Instanzenzug: Az: 16 U 1099/21vorgehend LG Nürnberg-Fürth Az: 4 O 6968/20
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Oktober 2017 einen Gebrauchtwagen des Typs VW Golf Sportsvan mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 288 (Euro 6).
2Der Kläger verlangt im Wesentlichen, ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die zuletzt gestellten Berufungsanträge weiter.
Gründe
3Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
4Ein Anspruch nach §§ 826, 31 BGB bestehe nicht. Hinsichtlich des "Thermofensters" und der "Fahrkurvenerkennung" fehle, unzulässige Abschalteinrichtungen unterstellt, die Sittenwidrigkeit, weil sie im Straßenbetrieb unter gleichen Bedingungen genauso wie auf dem Prüfstand funktionierten. Hinsichtlich der "Fahrkurvenerkennung" fehle es auch an der Darlegung der Grenzwertkausalität. Auch habe die Beklagte das Kraftfahrt-Bundesamt nicht getäuscht, weil dort der Einsatz von "Thermofenstern" bekannt gewesen sei und der Kläger keine greifbaren Anhaltspunkte für eine Verschleierung im Typgenehmigungsverfahren vorgetragen habe. Ein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheide aus, weil das geltend gemachte Interesse nicht in dem Schutzbereich der Normen liege.
II.
5Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
61. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Es hat in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung hinsichtlich des "Thermofensters" und der "Fahrkurvenerkennung" einen Anspruch des Klägers mangels Prüfstandsbezogenheit und wegen Fehlens weiterer für die Sittenwidrigkeit sprechender Umstände ausgeschlossen (vgl. , NJW 2021, 3721 Rn. 12 ff.; Urteil vom - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 48; Urteil vom - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 12; Beschluss vom - VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 16 ff.). Die Verfahrensrügen der Revision hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet (§ 564 Satz 1 ZPO).
72. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
8Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
9Die Berufungsentscheidung ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer Möhring Wille
Liepin Katzenstein
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:201124UVIAZR538.23.0
Fundstelle(n):
XAAAJ-81293