Instanzenzug: Az: 9 U 4198/21vorgehend LG München I Az: 41 O 12032/20
Tatbestand
1 Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtung in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2 Er erwarb im Juli 2018 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten (Erstzulassung 2016) Audi A5 3.0 TDI Sportback, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 896 Gen2 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnete wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung (schadstoffmindernde sogenannte schnelle Motoraufwärmfunktion) einen verpflichtenden Rückruf des betroffenen Fahrzeugtyps an. Bereits vor dem Erwerb des Fahrzeugs durch den Kläger hatte das KBA hierzu am eine Pressemitteilung veröffentlicht.
3 Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs und Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen und Freistellung von solchen gerichteten Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit welcher er wegen der weiteren Nutzung des Fahrzeugs die Zahlungsklage reduziert und den Rechtsstreit insoweit einseitig für erledigt erklärt hat, ist erfolglos geblieben. Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers, mit der er seine Berufungsanträge weiterverfolgt.
Gründe
4 Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
5 Das Berufungsgericht, das auf die Ausführungen des Landgerichts Bezug genommen und sich diese zu Eigen gemacht hat, hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
6 Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bestehe nicht. Das nach dem Klageantrag gegenständliche Interesse, nicht mit einer ungewollten Verbindlichkeit belastet zu werden, sei vom Schutzzweck der Regelungen der EG-FGV nicht erfasst. Im Ergebnis stehe dem Kläger auch kein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Es könne dahinstehen, ob die vom KBA im Rückruf genannten Funktionen Abschalteinrichtungen darstellten und die Beklagte insoweit sittenwidrig gehandelt habe. Infolge ihrer Verhaltensänderung sei der Vorwurf einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs durch den Kläger jedenfalls entfallen. Auf eine individuelle Kenntnis des Klägers komme es nicht an. Auch das angeblich verbaute "Thermofenster" begründe nicht den Vorwurf der Sittenwidrigkeit, weswegen offenbleiben könne, ob die temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung tatsächlich die vom Kläger behaupteten Eigenschaften besitze und ob sie eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 2 VO (EG) Nr. 715/2007 darstelle. Weitere Abschalteinrichtungen seien nicht prozessual erheblich vorgetragen.
II.
7 Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
8 1. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat (vgl. zur Verhaltensänderung: VIa ZR 533/21, NJW 2023, 2270 Rn. 12 - 20; zum Thermofenster: , NJW 2024, 361 Rn. 11 - 12). Die von der Revision dazu erhobenen Verfahrensrügen erachtet der Senat für nicht durchgreifend; von einer Begründung wird insoweit gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
9 2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angegriffenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
10 Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
11angefochtene
12 Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der bislang unterstellten Verwendung von unzulässigen Abschalteinrichtungen sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Möhring Götz
Rensen Vogt-Beheim
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:271124UVIAZR763.21.0
Fundstelle(n):
EAAAJ-81149