Bildungsleistungen nicht nur im Interesse der Rechtsinhaber, sondern auch der Öffentlichkeit. Die gesetzliche Einschränkung des Vergütungsanspruchs durch die Möglichkeit der Förderung von Empfängern, die nicht Rechtsinhaber sind, dürfte nicht per se unverhältnismäßig sein und das Eigentumsgrundrecht auch nicht in seinem Wesensgehalt antasten. Zu prüfen bliebe die Wahrung der Verhältnismäßigkeit mit Blick auf die Umsetzung im Einzelfall.

30e) Für den Fall, dass die Erbringung sozialer, kultureller oder bildungsbezogener Leistungen gemäß Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/26/EU nur an Rechtsinhaber zulässig ist, besteht unionsrechtlicher Klärungsbedarf dahingehend, ob die Zulässigkeit der Erbringung solcher Leistungen davon abhängig ist, dass ihr Empfänger einen gegenwärtigen Vergütungsanspruch innehat, oder ob die Inhaberschaft eines gegenwärtig nicht zu vergütenden Urheberrechts oder verwandten Schutzrechts ausreicht, sowie ob die Zulässigkeit solcher Leistungen das Bestehen eines Wahrnehmungsvertrags mit der Verwertungsgesellschaft voraussetzt (Vorlagefrage 2).

31Ist die Erbringung sozialer, kultureller oder bildungsbezogener Leistungen gemäß Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/26/EU ausschließlich gegenüber Rechtsinhabern im Sinne von Art. 3 Buchst. c der Richtlinie 2014/26/EU zulässig, so sind unterschiedliche Gestaltungen denkbar: Ein Rechtsinhaber kann einen gegenwärtigen Vergütungsanspruch haben, oder zwar ein urheberrechtlich geschütztes Recht innehaben, aber keinen gegenwärtigen Vergütungsanspruch. Weiter kann danach differenziert werden, ob der Rechtsinhaber einen Wahrnehmungsvertrag mit der Verwertungsgesellschaft abgeschlossen hat oder nicht. Es ist zu klären, ob sich diese unterschiedlichen Umstände auf die Zulässigkeit der Erbringung sozialer, kultureller oder bildungsbezogener Leistungen gemäß Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/26/EU auswirken.

Koch                Löffler                Feddersen

          Schmaltz              Odörfer

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:211124BIZR135.23.0

Fundstelle(n):
IAAAJ-81366